George Wilson war immer noch fest überzeugt, dass sie beide abreisen mussten. Maggie übersah die beiden Koffer und kleidete sich schweigend an. Er wusste nicht, ob sie schmollte oder sich einfach nicht mehr an die Ereignisse im fünften Stock erinnern wollte. Jedenfalls würde er sie ganz bestimmt nicht nach ihrer Meinung fragen. Schon in wenigen Stunden konnten sie auf dem Weg nach Hause sein. Maggie sprach auch im Lift kein einziges Wort, sondern presste nur stumm ihre Lippen aufeinander.
„Mr. Wilson.” Im Erdgeschoss winkte die blonde Dame mit dem Pferdeschwanz. „Mr. Wilson. Bitte warten Sie?”
Aber weder George noch Maggie reagierten auf die Rufe der Mitarbeiterin des Grandhotels. Darum sprang sie mit laut klappernden Schuhen über den Marmorboden auf das ältere Ehepaar zu. „Bitte warten Sie, Mr. Wilson. Direktor Barnsby möchte Sie dringend sprechen.“ Schon die bloße Erwähnung dieses Namens löste ein geradezu extrem unangenehmes Kneifen in seiner Blase aus.
„Das muss bis nach dem Frühstück warten.“ George machte mit seiner Ehefrau einen eleganten Bogen um die Mitarbeiterin und öffnete die Tür zum Speisesaal. Eric Wilson saß wie am Tag zuvor in unmittelbarer Nähe der Männer mit den dunklen Anzügen. Der Kerl mit der Sonnenbrille fehlte allerdings. Eric wollte sich hinter seiner Zeitung verstecken, aber es war zu spät. Maggie hatte ihn bereits entdeckt. George ließ sie los und mit einem Schluchzer stürzte sie direkt an seinen Tisch. „Mein lieber Junge“, stieß sie flehend aus. „Ich bin es. Deine Mutter.“
Bestürzt sah sich Eric Wilson im Saal um. Alle starrten ihn an. Er wollte fliehen, prallte aber nur gegen Georges massiven Körper. Noch ehe Eric Wilson etwas unternehmen konnte, warf Maggie sich ihm weinend an den Hals. „Eric, mein lieber, lieber Junge“, rief sie immer wieder laut. „Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe … ”
Es war die reinste Szene aus einem Irrenhaus: Der verlorene Sohn, der nicht gegen die alte Dame ankam. Maggie, die ihre Arme wie Schlingpflanzen einsetzte und dabei Rotz und Wasser heulte. Und George, der alte Mann mit der schwachen Blase, der ausgerechnet jetzt nichts mehr fürchtete, als sich vor allen Leuten einzunässen.
Plötzlich flogen die Türen des Speisesaals auf und Direktor Barnsby rauschte aufgebracht auf die Wilsons zu. „Dürfte ich erfahren, was hier los ist?“, fragte er gedämpft und mahlte stumm mit den Zähnen.
George Wilson kniff schmerzhaft die Knie zusammen und wies auf Eric. „Fragen Sie doch ihn.” Einerseits musste er auf der Stelle zur Toilette, aber andererseits durfte George seine Frau auf keinen Fall im Stich lassen.
Eric Wilson gab keine Antwort.
Für einen Moment sah es so aus, als würde der Hotelchef mit hochrotem Kopf explodieren. Dann fand Barnsby aber seine Fassung wieder. „Bitte folgen Sie mir in mein Büro“, sagte er dem Trio ruhig, aber bestimmt.
Eric Wilson lief dem Direktor nur allzu bereitwillig hinterher, wobei er sich noch immer nicht aus Maggies festem Klammergriff befreit hatte. Notgedrungen zerrte er sie hinter sich her. „Diese fremde Frau behauptet, meine Mutter zu sein“, fauchte Eric in der Lobby.
„Was heißt denn behauptet?“, fragte Maggie. „Ich bin deine Mutter. Du bist unser kleiner Eric. Und wir sind froh, dass wir dich endlich wiedergefunden haben.“
„Ich schwöre Ihnen“, erklärte Eric Wilson fassungslos, „dass ich diese Frau noch nie in meinem ganzen Leben gesehen habe.“ Vergeblich versuchte er sich von Maggie zu lösen. „Schaffen Sie mir endlich diese Frau vom Leib“, platzte es aus Eric heraus. „Sonst passiert noch ein Unglück.“
George konnte keine Sekunde länger warten. Er eilte zu der Toilette gegenüber dem Speisesaal.