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03 LIEBE FINDEN
Soll ich im Internet nach der großen Liebe suchen - oder auf den romantischen Zufall im echten Leben vertrauen?
Warum Singles oft behandelt werden, als hätten sie eine schwere Krankheit - Wieso das Internet nicht einfach nur ein neues Medium ist, sondern die Partnersuche revolutioniert - Wie viel Geld in Zukunft damit verdient wird -Warum „das gewisse Etwas“in keinem Suchfeld einen Treffer ergibt - Und warum am Ende doch der richtige Körpergeruch wichtiger ist als die schnelle DSL-Leitung
Nie gab es mehr Möglichkeiten, die Liebe zu finden. Fast Dating, Speed Dating, Blind Dating, Singlepartys, Zeitungsanzeigen, Kuppelshows im Radio und Fernsehen - und, allen voran, das Internet mit seinen unzähligen Chats und Singlebörsen. Trotzdem sind wir in Deutschland von der Vollbeziehung noch weiter entfernt als von der Vollbeschäftigung: 16 Millionen Singles leben in diesem Land. Rechnet man aus der Zahl aller Einwohner die Kinder heraus, ist das jeder Vierte bis Fünfte. Man stelle sich vor, die Arbeitslosenquote wäre so hoch.
Ob das auch so schlimm ist, lässt sich schlecht beantworten. Zum einen sind in der Singlestatistik nicht bloß alte Jungfern erfasst, sondern ebenso all jene, die sich zum Zeitpunkt der Befragung zwischen zwei Beziehungen befanden - ein Zustand, der früher weit unüblicher war als heute. Und man darf wohl davon ausgehen, dass es unter den fest Vergebenen heute weniger innere Singles gibt als vor einigen Jahrzehnten: Menschen, die ihre Beziehung längst gekündigt hätten, wenn sie könnten oder dürften.
Single zu sein ist also ein natürlicher, oft unausweichlicher und manchmal erstrebenswerter Zustand, keineswegs mehr Ausdruck der Schwervermittelbarkeit. Die große Industrie der Partnersuche aber trichtert uns das Gegenteil ein: „Über 28 Mio. Singles in ganz Europa warten auf Sie!“- „Finden Sie jetzt den Partner, der wirklich zu Ihnen passt!“- „Liebe ist kein Zufall.“- „So verliebt man sich heute.“Man bekommt den Eindruck (das soll man auch), dass Partnerlosigkeit eine veraltete, leicht zu behebende Mangelerscheinung sei, vielleicht so etwas wie Skorbut. Man muss nur ein bisschen Obst oder Gemüse essen - hier: sich ein bisschen im Internet registrieren -, schon ist der Mangel beseitigt. Die Wahrheit ist natürlich komplizierter. Wenn man überhaupt von einer Mangelerscheinung sprechen will, dann fühlt sich ein Single eher wie ein Kahlköpfiger: Er weiß nicht recht, woher der Mangel kommt, wie er ihn beheben kann … und ob er es nicht vielleicht sogar dauerhaft so lassen sollte.
PARTNERSUCHE IM INTERNET: BILLIG UND BEQUEM. VOR ALLEM ABER GUT FÜR SCHÜCHTERNE.
Aber gehen wir mal von einem Single aus, der keiner sein will. Tut er gut daran, nach alter Väter Sitte einfach abzuwarten, bis das Glück hereinschneit?
Das ist natürlich der auf den ersten Blick viel lockerere und somit sympathischere Ansatz: unverkrampft auf den romantischen Blitz aus heiterem Himmel warten, die Old-school-Liebe, gefunden beim Ausgehen, Reisen, den Freund von Freunden von Freunden kennenlernen. Und wie selbstverständlich den Partner fürs Leben. Wer sagt, dass dies doch nicht so schwer sein kann, hat zumeist auf eben diese Weise seine große Liebe gefunden, hält sie im Arm, selbstbewusst, glücklich, den sich nach Liebe Sehnenden gegenüber ein prahlerischer Trophäenhalter.
