Ontologischer Objektivismus

jeglicher kritischen Instanz furs Sein riickt die Wiederholung des puren Namens. Das Residuum, das vermeintlich unentstellte Wesen 5 kommt einer apyii vom Typus derer gleich, wie sie die motivierte Bewegung des Gedankens verwerfen muBte. DaB eine Philosophie leugnet, Metaphysik zu sein, entscheidet, wie Heidegger einmal gegen Sartre anmeldet 6 , nicht dariiber, ob sie es ist, begriindet aber den Verdacht, in der Uneingestandenheit ihres metaphysischen Gehalts verstecke sich das Unwahre. Neubeginn auf einem vorgeblichen Nullpunkt ist die Maske angestrengten Vergessens, Sympathie mit der Barbarei ihm nicht auBerlich. DaB die alteren Ontologien, die scholastischen ebenso wie ihre rationali-stischen Nachfahren, verfielen, war kein kontingenter Wechsel von Weltanschauung oder Denkstil; an ihn glaubt derselbe historische Relativismus, gegen den einmal das ontologische Bedurfnis auf-begehrte. Keine Sympathie mit Piatons Enthusiasmus gegeniiber den resignativ-einzelwissenschaftlichen Ziigen des Aristoteles ent-kraftet den Einwand gegen die Ideenlehre als Verdoppelung der Welt der Dinge; kein Pladoyer fur den Segen der Ordnung raumt die Schwierigkeiten weg, welche das Verhaltnis von xoSs xi und rcpc&ry] ouoia in der Aristotelischen Metaphysik bereitet; sie riih-ren her von der Unvermitteltheit der Bestimmungen des Seins und des Seienden, welche die neue Ontologie entschlossen naiv restauriert. Ebensowenig vermochte das sei's noch so legitime Ver-langen nach objektiver Vernunft allein die Kantische Kritik des ontologischen Gottesbeweises aus der Welt zu denken. Schon der Eleatische Ubergang zum heute glorifizierten Seinsbegriff war, worauf Heidegger weniger Wert legt, gegeniiber dem Hylozoismus Aufklarung. Die Intention aber, all das wegzuwischen, indem man hinter die Reflexion des kritischen Gedankens in heilige Friihe regrediert, mochte lediglich philosophische Zwange umgehen, die, einmal eingesehen, die Striking des ontologischen Bedurfnisses ver-hinderten. Der Wille, nicht sich abspeisen zu lassen, von Philosophie Wesentliches zu erfahren, wird deformiert durch Antworten, die nach dem Bedurfnis zugeschnitten sind, zwielichtig zwischen der legitimen Verpflichtung, Brot, nicht Steine zu gewahren, und der illegitimen Uberzeugung, Brot musse sein, weil es sein muB.

Enttauschtes Bedurfnis

DaB die am Primat der Methode ausgerichtete Philosophie bei sogenannten Vorfragen sich beruhigt, und sich deshalb womog-lich auch noch als Grundwissenschaft im Sicheren fiihlt, tauscht bloB dariiber, daB die Vorfragen, und Philosophie selber, fiir die Erkenntnis kaum Konsequenz mehr haben. Die Besinnungen iiber das Instrument tangieren langst nicht mehr das wissen-schaftlich Erkannte, sondern einzig, was iiberhaupt erkennbar sei, die Giiltigkeit wissenschaftlicher Urteile. Das bestimmte Erkannte ist solcher Reflexion ein Subalternes, bloBes Konstitutum; wahrend sie ihren Anspruch daraus zieht, in dessen allgemeine Konstitution sich zu versenken, laBt sie es gleichgultig. Die erste Formel, in der das ausgesprochen war, ist die beruhmte Kantische, »der trans-zendentale Idealist« sei »ein empirischer Realist« 7 . Bewunde-rung fiir den Versuch der Kritik der reinen Vernunft, Erfahrung zu begriinden, war taub fiir die Bankrotterklarung, daB die un-ermeBliche Anspannung jener Kritik gegen den Gehalt der Erfahrung selbst dSiAtpopov sei. Sie ermutigt nur das normale Funk-tionieren des Verstandes und die dementsprechende Ansicht von der Realitat; iibrigens optiert noch Heidegger fiir den »normal denkenden Menschen« 8 . Wenige der innerwelthchen Anschau-ungen und Urteile des common sense werden auBer Kurs gesetzt. »Kant wollte auf eine >alle Welt< vor den Kopf stoBende Art beweisen, daB >alle Welt< Recht habe: - das war der heimliche Witz dieser Seele. Er schrieb gegen die Gelehrten zu Gunsten des Volks-Vorurtheils, aber fiir Gelehrte und nicht fiir das Volk.« 9 Defaitismus lahmt den spezifisch philosophischen Impuls, ein Wahres, hinter den Idolen des konventionellen BewuBtseins Ver-stecktes aufzusprengen. Der Hohn des Amphiboliekapitels gegen die Vermessenheit, das Innere der Dinge erkennen zu wollen, die selbstzufrieden mannliche Resignation, mit der Philosophie im mundus sensibilis als einem Auswendigen sich niederlaBt, ist nicht bloB die aufklarerische Absage an jene Metaphysik, die den Be-griff mit seiner eigenen Wirklichkeit verwechselt, sondern auch die obskurantistische an die, welche vor der Fassade nicht kapi-tulieren. Etwas vom Eingedenken an dies Beste, das die kritische Philosophie nicht sowohl vergaB, als zu Ehren der Wissenschaft, die sie begriinden wollte, eifernd ausschaltete, uberlebt in dem ontologischen Bedurfnis; der Wille, den Gedanken nicht um das

Enttauschtes Bedurfnis

bringen zu lassen, weswegen er gedacht wird. Seitdem die Wissen-schaften, unwiderruflich, von der idealistischen Philosophie sich losgesagt haben, suchen die erfolgreichen keine Legitimation mehr als die Angabe ihrer Methode. In ihrer Selbstauslegung wird Wissenschaft sich zur causa sui, nimmt sich als Gegebenes hin und sanktioniert damit auch ihre je vorhandene, arbeitsteilige Gestalt, deren Insuffizienz doch nicht dauemd verborgen bleiben kann. Zumal die Geisteswissenschaften werden durchs erborgte Positivitatsideal in zahllosen Einzeluntersuchungen Beute von Irrelevanz und Begriffslosigkeit. Der Schnitt zwischen Einzel-disziplinen wie Soziologie, Okonomie und Geschichte laBt in den pedantisch gezogenen und uberwertig verteidigten Graben das Interesse der Erkenntnis verschwinden. Ontologie erinnert daran, mochte aber, vorsichtig geworden, das Wesentliche nicht durch den spekulativen Gedanken der Sache einhauchen. Vielmehr soil es wie ein Gegebenes hervorspringen, Tribut an die Spielregeln der Positivitat, iiber welche das Bedurfnis hinaus will. Manche Adepten der Wissenschaft erwarten von Ontologie entscheidende Erganzung, ohne daB sie an die szientifischen Prozeduren zu riihren brauchten. Beansprucht die Heideggersche Philosophie in ihrer spatem Phase, iiber die herkommliche Unterscheidung von Wesen und Tatsache sich zu erheben, so spiegelt sie die begriindete Irritation vor der Divergenz von Wesens- und Tatsachenwissen-schaften, von mathematisch-logischen und sachhaltigen Diszipli-nen, die im Wissenschaftsbetrieb unverbunden nebeneinander gedeihen, obwohl das Erkenntnisideal der einen mit dem der anderen unvereinbar ware. Aber der Antagonismus zwischen den ausschlieBenden wissenschaftlichen Kriterien und dem ab-soluten Anspruch einer Wesens- oder dann einer Seinslehre wird nicht von deren Kommando beseitigt. Sie setzt sich ihrem Widerpart abstrakt entgegen, behaftet mit denselben Mangeln arbeitsteiligen BewuBtseins, als deren Kur sie sich gebardet. Was sie gegen die Wissenschaft aufbietet, ist nicht deren Selbstreflexion, auch nicht, wie offenbar Walter Brocker meint, etwas, das sich mit notwendiger Bewegung als qualitativ Anderes iiber ihr schichtete. Sie kommt, nach dem alten Hegelschen Gleichnis gegen Schelling, aus der Pistole, Zusatz zur Wissenschaft, der diese summarisch abfertigt, ohne an ihr selbst triftig etwas zu verandern. Ihre

Enttauschtes Bedurfnis

vomehme Abwendung von der Wissenschaft bestatigt schlieBlich doch deren Allherrschaft, ahnlich wie unterm Faschismus irratio-nalistische Parolen den szientifisch-technologischen Betrieb kon-trapunktierten. Der Ubergang von der Kritik der Wissenschaften zu dem ihnen Wesentlichen als dem Sein sieht selbst wiederum ab von dem, was irgend an den Wissenschaften wesentlich sein konnte, und bringt das Bedurfnis um das, was er zu gewahren scheint. Indem ontologisches Philosophieren angstlicher von allem Sachhaitigen sich distanziert als Kant jemals, erlaubt es weniger unreglementierte Einsicht als der Idealismus in seiner Schelling-schen und gar Hegelschen Gestalt. Verpont wird zumal das gesell-schaftliche BewuBtsein, wie es gerade den antiken Ontologien vom philosophischen untrennbar war, als Heterodoxie, als Befassung mit bloB Seiendem und pstafaaic, eis aXXo yivoc,. Hei-deggers Hermeneutik hat die von Hegel in der Einleitung zur Phanomenologie inaugurierte Wendung gegen die Erkenntnis-theorie sich zu eigen gemacht 10 . Aber die Reservate der Transzen-dentalphilosophie gegen eine inhaltliche, die den Inhalt als bloB empirisch von der Schwelle fortweist, iiberleben trotz aller Pro-teste in seinem Programm, das Sein vom Seienden abzuheben und das Sein selbst zu explizieren 11 . Die Fundamentalontologie entzieht sich nicht zuletzt darum, weil von ihr ein der Methodo-logisierung der Philosophie entstammendes Ideal von »Reinheit« — das letzte Bindeglied war Husserl -, als Kontrast des Seins zum Seienden, aufrecht erhalten, dennoch aber gleichwie uber Sach-haltiges philosophiert wird. Mit jener Reinheit war dieser Habitus nur in einem Bereich zu versohnen, wo alle bestimmten Un-terscheidungen, ja aller Inhalt verschwimmt. Heidegger laBt, ge-schreckt von Schelers Schwachen, die prima philosophia nicht durch die Kontingenz des Materialen, die Verganglichkeit der jeweihgen Ewigkeiten kraB kompromittieren. Aber er verzichtet auch nicht auf die ursprunglich vom Wort Existenz verheiBene Konkretion*.

* Gunfher Anders (Die Antiquiertheit des Menschen, Munchen 1961,8.186 ff., 220, 326, und vor allem: On the Pseudo-Concreteness of Heidegger's Philosophy, in: Philos. & Phenomenol. Research, Vol. VIII, Nr. 3, p. 3370.) hat vor Jahren schon die Pseudokonkretheit der Fundamentalontologie angepran-gert. Das in der deutschen Philosophie zwischen den beiden Kriegen hochst affektiv besetzte Wort Konkretion war durchtrankt mit dem Geist der Zeit. Seine Magie bediente sich jenes Zuges der Homerischen Nekyia, da Odysseus,

»Mangel als Gewinn«

Die Unterscheidung von Begriff und Materialem sei der Sunden-fall, wahrend sie im Pathos des Seins sich perpetuiert. Nicht zu unterschatzen ist unter dessen vielen Funktionen die, daB es zwar gegen das Seiende seine hohere Dignitat hervorkehrt, zugleich aber die Erinnerung an das Seiende, von dem es abgehoben wer-den will, als die an ein der Differenzierung und dem Antagonis-mus Vorgangiges mit sich fuhrt. Sein lockt, beredt wie das Rau-schen von Blattern im Wind schlechter Gedichte. Nur entgleitet die-sem einigermaBen unschuldig, was es preist, wahrend philosophisch wie auf einem Besitz darauf bestanden wird, iiber den der Gedanke, der ihn denkt, nichts vermag. Jene Dialektik, welche die reine Be-sonderung und die reine Allgemeinheit, beide gleich unbestimmt, ineinander iibergehen laBt, wird in der Seinslehre verschwiegen und ausgebeutet; Unbestimmtheit zum mythischen Panzer. Heideggers Philosophie, bei aller Aversion gegen das von ihm so genannte Man, dessen Namen die Anthropologie der Zirku-lationssphare denunzieren soil, gleicht einem hochentwickelten Kreditsystem. Ein Begriff borgt vom anderen. Der Schwebezu-stand, der damit sich herstellt, ironisiert den Gestus einer Philosophie, die so bodenstandig sich fuhlt, daB ihr lieber als das

um die Schatten zum Sprechen zu bringen, sie mit Blut fiittert. »Blut und Boden« wirkte vermutlich gar nicht so sehr als Appell an den Ursprung. Der ironische Beiklang, der die Formel von Anfang begleitete, verrat das BewuBtsein des Fadenscheinigen von Archaik unter den Bedingungen hoch-kapitalistisch industrieller Produktion. Selbst das > Schwarze Korps< mo-kierte sich iiber die Barte der alten Germanen. Statt dessen lockte der Schein des Konkreten als des nicht Austauschbaren, nicht Fungiblen. Inmitten einer auf Monotonie sich zubewegenden Welt ging jenes Phantasma auf; Phantasma, weil es nicht an den Grand des Tauschverhaltnisses riihrte; sonst hatten die Sehnsuchtigen erst recht von dem sich bedroht gefiihlt, was sie Gleichmacherei nannten, dem ihnen unbewuBten Prinzip des Kapitalismus, das sie dessen Widersachern vorwarfen. Obsession mit dem Begriff des Konkreten verband sich mit der Unfahigkeit, es mit dem Gedanken zu erreichen. Das beschwo-rende Wort ersetzt die Sache. Heideggers Philosophie freilich nutzt noch das Pseudos jener Art Konkretion aus; weil i6Be xt und o'jaiot ununterscheidbar seien, setzt er, wie es schon im Aristoteles projektiert war, je nach Bedarf und thema probandum das eine furs andere ein. Das bloB Seiende wird zum Nichtigen, ledig des Makels, Seiendes zu sein, erhoben zum Sein, seinem eigenen reinen Begriff. Sein dagegen, bar jeden einschrankenden Inhalts, braucht nicht mehr als Begriff aufzutreten, sondern gilt fiir unmittelbar wie das ttfSe -a: konkret. Die beiden Momente, einmal absolut isoliert, haben keine differentia specifica gegeneinander und werden vertauschbar; dies quid pro quo ist ein Hauptstiick von Heideggers Philosophie.

»Mangel als Gewinn«

Fremdwort Philosophie das deutsche Denken ist. Wie nach einem verblichenen Witz der Schuldner gegenuber dem Glaubiger im Vorteil sich befindet, weil dieser davon abhangt, ob jener zahlen will, so rinnt fur Heidegger Segen aus allem, was er schuldig bleibt. DaB Sein weder Faktum noch Begriff sei, eximiert es von Kritik. Woran immer sie sich halt, ist als MiBverstandnis abzu-fertigen. Der Begriff entlehnt vom Faktischen das air gediegener Fulle, des nicht erst gedanklich, unsolid Gemachten: des An sich; das Seiende vom Geist, der es synthesiert, die Aura des mehr denn faktisch Seins: die Weihe von Transzendenz; und eben diese Struktur hypostasiert sich als Hoheres dem reflektierenden Ver-stand gegenuber, der Seiendes und Begriff mit dem Seziermesser auseinander schneide. Selbst die Durftigkeit dessen, was Heidegger nach all dem in Handen behalt, munzt er um in einen Vor-zug; es ist eine der durchgangigen, freilich niemals als solche genannten Invarianten seiner Philosophie, jeglichen Mangel an Inhalt, jegliches Nichthaben einer Erkenntnis in einen Index von Tiefe umzuwerten. Unfreiwillige Abstraktheit prasentiert sich als freiwilliges Gelubde. »Das Denken«, heiBt es im Traktat iiber Piatons Lehre von der Wahrheit, »ist auf dem Abstieg in die Armut seines vorlaufigen Wesens« 12 - als ware die Leere des Seinsbegriffs Frucht monchischer Keuschheit des Urspriinglichen, nicht bedingt von Aporien des Gedankens. Sein jedoch, das kein Begriff oder ein ganz besonderer sein soil, ist der aporetische 13 schlechthin. Er transformiert das Abstraktere ins Konkretere und darum Wahrere. Was es mit jener Askese auf sich hat, bekennt Heideggers eigene Sprache in Formulierungen, die ihn arger kriti-sieren als bosartige Kritik: »Das Denken legt mit seinem Sagen unscheinbare Furchen in die Sprache. Sie sind noch un-scheinbarer als die Furchen, die der Landmann langsamen Schrit-tes durch das Feld zieht.« 14 Trotz solcher affektierten Demut werden nicht einmal theologische Risiken eingegangen. Wohl ahneln die Attribute des Seins, wie einst die der absoluten Idee, den iiberlieferten der Gottheit. Aber die Seinsphilosophie hutet sich vor deren Existenz. So archaistisch das Ganze, so wenig will es als unmodern sich bekennen. Statt dessen partizipiert es an Modernitat als Alibi des Seienden, zu dem Sein transzendierte und das doch darin geborgen sein soil.

