„Und das fasst meine Fähigkeiten so ungefähr zusammen, soweit ich weiß“, beendete Alice, während sie Aeric um eine Ecke in eine muffige, dunkle Reihe von Fluren begleitete. Aeric warf einen Blick auf sie, es amüsierte ihn, wie sie beharrlich mit ihm Schritt hielt, trotz ihrer drei Zentimeter hohen Stiefelabsätze. Seine Partnerin war gleichermaßen schön und entschlossen, wie es schien.
„Um fair zu sein“, sagte er und schwenkte seine Taschenlampe vor und zurück, als er an einer Gabelung auf dem Flur ankam. „Du kannst wortwörtlich jemanden in den Tod singen, was beängstigend ist. Alles was du danach noch aufgezählt hast, verbleicht im Vergleich dazu.“
„Oh, ja”, sagte Alice und runzelte die Stirn, als sie einen Klumpen ausgefransten Teppich beiseiteschob. Sie waren schon ganz tief im Inneren des Blutbordells, in einem Schlupfloch, das im Gray Market versteckt war. Es gab keine besondere Absprache, während sie gingen, aber Alice schien ungerührt zu sein.
„Zum Glück hast du einen Drachen als Partner und wir haben nicht vor viel Angst”, neckte er und brachte ihr Lächeln zurück. Ah, sie hatte sich also ein wenig unsicher für einen Moment gefühlt. Alice war unglaublich komplex und endlos an ihm interessiert.
„Hey“, sagte Alice und zeigte rechts den Flur herunter. „Sieht diese Tür für dich seltsam aus?“
„Seltsam, als wäre sie mit Stahl ausgekleidet, ja. Gutes Auge“, sagte Aeric und nahm einen einzelnen Katana von seinem Rücken. „Das ist es, okay. Bleib zurück, bitte. Das wird ein wenig glühend heiß.”
Anstatt eine Stahltür niederzutreten, konzentrierte sich Aeric nach innen und rief seinen Drachen. Er veränderte seine Lippen und Nase, das Innere seines Mundes, seine Kehle und seine Lungen bis hin zu den schützenden Schuppen des Drachens. Am wichtigsten war jedoch, dass er den zweiten Bauch hervorbrachte, der es dem Drachen erlaubte, Feuer zu atmen. Nach ein paar Momenten stieß er in einem kurzen Knurren eine Wolke metallschmelzenden Feuers aus seinen Lippen und verbrannte einen Vampir, der als Wache in der Tür stand.
Er ließ die Verwandlung los und schüttelte den Drachen ab, dann schwang Aeric sein Schwert und trat in den Raum. Zwei weitere Blutsauger standen im Raum und sahen erschreckt aus.
„Alice! Komm”, drängte er sie. Während sie hinter ihm hereilte, warf sie ein gemeines, kleines Lächeln auf die rauchenden Reste der Tür, als Aeric zu den beiden Handlangern nickte. „Lauft, außer ihr wollt genauso enden wie euer Freund da.“
Die schwelende Stelle, wo der erste Wachmann in Flammen aufgegangen war, war anscheinend ausreichend, um sie zu überzeugen, weil beide Wachmänner ohne ein weiteres Wort flohen.
„Wow”, sagte Alice, als sie in das Zentrum des Raumes trat, indem sich ein massiver Sarg aus hellem Gold befand. Es war wunderschön, aber nicht sehr praktisch. Eine Ecke davon hatte sich bereits nur von Aerics Eintreten verbogen. „Man hätte doch gedacht, er hätte einen feuerfesten Sarg oder?”
„Genau meine Gedanken“, sagte Aeric und schüttelte seinen Kopf. „Aber das macht es einfacher für uns.“
In einem weiteren Moment der Konzentration bedeckte er beide seiner Hände mit Goldschuppen, jedes Stück so glänzend wie der Sarg. Geschützt vor der zurückbleibenden Hitze des Sargs, pulte er leicht eine Ecke des Sargdeckels ab und drückte das ganze Ding zurück. Ciprian lag im Innern, ein tödlich aussehender blonder Mann, gekleidet in Leder und Spikes. Für die Welt sah er wie ein britischer Punk Rocker aus den späten Siebzigern aus, der eingeschlafen war, nachdem er zu viel gefeiert hatte, dachte Aeric mit einem Grinsen.
„Das ist der, nach dem wir gesucht haben?“, fragte Alice ein wenig verblüfft.