Ein etwas schiefer Vergleich: Aber würden auffallend schöne Menschen denn in Gegenwart brandnarbenverschandelter Bekannter ähnlich selbstgerechte Reden schwingen, Schönheitsoperationen seien ja wohl das Letzte? Was soll man denn allen Ernstes einem einsamen Opern-Nerd raten? Geh viermal in der Woche in eine Aufführung und nutze jede Pause aus bis zum letzten Gong, um hektisch fremde Frauen an ungemütlichen Stehtischen auf einen warmen Sekt einzuladen? Warum soll der Opernfan denn nicht lieber ins Internet, wo er viel mehr gleichgesinnte Opernfans trifft als in der Oper selbst?
Und wenn dem so ist: Wie hat das Internet die Partnersuche verändert?
Etwa sieben der 16 Millionen deutschen Singles suchen ihr Glück - manche auch, manche ausschließlich - im Internet. Kaum denkbar, dass noch vor einer so kurzen Zeit wie 20 Jahren ein Paar freimütig herumerzählt hätte, es habe sich über eine Annonce kennengelernt. Einen Partner auf die gleiche Art zu suchen wie einen guten Handwerker, die Beziehung als Ware, für die man einen Preis entrichtet - das hatte etwas Unwürdiges, Bemitleidenswertes. Heute ist die Anekdote, man habe einander im Internet gefunden, schon so gewöhnlich, dass es keine mehr ist. Es gibt online gut 2500 Angebote für Singles, darunter mehr als 1000 Singlebörsen. Neu.de, Parship, Elite-Partner, iLove, Flirt-Fever … allein der deutsche Branchenprimus Parship machte nach eigenen Angaben 46 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2007, doppelt so viel wie 2006. Der Geschäftsführer von Parship, Arndt Roller, sagt voraus, dass der europäische Markt der Online-Partnersuche in fünf Jahren bei einer Milliarde Euro Umsatz liegen wird. Das wäre gut dreimal so viel wie jetzt.
Die Singles, die in den Partnerbörsen eingetragen sind, haben in der Regel ein junges Alter - zwischen 18 und 50 Jahren -, eine hohe Bildung und ein gutes Einkommen; allesamt Eigenschaften, die sich damit erklären lassen, dass es immer noch in erster Linie eben solche Menschen sind, die das Internet überhaupt nutzen. Frauen und Männer sind zumindest bei den seriösen Singlebörsen in etwa zu gleichen Anteilen vertreten. Dazu muss man allerdings wissen, dass Frauen oft keine Gebühren zahlen müssen. Andernfalls wären die Männer klar in der Überzahl. Hierin gleicht das Internet so gut wie allen anderen organisierten Formen der Balz.
Und warum das Internet? Das Klicken nach dem Traumpartner hat drei große Vorzüge. Erstens ist es bequem. Weder muss man vor die Tür gehen, noch, eben weil man nicht vor die Tür geht, etwas anderes anziehen als eine ausgeleierte Unterhose und das T-Shirt, in dem man auch geschlafen hat. Manche fühlen sich sowieso zu erschöpft, um nach einem Zehnstundentag im Büro noch ein charmantes Gesicht an der Bar aufzusetzen. Zumal die Bar so oder so Geld kostet, egal ob man dort jemanden kennenlernt oder nicht. Das Internet ist billiger. Zweitens ist das Internet ein Schutzraum. Es ist auch die Welt der Zaghaften und Mutlosen. Und wer es nicht wagt, den hübschen Kerl in der Kinoschlange oder die umwerfende Sitznachbarin in der Straßenbahn anzusprechen, der traut sich viel eher, eine rasche, risikolose Mail an ein Profil wie „Silverman77“ zu schicken - unter einer ebenso nichtssagenden Mailadresse. Die Schüchternen können im Internet zunächst nur gewinnen, nichts verlieren. Weder ihre Anonymität noch ihr Gesicht. Und alle, die Schüchternen wie die Mutigen, setzen darauf, dass sie sich im Internet besser, authentischer, sozusagen richtiger präsentieren können als in der körperlichen Welt, in der eine ungekämmte Strähne, eine tapsige Bewegung oder ein holpriges Wort sie in eine Schublade zu stecken droht, aus der sie nie wieder herauskommen. In den Singlebörsen gibt es ja keine Sinneswahrnehmung außer dem Sehen, man kann weder schlecht riechen noch blöd klingen; was man sonst sagen würde, schreibt man, und den Satz, den man schreibt, kann man sich gut überlegen, ehe man ihn loslässt.