Niemandsland

Inhaltliches Philosophieren seit Schelling war begriindet in der Identitatsthese. Nur wenn der Inbegriff des Seienden, schlieBlich Seiendes selbst, Moment des Geistes, auf Subjektivitat reduzier-bar; nur wenn Sache und Begriff im Hoheren des Geistes iden-tisch sind, lieB nach dem Fichteschen Axiom, das Apriori sei zu-gleich das Aposteriori, sich prozedieren. Das geschichtliche Urteil iiber die Identitatsthese aber fahrt auch Heidegger in die Kon-zeption. Seiner phanomenologischen Maxime, der Gedanke habe dem sich zu beugen, was ihm sich gibt oder am Ende »schickt« — als ob der Gedanke nicht die Bedingungen solcher Schickung durchdringen konnte-, ist die Moglichkeit der Konstruktion tabu, des spekulativen Begriffs, die verwachsen war mit der Identitatsthese. Schon die Husserlsche Phanomenologie laborierte daran, daB sie unter der Parole »Zu den Sachen« iiber die Er-kenntnistheorie hinaus wollte. Husserl nannte ausdrucklich seine Lehre nicht-erkenntnistheoretisch* wie spater Heidegger die seine nicht-metaphysisch, schauderte aber vorm Ubergang in die Sach-haltigkeit tiefer als je ein Marburger Neukantianer, dem die Infinitesimalmethode zu solchem Ubergang verhelfen mochte. Gleich Husserl opfert Heidegger die Empirie, schiebt alles, was nicht, nach dessen Sprache, eidetische Phanomenologie ware, den unphilosophischen Tatsachenwissenschaften zu. Aber er dehnt den Bann noch auf die Husserlschen sRrt) aus, die obersten, fak-tenfreien, begrifflichen Einheiten von Faktischem, denen Spuren von Sachhaltigkeit beigemischt sind. Sein ist die Kontraktion der Wesenheiten. Ontologie gerat aus der eigenen Konsequenz in ein Niemandsland. Die Aposteriorien muB sie eliminieren, Logik, als eine Lehre vom Denken und eine partikulare Disziplin, soil sie ebensowenig sein; jeder denkende Schritt muBte sie hinaus-fuhren iiber den Punkt, auf dem allein sie hoffen darf, sich selbst

* Er exponiert, in der phanomenologischen Fundamentalbetrachtung der >Ideen<, seine Methode als Gefiige von Operationen, ohne sie abzuleiten. Die damit konzedierte Willkiir, die er erst in der Spatphase beseitigen wollte, ist unvermeidlich. Ware das Verfahren deduziert, so enthiillte es sich als eben das Von oben her, das es um keinen Preis sein mochte. Es verginge sich gegen jenes quasi-positivistische Zu den Sachen. Diese indessen notigen keineswegs zu den phanomenologischen Reduktionen, die darum etwas von beliebiger Setzung annehmen. Trotz aller konservierten »Rechtsprechung der Vernunft« geleiten sie zum Irrationalismus.

MiBglilckte Sachlichkeit

zu geniigen. Selbst vom Sein wagt sie am Ende kaum mehr etwas zu pradizieren. Darin erscheint weniger mystische Meditation als die Not des Gedankens, der zu seinem Anderen will und nichts sich gestatten darf ohne Angst, darin zu verlieren, was er behauptet. Tendenziell wird Philosophie zum ritualen Gestus. In ihm freilich regt auch sich ein Wahres, ihr Verstummen.

Der Seinsphilosophie ist die geschichtliche Innervation von Sachlichkeit als einer Verhaltensweise des Geistes nicht fremd. Sie mochte die Zwischenschicht zur zweiten Natur gewordener sub-jektiver Setzungen durchstoBen, die Wande, die Denken um sich herumgebaut hat. In dem Husserlschen Programm schwingt das mit, und Heidegger war damit einverstanden 15 . Die Leistung des Subjekts, die im Idealismus Erkenntnis begriindet, irritiert nach dessen Niedergang als entbehrliches Ornament. Darin bleibt die Fundamentalontologie gleich der Phanomenologie wider Willen Erbin des Positivismus 16 . Bei Heidegger uberschlagt sich Sachlichkeit: er ist darauf aus, gleichsam ohne Form, rein aus den Sachen zu philosophieren, und damit verfliichtigen diese sich ihm. Der UberdruB an dem subjektiven Gefangnis der Erkenntnis veranlaBt zur Uberzeugung, das der Subjektivitat Transzendente sei fur sie unmittelbar, ohne daB sie durch den Begriff es beflecke. Analog romantischen Stromungen wie der spateren Jugendbewe-gung verkennt sich die Fundamentalontologie als antiromantisch im Protest gegen das beschrankende und triibende Moment von Subjektivitat; will diese, mit kriegerischer, auch von Heidegger nicht gescheuter Redeweise, uberwinden 17 . Weil aber Subjektivitat ihre Vermittlungen nicht aus der Welt denken kann, wunscht sie Stufen des BewuBtseins zuriick, die vor der Reflexion auf Subjektivitat und Vermittlung liegen. Das miBlingt.Wo sie gleichsam subjektlos dem sich anzuschmiegen vermeint, als was die Sachen sich zeigen, materialgerecht, urtumlich und neusachlich zu-gleich, scheidet sie aus dem Gedachten alle Bestimmungen aus, wie Kant einst aus dem transzendenten Ding an sich. Sie waren anstoBig ebenso als Werk bloB subjektiver Vernunft wie als Ab-kommlinge des besonderen Seienden. Kontradiktorische Desiderate kollidieren und vernichten sich gegenseitig. Weil weder

Ober kategoriale Anschauung

spekulativ gedacht, vom Gedanken was auch immer gesetzt wer-den darf, noch umgekehrt ein Seiendes eindringen, das, als Stuck-chen der Welt, die Vorgangigkeit des Seins kompromittierte, ge-traut der Gedanke sich eigentlich uberhaupt nichts anderes mehr zu denken als ein ganzlich Leeres, weit mehr noch ein X denn je das alteTranszendentalsubjekt, das als BewuBtseinseinheit stets die Erinnerung an seiendes BewuBtsein, »Egoitat«, mit sich fiihrte. Dies X, das absolut Unausdriickbare, alien Pradikaten Entriickte, wird unterm Namen Sein zum ens realissimum. In der Zwangslaufigkeit der aporetischen Begriffsbildung vollstreckt sich gegen den Willen der Seinsphilosophie an ihr Hegels Urteil ubers Sein: es ist un-unterscheidbar eins mit dem Nichts, und Heidegger betrog sich keineswegs dariiber. Nicht jener Nihilismus aber ist der Existential-ontologie vorzuhalten 18 , auf den dann zu ihrem Entsetzen die lin-ken Existentialisten sie interpretierten, sondern daB sie die schlecht-hinnige Nihilitat ihres obersten Wortes als Positivum vortragt. Wie sehr auch durch permanente Vorsicht nach beiden Seiten Sein dimensionslos auf einen Punkt zusammengedrangt wird, das Ver-fahren hat doch sein fundamentum in re. Kategoriale Anschauung, das Innewerden des Begriffs, erinnert daran, daB den kate-gorial konstituierten Sachverhalten, welche die traditionelle Er-kenntnistheorie einzig als Synthesen kennt, immer auch, iiber die sinnliche 0X15 hinaus, ein Moment korrespondieren muB. Insofern

haben sie stets auch etwas Unmittelbares, an Anschaulichkeit mahnend. So wenig ein einfacher mathematischer Satz gilt ohne die Synthesis der Zahlen, zwischen denen die Gleichung aufge-stellt wird, so wenig ware — das vernachlassigt Kant — Synthesis moglich, wenn nicht das Verhaltnis der Elemente dieser Synthesis entsprache, ungeachtet der Schwierigkeiten, in die eine solche Redeweise nach gangiger Logik verwickelt; wenn nicht, drastisch und miBverstandlich gesagt, die beiden Seiten der Gleichung tat-sachlich einander glichen. Von diesem Zusammengehoren ist so wenig sinnvoll unabhangig von der denkenden Synthesis zu reden, wie vernunftige Synthesis ware ohne jene Korrespondenz: Schulfall von »Vermittlung«. DaB man in der Reflexion schwankt, °b Denken eine Tatigkeit sei und nicht vielmehr, gerade in seiner Anspannung, ein sich Anmessen, verweist darauf. Was spontan gedacht wird, ist, untrennbar davon, ein Erscheinendes. DaB

tjber kategoriale Anschauung

Heidegger den Aspekt des Erscheinens gegen dessen vollkommene Reduktion auf Denken hervorhebt, ware ein heilsames Korrektiv des Idealismus. Aber er isoliert dabei das Moment des Sachver-halts, faBt es, nach Hegels Terminologie, ebenso abstrakt wie der Idealismus das synthetische. Hypostasiert, htirt es auf, Moment zu sein, und wird, was in ihrem Protest gegen die Spaltung nach Begriff und Seiendem Ontologie am letzten mochte: verdinglicht. Es ist aber dem eigenen Charakter nach genetisch. Die von Hegel gelehrte Objektivitat des Geistes, Produkt des historischen Pro-zesses, erlaubt, wie manche Idealisten, der spate Rickert etwa, wiederentdeckten, etwas wie ein anschauliches Verhaltnis zu Geistigem. Je eindringlicher BewuBtsein solcher gewordenen Objektivitat des Geistigen sich versichert weiB, anstatt sie dem betrachtenden Subjekt als »Projektion« zuzuschreiben, desto naher kommt es einer verbindlichen Physiognomik des Geistes. Zur zweiten Unmittelbarkeit werden dessen Gebilde einem Denken, das nicht alle Bestimmungen auf seine Seite zieht und sein Gegen-iiber entqualifiziert. Darauf verlaBt sich allzu naiv die Lehre von der kategorialen Anschauung; sie verwechselt jene zweite Unmittelbarkeit mit einer ersten. Hegel war in der Wesenslogik weit dariiber hinaus; sie behandelt das Wesen ebenso als ein aus dem Sein Entsprungenes wie als ein diesem gegeniiber Selbstan-diges, gleichsam eine Art Dasein. Die von Heidegger stillschwei-gend ubernommene Husserlsche Forderung der reinen Deskrip-tion geistiger Sachverhalte dagegen - sie hinzunehmen als das, als was sie sich geben, und nur als das - dogmatisiert solche Sachverhalte so, als ob Geistiges, indem es reflektiert, wiederum ge-dacht wird, nicht zu einem Anderen wiirde. Ohne Zogern wird unterstellt, Denken, unabdingbar Aktivitat, konne uberhaupt einen Gegenstand haben, der nicht dadurch, daB er gedacht wird, zugleich ein Produziertes ist. Potentiell wird so der bereits im Begriff des rein geistigen Sachverhalts konservierte Idealismus in Ontologie umgebogen. Mit der Substruktion rein hinnehmenden Denkens jedoch sturzt die Behauptung der Phanomenologie zu-sammen, der die gesamte Schule ihre Wirkung verdankte: daB sie nicht erdenke, sondern forsche, beschreibe, keine Erkenntnis-theorie sei, kurz, nicht das Stigma reflektierender Intelligenz trage. Das Arkanum der Fundamentalontologie aber, das Sein,

Ober kategoriale Anschauung

ist der auf die oberste Formel gebrachte, angeblich rein sich darbietende kategoriale Sachverhalt. - Langst war der phano-menologischen Analyse vertraut, daB das synthesierende BewuBt-sein etwas Rezeptives hat. Das im Urteil Zusammengehtirige gibt sich ihm exemplarisch zu erkennen, nicht bloB komparativ. Zu bestreiten ist nicht die Unmittelbarkeit von Einsicht schlechthin, sondern deren Hypostasis. Indem an einem spezifischen Gegen-stand primar etwas aufgeht, fallt auf die species das scharfste Licht: in ihm zergeht die Tautologie, die von der species nichts anderes weiB, als wodurch sie definiert ist. Ohne das Moment unmittelbarer Einsicht bliebe Hegels Satz, das Besondere sei das Allgemeine, Beteuerung. Die Phanomenologie seit Husserl hat inn gerettet, freilich auf Kosten seines Komplements, des reflektieren-den Elements. Hire Wesensschau jedoch—der spate Heidegger hiitet sich vor dem Stichwort der Schule, die ihn hervorbrachte — invol-viert Widerspriiche, welche nicht um des lieben Friedens willen nach der nominalistischen oder nach der realistischen Seite hin zu schlichten sind. Einmal ist Ideation wahlverwandt der Ideologic, der Erschleichung von Unmittelbarkeit durchs Vermittelte, die es mit der Autoritat des absoluten, dem Subjekt einspruchslos evidenten Ansichseins bekleidet. Andererseits nennt Wesensschau den physiognomischen Blick auf geistige Sachverhalte. Ihn legiti-miert, daB Geistiges nicht konstituiert wird durch das erkennend darauf gerichtete BewuBtsein, sondern in sich, weit iiber den indi-viduellen Urheber hinaus, im kollektiven Leben des Geistes und nach seinen immanenten Gesetzen objektiv begriindet ist. Jener Objektivitat des Geistes ist das Moment unmittelbaren Blicks adaquat. Als in sich bereits Praformiertes laBt es gleich den Sin-nendingen auch sich anschauen. Nur ist diese Anschauung so wenig wie die der Sinnendinge absolut und unwiderleglich. Dem physiognomisch Aufblitzenden wird von Husserl, wie den Kan-tischen synthetischen Urteilen a priori, umstandslos Notwendig-keit und Allgemeinheit wie in Wissenschaft zugeschrieben. Wozu aber die kategoriale Anschauung, fehlbar genug, beitragt, ware das Begreifen der Sache selbst, nicht deren klassifikatorische Zu-riistung. Das ijjeuao? ist nicht die Unwissenschaftlichkeit der kate-gorialen Anschauung, sondern ihre dogmatische Verwissenschaft-lichung. Unter dem ideierenden Blick regt sich die Vermittlung,

Uber kategoriale Anschauung

die im Schein der Unmittelbarkeit von geistig Gegebenem einge-froren war; darin ist Wesensschau dem allegorischen BewuBtsein nahe. Als Erfahrung des Gewordenen in dem, was vermeintlich bloB ist, ware sie genau fast das Gegenteil dessen, wofur man sie verwendet: nicht glaubige Hinnahme von Sein, sondern Kritik; das BewuBtsein nicht der Identitat der Sache mit ihrem Begriff, sondern des Bruches zwischen beidem. Worauf die Seinsphilo-sophie pocht, als ware es Organ des schlechthin Positiven, hat seine Wahrheit an der Negativitat. - Heideggers Emphase auf Sein, das kein bloBer Begriff sein soil, kann auf die Unaufloslichkeit des Urteilsgehalts in Urteilen sich stutzen wie vordem Husserl auf die ideale Einheit der species. Der Stellenwert solchen exemplarischen BewuBtseins diirfte geschichtlich ansteigen. Je vergesellschafteter die Welt, je dichter ihre Gegenstande mit all-gemeinen Bestimmungen ubersponnen sind, desto mehr ist, nach einer Bemerkung von Gunther Anders, tendenziell der einzelne Sachverhalt unmittelbar durchsichtig auf sein Allgemeines; desto mehr laBt sich gerade durch mikrologische Versenkung in ihn her-ausschauen; ein Tatbestand nominalistischen Schlages freilich, der der ontologischen Absicht schroff entgegengesetzt ist, obwohl er die Wesensschau, ohne daB diese es ahnte, mag ausgelost haben. Wenn gleichwohl dies Verfahren stets wieder dem einzelwissen-schaftlichen Einwand, dem mittlerweile langst automatisierten Vorwurf falscher oder vorschneller Verallgemeinerung sich expo-niert, so ist das nicht nur Schuld der Denkgewohnheit, die ihr Wissenschaftsethos, Sachverhalte bescheiden von auBen zu ord-nen, langst als Rationalisierung dafiir miBbraucht, daB sie in ihnen nicht mehr darin ist, sie nicht begreift. Soweit empirische Untersuchungen den Antezipationen des Begriffs, dem Medium exemplarischen Denkens, konkret nachweisen, daB das aus einem Einzelnen quasi unmittelbar als Kategoriales Herausgeschaute keine Allgemeinheit besitzt, uberfuhren sie die Methode Husserls wie Heideggers ihres Fehlers, die jene Probe scheut und doch mit einer Sprache von Forschung liebaugelt, die klingt, als ob sie der Probe sich unterwiirfe.