In dem Moment öffneten sich die hellen Augen des Vampirs. Er schnaubte, seine Reißzähne senkten sich und die Luft füllte sich mit Bedrohung.
„Da sind wir“, sagte Aeric. „Sie haben keine Witze gemacht, als sie gesagt haben, dass deine Art wie ein Toter schläft.“
Ciprian stand mit einem Knurren auf, aber Aerics Schwert hielt die Bewegungen des Vampirs langsam und zielgerichtet zurück.
„Ruhig“, warnte Aeric.
„Hier riecht es nach Fleisch”, sagte Ciprian. Seine Worte klangen mit dickem Akzent, etwas Osteuropäischem, dass Aeric nicht erraten konnte.
„Einer deiner Männer war ein wenig zu nahe an der Tür“, sagte Aeric ungerührt.
„Du riechst auch sehr interessant“, erwiderte Ciprian, lehnte sich näher und versucht einen großen Hauch zu bekommen.
„Hör auf damit“, sagte Aeric und brachte die Spitze seines Katana auf Höhe mit Ciprians Brust. „Mach den Werbär nicht wütend.“
Ciprians Lippe hob sich in ein weiteres perfektes Schnauben.
„Du nimmst vielleicht eine Bärenform an, aber du bist kein Verwandler”, erklärte er und Neugier brannte in seinen Augen. „Und begleitet von einer Fury nicht weniger als …“
Alice überkreuzte ihre Arme und betrachtete Ciprian mit einem langen Blick.
„Ich wusste, ich kenne dich von irgendwo her“, sagte sie und neigte ihren Kopf. „Du bist mit Vlad und den echten Vampiren mitgelaufen oder?“
Ciprian warf ihr ein bewunderndes Grinsen zu, mit zu vielen Reißzähnen für Aerics Geschmack.
„Das hab ich gemacht. Und du meine Dame siehst recht gut aus für dein Alter. Wie alt bist du, zehn menschliche Jahrhunderte?“, fragte Ciprian.
Alice hatte die gute Gnade zu erröten.
„Es ist nicht nett nach dem Alter einer Dame zu fragen“, murmelte sie und vermied Aerics neugierigen Blick.
„Deswegen bist du wohl auch mit dieser … Kreatur zusammen“, sagte Ciprian und nickte Aeric zu.
„Er ist nicht die einzige alte Seele, die in der Welt da draußen ist, Süße.“
„Hast du einen letzten Wunsch?“, fragte Aeric und drückte die Spitze des Schwerts gegen das Schlüsselbein des Vampirs.
„Ich bin schon einmal gestorben. Es ist mir egal, ob sich das wiederholt“, sagte Ciprian und wich einen Schritt zurück.
„Wir sind aus einem Grund hier”, erinnerte Alice Aeric sanft. „Stell deine Fragen, ehe er dich dazu bringt durchzudrehen.“
„Mit allen Mitteln“, sagte Ciprian mit einer spöttischen Verbeugung seines Kopfes. „Alles für eine Fury und ... das werde ich noch bald herausfinden, Guardian. Keine Sorge.“
„Pass auf“, stieß Aeric aus. Der Mann machte sich schockierend wenig Sorge um seine eigene Sicherheit. „Ich suche Kieran.“
„So viele Kierans, so wenig Zeit”, sagte Ciprian und machte eine Show daraus, seine Nägel anzuschauen und an seinem Shirt zu polieren.
„Kieran der Graue, um genau zu sein“, meldete sich Alice. Als Aeric eine Augenbraue hob, erklärte sie: „Als Cassie Ciprian getroffen hat, hat sie gesagt Ciprian nannte ihn Kieran den Grauen.“
„Also?“, sagte Aeric zum Vampir. „Kieran, Kellan, Gray … wie auch immer der Mann heißt, ich will ihn finden.“
Ciprian machte einen besonnenen Schmollmund und schien seine Worte sorgfältig auszudrücken.
„Ich zweifel doch sehr daran, dass du jemanden finden willst, der auf diesen Namen hört”, sagte er nach einem Moment. „Es war immer sehr unschön, meiner Erfahrung nach.“
„Hast du ihn also getroffen?“, fragte Alice.
„Ihn?“, Ciprian grinste. „Man kann sagen, dass wir uns kennengelernt haben.“
„Red nicht um den heißen Brei herum. Ich verliere das wenige an Geduld, was ich habe“, sagte Aeric. „Lass mich dich nicht noch einmal fragen.“
Ciprian lachte und hob beide Hände, weniger in Abwehr, sondern eher als Freisetzung persönlicher Verantwortung.