Nur aus Neugier: Ist da draußen irgendjemand, der je in romantischer Absicht eine fremde Person in der Kinoschlange, beim Bäcker oder im Bus angesprochen hat, wie es so oft in den Flirttipps der Frauenzeitschriften steht? Arm hoch bitte … Niemand? Okay, das ist irgendwie beruhigend.
Der dritte und wichtigste Vorzug des Internets zum Suchen und Finden der Liebe ist, dass es einem das Gefühl gibt, den Zufall zu überwinden. Als das Internet noch nicht verbreitet und die Zeitungsanzeige noch eine heikle Sache war, musste man nehmen, was kam, und was nicht kam, konnte man auch nicht nehmen. Am Arbeitsplatz verlieben sich viele - viele aber auch nicht. Und man denke an die armen Informatiker, die keine Kolleginnen, oder die Erzieherinnen, die keine Kollegen haben. Auch im Sportverein entstehen oft Beziehungen - dumm nur, wenn man schon nach dem ersten Training weiß, dass man auch in dieser Statistik nicht auftauchen wird. Oder nehmen wir den Fluch der Entfernung. Lebte A in Köln und B in Münster, lernten sie sich vermutlich nie kennen, von Fällen größerer Entfernungen ganz zu schweigen. Hatten sie keine gemeinsamen Freunde, standen die Chancen ebenso schlecht. Oder wenigstens ein gemeinsames, möglichst ausgefallenes Hobby. Man konnte sich bestenfalls Abend für Abend im Foyer der städtischen Oper herumdrücken, wenn einem die Liebe zur Oper ein wichtiges Kriterium für die Liebe zu einem Menschen war. Und dann auf das Schicksal hoffen. Je geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sich A und B einfach so über den Weg laufen würden, desto größer musste der Zufall sein, dass sie es doch tun.
Diesen Zufall ersetzt nun das Internet. Anders gesagt: Das Internet versetzt einen in die Lage, dem Zufall die Regie zu entreißen. Im Stil eines Personalmanagers sichtet man in einer Singlebörse die Bewerbungen. Man setzt Suchfilter, die bestimmen, welche Rolle das Hobby, der Wohnort, der Beruf, das Alter, der Bildungsgrad, der Kinderwunsch, die Körpergröße, das Gewicht, die bevorzugte Raumtemperatur, das Verhältnis zum Fernsehen, die sexuellen Vorlieben, die Haarfarbe, die Familie, die Religionszugehörigkeit, das Einkommen und natürlich auch das Geschlecht spielen - der Zufall muss tatenlos zusehen. Zugleich stellt man seine eigene Bewerbung - seinen Steckbrief - ins Netz. Manche Singlebörsen lassen den Neukunden einen detaillierten Persönlichkeitstest ausfüllen. Gefällt Ihnen diese Abbildung besser? Oder diese? Und wie ist es mit dem Verhältnis zu den Eltern? Der Computer fahndet schließlich nach den Profilen mit den größten Übereinstimmungen. 100 Prozent bedeuten den perfekten Partner; ab etwa 70 Prozent empfiehlt das System, Kontakt aufzunehmen. Es sollte einen nicht überraschen, dass zumindest in einem Punkt im Internet die gleichen Gesetze gelten wie draußen: Unter den Frauen sind Ärzte und Architekten besonders begehrt, gefolgt von Unternehmern und Anwälten.