Die Behauptung, Sein, jeglicher Abstraktion vorgeordnet, sei kein Begriff oder wenigstens ein qualitativ ausgezeichneter, unter-schlagt, daB jede Unmittelbarkeit, bereits nach der Lehre von

Sein ftiaEi

Hegels Phanomenologie in alien Vermittlungen immer wieder sich reproduzierend, Moment ist, nicht das Ganze der Erkenntnis. Kein ontologischer Entwurf kommt aus, ohne herausgeklaubte einzelne Momente zu verabsolutieren. Ist Erkenntnis ein Inein-ander der synthetischen Denkfunktion und des zu Synthesie-renden, keines von beiden unabhangig vom anderen, so gerat auch kein unmittelbares Eingedenken, wie Heidegger als einzige Rechtsquelle seinswiirdiger Philosophie es stipuliert, es sei denn kraft der Spontaneitat des Gedankens, die er gering schatzt. Hatte ohne Unmittelbares keine Reflexion Gehalt, so verharrt es un-verbindlich, willkurlich ohne die Reflexion, die denkende, unter-scheidende Bestimmung dessen, was das angeblich pur einem passiven, nicht denkenden Gedanken sich zeigende Sein meint. Den kunstgewerblichen Klang der Pronunciamenti, daB es sich entberge oder lichte, verursacht der Fiktionscharakter des Be-haupteten. Ist die denkende Bestimmung und Erfullung des vor-geblichen Urworts, seine kritische Konfrontation mit dem, wor-auf es geht, nicht mtiglich, so verklagt das alle Rede von Sein. Es ist nicht gedacht worden, weil es in der Unbestimmtheit, die es verlangt, gar nicht sich denken laBt. DaB aber Seinsphilosophie jene Unvollziehbarkeit zur Unangreifbarkeit, die Exemtion aus dem rationalen ProzeB zur Transzendenz gegenuber dem reflek-tierenden Verstande macht, ist ein ebenso kluger wie desperater Gewaltakt. Dezidierter als die auf halbem "Wege stehenbleibende Phanomenologie, mochte Heidegger aus der BewuBtseinsimma-nenz ausbrechen. Sein Ausbruch aber ist einer in den Spiegel, ver-blendet gegen das Moment der Synthesis im Substrat. Er igno-riert, daB der Geist, der in der von Heidegger angebeteten elea-tischen Seinsphilosophie als identisch mit dem Sein sich bekannte, als Sinnesimplikat enthalten ist bereits in dem, was er als jene reine Selbstheit prasentiert, die er sich gegenuber hatte. Hei-deggers Kritik an der Tradition der Philosophie wird objektiv dem kontrar, was sie verheiBt. Indem sie den subjektiven Geist unterschlagt, und damit notwendig auch das Material, die Fak-tizitat, an der Synthesis sich betatigt; indem sie das in sich nach diesen Momenten Artikulierte als Einiges und Absolutes vor-tauscht, wird sie zum Umgekehrten von »Destruktion«, von der Forderung, das an den Begriffen von Menschen Gemachte zu

Sein Mszi

entzaubern. Anstatt menchliche Verhaltnisse darin zu agnoszie-ren, verwechselt sie diese mit dem mundus intelligibilis. Sie kon-serviert wiederholend, wogegen sie sich auflehnt, die Denkge-bilde, die ihrem eigenen Programm zufolge als verdeckend beseitigt werden sollen. Unter dem Vorwand, zum Erscheinen zu verhalten, was unter ihnen liege, werden sie unvermerkt noch einmal zu dem An sich, das sie dem verdinglichten BewuBtsein ohnehin geworden sind. Was sich gebardet, als zerstore es die Fetische, zerstort einzig die Bedingungen, sie als Fetische zu durchschauen. Der scheinhafte Ausbruch terminiert in dem, wo-vor er flieht; das Sein, in das er mundet, ist Seosu In der Zession von Sein, dem geistig Vermittelten, an hinnehmende Schau kon-vergiert Philosophie mit der flach irrationalistischen des Lebens. Verweis auf Irrationalitat ware nicht von selbst eins mit philo-sophischem Irrationalismus. Jene ist das Mai, das die unauf-hebbare Nichtidentitat von Subjekt und Objekt in der Erkennt-nis hinterlaBt, die durch die bloBe Form des pradikativen Urteils Identitat postuliert; auch die Hoffnung wider die Allmacht des subjektiven Begriffs. Aber Irrationalitat bleibt dabei selbst wie er Funktion der ratio und Gegenstand ihrer Selbstkritik: das, was durchs Netz rutscht, wird durch dieses gefiltert. Auch die Philosopheme des Irrationalismus sind auf Begriffe verwiesen und damit auf ein rationales Moment, das ihnen inkompatibel ware. Heidegger umgeht, womit fertig zu werden eines der Motive von Dialektik ist, indem er einen Standpunkt jenseits der Differenz von Subjekt und Objekt usurpiert, in welcher die Unangemessenheit der ratio ans Gedachte sich offenbart. Solcher Sprung jedoch miBlingt mit den Mitteln der Vernunft. Denken kann keine Position erobern, in der jene Trennung von Subjekt und Objekt unmittelbar verschwande, die in jeglichem Gedanken, in Denken selber liegt. Darum wird Heideggers Wahrheitsmo-ment auf weltanschaulichen Irrationalismus nivelliert. Philosophie erheischt heute wie zu Kants Zeiten Kritik der Vernunft durch diese, nicht deren Verbannung oder Abschaffung.

»Sinn von Sein«

Unterm Denkverbot sanktioniert Denken, was bloB ist. Das genuin kritische Bediirfnis des Gedankens, aus der Phantasmagoric von Kultur zu erwachen, ist aufgefangen, kanalisiert, dem falschen BewuBtsein zugefuhrt. Abgewohnt ward dem Denken von der Kultur, die es umstellt, die Frage, was all das sei und wozu — lax die nach seinem Sinn, die immer dringlicher wird, je weniger solcher Sinn den Menschen mehr selbstverstandlich ist, und je vollstandiger der Kulturbetrieb ihn ersetzt. Statt dessen wird das nun einmal So- und nicht Anderssein dessen inthroni-siert, was, als Kultur, Sinn zu haben beansprucht. Vorm Gewicht ihrer Existenz wird ebensowenig darauf bestanden, ob der Sinn verwirklicht sei, den sie behauptet, wie auf dessen eigener Legitimation. Demgegenuber tritt die Fundamentalontologie als Sprecher des eskamotierten Interesses, des »Vergessenen« auf. Nicht zuletzt darum ist sie der Erkenntnistheorie abgeneigt, die jenes Interesse leicht unter die Vorurteile einreiht. Gleichwohl kann sie die Erkenntnistheorie nicht beliebig annullieren. In der Lehre vom Dasein - der Subjektivitat - als dem Konigsweg zur Ontologie steht insgeheim die alte, vom ontologischen Pathos gedemutigte subjektive Ruckfrage wieder auf. Noch der An-spruch der phanomenologischen Methode, die Tradition abend-landischen Philosophierens zu entmachtigen, ist in jener behei-matet, und tauscht sich kaum dariiber; den Effekt des Urspriing-lichen dankt sie den Fortschritten des Vergessens unter denen, die auf sie ansprechen. Phanomenologischen Ursprungs ist die Wen-dung der Frage nach dem Sinn von Sein oder ihrer traditionellen Variante, warum ist uberhaupt etwas und nicht nur nichts? —: sie wird an die Bedeutungsanalyse des Wortes Sein zediert. Was es, oder Dasein, allenfalls heiBe, sei eins mit dem Sinn von Sein oder Dasein; ein selber bereits Kulturimmanentes wie die Bedeutun-gen, welche Semantik in den Sprachen entziffert, wird traktiert, als ware es der Relativitat des Gemachten wie der Sinnverlassen-heit des bloB Seienden entronnen. Das ist die Funktion der Hei-deggerschen Version der Lehre vom Primat der Sprache. DaB der Sinn des Wortes Sein unmittelbar der Sinn von Sein sei, ist schlechte Aquivokation. Wohl sind Aquivokationen nicht nur unpraziser Ausdruck 19 . Durchweg verweist der Gleichklang der Worte auf ein Gleiches. Beide Bedeutungen von Sinn sind ver-

»Sinn von Sein«

flochten. Begriffe, Instrumente menschlichen Denkens, konnen keinen Sinn haben, wenn Sinn selber negiert, wenn aus ihnen jeg-liches Gedachtnis an einen objektiven jenseits der Mechanismen der Begriffsbildung vertrieben ward. Der Positivismus, dem die Begriffe nur auswechselbare, zufallige Spielmarken sind, hat dar-aus die Konsequenz gezogen und der Wahrheit zu Ehren Wahr-heit extirpiert. GewiB halt die Gegenposition der Seinsphilo-sophie ihm den Aberwitz seiner Vernunft vor. Aber die Einheit des Aquivoken wird sichtbar allein durch dessen implizite Diffe-renz hindurch. Sie entfallt in Heideggers Rede vom Sinn. Er folgt dabei seinem Hang zur Hypostasis: Befunden aus der Sphare des Bedingten verleiht er durch den Modus ihres Ausdrucks den Schein der Unbedingtheit. Moglich wird das durch das Schillernde des Wortes Sein. Wird das wahre Sein radikal x**p£« vom Seienden vorgestellt, so ist es identisch mit seiner Bedeutung: man mu6 nur den Sinn der Wesenheit Sein angeben und hat den Sinn von Sein selbst. Nach diesem Schema wird unvermerkt der Aus-bruchsversuch aus dem Idealismus revoziert, die Lehre vom Sein zuriickgebildet in eine vom Denken, die Sein alles dessen ent-auBert, was anders ware als reiner Gedanke. Um einen wie immer auch gearteten Sinn von Sein zu erlangen, der als absent empfunden ist, wird kompensatorisch aufgeboten, was als Bereich von Sinn vorweg, in analytischem Urteil, konstituiert ist, die Be-deutungslehre. DaB die Begriffe, um iiberhaupt welche zu sein, etwas bedeuten mussen, dient zum Vehikel dafiir, daB ihr oTraxsLfisvov — s e i n selber — Sinn habe, weil es anders nicht denn als Begriff, als sprachliche Bedeutung gegeben sei. DaB dieser Be-griff nicht Begriff sondern unmittelbar sein soil, hiillt den seman-tischen Sinn in ontologische Dignitat. »Die Rede vom >Sein< ver-steht diesen Namen auch nie im Sinne einer Gattung, unter deren leere Allgemeinheit die historisch vorgestellten Lehren vom Seienden als einzelne Falle gehoren. >Sein< spricht je und je geschick-lich und deshalb durch waltet von Uberlieferung.« 20 Daraus zieht solche Philosophie ihren Trost. Er ist der Magnet der Funda-mentalontologie, weit iiber den theoretischen Gehalt hinaus. Ontologie mochte, aus dem Geist heraus, die durch den Geist ge-sprengte Ordnung samt ihrer Autoritat wiederherstellen. Der Ausdruck Entwurf verrat ihren Hang, Freiheit aus Freiheit zu

Ontotogie verordnet

negieren: transsubjektive Verbindlichkeit wird einem Akt setzen-der Subjektivitat iiberantwortet. Diesen allzu handgreiflichen Widersinn konnte der spatere Heidegger nur dogmatisch nieder-schlagen. Erinnerung an Subjektivitat wird im Begriff des Ent-wurfs ausgemerzt: »Das Werfende im Entwerfen ist nicht der Mensch, sondern das Sein selbst, das den Menschen in die Ek-sistenz des Da-seins als sein Wesen schickt.« 21 Zu Heideggers Mythologisierung von Sein als der Sphare des Geschicks 22 fiigt sich die mythische Hybris, welche den dekretierten Plan des Sub-jekts als den der obersten Autoritat verkiindet, sich in die Stimme des Seins selbst verstellt. BewuBtsein, das dem nicht willfahrt, wird disqualifiziert als »Seinsvergessenheit« 23 . Solcher Ordnung verordnende Anspruch harmoniert mit dem Heideggerschen Denkgefiige. Nur als Gewalttat gegens Denken hat es seine Chance. Denn der Verlust, der im Ausdruck Seinsvergessenheit verkitscht nachzittert, war kein Schicksalsschlag sondern moti-viert. Das Betrauerte, Erbschaft der fruhen *Px a ' L ' zerrann dem der Natur sich entringenden BewuBtsein. Der Mythos selber ward offenbar als Trug; Trug allein kann ihn vergegenwartigen und Befehl. Dim soil die Selbststilisierung des Seins als eines Jen-seits vom kritischen Begriff doch noch den Rechtstitel erwirken, dessen die Heteronomie bedarf, solange etwas von Aufklarung uberlebt. Das Leiden unter dem, was Heideggers Philosophie als Seinsverlust registriert, ist nicht nur die Unwahrheit; schwerlich sonst suchte er bei Htilderlin Sukkurs. Die Gesellschaft, nach deren eigenem Begriff die Beziehungen der Menschen in Freiheit begriindet sein wollen, ohne daB Freiheit bis heute in ihren Beziehungen realisiert ware, ist so Starr wie defekt. Im universalen Tauschverhaltnis werden alle qualitativen Momente plattge-walzt, deren Inbegriff etwas wie Struktur sein konnte. Je un-maBiger die Macht der institutionellen Form, desto chaotischer das Leben, das sie einzwangen und nach ihrem Bild deformieren. Die Produktion und Reproduktion des Lebens samt all dem, was der Name Uberbau deckt, sind nicht transparent auf jene Ver-nunft, deren versohnte Realisierung erst eins ware mit einer men-schenwurdigen Ordnung, der ohne Gewalt. Die alten, natur-wuchsigen Ordnungen sind entweder vergangen oder uberleben zum Bosen ihre eigene Legitimation. Keineswegs verlauft die

Ontologie verordnet

Gesellschaft irgendwo so anarchisch, wie sie in der stets noch irra-tionalen Zufalligkeit des Einzelschicksals erscheint. Aber ihre ver-gegenstandlichte Gesetzlichkeit ist der Widerpart einer Verfas-sung des Daseins, in der ohne Angst sich leben lieBe. Das fuhlen die ontologischen Entwurfe, projizieren es auf die Opfer, die Subjekte, und ubertauben krampfhaft die Ahnung objektiver Negativitat durch die Botschaft von Ordnung an sich, bis hinauf zur abstraktesten, dem Gefuge des Seins. Allerorten riistet sich die Welt, zum Grauen der Ordnung uberzugehen, nicht zu deren von der apologetischen Philosophie offen oder versteckt ange-klagtem Gegenteil. DaB Freiheit weithin Ideologie blieb; daB die Menschen ohnmachtig sind vorm System und nicht vermogen, aus ihrer Vernunft ihr Leben und das des Ganzen zu bestimmen; ja daB sie nicht einmal mehr den Gedanken daran denken konnen, ohne zusatzlich zu leiden, bannt ihre Auflehnung in die verkehrte Gestalt: lieber wollen sie hamisch das Schlechtere denn den Schein eines Besseren. Dazu schleppen die zeitgemaBen Philosophien ihre Scheite herbei. Sie fuhlen sich bereits im Einklang mit der herauf-dammernden Ordnung der machtigsten Interessen, wahrend sie, wie Hitler, das einsame Wagnis tragieren. DaB sie sich metaphy-sisch obdachlos und ins Nichts gehalten gebarden, ist Rechtferti-gungsideologie eben der Ordnung, die verzweifeln laBt und die Menschen mit physischer Vernichtung bedroht. Die Resonanz der auferstandenen Metaphysik ist das vorlaufende Einverstand-nis mit jener Unterdriickung, deren Sieg auch im Westen im ge-sellschaftlichen Potential liegt und im Osten langst errungen ward, wo der Gedanke der verwirklichten Freiheit zur Unfreiheit verbogen ist. Heidegger ermuntert zu horigem Denken und lehnt den Gebrauch des Wortes Humanismus, mit der Standardgeste gegen den Markt der offentlichen Meinung, ab. Er reiht dabei in die Einheitsfront derer sich ein, die gegen die Ismen wettern. Wohl ware zu fragen, ob er nicht darum bloB das Gerede vom Humanismus, das abscheulich genug ist, abschaffen mochte, weil seine Lehre der Sache ans Leben will.

