In dem Heinrich die Namen seiner Schwestern erfährt und hofft, ihnen nie zu begegnen.

Heinrich schlief einen flachen Schlaf, erwachte einige Male mitten in der Nacht. Zu viele Geschichten tummelten sich in seinem Kopf. Nebenan hörte er Charlotte schnarchen. Vielleicht war das ein Grund, weshalb sie kinderlos geblieben war, überlegte er. Dann dachte er an die portugiesischen Saisonarbeiter. Fragte sich, ob sie ihm zuschauten. Er dachte an den überstürzten Abschied in Kloten. An das Wirrwarr auf dem Pariser Flughafen. Wieder an die zerquetschten Brüder und daran, was die Leute für Gesichter machen würden, wenn man seinem Fehler auf die Spur kommen würde. Er dachte an die lächerliche Karikatur. Sollte er sie nach Island mitschleppen? Sollte er das Papier falten? Oder doch besser rollen?

Heinrich musste mal. Der Boden knarrte verräterisch, als er auf die Toilette schlich. Charlottes Schnarchen verstummte.

Jacques, c’est toi?, rief sie in die Dunkelheit.

Es war zwei Uhr.

Am nächsten Morgen trank Heinrich zwei Tassen Kaffee und aß eines der herrlichen Croissants zu viel, sodass er schon bald auf die Toilette eilte und da auch eine Weile

Sie hoben ab und stachen steil in den Himmel. Dass der Flügel vor dem Fensterchen wackelte, bereitete Heinrich Unbehagen. Also versuchte er, den wackelnden Flügel ingenieurtechnisch zu erklären. Biegefestigkeit, Elastizität,

Soll ich deine Schwestern anrufen, um ihnen mitzuteilen, dass du kommst?, hatte Charlotte gespielt locker gefragt.

Du meine Güte, nein!, war es Heinrich entfahren. Wissen die überhaupt, dass es mich gibt?

Das soll auch schön so bleiben, hatte Heinrich gesagt.

Ein Rütteln erfasste die Maschine und riss ihn aus den Gedanken. Er blickte aus dem Fenster auf den wackelnden Flügel. Sein Sitznachbar schlief noch immer, den Mund weit geöffnet. Der Bub hinter ihm begann wieder zu quengeln, die Mutter fummelte ein Bilderbuch hervor, das er ihr aus der Hand schlug.

Erneutes Rütteln, diesmal stärker. Der Pilot kündigte weitere Turbulenzen an und forderte die Passagiere freundlich auf, sich anzuschnallen. Der kleine Racker hinter Heinrich war damit nicht einverstanden und weigerte sich kreischend. Schließlich stellten ihn zwei Stewardessen mit Schokolade und einem Spielzeug zufrieden – wenigstens für ein paar Minuten. Heinrich, der seit dem Start angeschnallt war, lockerte den Gurt und atmete erleichtert auf.

***

Ich hatte einiges erlebt, war längst kein dummes Huhn mehr, aber Dagurs Schwester Stella war zum Fürchten. Ich glaube, ich habe sie in den ersten Monaten nur zweimal lachen sehen. Einmal, als ihr Mann draußen vor dem Haus auf einem Kuhfladen ausrutschte und sich dabei fast das Steißbein brach, ein andermal, als sich Doddi, ihr Erstgeborener, beim Versuch, Kandiszucker aus der Dose zu fingern, mit der Latzhose am Knauf der Küchenschublade verhedderte, das Gleichgewicht verlor und hängenblieb. Ihr Lachen war hart und laut, eine Gewehrsalve, die jäh abbrach und in

So war sie.

Die Schwangerschaft machte ihr zu schaffen. Manchmal schien sie kurz vor dem Explodieren zu sein, und so wagte es niemand, sich ihrem Willen zu widersetzen, wir behandelten sie wie eine unbarmherzige Herrscherin. Selbst ihr Mann versuchte, wenn er denn überhaupt da war, einen Bogen um sie zu machen, um Streit zu vermeiden. Doch das schmale Bett im kleinen Zimmer schienen die beiden umstandslos teilen zu können, ohne sich in die Haare zu geraten.

Auch ich ging ihr aus dem Weg, hielt meinen Blick zu Boden gerichtet. Während der ersten Wochen und Monate suchte ich sowieso zu niemandem Kontakt.

Blieb für mich.

Stella gebar ihr drittes Kind in einer Herbstnacht. Ihr Mann war einige Seemeilen entfernt, musste wohl auf das

Letzten Endes war das Kind dann da, ein Bub, schon wieder, die Hebamme schnitt die Nabelschnur durch, und Stella wurde bewusstlos, blutete stark. Jetzt war die Alte wach, drückte mir schnell das Kind in die Arme, legte Stella die Beine hoch, massierte ihren Bauch, drückte richtig fest zu, rief ihren Namen und schlug ihr mit flacher Hand ins Gesicht. Stella kam bald wieder zu sich, ohne zu

Nachdem die Hebamme die Blutung erfolgreich gestoppt und Stella mit Nadel und Faden zusammengeflickt hatte, nahm sie mir das Kind ab, schaute es sich kurz an,

Du hattest ein Kind, sagte sie rundheraus, und ich floh aus dem Zimmer, rannte vorbei an Dagur und Þorkell, die inzwischen aufgestanden waren und verlegen in der Küche herumstanden. Ich stolperte nach draußen, rannte und rannte und ließ mich schließlich in die Wiese fallen. Ich legte mich erschöpft auf den Rücken. Die Sterne glommen über mir. Ein leises Nordlicht krümmte sich ganz langsam über dem Fjord, als wollte es eine Spirale bilden, doch es verlor an Kraft und verschwand vom Himmelszelt, kam nicht wieder, denn der Nebel schlich sich von den Tälern herunter, bis auch die Sterne verblasst waren.