Laut Parship finden 38 Prozent der registrierten Singles innerhalb eines halben Jahres einen Partner. Das sind sicher mehr als in der Kinoschlange oder im Foyer der Oper. Allerdings war bisher kein Film so erfolgreich, dass man ein halbes Jahr lang anstehen musste. Außerdem sucht in einer Singlebörse - das ist ja der Reiz an jeder Art von Singleveranstaltung - jedes Mitglied einen Partner. Und weiß von jedem anderen Mitglied, dass es ebenfalls einen Partner sucht. Das ist in den Kinoschlangen des gewöhnlichen Lebens anders, in denen man immer erst prüfen muss: Ehering am Finger? Check. Wird ein Partner erwähnt? Check. Hinweise auf Homosexualität? Check. Hinweise auf Interesse an mir? Check. Und selbst wenn diese Geschichte so heißblütig wie nur denkbar läuft, erfährt man oft erst nach Wochen, ob der andere die Bibel wörtlich auslegt, CDU wählt, Kinder hat, Kinder will oder die Mittlere Reife geschafft hat.
Das Internet hat die Partnersuche also ohne Zweifel verändert. Sie ist schneller geworden. Eine Singlebörse ist wie ein riesiger Produktkatalog. Je breiter der Suchfilter, desto unübersichtlicher das Angebot. Profile ohne Foto werden schon kaum noch wahrgenommen, wie ein Selbstversuch bestätigt (nur eine Kontaktaufnahme - und da bittet jemand um Zusendung eines Fotos; nach erfolgter Zusendung bricht der Kontakt ab). Man muss eingrenzen, eingrenzen, eingrenzen, also schließt man Protestanten aus, Katho liken auch, dann alle Gläubigen, man verbannt jeden ohne Abitur und mit Hund, ohne Kinderwunsch und mit Freude am Landleben, man filtert bewusst viel strenger, als man unbewusst auf einer Party filtern würde. Anders als auf der Party fallen übrigens auch sofort alle durchs Raster, die Rechtschreibfehler machen. Und am Ende blättert man durch Profile, die sich seltsam gleich lesen, gerade weil die Menschen, die hinter den Steckbriefen stehen, sich möglichst originell darstellen wollen. „Ich bin eine verantwortungsvolle Zicke.“- „Singles wie mich gibt es viele. Aber es zählt nicht die Quantität, sondern die Qualität.“- „Ich sehne mich nach so vielen Schmetterlingen im Bauch, dass ich sie nicht mehr zählen kann.“Solche Anbiederungen sind im Grunde nur die Fortsetzung des „Bist du öfter hier?“in anderen Foren. Doch wer es nicht einigermaßen originell versucht, kann sich gleich zu denen ohne Foto gesellen. Er geht unter wie ein Tropfen im Ozean.
DAS INTERNET KANN DEN ZUFALL BESIEGEN. DAS INTERNET IST GRÖSSER ALS DER ZUFALL.
Das Internet schlägt den Zufall, indem es größer ist als er. Doch zugleich ist auch das Gegenteil wahr.
Singlebörsen verlangen von ihren Mitgliedern, sich selbst so klar zu definieren, dass sie genau denen auffallen, die zu ihnen passen. Das Gleiche gilt umgekehrt: Man muss präzise Vorstellungen angeben, wen man will und wen nicht. Nur, wer weiß das denn? Was uns anzieht, ist ja oft das, was wir nicht sind. Was wir in uns selbst nicht finden. Kann ja sein, dass man mit den meisten katzenaffinen Professorinnen in Deutschland nicht glücklich würde - aber mit dieser einen einzigen schon. Doch wie soll man den Suchfilter einer Singlebörse darauf einstellen?