Trotz ihrer autoritaren Intention jedoch preist die um einige Er-fahrungen bereicherte Ontologie selten mehr offen die Hierarchie wie in den Zeiten, da ein Schiller Schelers eine Schrift iiber >Die Welt des Mittelalters und wir< publizierte. Die Taktik allseitigen

Protest gegen Verdinglichung

Abschirmens harmoniert mit einer gesellschaftlichen Phase, die ihre Herrschaftsverhaltnisse nur noch halben Herzens in einer vergangenen Stufe der Gesellschaft fundiert. Machtergreifung rechnet mit den anthropologischen Endprodukten der burger-lichen Gesellschaft und braucht sie. Wie der Fuhrer iiber das ato-misierte Volk sich erhebt, gegen den Standesdunkel wettert und, um sich zu perpetuieren, gelegentlich die Garden wechselt, so ver-schwinden die hierarchischen Sympathien aus der Friihzeit der ontologischen Renaissance in der Allmacht und Alleinheit des Seins. Auch das ist nicht nur Ideologic Der auf Husserls Schrift zur Begriindung des logischen Absolutismus, die Prolegomena zur reinen Logik, zuriickdatierende Antirelativismus verschmilzt mit einer Aversion gegen statisches, dinghaftes Denken, die im deutschen Idealismus und bei Marx ausgedriickt, vom fruhen Scheler und dem ersten Ansatz zur neuen Ontologie indessen zu-nachst vernachlassigt war. Ohnehin hat die Aktualitat des Rela-tivismus sich gemindert; es wird auch weniger iiber ihn ge-schwatzt. Das philosophische Bedurfnis ist unvermerkt aus dem nach Sachgehalt und Festigkeit in das ubergegangen, der von der Gesellschaft vollzogenen und ihren Angehorigen kategorisch dik-tierten Verdinglichung im Geist auszuweichen durch eine Meta-physik, welche solche Verdinglichung verurteilt, ihr durch Appell an ein unverlierbar Urspriingliches die Grenze zuweist, und ihr dabei im Ernst so wenig Boses zufiigt wie die Ontologie dem Wissenschaftsbetrieb, Von den kompromittierten Ewigkeitswerten ist nichts ubrig als das Vertrauen auf die Heiligkeit des allem Dinghaften vorgeordneten Wesens Sein. Die verdinglichte Welt wird um ihrer verachtlichen Uneigentlichkeit willen angesichts des Seins, das an sich selbst dynamisch sein, sich »ereignen« soil, der Veranderung gleichsam fur unwert gehalten; Kritik des Rela-tivismus iiberhoht zur Verketzerung der fortschreitenden Ratio-nalitat abendlandischen Denkens, der subjektivenVernunft insge-samt. Der altbewahrte und von der offentlichen Meinung bereits wieder geschurte Affekt gegen den zersetzenden Intellekt ver-bindet sich mit dem gegen das dinghaft Entfremdete: von je spielte beides ineinander. Heidegger ist dingfeindlich und anti-funktional in eins. Um keinen Preis soil Sein ein Ding sein und dennoch, wie die Metaphorik immer wieder indiziert, der »Bo-

Protest gegen Verdinglichung

den«, ein Festes 24 . Darin schlagt durch, daB Subjektivierung und Verdinglichung nicht bloB divergieren, sondern Korrelate sind. Je mehr das Erkannte funktionalisiert, zum Produkt der Er-kenntnis wird, desto vollkommener wird das Moment von Be-wegung an ihm dem Subjekt als seine Tatigkeit zugerechnet; das Objekt zum Resultat der in ihm geronnenen Arbeit, einem Toten. Die Reduktion des Objekts auf bloBes Material, die aller sub-jektiven Synthesis als deren notwendige Bedingung vorausgeht, saugt seine eigene Dynamik aus ihm heraus; als Entqualifiziertes wird es stillgelegt, dessen beraubt, wovon uberhaupt Bewegung sich pradizieren lieBe. Nicht umsonst hieB bei Kant dynamisch eine Klasse von Kategorien 25 . Der Stoff aber, bar der Dynamik, ist kein schlechthin Unmittelbares sondern, dem Schein seiner ab-soluten Konkretheit zum Trotz, durch Abstraktion vermittelt, gleichsam erst aufgespieBt. Leben wird nach dem ganz Abstrak-ten und dem ganz Konkreten polarisiert, wahrend es einzig in der Spannung dazwischen ware; beide Pole sind gleich verding-licht, und selbst was vom spontanen Subjekt eriibrigt, die reine Apperzeption, hort durch ihre Ablosung von jedem lebendigen Ich, als Kantisches Ich denke, auf, Subjekt zu sein und wird in ihrer verselbstandigten Logizitat von der allherrschenden Starre uberzogen. Nur ladt Heideggers Kritik der Verdinglichung um-standslos dem nachdenkenden und nachvollziehenden Intellekt auf, was seinen Ursprung in der Realitat hat, die jenen selber verdinglicht samt seiner Erfahrungswelt. An dem, was der Geist veriibt, tragt nicht dessen ehrfurchtsloser Vorwitz schuld, sondern er gibt weiter, wozu er gezwungen wird von dem Zusammenhang der Realitat, in dem er selbst nur ein Moment bildet. Einzig mit Unwahrheit ist Verdinglichung in Sein und Seinsgeschichte zu-riickzuschieben, damit als Schicksal betrauert und geweiht werde, was Selbstreflexion und von ihr entzundete Praxis viel-leicht zu andern vermochten. Wohl iiberliefert die Seinslehre, legitim gegen den Positivismus, was die gesamte von ihr ver-leumdete Geschichte der Philosophie, Kant und Hegel zumal, grundiert: die Dualismen von Innen und AuBen, von Subjekt und Objekt, von Wesen und Erscheinung, von Begriff und Tatsache seien nicht absolut. Ihre Versohnung aber wird in den unwieder-bringlichen Ursprung projiziert und dadurch der Dualismus sei-

Bedilrfnis falsch

ber, gegen den das Ganze konzipiert war, wider den versohnen-den Impuls verhartet. Die Nanie iiber die Seinsvergessenheit ist Sabotage an der Versohnung; mythisch undurchdringliche Seins-geschichte, an welche Hoffnung sich klammert, verleugnet diese. Ihre Fatalitat ware als Zusammenhang von Verblendung zu durchbrechen.

Dieser Verblendungszusammenhang erstreckt sich aber nicht nur auf die ontologischen Entwurfe sondern ebenso auf die Bedurf-nisse, an welche sie ankniipfen und aus denen sie unausdrucklich etwas wie die Burgschaft ihrer Thesen herauslesen. Bedurfnis sel-ber, das geistige nicht minder als das materielle, steht zur Kritik, nachdem auch hartgesottene Naivetat nicht langer darauf sich ver-lassen kann, daB die sozialen Prozesse noch unmittelbar nach An-gebot und Nachfrage, und damit nach Bedurfnissen sich richteten. So wenig diese ein Invariantes, Unableitbares sind, so wenig garantieren sie ihre Befriedigung. Der Schein an ihnen und die Illusion, wo sie sich meldeten, miiBten sie auch gestillt werden, geht aufs gleiche falsche BewuBtsein zuriick. Soweit sie hetero-nom produziert sind, haben sie teil an Ideologie, und waren sie noch so handgreiflich. Freilich ist nicht Reales sauberlich aus ihrem Ideologischen herauszuschalen, wofern nicht die Kritik ihrerseits einer Ideologie, der vom einfachen naturlichen Leben erliegen will. Reale Bedurfnisse A ktinnen objektiv Ideologien sein, ohne daB daraus ein Rechtstitel erwuchse, sie zu negieren. Denn in den Bedurfnissen selbst der erfaBten und verwalteten Menschen reagiert etwas, worin sie nicht ganz erfaBt sind, der UberschuB des subjektiven Anteils, dessen das System nicht voll-ends Herr wurde. Materielle Bedurfnisse waren sogar in ihrer verkehrten, von Uberproduktion verursachten Gestalt zu achten. Auch das ontologische Bedurfnis hat sein reales Moment in einem Zustand, in dem die Menschen die Notwendigkeit, der allein ihr Verhalten gehorcht, als vernunftig — sinnhaft — weder zu erken-nen noch anzuerkennen vermogen. Das falsche BewuBtsein an ihren Bedurfnissen geht auf etwas, dessen miindige Subjekte nicht bedurften, und kompromittiert damit jede mogliche Erfullung. Zum falschen BewuBtsein rechnet hinzu, daB es Unerfulibares als erfullbar sich vorgaukelt, komplementar zur moglichen Er-fiillung von Bedurfnissen, die ihm versagt wird. Zugleich zeigt

Bedurfnis falsch

vergeistigt noch in derlei verkehrten Bedurfnissen sich das seiner selbst unbewuBte Leiden an der materiellen Versagung. Es muB ebenso auf ihre Abschaffung drangen, wie das Bedurfnis allein jene nicht bewirkt. Der Gedanke ohne Bedurfnis, der nichts will, ware nichtig; aber Denken aus dem Bedurfnis verwirrt sich, wenn das Bedurfnis bloB subjektiv vorgestellt ist. Bedurfnisse sind ein Konglomerat des Wahren und Falschen; wahr ware der Gedanke, der Richtiges wunscht. Trifft die Lehre zu, der zufolge die Bedurfnisse an keinem Naturzustand sondern am sogenannten kulturellen Standard abzulesen seien, so stecken in diesem auch die Verhaltnisse der gesellschaftlichen Produktion samt ihrer schlechten Irrationalitat. Sie ist riicksichtslos an den geistigen Bedurfnissen zu kritisieren, dem Ersatz fur Vorenthaltenes. Ersatz ist die neue Ontologie in sich: was sich als jenseits des ideali-stischen Ansatzes verspricht, bleibt latent Idealismus und ver-hindert dessen einschneidende Kritik. Generell sind Ersatz nicht nur die primitiven Wunscherfullungen, mit denen die Kultur-industrie die Massen futtert, ohne daB diese recht daran glaubten. Verblendung hat keine Grenze dort, wo der offizielle Kultur-kanon seine Guter placiert, im vermeintlich Sublimen der Philosophic. Das dringlichste ihrer Bedurfnisse heute scheint das nach einem Festen. Es inspiriert die Ontologien; ihm messen sie sich an. Sein Recht hat es darin, daB man Sekuritat will, nicht von einer historischen Dynamik begraben werden, gegen die man sich ohnmachtig fuhlt. Das Unverriickbare mochte das ver-urteilte Alte konservieren. Je hoffnungsloser die bestehenden gesellschaftlichen Formen diese Sehnsucht blockieren, desto un-widerstehlicher wird die verzweifelte Selbsterhaltung in eine Philosophie gestoBen, die beides sein soil in einem, verzweifelt und Selbsterhaltung. Die invarianten Geriiste sind nach dem Ebenbild des allgegenwartigen Schreckens geschaffen, des Schwin-dels einer vom totalen Untergang bedrohten Gesellschaft. Ver-schwande die Drohung, so verschwande wohl mit ihr auch ihre positive Umkehrung, selbst nichts anderes als ihr abstraktes Negat.

Spezifischer ist das Bedurfnis nach einer Struktur von Invarianten Reaktion auf die urspriinglich von der konservativen Kultur-kritik seit dem neunzehnten Jahrhundert entworfene und seit-

Schwache und Halt

dem popularisierte Vorstellung von der entformten Welt. Kunst-geschichtliche Thesen wie die vom Erloschen der stilbildenden Kraft speisten sie; von der Asfhetik her hat sie als Ansicht vom Ganzen sich verbreitet. Nicht ausgemacht, was die Kunsthistoriker unterstellten: daB jener Verlust tatsachlich einer war, nicht viel-mehr ein machtiger Schritt zur Entfesselung der Produktivkrafte. Asfhetisch revolutionare Theoretiker wie Adolf Loos haben das zu Beginn des Jahrhunderts noch auszusprechen gewagt 26 , nur das verangstigte BewuBtsein der unterdessen auf die bestehende Kultur vereidigten Kulturkritik hat es vergessen. Der Jammer uber den Verlust ordnender Formen steigt an mit deren Gewalt. Machtiger sind die Institutionen als je; langst haben sie etwas wie den neonbelichteten Stil der Kulturindustrie hervorgebracht, der die Welt uberzieht wie einst die Barockisierung. Der ungemin-derte Konflikt zwischen der Subjektivitat und den Formen ver-kehrt sich unter deren Allherrschaft dem sich als ohnmachtig erfah-renden BewuBtsein, das nicht mehr sich zutraut, die Institution und ihre geistigen Ebenbilder zu verandern, zur Identifikation mit dem Angreifer. Die beklagte Entformung der "Welt, Auftakt zum Ruf nach verbindlicher Ordnung, die das Subjekt still-schweigend von auBen, heteronom erwartet, ist, soweit ihre Be-hauptung mehr ist als bloBe Ideologie, Frucht nicht der Emanzi-pation des Subjekts sondern von deren MiBlingen. Was als das Formlose einer einzig nach subjektiver Vernunft gemodelten Ver-fassung des Daseins erscheint, ist, was die Subjekte unterjocht, das reine Prinzip des Furanderesseins, des Warencharakters. Um der universalen Aquivalenz und Vergleichbarkeit willen setzt es qualitative Bestimmungen allerorten herab, nivelliert tenden-ziell. Derselbe Warencharakter aber, vermittelte Herrschaft von Menschen liber Menschen, fixiert die Subjekte in ihrer Unmundig-keit; ihre Mundigkeit und die Freiheit zum Qualitativen wiirden zusammengehen. Stil offenbart unterm Scheinwerfer der moder-nen Kunst selber seine repressiven Momente. Das von ihm er-borgte Bedurfnis nachForm betriigt iiber deren Schlechtes, Zwangs-haftes. Form, die nicht in sich selbst vermoge ihrer durchsichtigen Funktion ihr Lebensrecht beweist, sondern nur gesetzt wird, da-mit Form sei, ist unwahr und damit unzulanglich auch als Form. Potentiell ist der Geist, dem man einreden will, er ware in ihnen

Sdiwache und Halt

geborgen, iiber sie hinaus. Nur weil miBlang, die Welt so einzu-richten, daB sie nicht mehr den dem fortgeschrittensten BewuBt-sein kontraren Formkategorien gehorchte, muB das vorherr-schende jene Kategorien krampfhaft zu seiner eigenen Sache ma-chen. Weil aber der Geist ihre Unzulanglichkeit nicht vollends verdrangen kann, setzt er der gegenwartigen, kraB sichtbaren Heteronomie eine sei's vergangene, sei's abstrakte entgegen, die Werte als causae sui und das Phantasma ihrer Versohntheit mit den Lebendigen. Der HaB auf die radikale moderne Kunst, in dem restaurativer Konservativismus und Faschismus stets noch selig zusammenklingen, riihrt daher, daB sie sowohl ans Ver-saumte mahnt, wie die Fragwurdigkeit des heteronomen Struk-turideals durch ihre pure Existenz an den Tag bringt. Gesellschaft-lich ist das subjektive BewuBtsein der Menschen zu geschwacht, um die Invarianten, in die es eingekerkert ist, zu sprengen. Statt dessen paBt es ihnen sich an, wahrend es ihrer Absenz nachtrauert. Verdinglichtes BewuBtsein ist ein Moment in der Totalitat der verdinglichten Welt; das ontologische Bediirfnis seine Metaphysik, auch wenn diese, ihrem Lehrgehalt nach, die selber wohlfeil gewordene Kritik an Verdinglichung exploitiert. Die Gestalt von Invarianz als solcher ist die Projektion des Er-starrten jenes BewuBtseins. Unfahig zur Erfahrung eines jeg-lichen, das nicht bereits im Repertoire der Immergleichheit ent-halten ware, munzt es die Unveranderlichkeit um in die Idee eines Ewigen, die von Transzendenz. Befreites BewuBtsein, das freilich im Unfreien keiner hat; eines, das seiner machtig ware, wirklich so autonom, wie es bisher immer nur sich aufspielte, muBte nicht immerzu furchten, an ein Anderes — insgeheim die Machte, die es beherrschen — sich zu verlieren. Das Bediirfnis nach Halt, nach dem vermeintlich Substantiellen ist nicht derart substantiell, wie seine Selbstgerechtigkeit es mochte; vielmehr Signatur der Schwache des Ichs, der Psychologie bekannt als gegenwartig typische Beschadigung der Menschen. Wer von auBen und in sich nicht mehr unterdriickt ware, suchte keinen Halt, vielleicht nicht einmal sich selbst. Subjekte, die etwas an Freiheit auch unter den heteronomen Bedingungen sich retten durften, leiden weniger unter dem Mangel an Halt als die Unfreien, die ihn gar zu gern der Freiheit als deren Schuld vorrech-

Schwache und Halt

nen. MiiBten die Menschen nicht mehr den Dingen sich gleichma-chen, so bedurften sie weder eines dinghaften Uberbaus, noch mii6ten sie sich, nach dem Muster von Dinglichkeit, als invariant entwerfen. Die Invariantenlehre verewigt, wie wenig sich an-derte, ihre Positivitat das Schlechte. Insofern ist das ontologische Bedurfnis false Wahrscheinlich dammerte Metaphysik am Hori-zont erst nach dem Sturz der Invarianten. Aber der Trost hilft wenig. Was an der Zeit ware, hat keine Zeit, kein Warten gilt im Entscheidenden; wer darauf sich einlaBt, willfahrt der Trennung von Zeitlichem und Ewigem. Weil sie falsch ist und dennoch die Antworten, deren es bedurfte, zur geschichtlichen Stunde verbaut sind, haben alle Fragen, die auf Trost gehen, antinomischen Charakter.