„Wie du willst. Du wirst Kieran natürlich nicht alleine überwältigen können.“ Bei Aerics Knurren schüttelte Cirprian wieder seinen Kopf. „Okay, okay. Du kannst Kieran den Grauen bei Madam White finden. Storyville Provinz, auf dem Gray Market.“
„Er hängt im Rotlichtmilieu herum?”, fragte Alice skeptisch.
„Ich denke, weniger wegen der Damen, sondern eher wegen der Diskretion, die so ein Ort normalerweise bietet“, seufzte Ciprian. „Es hat mich einen guten Penny gekostet, diese Information zu bekommen.“
„Naja, offensichtlich hast du ihn gefunden, es ist also möglich. Wann wird er dort sein?“, fragte Aeric.
„Kann ich Gedanken lesen? Nein”, spottete Ciprian, dann schien er einzulenken. „Vielleicht probierst du es mal während eines Footballspiels? Ich glaube, Kieran ist für die New Orleans Saints.“
„Noch etwas, was du uns sagen möchtest?“, fragte Alice und machte auf süß.
„Ich hab das alles gesehen, wisst ihr. Das Orakel hat mir diese Vision gegeben. Zum Glück für euch will ich Pere Mal genauso sehr aus der Stadt haben, wie ihr. Er ist nicht gut fürs Geschäft. Leider glaube ich, dass Kieran viel mehr kämpfen wird, als ihr euch vorstellen könnt.“
„Wir haben ziemlich viele Waffen, Vampir”, keifte Aeric. Seine Geduld war am Ende und er überlegte wirklich, diesen Vampir aufzuspießen. Solange er Ciprians Kopf nicht abschnitt, würde es ihn nicht töten.
Ciprians amüsiertes Schnauben ließ Aerics Finger vor Verlangen zucken.
„Du wirst etwas viel Größeres als das kleine Schwert brauchen“, sagte Ciprian und nickte dann Alice zu. „Etwas wie sie oder eine der anderen Mädchen der Guardians. Vielleicht alle. Ich habe noch nie einen Faerie gesehen, der alle Register gezogen hat.“ Ehe Aeric noch antworten konnte, hielt Ciprian eine Hand hoch, um ihn aufzuhalten. „Das ist gute Information. Ein Faerie, der wird etwas von dir wollen, etwas Einzigartiges, dass nur ein Fury oder ein Orakel bieten kann.“
„Wenn du ihn gesehen hast, dann sag uns, nach was er fragt”, sagte Alice einfach.
„Meine Vision endet damit, dass du ihn bei Madam White findest. Was danach passiert, das kann ich mir kaum vorstellen. Jetzt, wenn es dir nichts ausmacht, ich muss noch ein wenig schlafen, ehe die Sonne untergeht. Sogar Vampire brauchen ihren Schönheitsschlaf, weißt du das nicht?“, sagte Ciprian.
Seine Entschlossenheit die Begegnung zu beenden war klar in seiner Stimme und seinem Blick zu hören.
„Na gut“, sagte Aeric und schaute nach unten auf den ruinierten Sarg. „Du solltest dir etwas Praktischeres aussuchen, in dem du schläfst, Vampir.“
Ciprian lehnte sich näher heran und schnüffelte wieder in der Luft.
„Dein Duft ist fast metallisch. Sehr interessant“, sagte er und hob herausfordernd eine Augenbraue. Es war klar, dass er Aerics Intimsphäre gegen ihn nutzte, um alleine gelassen zu werden, aber es war es nicht wert sich dem zu widersetzen.
„Tschüss dann“, sagte Alice, als Aeric eine Hand um ihre Taille legte und sie aus dem Raum zog.
„Das war interessant, um es mal so zu sagen“, murmelte er und führte sie wieder zurück über den Flur. „Wenn wir jetzt wieder hier herausfinden, dann haben wir glaube ich, eine echte Spur.“
„Ich gehe hin, wo immer du hingehst, Partner”, sagte Alice neckend und verschränkte ihre Finger mit seinen, nachdem er sein Schwert wieder weggesteckt hatte.
Ihre Worte waren halb spaßig gemeint, aber sie hallten bei Aeric nach. So wie sie ihn Partner genannt hatte, bekam er eine Gänsehaut und die Wörter, die sie ausgesprochen hatte, trieben ihn weiter an. Es stimmte immerhin.
Ihr Schicksal war jetzt seins und es lag an ihm, sie in Sicherheit zu halten.