Es ist auch eine Illusion, der Zufall sei besiegt. Angenommen, jemand weiß aus unerfindlichen Gründen tatsächlich genau, welchen Typ Partner er braucht, und weiter angenommen, er hat damit sogar Recht - so bleibt es doch der Zufall, der bestimmt, wer an genau diesem Tag unter den Suchergebnissen auftaucht.Vielleicht richtet der Traumpartner sein Profil dummerweise erst zehn Minuten später ein. Und was die Suchkriterien betrifft: Was, wenn man eingibt, man suche eine Frau zwischen 23 und 27 - und lernt die perfekte Partnerin nur deswegen nicht kennen, weil sie gerade heute ihren 28. Geburtstag feiert?
Aber das sind läppische Szenarien im Vergleich zu dem einen Zufall, der durch keine Methode je auszuschalten sein wird: Es gibt auch im Internet kein funktionierendes Suchkriterium namens „hat das gewisse Etwas“. Liebe sei „nicht nur eine Anomalie, sondern ganz normale Unwahrscheinlichkeit“, meinte Niklas Luhmann. Der Funken muss überspringen, da hilft die genaueste Kongruenz in Fragen von Politik und Haustierhaltung nichts. Warum der Funken zwischen ihnen übergesprungen ist, können glückliche Paare selbst im Nachhinein nie so recht benennen. Wissenschaftlich längst erwiesen ist, dass der Geruch eine große Rolle spielt. Claus Wedekind, Professor für Ökologie und Evolution an der Universität Lausanne, ließ männliche Probanden drei Tage und Nächte lang jeweils dasselbe T-Shirt tragen. Dusche, Deo und Parfüm waren verboten. Dann sollten Frauen an den T-Shirts riechen und angeben, ob sie den Geruch attraktiv, uninteressant oder abstoßend fanden. Das Resultat: Je stärker sich eine bestimmte Reihe von Genen beim jeweiligen T-Shirt-Träger und der schnuppernden Frau voneinander unterschied, desto anziehender erschien der Frau der Geruch. Diese Untersuchung legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Natur auf diese Art Paare bevorzugt, die ihren Nachkommen eine größtmögliche genetische Vielfalt schenken können. Es gibt inzwischen Unternehmen (GenePartner in Zürich, ScientificMatch in Boston), die ihren Kundinnen und Kunden bei der genetischen Partnersuche helfen: Man schickt einen Abstrich der eigenen Wangenschleimhaut an das Unternehmen und bekommt nach erfolgter Genanalyse eine ID zugeteilt. Mit dieser ID kann man sich in Singlebörsen nach kompatiblen Partnern umsehen. Beziehungsweise man könnte. Bisher sind nur ein paar Hundert Abstriche eingegangen, es ist also vorerst unwahrscheinlich, jemanden passenden zu finden, der ebenfalls eine genetische ID angelegt hat. Doch wenn man es schafft, muss man sich nicht grämen, sollten sich die Gene als inkompatibel erweisen: Man hat ja schon mal ein ungewöhnliches gemeinsames Interesse entdeckt.
DAS INTERNET IST TÜCKISCH. ES FLÜSTERT DIR ZU: VIELLEICHT FINDEST DU NOCH WAS BESSERES.
Das Beispiel vom Geruch zeigt, wie wichtig bei der Partnerwahl solche Signale sind, die wir nur unbewusst wahrnehmen - und deren Bedeutung wir dadurch stark unterschätzen. Eine E-Mail hat keine Schweißdrüsen.
Und überhaupt: Ein noch so reger, inspirierender und prickelnder Mailverkehr ist noch keine Beziehung. Auch das Internet erspart es niemandem, sich am Ende mit pochender Brust und blödem Grinsen durch die Stunden vor dem ersten Kuss zu quälen. Wer an einer Singlebörse teilnimmt, weiß das alles. Und dass er das weiß, liefert ihn dem größten Fluch der Partnersuche im Internet aus: Nirgends sonst verfolgt einen so hartnäckig das Gefühl, es ließe sich noch was Besseres finden. Es ist wie in einem Supermarkt, der eine fast unendliche Zahl von Schokoladensorten bietet. Kaum möglich, sich da je festzulegen. Woher weiß man, dass die andere Sorte nicht besser schmeckt? Und wenn sie besser schmeckt, schmeckt sie dann auch am besten? Und was, wenn ich zwar die beste Sorte gefunden habe - aber morgen liegt eine noch bessere im Regal?