Sein und Existenz

Kritik am ontologischen Bedurfnis treibt zur immanenten der Ontologie. Uber die Seinsphilosophie hat keine Gewalt, was sie generell, von auBen her abwehrt, anstatt in ihrem eigenen Gefuge mit ihr es aufzunehmen, nach Hegels Desiderat ihre eigene Kraft gegen sie zu wenden. Motivationen und Resultanten von Hei-deggers gedanklichen Bewegungen lassen sich, auch wo sie nicht ausgesprochen sind, nachkonstruieren; schwerlich entrat irgend-einer seiner Satze des Stellenwerts im Funktionszusammenhang des Ganzen. Insofern ist er Nachfahre der deduktiven Systeme. Deren Geschichte schon ist reich an Begriffen, die vom gedanklichen Fortgang gezeitigt werden, auch wenn kein Zeigefinger auf den Sachverhalt sich legen laBt, der ihnen entsprache; in der Notigung, sie zu bilden, entspringt das spekulative Moment der Philosophic Die in ihnen versteinerte Denkbewegung ist wieder-um zu verflussigen, wiederholend gleichsam ihrer Triftigkeit nach-zugehen. Nicht reicht dabei aus, der Seinsphilosophie zu demon-strieren, so etwas gebe es nicht wie das, was sie Sein nennt. Denn kein solches »Geben« postuliert sie. Statt dessen ware solche Blindheit des Seins zu deduzieren als Antwort auf den An-spruch des Unwiderleglichen, der jene Blindheit ausnutzt. Noch die Sinnlosigkeit, deren Konstatierung den Positivismus zum Triumphgeschrei veranlaBt, leuchtet geschichtsphilosophisch ein. "Weil die Sakularisation des einst als objektiv verpflichtend betrachteten theologischen Gehalts nicht sich widerrufen laBt, muB dessen Apologet ihn zu retten trachten durch Subjektivitat hindurch. So verhielt virtuell sich bereits die Glaubenslehre der Reformation; sicherlich war es die Figur der Kantischen Philosophic. Seitdem ist Aufklarung unwiderstehlich fortgeschritten, Subjektivitat selbst in den ProzeB der Entmythologisierung hin-eingerissen worden. Damit sank die Chance der Rettung bis zu einem Grenzwert. Paradox ist ihre Hoffnung zediert an ihre

102

Zur immanenten Kritik der Ontologie

Preisgabe, an vorbehaltlose und zugleich sich selbst reflektierende Sakularisierung. Wahr ist soviel an Heideggers Ansatz, wie er dem sich beugt in der Negation traditioneller Metaphysik; unwahr wird er, wo er, gar nicht soviel anders als Hegel, redet, als ware damit unmittelbar das zu Rettende gegenwartig. Die Seinsphilo-sophie scheitert, sobald sie im Sein einen Sinn reklamiert, den nach ihrem eigenen Zeugnis jenes Denken aufloste, dem noch Sein selber als begriffliche Reflexion verhaftet ist, seitdem es gedacht wird. Die Sinnlosigkeit des Wortes Sein, iiber die der gesunde Menschenverstand so billig sich mokiert, ist nicht einem zu wenig Denken oder einem unverantwortlichen Drauflosden-ken aufzuburden. In ihr schlagt die Unmoglichkeit sich nieder, positiven Sinn durch den Gedanken zu ergreifen oder zu erzeu-gen, der das Medium der objektiven Verfluchtigung von Sinn war. Sucht man die Heideggersche Unterscheidung des Seins von seinem umfangslogischen Begriff zu vollziehen, so behalt man, nach Abzug des Seienden ebenso wie der Abstraktionskategorien, eine Unbekannte in Handen, die nichts voraushat vor dem Kan-tischen Begriff des transzendenten Dinges an sich als das Pathos seiner Invokation. Dadurch jedoch wird auch das Wort Denken, auf das Heidegger nicht verzichten mag, so inhaltslos wie das zu Denkende: Denken ohne Begriff ist keines. DaB jenes Sein, das zu denken Heidegger zufolge die wahre Aufgabe ware, einer jeg-lichen Denkbestimmung sich sperrt, hohlt den Appell aus, es zu denken. Heideggers Objektivismus, der Bannfluch libers denkende Subjekt, ist davon das getreue Reversbild. In den fur Positivisten sinnleeren Satzen wird dem Weltalter der Wech-sel prasentiert; falsch sind sie bloB darum, weil sie als sinnvoll sich aufwerfen, tonen wie das Echo eines Gehalts an sich. Nicht Sinn haust in der innersten Zelle von Heideggers Philosophie; wahrend sie als Heilswissen sich vortragt, ist sie, was Scheler Herrschaftswissen nannte. Zwar hat Heideggers Kultus des Seins, polemisch wider den idealistischen des Geistes, zur Voraussetzung Kritik an dessen Selbstvergottung. Das Heideggersche Sein jedoch, ununterscheidbar fast vom Geist, seinem Antipoden, ist nicht weniger repressiv denn jener; nur undurchsichtiger als er, dessen Prinzip Durchsichtigkeit war; darum noch unfahiger zur kritischen Selbstreflexion des herrschaftlichen Wesens als je die

Zur immanenten Kritik der Ontologie

Geistesphilosophien. Die elektrische Ladung des Wortes Sein bei Heidegger vertragt sich gut mit dem Lob des frommen oder glau-bigen Menschen schlechthin, das die neutralisierte Kultur spendet, als sei Frommigkeit und Glaubigkeit an sich ein Verdienst, ohne Rucksicht auf die Wahrheit des Geglaubten. Diese Neutralisie-rung kommt bei Heidegger zu sich selbst: Seinsfrommigkeit durchstreicht vollends den Inhalt, der in den halb oder ganz sakularisierten Religionen unverbindlich mitgeschleift war. Von den religiosen Gebrauchen ist bei Heidegger, der sie einiibt, nichts ubrig als die generelle Bekraftigung von Abhangigkeit und Unter-wiirfigkeit, Surrogat des objektiven Formgesetzes von Denken. Wahrend das Gefiige permanent sich entzieht, laBt es wie der logische Positivismus den Adepten nicht aus. Wurden die Tat-sachen alles dessen enteignet, wodurch sie mehr sind als Tatsachen, so bemachtigt Heidegger sich gleichsam des Abfallprodukts der verdampfenden Aura. Es garantiert der Philosophie etwas wie Postexistenz, wofern sie sich als mit ihrer Spezialitat mit dem Iv xal irav beschaftigt. Der Ausdruck von Sein ist nichts anderes als das Gefuhl jener Aura, einer ohne Gestirn freilich, das ihr das Licht spendete. In ihr wird das Moment der Vermittlung isoliert und dadurch unmittelbar. So wenig aber wie die Pole Subjekt und Objekt laBt Vermittlung sich hypostasieren; sie gilt einzig in deren Konstellation. Vermittlung ist vermittelt durchs Ver-mittelte. Heidegger uberspannt sie zu einer gleichsam ungegen-standlichen Objektivitat. Er besiedelt ein imaginares Zwischen-reich zwischen dem Stumpfsinn der facta bruta und dem weltan-schaulichen Geschwafel. Der SeinsbegrifT, der seine Vermittlungen nicht Wort haben will, wird zu dem Wesenlosen, als das Aristo-teles die Platonische Idee, das Wesen par excellence, durchschaute, zur Wiederholung des Seienden. Diesem ist entwendet, was im-mer dem Sein zugeschanzt wird. Wahrend dadurch der emphati-sche Anspruch des Seins auf reine Wesentlichkeit hinfallig wird, hat das Seiende, das untilgbar dem Sein innewohnt, ohne in der Heideggerschen Version seinen ontischen Charakter bekennen zu mussen, an jenem ontologischen Anspruch parasitar toil. Da6 das Sein sich zeige, vom Subjekt passiv hinzunehmen sei, ist entlehnt von den alten Daten der Erkenntnistheorie, die ein Faktisches, Ontisches sein sollten. Dies Ontische streift aber zugleich im

Copula

sakralen Bezirk des Seins die Spur der Kontingenz ab, die ehe-mals seine Kritik gestattete. Kraft der Logik der philosophischen Aporie, ohne daB erst auf die ideologische Zutat des Philosopher! gewartet wiirde, versetzt er die empirische Ubermacht des so Seienden ins Wesenhafte. Die Vorstellung vom Sein als einer Entitat, deren denkende Bestimmung unabdingbar das Gedachte versaume, indem sie es zerlegt und damit, nach der einschlagigen politischen Rede, zersetzt, lauft auf eleatische Geschlossenheit heraus wie einst das System und heute die Welt. Anders aber als die Absicht der Systeme, ist das Geschlossene heteronom: uner-reichbar vom verniinftigen Willen sowohl der Einzelnen wie jenes gesellschaftlichen Gesamtsubjekts, das bis heute nicht ver-wirklicht ist. In der zur Statik erneuerten Gesellschaft, die sich abzeichnet, scheinen dem Vorrat der apologetischen Ideologic keine neuen Motive mehr zuzuwachsen; vielmehr werden die gangigen soweit verdiinnt und unkenntlich, daB sie von aktuellen Erfahrungen nur schwer desavouiert werden konnen. Projizieren die Ruck- und Kunstgriffe der Philosophie Seiendes aufs Sein, so ist das Seiende glucklich gerechtfertigt; wird es als bloB Seiendes mit Verachtung gestraft, so darf es drauBen unbehelligt sein Unwesen treiben. Nicht anders vermeiden zartbesaitete Diktato-ren den Besuch in Konzentrationslagern, deren Funktionare red-lich nach ihren Richtlinien handeln.

Der Seinskult lebt von uralter Ideologic, den idola fori: dem, was im Dunkel des Wortes Sein und der daraus abgeleiteten For-men gedeiht. »Ist« stellt zwischen dem grammatischen Subjekt und dem Pradikat den Zusammenhang des Existentialurteils her und suggeriert damit Ontisches. Zugleich aber bedeutet es, rein fur sich genommen, als Copula, den allgemeinen kategorialen Sachverhalt einer Synthesis, ohne selber ein Ontisches zu repra-sentieren. Darum laBt es ohne viel Umstande auf der ontologi-schen Seite sich verbuchen. Von der Logizitat der Copula bezieht Heidegger die ontologische Reinheit, die seiner Allergie gegen Faktisches gefallt; vom Existentialurteil aber die Erinnerung an Ontisches, die es dann erlaubt, die kategoriale Leistung der Synthesis als Gegebenheit zu hypostasieren. Wohl entspricht auch dem »Ist« ein »Sachverhalt«: in jeglichem pradikativen Urteil hat das »Ist« so gut wie Subjekt und Pradikat seine Bedeutung.

Copula

Der »Sachverhalt« aber ist intentional, nicht ontisch. Die Copula erfullt sich dem eigenen Sinn nach einzig in der Relation zwischen Subjekt und Pradikat. Sie ist nicht selbstandig. Indem Heidegger sie als jenseits dessen verkennt, wodurch allein sie zu Bedeutung wird, ubermannt ihn jenes dinghafte Denken, gegen das er auf-begehrte. Fixiert er das von »Ist« Gemeinte zum absoluten idealen An sich—eben dem Sein—, so hatte, einmal von der Copula losge-rissen, das von Subjekt und Pradikat des Urteils Reprasentierte das gleiche Recht. Hire Synthesis durch die Copula widerfiihre beidem bloB auBerlich; eben dagegen war der Seinsbegriff er-sonnen. Subjekt, Copula, Pradikat waren abermals, wie in obso-leter Logik, in sich abgeschlossene, fertige Einzelheiten, nach dem Modell von Sachen. In Wahrheit jedoch tritt die Pradikation nicht hinzu, sondern ist, indem sie beide verkoppelt, auch das, was sie an sich schon waren, wenn dies »Ware« ohne die Synthesis des »Ist« irgend sich vorstellen lieBe. Das verwehrt die Extrapolation von der Copula auf ein vorgeordnetes Wesen »Sein« ebenso wie auf ein »Werden«, die reine Synthesis. Jene Extrapolation beruht auf einer bedeutungstheoretischen Verwechslung: der der allgemeinen Bedeutung der Copula »Ist«, der konstan-ten grammatischen Spielmarke fur die Synthesis des Urteils, mit der spezifischen, die das »Ist« in jeglichem Urteil gewinnt. Beides fallt keineswegs zusammen. Insofern ware das Ist den okkasio-nellen Ausdriicken zu vergleichen. Seine Allgemeinheit ist eine Anweisung auf Besonderung, die allgemeine Form fur den Voll-zug besonderer Urteile. Die Nomenklatur tragt dem Rechnung, indem sie fur jene Allgemeinheit den wissenschaftlichen Terminus Copula bereithalt und fur die besondere Leistung, die das Urteil jeweils zu vollbringen hat, eben das »Ist«. Heidegger miBachtet die Differenz. Dadurch wird die besondere Leistung des »Ist« nur zu etwas wie einer Erscheinungsweise jenes Allgemeinen. Der Unterschied zwischen der Kategorie und dem Gehalt des Existen-tialurteils verschwimmt. Die Substitution der allgemeinen grammatischen Form fur den apophantischen Inhalt verwandelt die ontische Leistung des »Ist« in ein Ontologisches, eine Seinsweise von Sein. Vernachlassigt man aber die im Sinn von »Ist« postu-lierte, vermittelte und vermittelnde Leistung im Besonderen, so bleibt kein wie immer auch geartetes Substrat jenes »Ist« zuriick,

Copula

sondern lediglich die abstrakte Form von Vermittlung iiberhaupt. Diese, nach Hegels Wort das reine Werden, ist so wenig ein Ur-prinzip wie irgendein anderes, wofern man nicht den Parmenides mit Heraklit austreiben will. Das Wort Sein hat einen Oberton, den allein die willkurliche Definition uberhoren konnte; er ver-leiht der Heideggerschen Philosophie ihre Klangfarbe. Ein jeg-liches Seiendes ist mehr, als es ist; Sein, in Kontrast zum Seien-den, mahnt daran. Weil nichts Seiendes ist, das nicht, indem es bestimmt wird und sich selbst bestimmt, eines anderen bedurfte, das nicht es selber ist - denn durch es selbst allein ware es nicht zu bestimmen -, weist es uber sich hinaus. Vermittlung ist dafur lediglich ein anderes Wort. Heidegger aber sucht das liber sich Hinausweisende zu halten und woriiber es hinausweist als Schutt zuriickzulassen. Verflochtenheit wird ihm zu deren absolutem Ge-genteil, der itpti-d] ouo(a.Im Wort Sein, dem Inbegriff dessen, was ist, hat die Copula sich vergegenstandlicht. Wohl ware vom Ist ohne Sein so wenig zu reden wie von diesem ohne jenes. Das Wort verweist auf das objektive Moment, das in jedem pradikativen Urteil die Synthesis bedingt, in der es doch erst sich kristallisiert. Aber so wenig wie jener Sachverhalt im Urteil ist das Sein dem Ist gegeniiber selbstandig. Die Sprache, die Heidegger mit Recht fur mehr nimmt denn die bloBe Signifikation, zeugt kraft der Unselb-standigkeit ihrer Formen gegen das, was er aus ihr herauspreBt. Verkoppelt die Grammatik das Ist mit der Substratkategorie Sein als deren Aktivum: daB etwas sei, so verwendet sie reziprok Sein lediglich im Verhaltnis zu all dem, was ist, nicht an sich. Der Schein des ontologisch Reinen allerdings wird dadurch verstarkt, daB jegliche Analyse von Urteilen auf zwei Momente fuhrt, deren keines - so wenig wie, metalogisch, Subjekt und Objekt* - aufs

* Die Subjekt-Objekt-Relation im Urteil, als rein logische, und das Verhaltnis von Subjekt und Objekt, als erkenntnistheoretisch-materiales, sind zunachst strikt zu unterscheiden; der Terminus Subjekt bedeutet dort und hier fast Kontradiktorisches. In der Urteilstheorie ist er das zugrunde Gelegte, von dem etwas pradiziert wird; gegeniiber dem Urteilsakt und dem in derUrteils-synthesis Geurteilten in gewisser Weise Objektivitat, das, woran Denken sich betatigt. Erkenntnistheoretisch aber meint Subjekt die Denkfunktion, vielfach auch jenes Seiende, das denkt und das aus dem Begriff Ich nur um den Preis auszuschlieBen ist, daB er nicht langer bedeutet, was er bedeutet. Aber diese Distinktion involviert trotz allem enge Verwandtschaft des Distinguierten. Die Konstellation eines vom Urteil getroffenen Sachverhalts - in der Sprache

