George Wilson betrat ratlos den Fahrstuhl. Im vierten Stock angekommen klopfte er diskret an die Zimmertür 404.
Maggie öffnete ihm völlig aufgebracht. „Das Zusatzbett fehlt. Hast du keins gebucht?“
Was sollte er sagen? Das Zimmer fiel klein aus. Ausgesprochen klein und sehr eng. Das Zusatzbett war ein dreibeiniges, klappbares, quietschendes Gestell, das nur unnötig Platz brauchte.
„George?!“, sagte seine Frau fordernd und stand noch immer in der Tür.
Bloß weil Eric früher darauf geschlafen hatte, beharrte sie jedes Jahr auf dieses Beistellbett. Maggie hatte ja auch gut reden: Sie musste nicht mehrfach nachts die Toilette aufsuchen und dann über das blöde Ding stolpern. Aber George wollte Streit um jeden Preis vermeiden. Aufregung tat seiner Frau mit ihrem hohen Blutdruck alles andere als gut.
„Bitte beruhige dich doch, Liebes“, sagte er betont leise. „Das Hotel hat sicher nur versäumt, das Bett aufzustellen.“
„Und wenn Eric kommt? Er kann ja wohl kaum zwischen uns alten Herrschaften schlafen. Ruf sofort die Rezeption an“, befahl sie und ließ ihn endlich durch. Gleich neben dem Telefon bemerkte er auf dem kleinen Tisch am Fenster einen Stapel Papier. George kannte diese Zettel nur allzu gut. Von ihnen hatte Barnsby noch vor wenigen Minuten in seinem Büro gesprochen. Darauf war nicht nur Erics Foto – der Junge in einem gelben T-Shirt und blauer Badehose – fotokopiert, sondern auch noch die makabren Phantomzeichnungen aus der Sun, wie er mit 20, 30 und 40 Jahren aussehen würde. Immer mit den leuchtend roten, abstehenden Ohren. „Ich kümmere mich darum“, versprach er, „sobald wir zum Tee hinuntergehen.“
„Nein“, widersprach Maggie energisch. „Du wirst dich jetzt darum kümmern.“ Ihre schrille Stimme alarmierte George. Zumindest in diesem Jahr würde er nur zu gerne auf einen Anruf beim Notarzt verzichten.
„Gut“, gab er schließlich nach und berührte sanft ihre Schulter. „Ich werde mich sofort darum kümmern. Fest versprochen. Ich muss nur noch mal kurz ins Bad.“ Doch gehorchte seine Blase ihren eigenen Zeitvorstellungen und als George schließlich wieder die Toilette verließ, war Maggie bereits fort. Und nicht nur sie, stellte er erschrocken fest, sondern mit ihr auch sämtliche Steckbriefe.
George Wilson durfte keine Zeit mehr verlieren. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn Barnsby sie damit erwischte. Sicher, für ihn persönlich wäre es ein wahrer Segen, falls sie Hausverbot bekämen, aber Maggie würde wohl kaum jemals darüber hinwegkommen. Er stürzte regelrecht aus dem Raum. Da der Fahrstuhl nicht schnell genug kam, hetzte er schließlich ungelenk die Stufen der vier Stockwerke herab. Schweißgebadet traf er in der Lobby ein. George fand Maggie sofort. Sie stand an der Rezeption. Nervös suchte sein Blick nach der kleinen Statur des unsympathischen Direktors. Glücklicherweise war er jedoch genauso wenig zu sehen wie die Mitarbeiterin mit dem Pferdeschwanz. Als er seine Frau erreichte, bemerkte er, dass sie vollkommen bleich war und leicht zitterte. Zu ihren Füßen lagen die Steckbriefe wie gefallene Herbstblätter wild durcheinander.
„Liebes“, brachte George, immer noch außer Atem, hervor und bückte sich mühsam, um die Zettel zusammenzuklauben. „Was hast du?“
Er erhob sich wieder und sah die Tränen in ihren Augen. „Was ist passiert?“, fragte er im höchsten Maße besorgt.
„Wir brauchen das Beistellbett wirklich“, murmelte sie tonlos.
„Du hast vollkommen recht“, erwiderte George beruhigend. „Aber natürlich brauchen wir das Beistellbett.“
„George!“ Sie schüttelte kurz den Kopf. „Du verstehst nicht. Wir brauchen das Beistellbett, weil er hier ist.“ Sie lächelte verzückt. „Unser Eric. Er ist hier.“
Dann knickten ihr die Beine weg.