Und jetzt stelle man sich ein Dorf im Schwarzwald vor, 2000 Einwohner. Eine junge Frau lernt auf einem Schützenfest einen jungen Mann kennen. Er gefällt ihr. Sie küssen sich. Übertragen auf die Metapher vom Supermarkt, befinden wir uns in einem Kiosk, der nur Vollmilch hat. Welcher Kunde ist besser dran? Das ist keine rhetorische Frage. Es ist die Frage, die man für sich beantworten sollte, bevor man sich einloggt.
Das Internet beschleunigt, doch es revolutioniert die Suche nach der Liebe nicht. Vermutlich verändert es sie nicht einmal substanziell. Das Internet ist ein Kuppler, der viel mehr Kandidaten im Angebot hat als ein Squashverein, eine Einweihungsparty oder der Anzeigenteil einer Wochenzeitung. Doch gerade diese Größe des Angebots ist das Problem. Das Internet erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung, aber nicht unbedingt mit den Richtigen. Und hat man einmal jemanden entdeckt, der einem wirklich gefällt, gelten die gleichen Prinzipien wie überall und immer schon: Erzählt man Quatsch, hat man Spinat am Schneidezahn, wählt man die falsche Partei, ist man zu groß oder zu klein oder zu dick oder zu dünn - dann hat man verloren. Oder genau deswegen gewonnen. Denn die Liebe schafft es, noch unergründlicher zu sein als das Internet.
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SELBSTVERSUCH IM INTERNET
LOS, KLICK MICH!
 
Ulrike Bor nschein beschrieb in ‚Bei Anr uf nackt‘den ersten deutschsprachig dokumentierten Selbstversuch einer Inter net-Partnersuche. Das Ergebnis nach einem Jahr Recherche: 100 Kontakte, 50 Treffen, sechsmal Sex.
 
 
Nach einem Jahr im Selbstversuch: Was haben Sie bei Ihrer Partnersuche im Web gelernt? - Dass noch immer tiefgreifende Missverständnisse und Haltungsunterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen.Viele angeblich fortschrittliche Männer verstehen in der Tiefe ihres Herzens unter Liebe noch immer: „Baby, ich zahl dir die Cartier-Uhr und die Miete, dafür organisierst du mein Leben und sorgst für meine emotionale Stabiliät.“Das ist aber für viele gebildete Frauen mit einer gewissen Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung kein attraktives Lebensmodell mehr.
Ganz praktisch habe ich gelernt, besser mit Männern umzugehen. Das ist erlernbar wie Fahrradfahren und Tanzen - irgendwann beherrscht man es einigermaßen. Und noch etwas: Im Nachhinein ist mir aufgegangen, dass ich vor meinem Online-Selbstversuch oft viel zu zurückhaltend und undeutlich im Umgang mit Männern war. Das war ein Fehler.
 
Hat Ihre Online-Erfahrung auf Dauer auch Ihr Offline-Denken verändert? - Wenn ich heute in der realen Welt einen Mann wirklich gut finde, fällt es mir jetzt viel leichter, Kontakt zu ihm herzustellen. Ich bin offensiver geworden und raus aus der alten passiven Frauenrolle, immer am liebsten angesprochen zu werden.