Copula

andere zu reduzieren ist. Der von der Schimare eines absolut Er-sten faszinierte Gedanke wird dazu neigen, schlieBlich noch jene Irreduktibilitat selber als ein solches Letztes zu reklamieren. In Heideggers Seinsbegriff schwingt die Reduktion auf Irreduktibilitat mit. Aber sie ist eine Formalisierung, die nicht sich zusam-menreimt mit dem, was formalisiert wird. Sie besagt fur sich genommen nicht mehr als das Negative, daB die Urteilsmomente, wann immer geurteilt wird, nicht nach der einen oder anderen Seite ineinander aufgehen; daB sie nicht identisch sind. AuBer-halb dieses Verhaltnisses der Urteilsmomente ist die Irreduktibilitat ein Nichts, unter ihr uberhaupt nichts zu denken. Darum kann ihr keine ontologische Prioritat den Momenten gegeniiber imputiert werden. Der Paralogismus liegt in der Transformation jenes Negativen, daB nicht eines der Momente aufs andere zu-ruckzufuhren ist, in ein Positives. Heidegger gelangt bis an die Grenze der dialektischen Einsicht in die Nichtidentitat in der Identitat. Aber den Widerspruch im Seinsbegriff tragt er nicht aus. Er unterdriickt ihn. "Was irgend unter Sein gedacht werden kann, spottet der Identitat des Begriffs mit dem von ihm Ge-meinten; Heidegger jedoch traktiert es als Identitat, reines es

der Phanomenologie des »Geurteilten als solchen« — und der Synthesis, die ebenso auf jenem Sachverhalt beruht, wie ihn herstellt, mahnt an die mate-riale von Subjekt und Objekt. Diese unterscheiden sich ebenso, sind nicht auf die reine Identitat der einen oder anderen Seite zu bringen, und bedingen sich dort wechselfaltig, weil kein Objekt bestimmbar ist ohne die Bestimmung, die es dazu macht, das Subjekt, und weil kein Subjekt etwas denken kann, das nicht ein ihm gegeniiber Stehendes ware, das Subjekt selbst nicht ausgenom-men: Denken ist an Seiendes gekettet. Die Parallele zwischen Logik und Er-kenntnistheorie ist mehr als bloBe Analogic Das rein logische Verhaltnis zwischen Sachverhalt und Synthesis, das sich ohne Rucksicht auf Existenz, auf raum-zeitliche Faktizitat weiB, ist in Wahrheit eine Abstraktion von der Subjekt-Objekt-Relation. Diese wird unter den Blickpunkt reinen Denkens geruckt, aller besondere ontische Sachgehalt vernachlassigt, ohne daB doch diese Abstraktion Macht hatte tiber das Etwas, das die Leerstelle von Sach-haltigkeit okkupiert und das, mag es jene noch so allgemein benennen, Sach-haltiges meint, nur durch Sachhaltiges zu dem wird, was es selbst bedeutet. Die methodologische Veranstaltung der Abstraktion hat ihre Grenze am Sinn dessen, was sie als reine Form in Handen zu halten wahnt. Unausloschlich ist dem formal-logischen »Etwas« die Spur des Seienden. Die Form Etwas ist nach dem Modell des Materials, des riSe n gebildet; sie ist Form des Materialen und insofern ihrer eigenen reinlogischen Bedeutung nach jenes Metalogischen bedurftig, um das die erkenntnistheoretische Reflexion als um den Gegenpol zum Denken sich rnuhte.

Keine Transzendenz des Seins

selbst Sein, bar seiner Andersheit. Die Nichtidentitat in der abso-luten Identitat vertuscht er wie eine Familienschande. Weil das »Ist« weder nur subjektive Funktion noch ein Dinghaftes, Seien-des, nach herkommlichem Denken keine Objektivitat ist, nennt Heidegger es Sein, jenes Dritte. Der Ubergang ignoriert die Intention des Ausdrucks, den Heidegger demutig auszulegen glaubt. Die Erkenntnis, das »Ist« sei kein bloBer Gedanke und kein bloB Seiendes, erlaubt nicht seine Verklarung zu einem jenen beiden Bestimmungen gegeniiber Transzendenten. Jeder Versuch, das »Ist«, und ware es in der blassesten Allgemeinheit, uberhaupt nur zu denken, fuhrt auf Seiendes hier und dort auf Begriffe. Die Konstellation der Momente ist nicht auf ein singulares Wesen zu bringen; ihr wohnt inne, was selbst nicht Wesen ist. Die Einheit, die das Wort Sein verspricht, wahrt nur so lange, wie es nicht gedacht, wie nicht, gemaB Heideggers eigener Methode, seine Bedeutung analysiert wird; eine jede solche Analyse fordert zutage, was im Abgrund des Seins verschwand. Wird aber die Analyse von Sein selber tabu, so geht die Aporie uber in Subreption. Im Sein soil das Absolute gedacht werden, aber nur weil es nicht sich denken laBt, sei es das Absolute; nur weil es magisch die Erkenntnis der Momente blendet, scheint es jenseits der Momente; weil die Ver-nunft ihr Bestes nicht denken kann, wird sie sich selbst zum Schlechten.

In Wahrheit sind, gegen die Sprachatomistik des ganzheitsglaubi-gen Heidegger, alle Einzelbegriffe bereits in sich mit den Urteilen verwachsen, welche die klassifizierende Logik vernachlassigt; die alte_Dreiteilung der Logik nach Begriff, Urteil und SchluB ist ein Riickstand wie das Linnesche System. Urteile sind keine bloBe Synthesis von Begriffen, denn kein Begriff ist ohne Urteil; Heidegger ubersieht das, vielleicht im Bann der Scholastik. In der Vermitteltheit von Sein wie von Ist jedoch steckt Subjekt. Heidegger unterschlagt dies wenn man will idealistische Moment und erhoht dadurch Subjektivitat zum allem Subjekt-Objekt-Dualis-mus Vorgangigen, Absoluten. DaB jegliche Analyse des Urteils auf Subjekt und Objekt fuhrt, stiftet keine Region jenseits jener Momente, die an sich ware. Sie ergibt die Konstellation jener Momente, kein hoheres, nicht einmal ein allgemeineres Drittes. GewiB ware im Sinn Heideggers anzufuhren, das Ist sei nicht

Keine Transzendenz des Seins

dinghaft, nicht Ta wxa > kein Seiendes, keine Objektivitat im iibli-chen Verstande. Denn ohne die Synthesis hat das 1st kein Sub-strat; im gemeinten Sachverhalt lieBe auf kein toSs tt sich deuten, das ihm entsprache. Also, lautet die Folgerung, musse das 1st jenes Dritte indizieren, eben das Sein. Sie aber ist falsch, Gewalt-streich sich selbst genugender Semantik. Der FehlschluB wird daran flagrant, daB ein solches vermeintlich reines Substrat des Ist nicht gedacht werden kann. Jeder Versuch dazu trifft auf Ver-mittlungen, denen das hypostasierte Sein enthoben sein mtichte. Noch daraus jedoch, daB es nicht zu denken ist, zieht Heidegger den Gewinn zusatzlicher metaphysischer Wurde des Seins. Weil es dem Denken sich verweigere, sei es das Absolute; weil es, gut hegelisch, weder auf Subjekt noch auf Objekt ohne Rest zu redu-zieren ist, sei es jenseits von Subjekt und Objekt, wahrend es doch unabhangig von ihnen iiberhaupt nicht ware. Die Vernunft, die es nicht denken kann, wird am Ende selber diffamiert, als ob Denken irgend von Vernunft sich abspalten lieBe. Unbestreitbar, daB Sein nicht einfach der Inbegriff dessen sei, was ist, was der Fall ist. Antipositivistisch laBt solche Einsicht dem UberschuB des Begriffs iiber die Faktizitat Gerechtigkeit widerfahren. Kein Begriff ware zu denken, keiner nur moglich ohne das Mehr, welches Sprache zur Sprache macht. Was indessen im Wort Sein, gegen-uberTaovTa,nachhallt:da6 alles mehr sei, als es ist, meint Ver-flochtenheit, kein ihr Transzendentes. Dazu wird sie bei Heidegger, tritt zum einzelnen Seienden hinzu. Er folgt der Dialektik soweit, daB weder Subjekt noch Objekt ein Unmittelbares und Letztes seien, springt aber aus ihr heraus, indem er jenseits von ihnen nach einem Unmittelbaren, Ersten hascht. Archaistisch wird Denken, sobald es, was am zerstreuten Seienden mehr ist als es selbst, zur metaphysischen xpyji verklart. Als Reaktion auf den Verlust der Aura 1 wird diese, das iiber sich Hinausweisen der Dinge, von Heidegger zum Substrat umfunktioniert und dadurch selbst den Dingen gleichgemacht. Er verordnet eine Repristina-tion des Schauers, den, langst vor den mythischen Naturreligio-nen, das Ineinander bereitete: unterm deutschen Namen Sein wird Mana 2 heraufgeholt, als gliche die heraufdammernde Ohn-macht der pra-animistischer Primitiver, wenn es donnert. Insge-heim folgt Heidegger dem Gesetz, daB mit der fortschreitenden

Keine Transzendenz des Seins

Rationalitat der konstant irrationalen Gesellschaft immer weiter zuriickgegriffen wird. Klug durch Schaden, vermeidet er das romantische Pelasgertum von Klages und die Machte von Oskar Goldberg und fluchtet aus der Region des tangibeln Aberglaubens in einen Dammer, in dem nicht einmal Mythologeme wie das von der Wirklichkeit der Bilder mehr sich formieren. Er entschlupft der Kritik, ohne doch von den Avantagen des Ursprungs abzu-lassen; so weit wird dieser zuruckverlegt, daB er auBerzeitlich und darum allgegenwartig erscheint. »Das geht aber Nicht.« 3 Nicht anders ist aus Geschichte auszubrechen als durch Regression. Ihr Ziel, das alteste, ist nicht das Wahre sondern der absolute Schein, die dumpfe Befangenheit in einer Natur, deren Undurch-schautes Ubernatur bloB parodiert. Heideggers Transzendenz* ist die verabsolutierte Immanenz, verstockt gegen den eigenen Immanenzcharakter. Der Erklarung bedarf jener Schein; wieso das schlechthin Abgeleitete, Vermittelte, Sein, die Insignien des ens concretissimum an sich reiBen kann. Er basiert darauf, daB die Pole von traditioneller Erkenntnistheorie und Metaphysik, reines Diesda und reines Denken, abstrakt sind. Von beiden sind so viele Bestimmungen entfernt, daB iiber sie wenig mehr auszu-sagen ist, wofern das Urteil nach dem sich richten will, woriiber es urteilt. Dadurch scheinen die beiden Pole gegeneinander un-unterscheidbar, und das gestattet es, unvermerkt den einen an-stelle des anderen zu bemuhen, je nach dem zu Demonstrieren-den. Der Begriff des Seienden schlechthin, seinem Ideal nach ohne alle Kategorie, braucht, in seiner vollkommenen Entqualifiziert-heit, auf kein Seiendes sich einschranken zu lassen und kann sich Sein nennen. Sein aber, als absoluter Begriff, braucht nicht als Begriff sich zu legitimieren: durch jeglichen Umfang begrenzte es sich und frevelte gegen seinen eigenen Sinn. Darum kann es

* »Das Sein als Grundthema der Philosophie ist keine Gattung eines Seienden, und doch betrifft es jedes Seiende. Seine >Universalitat< ist hoher zu suchen. Sein und Seinstruktur liegen iiber jedes Seiende und jede mogliche seiende Bestimmtheit eines Seienden hinaus. Sein ist das transcendens schlechthin. Die Transzendenz des Seins des Daseins ist eine ausgezeichnete, sofern in ™ die Moglichkeit und Notwendigkeit der radikalsten Individuation liegt. Jede ErschlieBung von Sein als transcendens ist transzendentale Erkenntnis. phanomenologische Wahrheit (Erschlossenheit von Sein) ist Veritas transcendentalism (Heidegger, Sein und Zeit, 6. Aufl., Tubingen 1949, S. 38.)

Keine Transzendenz des Seins

mit der Wiirde des Unmittelbaren so gut ausstaffiert werden wie das toSs ti mit der des Wesenhaften. Zwischen den beiden gegen-einander indifferenten Extremen spielt Heideggers gesamte Philosophic*. Aber gegen seinen Willen setzt sich im Sein das Sei-ende durch. Jenes empfangt sein Leben von der verbotenen Frucht, als ware diese Freyas Apfel. Wahrend Sein, um seiner aurati-schen Absolutheit willen, mit nichts Seiendem kontaminiert werden will, wird es doch nur dadurch zu jenem Unmittelbaren, das dem Absolutheitsanspruch den Rechtstitel liefert, da6 Sein immer auch soviel bedeutet wie: Seiendes schlechthin. Sobald die Rede vom Sein der puren Invokation irgend etwas hinzufugt, stammt es aus dem Ontischen. Die Rudimente materialer Ontologie bei Heidegger sind zeitlich; Gewordenes und Vergangliches wie zu-vor bei Scheler.

Gerechtigkeit allerdings widerfahrt dem Seinsbegriff erst, wenn auch die genuine Erfahrung begriffen ist, die seine Instauration bewirkt: der philosophische Drang, das Unausdriickbare auszu-driicken. Je verangstigter Philosophie jenem Drang, ihrem Eigen-tumlichen, sich gesperrt hat, desto groBer die Versuchung, das Unausdriickbare direkt anzugehen, ohne die Sisyphusarbeit, die

* DaB sie, trotz ihres Kontakts mit Hegel, vor der Dialektik ausbiegt, ver-leiht ihr den Appell erlangter Transzendenz. Feuerfest gegen die dialektische Reflexion, die sie doch unablassig beriihrt, halt sie mit der traditionellen Logik haus und bemachtigt sich, nach dem Muster des pradikativen Urteils, des Charakters von Festigkeit und Unbedingtheit dessen, was dialektischer Logik bloBes Moment ware. So etwa soil, einer anfanglichen Formulierung zufolge (vgl. Heidegger, Sein und Zeit, a.a.O., S. 13), Dasein jenes Ontische, Existierende sein, das den - uneingestanden paradoxen - Vorzug habe, onto-logisch zu sein. Dasein ist eine deutsche und verschamte Variante von Subjekt. Heidegger entging nicht, daB es sowohl Prinzip der Vermittlung wie unver-mittelt ist, als Konstituens das Konstitutum Faktizitat voraussetzt. Der Sach-verhalt ist dialektisch; ihn ubersetzt Heidegger auf Biegen oder Brechen in die Logik der Widerspruchslosigkeit. Aus den einander widersprechenden Momenten des Subjekts werden zwei Attribute gemacht, die er ihm gleichwie einer Substanz anheftet. Das aber hilft der ontologischen Wiirde: der unent-faltete Widerspruch wird Biirgschaft eines Hoheren an sich, weil er sich den Bedingungen der diskursiven Logik nicht fiigt, in deren Sprache er ubersetzt ist. Vermoge dieser Projektion soil die Substanz, Sein geheiBen, als Positives sowohl iiber dem Begriff wie iiber der Tatsache sein. Ihrer dialektischen Reflexion hielte solche Positivitat nicht stand. Dergleichen Schemata sind xhm • der gesamten Fundamentalontologie. Transzendenz iiber Denken wie iiber Tatsache zieht sie daraus, daB dialektische Strukturen undialektisch, als waren sie einfach zu benennen, ausgedruckt und hypostasiert werden.

Ausdruck des Unausdruckbaren

nicht die schlechteste Definition von Philosophic ware, und die den Spott iiber sie so sehr ermuntert. Philosophie selbst, als Form des Geistes, enthalt ein Moment, tief verwandt jenem Schweben-den, wie es bei Heidegger das, woriiber zu meditieren ware, an-nimmt, und wie es die Meditation verhindert. Denn weit spezi-fischer ist Philosophie eine Form, als die Geschichte ihres Begriffs vermuten laBt, in der sie selten, auBer in einer Schicht Hegels, ihre qualitative Differenz von Wissenschaft, Wissenschaftslehre, Logik, mit denen sie doch verwachsen ist, ihrer Reflexion einver-leibt. Philosophie besteht weder in verites de raison noch in veri-tes de fait. Nichts, was sie sagt, beugt sich handfesten Kriterien eines der Fall Seins; ihre Satze iiber Begriffliches so wenig denen des logischen Sachverhalts wie die iiber Faktisches denen empiri-scher Forschung. Zerbrechlich ist sie auch wegen ihrer Distanz. Sie laBt nicht sich festnageln. Soweit ist ihre Geschichte eine perma-nenten MiBlingens, wie sie dem Handfesten immer wieder, terro-risiert von der Wissenschaft nachgehangt hat. Ihre positivistische Kritik verdient sie durch den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, den die Wissenschaft verwirft; jene Kritik irrt, indem sie die Philosophie mit einem Kriterium konfrontiert, das nicht ihres ist, wo irgend sie ihrer Idee gehorcht. Sie verzichtet aber nicht auf Wahr-heit, sondern belichtet die szientifische als beschrankt. Ihr Schwe-bendes bestimmt sich dadurch, daB sie in ihrer Distanz zur verifi-zierenden Erkenntnis doch nicht unverbindlich ist, sondern ein eigenes Leben von Stringenz fuhrt. Diese sucht sie in dem, was sie selber nicht ist, dem ihr Entgegengesetzten, und in der Reflexion dessen, was positive Erkenntnis mit schlechter Naivetat als verbindlich supponiert. Philosophie ist weder Wissenschaft noch, wozu der Positivismus mit einem albernen Oxymoron sie degradieren mochte, Gedankendichtung, sondern eine zu dem von ihr Verschiedenen ebenso vermittelte wie davon abgehobene Form. Ihr Schwebendes aber ist nichts anderes als der Ausdruck des Unausdruckbaren an ihr selber. Darin wahrhaft ist sie der Musik verschwistert. Kaum ist das Schwebende recht in Worte zu bringen; das mag verursacht haben, daB die Philosophen, auBer etwa Nietzsche, dariiber hinweggleiten. Eher ist es die Voraussetzung zum Verstandnis philosophischer Texte als ihre biindige Eigenschaft. Es mag geschichtlich entsprungen sein und

Ausdrack des Unausdrilckbaren

auch wieder verstummen, wie der Musik es droht. Heidegger hat das innerviert und jenes Spezifische der Philosophie, vielleicht weil es sich anschickt zu verloschen, buchstablich in eine Sparte, eine Gegenstandlichkeit quasi hoherer Ordnung transformiert: Philosophie, die erkennt, daB sie weder iiber Faktizitat noch iiber Begriffe urteilt, wie sonst geurteilt wird, und die nicht einmal ihres Gegenstandes sicher sich weiB, mochte ihren gleichwohl positi-ven Gehalt jenseits von Faktum, Begriff und Urteil haben. Da-durch ist das Schwebende des Denkens iiberhoht zu dem Unaus-driickbaren selbst, das es ausdriicken will; das Ungegenstandliche zum umrissenen Gegenstand eigenen Wesens; und eben dadurch verletzt.Unter der Last der Tradition, die Heidegger abschutteln will, wird das Unausdruckbare ausdrucklich und kompakt im Wort Sein; der Einspruch gegen Verdinglichung verdinglicht, dem Denken entauBert und irrational. Indem er das Unausdruckbare der Philosophie unmittelbar thematisch behandelt, staut Heidegger jene zuriick bis zum Widerruf des BewuBtseins. Zur Strafe versiegt die nach seiner Konzeption verschuttete Quelle, die er ausgraben mochte, durftiger als je die Einsicht der vorgeblich destruierten Philosophie, die dem Unausdruckbaren durch ihre Vermittlungen sich zuneigt. Was, unter MiBbrauch Holderlins, der Durftigkeit der Zeit zugeschrieben wird, ist die des Denkens, das jenseits von Zeit sich wahnt. Nichtig ist der unmittelbare Aus-druck des Unausdruckbaren; wo sein Ausdruck trug, wie in gro-Ber Musik, war sein Siegel das Entgleitende und Vergangliche, und er haftete am Verlauf, nicht am hindeutenden Das ist es. Der Gedanke, der das Unausdruckbare denken will durch Preisgabe des Gedankens, verfalscht es zu dem, was er am wenigsten mochte, dem Unding eines schlechthin abstrakten Objekts.

Das Kind, konnte Fundamentalontologie pladieren, wenn es ihr nicht zu ontisch-psychologisch ware, fragt nach dem Sein. Das treibt die Reflexion ihm aus, und die Reflexion der Reflexion mochte es, wie von je im Idealismus, wiedergutmachen. Aber schwerlich fragt die gedoppelte Reflexion wie das Kind unmittelbar. Sein Verhalten malt die Philosophie, gleichsam mit dem Anthropomorphismus des Erwachsenen, als die der Kindheit der

Die kindliche Frage

gesamten Gattung, als vorzeitlich-iiberzeitlich sich aus. Woran es laboriert, ist eher sein Verhaltnis zu den Worten, die es mit einer im spateren Alter kaum mehr vorstellbaren Anstrengung sich zueignet, denn die Welt, die ihm als eine von Aktionsobjek-ten in den friihen Phasen einigermaBen vertraut ist. Es will sich der Bedeutung der Worte versichern, und die Beschaftigung da-mit, wohl auch ein psychoanalytisch erklarbarer, koboldhaft nor-gelnder Eigensinn bringt es aufs Verhaltnis von Wort und Sache. Es mag seine Mutter mit dem peinlichen Problem sekkieren, warum die Bank Bank heiBt. Seine Naivetat ist unnaiv. Als Sprache ist Kultur in sehr fruhe Regungen seines BewuBtseins eingewandert; eine Hypothek auf der Rede von Ursprunglich-keit. Der Sinn der Worte und ihr Wahrheitsgehalt, ihre »Stellung zur Objektivitat« sind noch nicht scharf voneinander abgehoben; wissen, was das Wort Bank bedeute, und was eine Bank wirklich sei - wozu doch das Existentialurteil hinzurechnet -, ist jenem BewuBtsein gleich oder wenigstens nicht differenziert, ubrigens in zahllosen Fallen nur muhsam zu scheiden. Orientiert am er-lernten Wortschatz, ist insofern gerade die kindliche Unmittelbar-keit in sich vermittelt, das Bohren nach dem Warum, dem Ersten praformiert. Sprache wird als tpuost, nicht als Seasi erfahren, >taken for granted<; am Anfang ist der Fetischismus, und dem bleibt die Jagd nach dem Anfang stets Untertan. Freilich ist jener Fetischismus kaum zu durchschauen, weil schlechterdings alles Gedachte auch sprachlich ist, der besinnungslose Nominahsmus so falsch wie der Realismus, der der fehlbaren Sprache die Attribute der geoffenbarten erteilt. Heidegger hat fur sich, daB es kein sprachloses An sich gibt; daB also Sprache in der Wahrheit ist, nicht diese in der Sprache als ein von ihr bloB Bezeichnetes. Aber der konstitutive Anted der Sprache an der Wahrheit stiftet keine Identitat beider. Die Kraft der Sprache bewahrt sich darin, daB in der Reflexion Ausdruck und Sache auseinander treten 4 . Sprache wird zur Instanz von Wahrheit nur am BewuBtsein der Unidentitat des Ausdrucks mit dem Gemeinten. Heidegger wei-gert sich jener Reflexion; er halt inne nach dem ersten Schritt der sprachphilosophischen Dialektik. Repristination ist sein Denken auch darin, daB es durch ein Ritual des Nennens die Gewalt des Namens wiederherstellen mochte. Diese Gewalt indessen ist nicht

Seinsfrage

derart in den sakularisierten Sprachen gegenwartig, daB sie es dem Subjekt gestatteten. Durch Sakularisierung haben die Subjekte ihnen den Namen entzogen, und ihrer Intransigenz, keines philo-sophischen Gottvertrauens bedarf die Objektivitat der Sprache. Mehr als Signum ist sie nur durch ihre signifikative Kraft, dort wo sie am genauesten und dichtesten das Gemeinte hat. Sie ist nur, soweit sie wird, in der stetigen Konfrontation von Ausdruck und Sache; danach handelte Karl Kraus, der doch selbst einer onto-logischen Ansicht von der Sprache zugeneigt haben durfte. Hei-deggers Verfahren aber ist, nach Scholems Pragung, deutsch-tumelnde Kabbalistik. Er verhalt sich zu den geschichtlichen Sprachen, als waren sie die des Seins, romantisch wie alles gewalttatig Antiromantische. Seine Art Destruktion verstummt vor der unbe-sehenen philologischen Bildung, die er zugleich suspendiert. Sol-ches BewuBtsein bejaht, was es umgibt, oder findet wenigstens damit sich ab; genuiner philosophischer Radikalismus, wie immer er historisch auftrat, ist Produkt des Zweifels. Scheinhaft ist die radikale Frage selber, die nichts als jenen zerstort. Den emphatischen Ausdruck des Wortes Sein untermauert Hei-deggers alte Kategorie der Eigentlichkeit, die freilich spater kaum mehr genannt wird. Die Transzendenz von Sein gegeniiber Begriff und Seiendem will das Desiderat der Eigentlichkeit einlosen als das, was kein Schein sei, weder veranstaltet noch hinfallig. Protestiert wird, mit Grund, dagegen, daB die geschichtliche Entfaltung der Philosophie die Unterscheidung von "Wesen und Schein nivellierte, den inharenten Impuls von Philosophie als dem aautniCsiv, dem Ungenugen an der Fassade. Unreflektierte Aufklarung hat die metaphysische These vom Wesen als der wahren Welt hinter den Erscheinungen mit der ebenso abstrakten Gegenthese negiert, das Wesen ware, als Inbegriff von Metaphysik, der Schein: als ob der Schein darum das Wesen ware. Kraft der Spaltung der Welt versteckt sich das Gesetz von Spaltung, das Eigentliche. Der Posi-tivismus, der dem sich anpaBt, indem er, was nicht Datum, was verborgen ist, als Mythos und subjektive Projektion durchstreicht, befestigt damit ebenso die Scheinhaftigkeit wie einst die Lehren, die fibers Leiden im mundus sensibilis mit der Beteuerung des Noumenalen trosteten. Etwas von diesem Mechanismus hat Heidegger gespurt. Aber das Eigentliche, das er vermiBt, schlagt so-

Seinsfrage

gleich um in Positivitat, Eigentlichkeit als ein Verhalten des Be-wuBtseins, das, indem es aus der Profanitat auswandert, den theologischen Habitus der alten Wesenslehre ohnmachtig nach-ahmt. Gefeit wird das verborgene Wesen vorm Verdacht, es sei Unwesen. Keine Erwagung wagt sich etwa daran, daB die Kate-gorien der sogenannten Vermassung, die >Sein und Zeit< ebenso wie das Goschenbandchen iiber die geistige Situation der Zeit von Jaspers entwickelt, selber solche jenes verborgenen Unwesens sein konnten, das die Menschen zu dem macht, was sie sind; sie mussen sich dann von der Philosophie auch noch beschimpfen lassen, weil sie das Wesen vergessen hatten. Der Widerstand gegen das verdinglichte BewuBtsein, der im Pathos der Eigentlichkeit nachzittert, ist gebrochen. Der Rest von Kritik wird losgelassen auf die Erscheinung, namlich die Subjekte; unbe-helligt bleibt das Wesen, dessen Schuld von der ihren bloB repra-sentiert wird und sich reproduziert. — Wahrend die Fundamental-ontologie vom Ogwja&Csi-v nicht sich ablenken laBt, verbaut sie sich die Antwort, was eigentlich sei, durch die Gestalt der Frage. Nicht umsonst wird diese durch den degoutanten Terminus Seinsfrage zugeriistet. Verlogen ist es darum, weil an das leibhafte Interesse jedes Einzelnen — das nackte des Hamletmonologs, ob der Einzelne absolut vernichtet ist mit dem Tod oder ob er die Hoffnung des christlichen non confundar hat - appelliert wird, jedoch, was Hamlet mit Sein oder Nichtsein meint, ersetzt durch das reine Wesen, das die Existenz verschluckt. Indem die Existen-tialontologie, nach phanomenologischem Brauch, etwas thema-tisch macht, mit Aufgebot von Deskriptionen und Distinktionen, befriedigt sie das Interesse und lenkt davon ab. »Die Seinsfrage«, sagt Heidegger, »zielt daher auf eine apriorische Bedingung der Moglichkeit nicht nur der Wissenschaften, die Seiendes als so und so Seiendes durchforschen und sich dabei je schon in einem Seins-verstandnis bewegen, sondern auf die Bedingung der Moglichkeit der vor den ontischen Wissenschaften liegenden und sie fun-dierenden Ontologien selbst. Alle Ontologie, mag sie iiber ein noch so reiches und festverklammertes Kategoriensystem ver-fiigen, bleibt im Grunde blind und eine Verkehrung ihrer eigen-sten Absicht, wenn sie nicht zuvor den Sinn von Sein zureichend geklart und diese Klarung als ihre Fundamentalaufgabe begriffen

Seinsfrage

hat.« 5 Durch die Uberspannung dessen, was in solchen Satzen phanomenologische Umstandlichkeit als Seinsfrage zuriistet, biiBt diese ein, was unter dem Wort vorgestellt werden kann, und jenes Vorgestellte wird womoglich noch derart abgewertet zur betrieb-samen Befangenheit, daB die Versagung als hohere Wahrheit, als eigentliche Antwort der umgangenen Frage sich empfiehlt. Um nur ja eigentlich genug zu sein, zieht sich die sogenannte Seinsfrage auf den dimensionslosen Punkt dessen zusammen, was sie als einzig echfburtige Bedeutung von Sein zulaBt. Sie verwandelt sich ins Verbot, iiber sich selbst, schlieBlich iiber jene Tautologie hinauszugehen, die bei Heidegger darin sich manifestiert, daB das sich entbergende Sein nichts anderes sagt als immer wieder nur Sein. 6 Heidegger wurde das tautologische Wesen von Sein womoglich noch als ein den Bestimmungen der Logik Superiores aus-geben. Aber es ist aus der Aporetik zu entwickeln. Wie Husserl schon, beugt sich Heidegger unbekummert Desideraten des Den-kens nebeneinander, welche in der Geschichte der von ihm allzu souveran auBer Kurs gesetzten Metaphysik als inkompadbel sich erwiesen: dem Reinen, von aller empirischen Beimischung Freien und darum absolut Gultigen, und dem Unmittelbaren, schlechthin Gegebenen, unwiderleglich, weil es des begrifflichen Zusatzes ent-rat. So kombinierte Husserl das Programm einer »reinen«, namlich eidedschen Phanomenologie mit dem der Selbstgegebenheit des erscheinenden Gegenstands. Bereits im Titel »reine Phanomeno-logie« treten die kontradiktorischen Normen zusammen. DaB sie keine Erkenntnistheorie, sondern eine nach Belieben einzuneh-mende Einstellung sein wollte, dispensierte davon, das Verhaltnis ihrer Kategorien zueinander zu durchdenken. Mit Riicksicht dar-auf differiert Heidegger von seinem Lehrer nur insofern, als er das kontradiktorische Programm von seinem Husserlschen Schau-platz, dem BewuBtsein, weg und ins BewuBtseinstranszendente hineinverlegt, eine Konzeption ubrigens, die im Ubergewicht des Noemas beim mittleren Husserl vorgebildet war. Die Inkom-patibilitat des Reinen und des Anschaulichen aber zwingt dazu, das Substrat ihrer Einheit so unbestimmt zu wahlen, daB es kein Moment mehr enthalt, an dem die eine der beiden Forderungen die andere Liigen strafen konnte. Deshalb darf das Heideggersche Sein weder seiend noch Begriff sein. Fur die dadurch erlangte Un-

Volte

anfechtbarkeit hat es mit seiner Nihilitat zu zahlen, einer Uner-fullbarkeit durch jeglichen Gedanken und jegliche Anschauung, die nichts in Handen behalt als die Sichselbstgleichheit des bloBen Namens*. Noch die endlosen Wiederholungen, von denen Hei-deggers Publikationen strotzen, sind weniger seiner Redselig-keit als der Aporetik aufzubiirden. Nur durch Bestimmung ge-langt ein Phanomen uber sich hinaus. Was ganz unbestimmt bleibt, wird als Ersatz dafur immer wieder gesagt, so wie Gesten, die von ihren Aktionsobjekten abprallen, immer wieder, in sinnlosem Ritual, vollzogen werden. Dies Ritual der Wieder-holung teilt die Seinsphilosophie mit dem Mythos, der sie so gern ware.