 
Welche Erfahrung möchten Sie nicht missen? -Ich bin gelassener geworden.Was von vielen Frauen an Internetportalen als hochgradig bedrohlich empfunden wird und viele auch zum Aussteigen bewegt, ist Folgendes: Sie kommen nicht damit klar, weggeklickt oder gelöscht zu werden und selbst andere löschen zu müssen. Aber das Prinzip „ex und hopp“ist im Internet ganz normal, schließlich kann man nicht 4748 Männer treffen, die von ihrem Profil her zu einem passen könnten. Man darf sich aber nicht davon verletzen lassen, abgewiesen, ignoriert, aussortiert zu werden. Da musste auch ich mehr Gelassenheit entwickeln. Zugegeben: Mit etwas Abstand sagt sich das natürlich leicht. Aber es macht mir tatsächlich keine Angst und keine schweißnassen Hände mehr, mit dieser Form von Zurückweisung klarzukommen. Das war eine zunächst schmerzhafte, letztlich aber doch segensreiche Erfahrung.
 
Und worauf hätten Sie, bei aller professionellen Neugierde, dennoch gerne verzichtet? - Ich hatte einige wirklich zähe Begegnungen mit Männern.Vor allem mit leicht angestaubten Rosenkavalieren alter Schule: statusbewusste, konservative Männer. Es gibt bestimmt Frauen, die diese Sorte Mann toll finden. Ich nicht. Das Bedauerliche daran: Ausgerechnet ich passe merkwürdigerweise voll in deren Beuteschema. Aber was soll ich machen? Ich bin eine erwachsene Frau und werde mich nicht mehr umbauen. Ich verhalte mich nach - wie ich eigentlich finde - ganz normalen Konventionen. Wenn das aber als pseudokonservativ gedeutet wird, gibt das natürlich schon zu denken. Ich habe wohl öfter wie eine „Trophy Wife“gewirkt, die man einfach so abgreifen kann - das ist unangenehm.
 
Raten Sie einsamen Menschen auf der Suche nach der Liebe, den gleichen Weg zu beschreiten wie Sie für Ihr Buch? - Das ist eine sehr individuelle Entscheidung, die jeder selbst treffen muss. Ich bin weder Expertin noch Journalistin, die da mit professioneller Neugierde ins Internet gegangen ist. Mein Buch ist tatsächlich aus tiefer eigener Betroffenheit heraus entstanden. Das war Work in progress, nicht von vornherein geplant, das möchte ich hier mal klarstellen. Insofern kann ich auch alle Vorwürfe von Männern, die mir unterstellen, ich sei nur mit ihnen ins Bett gegangen, um ein Buch zu schreiben, reinen Herzens zurückweisen.
 
Trotzdem haben Sie ja eine Menge Erfahrungen gesammelt. Was raten Sie mit Ihrem Wissen über die Internetdating-Kultur? - Meine Empfehlung: Überstrapaziert die Portale nicht. Nehmt sie einfach als das, was sie sind: die Ermöglichung eines Erstkontakts. Mehr nicht. Ich würde nicht mehr ewig lange Mailkontakte pflegen. Sondern in dem Moment, in dem ich merke, da könnte was sein, aus dem virtuellen Raum zurück in die Realität wechseln. Denn selbst wenn man ein halbes Jahr intensiv gemailt und telefoniert hat: so w hat? Wenn du jemanden zum ersten Mal persönlich triffst, steht immer ein wildfremder Mensch vor dir. Schon allein aus Zeitersparnis würde ich das Anbahnen im Internet daher eher kurz halten.
Meine zweite Empfehlung: Überlegt euch vorab, was ihr wirklich wollt. Klingt banal, die meisten sagen aber einfach: „Ich suche einen Mann, ich suche eine Frau, ich suche einen Partner.“Aber, bitte, wofür denn eigentlich genau? Willst du jemanden finden, mit dem du regelmäßig ins Bett gehen kannst? Willst du die große Liebe finden? Hast du sogar den Wunsch, eine gemeinsame Zukunft aufzubauen, willst du Kinder? Zwischen diesen Möglichkeiten liegen himmelweite Unterschiede. Und bevor man sich ins Getümmel stürzt, sollte jeder wirklich sehr genau überlegen, wonach er eigentlich sucht.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
ULRIKE BORNSCHEIN, ‚Bei Anr uf nackt‘, 8,95 Euro, Heyne Ver lag