Die Dialektik von Sein und Seiendem: daB kein Sein gedacht werden kann ohne Seiendes und kein Seiendes ohne Vermittlung, wird von Heidegger unterdriickt: die Momente, die nicht sind, ohne daB das eine vermittelt ware durch das andere, sind ihm un-vermittelt das Eine, und dies Eine positives Sein. Aber der Kalkul geht nicht auf. Das Schuldverhaltnis der Kategorien wird einge-klagt. Mit der Forke ausgetrieben, kehrt Seiendes wieder: nur so lange ist das vom Seienden gereinigte Sein Urphanomen, wie es doch wiederum das Seiende in sich hat, das es excludiert. Heidegger wird damit fertig in einem strategischen Meisterstuck; es ist die Matrix seines Denkens insgesamt. Mit dem Terminus ontologische Differenz legt seine Philosophie die Hand noch aufs unauflosliche Moment des Seienden. »Was allerdings unter einem solchen, von der Sphare des Ontischen angeblich vollig unab-hangigen >Sein< zu verstehen ist, muB unausgemacht bleiben. Seine Bestimmung wiirde es in die Dialektik von Subjekt und Objekt hineinziehen, von der es gerade ausgenommen sein soil. An dieser Unbestimmtheit, an der wohl zentralsten Stelle der

* »Das UbermaB an Objektivitat, das ihm« - dem Sein - »zugesprochen wird, laBt diese in ihrer ganzen Leerheit hervortreten: >als leere Meinung von allem schlechthin<. Nur vermoge eines quid pro quo: indem namlich Moderne Ontologie die Bedeutung, die dem Sein als Gemeintem zukommt, ihm selbst unterschiebt, ist Sein auch ohne meinende Subjekte bedeutend. Will-klirliche Abspaltung, Subjektivitat also, erweist damit sich als ihr principium vitale. Ontologie vermag das Sein anders denn als vom Seienden her gar nicht zu konzipieren, aber sie unterschlagt eben diese seine Bedingtheit.« (Karl Heinz Haag, Kritik der neueren Ontologie, Stuttgart 1960, S. 69.)

Volte

Heideggerschen Ontologie, liegt es, daB die Extreme Sein und Seiendes auch gegeneinander notwendig unbestimmt bleiben miis-sen, so daB nicht einmal angebbar ist, worin deren Differenz besteht. Die Rede von der >ontologischen Differenz< reduziert sich auf die Tautologie, das Sein sei nicht das Seiende, weil es das Sein sei. Heidegger macht also den Fehler, den er der abend-landischen Metaphysik vorwirft, daB namlich stets ungesagt ge-blieben sei, was Sein im Unterschied zum Seienden meine.«' Unterm Hauch der Philosophie wird das Seiende zum ontologi-schen Tatbestand*, abgeblendeter und hypostasierter Ausdruck dafiir, daB Sein so wenig ohne Seiendes gedacht werden kann wie, nach Heideggers Grundthese, Seiendes ohne Sein. Damit schlagt er seine Volte. Die Not der Ontologie, ohne das ihr Ent-gegengesetzte, ohne Ontisches nicht auszukommen; die Depen-denz des ontologischen Prinzips von seinem Widerpart, dasunab-dingbare Skandalon der Ontologie, wird zu deren Bestandstuck. Heideggers Triumph iiber die minder gewitzigten anderen Onto-logien ist die Ontologisierung des Ontischen. DaB kein Sein ist ohne Seiendes, wird auf die Form gebracht, zum Wesen vonSein gehore das Sein von Seiendem. Damit wird ein Wahres zur Un-wahrheit: das Seiende zum Wesen. Sein bemachtigt sich dessen, was es in der Dimension seines Ansichseins wiederum nicht sein mochte, des Seienden, dessen begriffliche Einheit der Wortsinn von Sein immer auch meint. Die gesamte Konstruktion der ontologischen Differenz ist ein Potemkinsches Dorf. Es wird aufge-richtet nur, damit der Zweifel am absoluten Sein vermtige der These vom Seienden als einer Seinsweise des Seins desto souvera-

* Heideggers Lehre vom Vorzug des Daseins als des Ontischen, das zugleich ontologisch sei; von der Anwesenheit des Seins, hypostasiert Sein vorweg. Nur

wenn Sein, wie er es mochte, als ein dem Dasein Vorgangiges verselbstandigt ist, empfangt Dasein jene Durchsichtigkeit aufs Sein, die doch wiederum dieses erst freilegen soil. Auch insofern ist die vorgebliche Uberwindung des Subjek-tivismus erschlichen. Dem reduktiven Plan Heideggers zum Trotz wurde durch die Lehre von der Transzendenz des Seins ins Seiende eben der onto-logische Primat von Subjektivtat wiedereingeschmuggelt, dem die Sprache der Fundamentalontologie abschwort. Heidegger war folgerecht, als er spater die Daseinsanalyse im Sinn des ungeschmalerten Primats von Sein umwendete, der aus Seiendem nicht begriindet werden kann, weil ihm zufolge Sein gerade nicht ist. Freilich entfiel damit alles, wodurch er gewirkt hatte, aber jene Wir-kung war bereits in die Autoritat des Spateren eingegangen.

Volte

ner sich abweisen laBt*. Indem alles einzelne Seiende auf seinen Begriff, den des Ontischen, gebracht wird, verschwindet daraus, was es, gegeniiber dem Begriff, zum Seienden macht. Die formale allgemeinbegriffliche Struktur der Rede vom Ontischen und all ihrer Aquivalente setzt sich anstelle des dem Begrifflichen hetero-genen Inhalts jenes Begriffs. Ermoglicht wird das dadurch, daB der Begriff des Seienden - darin dem von Heidegger gefeier-ten des Seins gar nicht unahnlich — derjenige ist, welcher das schlechthin Nichtbegriffliche, im Begriff nicht sich Erschop-fende umfangt, ohne doch je seine Differenz vom Umfange-nen selber auszudriicken. Weil »das Seiende« der Begriff fur alles Seiende ist, wird das Seiende selber zum Begriff, zu einer onto-logischen Struktur, die bruchlos ubergeht in die des Seins. Die Ontologisierung des Seienden wird in >Sein und Zeit< auf die pragnante Formel gebracht: »Das >Wesen< des Daseins liegt in seiner Existenz.« 8 Aus der Definition von Daseiendem, Existie-rendem qua Existierendem, durch die Begriffe Dasein und Existenz springt heraus, daB, was am Daseienden gerade nicht wesenhaft, nicht ontologisch ist, ontologisch sei. Die ontologische Differenz wird beseitigt kraft der Verbegrifflichung des Nichtbegrifflichen zur Nichtbegriff lichkeit.

Nur dann wird die Ontologie vom Ontischen nicht belastigt, wenn es ihresgleichen ist. Die Subreption begriindet die Vorgan-gigkeit der Ontologie vor der ontologischen Differenz: »Hier handelt es sich aber nicht um eine Entgegensetzung von existentia und essentia, weil uberhaupt noch nicht diese beiden metaphy-sischen Bestimmungen des Seins, geschweige denn ihr Verhaltnis, in Frage stehen.« 9 Dies der ontologischen Differenz angeblich Vorgangige fallt bei Heidegger trotz der kontraren Versicherung auf die Seite der Essenz: indem der Unterschied, den der Begriff Seiendes ausdriickt, abgestritten wird, ist der Begriff erhoht durch das Nichtbegriffliche, das er unter sich haben soil. An einem an-deren Passus des Piatontraktats laBt sich das greifen. Er lenkt die Frage nach Existenz von dieser weg und transformiert sie in eine nach Essenz: »Der Satz: >Der Mensch eksistiert< antwortet nicht

* "...wenn anders zur Wahrheit des Seins gehort, daB das Sein nie west ohne das Seiende, daB niemals ein Seiendes ist ohne das Sein«. (Heidegger, Was ist Metaphysik?, 5. AufL, Frankfurt am Main 1949, S. 41.)

Seinsmythologie

auf die Frage, ob der Mensch wirklich sei oder nicht, sondern ant-wortet auf die Frage nach dem >Wesen< des Menschen.« 10 Die Rede vom Noch nicht dort, wo die Antithesis von Existenz und Essenz fortgewiesen wird 11 , ist keine zufallige temporale Meta-pher fur ein Unzeitliches. Tatsachlich ist es archaisches Denken, das der jonischen Hylozoisten weit mehr als der Eleaten; in den karg uberlieferten Philosophemen jener mischen sich triib Existenz und Essenz. Arbeit und Anstrengung der antiken Meta-physik, von der Parmenideischen, die Denken und Sein trennen muBte, um sie identifizieren zu konnen, bis zur Aristotelischen bestand darin, die Scheidung zu erzwingen. Entmythologisierung ist Scheidung, der Mythos die triigende Einheit des Ungeschiede-nen. Weil aber die Unzulanglichkeit der Urprinzipien zur Erkla-rung der in ihnen mitgemeinten Welt ihre Auseinanderlegung zeitigte und damit die magische Exterritorialitat des Seins als eines zwischen Wesen und Tatsache Vagierenden im Gespinst der Begriffe sich fing, muB Heidegger, dem Privileg von Sein zuliebe, die kritische Arbeit des Begriffs als Verfallsgeschichte verurteilen, wie wenn Philosophie, jenseits der Geschichte, einen geschicht-lichen Standpunkt besetzen konnte, wahrend sie doch anderer-seits der Geschichte gehorchen soil, die selbst wie Existenz onto-logisiert wird. Heidegger ist anti-intellektualistisch aus System-zwang, antiphilosophisch aus Philosophie, so wie die gegenwar-tigen religiosen Renaissancen nicht von der Wahrheit ihrer Leh-ren sich inspirieren lassen sondern von der Philosophie, daB es gut ware, Religion zu haben. Die Geschichte des Denkens ist, so-weit sie irgend sich zuruckverfolgen laBt, Dialektik der Auf-klarung. Darum halt Heidegger, entschlossen genug, nicht, wie es ihn vielleicht in seiner Jugend verlocken mochte, bei irgend-einer ihrer Stufen inne, sondern sturzt sich mit einer Wells'schen Zeitmaschine in den Abgrund des Archaismus, in dem alles alles sein und alles bedeuten kann. Er streckt die Hand nach dem Mythos aus; auch der seine bleibt einer des zwanzigsten Jahr-hunderts, der Schein, als den Geschichte ihn demaskierte und der eklatant wird an der vollkommenen Unvereinbarkeit des Mythos mit der rationalisierten Gestalt der Wirklichkeit, in welche jeg-liches BewuBtsein verschrankt ist. Es vermiBt sich des mytho-logischen Standes, als ware dieser ihm moglich, ohne daB es sei-

Seinsmythologie

nesgleichen ist. Mit Heideggers Seinsbegriff meldet sich der mythische des Schicksals: »Die Ankunft des Seienden beruht im Geschick des Seins.« 12 Die gepriesene Ungeschiedenheit von Exi-stenz und Essenz im Sein wird damit als das beim Namen ge-nannt, was sie ist: Blindheit des Naturzusammenhangs, Verhang-nis der Verkettung, absolute Negation der Transzendenz, welche in der Rede vom Sein tremoliert. Der Schein am Seinsbegriff ist diese Transzendenz; sein Grund aber, daB Heideggers Bestim-mungen, die vom Dasein, als der Not der realen menschlichen Geschichte bis heute, abgezogen sind, der Erinnerung an diese sich entauBern. Sie werden zu Momenten von Sein selber und damit einem jener Existenz Vorgeordneten. Ihre astrale Macht und Herrlichkeit ist ebenso kalt gegen die Schmach und Fehlbar-keit der geschichtlichen Realitat, wie diese als unveranderlich sanktioniert wird. Mythisch ist die Zelebration des Sinnlosen als Sinn; die rituale Wiederholung von Naturzusammenhangen in symbolischen Einzelhandlungen, als waren sie dadurch Ubernatur. Kategorien wie die Angst, von denen zumindest nicht zu sti-pulieren ist, sie miiBten fur immer wahren, werden durch ihre Transfiguration Konstituentien von Sein als solchem, ein jener Existenz Vorgeordnetes, ihr Apriori. Sie installieren sich als eben der >Sinn<, welcher im gegenwartigen geschichtlichen Stande positiv, unmittelbar nicht sich nennen laBt. Sinnloses wird mit Sinn belehnt, indem der Sinn von Sein gerade an seinem Wider-spiel, der bloBen Existenz, als deren Form aufgehen soil.

Die ontologische Sonderstellung des Daseins ist von Hegel_ante-zipiert vermoge der idealistischen These vom Vorrang des Sub-jekts. Hegel beutet aus, daB das Nichtidentische seinerseits nur als Begriff zu bestimmen sei; damit ist es ihm dialektisch weg-geraumt, zur Identitat gebracht: Ontisches ontologisch. Sprach-liche Schattierungen in der Wissenschaft der Logik verraten das bald. Raum und Zeit seien, fuhrt die dritte Anmerkung zum »Werden« anschlieBend an Jacobi aus, »ausdriicklich als unbe-stimmte bestimmt, was — um zu seiner einfachsten Form zuriick-zugehen - das Seyn ist. Eben diese Unbestimmtheit ist aber das, was die Bestimmtheit desselben ausmacht; denn die Unbestimmt-

Ontologisierung des Ontischen

heit ist der Bestimmtheit entgegengesetzt; sie ist somit als Ent-gegengesetztes selbst das Bestimmte, oder Negative, und zwar das reine, ganz abstrakt Negative. Diese Unbestimmtheit oder abstrakte Negation, welche so das Seyn an ihm selbst hat, ist es, was die auBere wie die innere Reflexion ausspricht, indem sie es dem Nichts gleich setzt, es fur ein leeres Gedankending, fur Nichts erklart. — Oder kann man sich ausdriicken, weil das Seyn das Bestimmungslose ist, ist es nicht die (affirmative) Bestimmtheit, die es ist, nicht Seyn, sondern Nichts.« 13 Stillschwei-gend wird als Synonym fur das Unbestimmte die Unbestimmtheit gebraucht. In deren Begriff verschwindt das, dessen Begriff sie ist; er wird dem Unbestimmten als dessen Bestimmung gleich-gesetzt, und das erlaubt die Identifikation des Unbestimmten mit dem Nichts. Damit ist in Wahrheit bereits der absolute Idealismus supponiert, den die Logik erst zu beweisen hatte. Gleichen Sinnes ist Hegels Weigerung, anstatt mit dem Sein mit dem Etwas zu beginnen. Trivial, daB das Nichtidentische keine Unmittelbarkeit, daB es vermittelt ist. Aber Hegel wird an zentralen Stellen jener eigenen Einsicht nicht gerecht. Sie besagt, das Nichtidentische sei zwar identisch - als selbst Vermitteltes - dennoch jedoch nicht-identisch, das Andere alien seinen Identifikationen gegeniiber. Er tragt die Dialektik des Nichtidentischen nicht aus, wahrend er doch sonst die Intention hat, den vorkritischen Sprachgebrauch gegen den der Reflexionsphilosophie zu verteidigen. Sein eigener Begriff des Nichtidentischen, bei ihm Vehikel, es zum Identischen, zur Sichselbstgleichheit zu machen, hat unabdingbar deren Gegen-teil zum Inhalt; dariiber eilt er hinweg. Was er in der Differenz-schrift ausdriicklich feststellte, um es sofort seiner eigenen Philosophic zu integrieren, wird zum schwersten Einwand gegen diese. Hegels absolutes System, das auf dem perennierenden Widerstand des Nichtidentischen beruht, negiert, gegen sein Selbstverstandnis, sich selbst. Wahrhaft ist ohne Nichtidentisches keine Identitat, wahrend diese, als Totale, bei ihm doch den ontologischen Vor-rang an sich reiBt. Dazu hilft die Erhebung der Vermitteltheit des Nichtidentischen zu dessen absolut begrifflichem Sein. Anstatt daB Theorie in Begriffen das Unauflosliche zu dem Seinen bringt, verschluckt sie es durch Subsumtion unter seinen Allgemeinbegriff, den der Unaufloslichkeit. Das Verwiesensein von Identitat auf

Ontologisierung des Ontisdien

Nichtidentisches, wie Hegel beinahe es erreichte, ist der Einspruch gegen alle Identitatsphilosophie. Die Aristotelische Kategorie der Steresis wird sein Trumpf und sein Verhangnis. Was dem ab-strakten Begriff notwendig abgeht: daB er nicht selber das Nicht-begriffliche zu sein vermag, rechnet er ihm gegeniiber dem, wovon er zwangslaufig abstrahiert, als Verdienst, Hoheres, Geist an. Weniger soil wahrer sein, wie dann in der selbstgerechten Hei-deggerschen Ideologie von der Pracht des Schlichten. Die Apo-logie der Durftigkeit ist aber nicht bloB eine des abermals zum Punkt zusammengeschrumpften Denkens, sondern hat ihre prazis ideologische Funktion. Die Affektation erhabener Einfachheit, welche die Wurde der Armut und des frugalen Lebens aufwarmt, schickt sich zum fortbestehenden Widersinn realen Mangels in einer Gesellschaft, deren Produktionsstand nicht langer die Be-rufung darauf erlaubt, an Gutern sei nicht genug fiir alle vor-handen. Indem die durch den eigenen Begriff zur Unnaivetat ver-haltene Philosophic mit dem Rheinischen Hausfreund flirtet, hilft sie dariiber hinweg: ihrer Seinsgeschichte erglanzt der Man-gelals das Hohere schlechthin oder wenigstens ad Kalendas Graecas. Schon bei Hegel gilt, was durch Abstraktion zustande kommt, furs Substantiellere. Nach demselben Topos handelt er die Materie, auch den Ubergang zur Existenz 14 ab. Weil ihr Begriff unbestimmt sei, ihm als Begriff eben das fehlt, was mit ihm gemeint ist, fallt alles Licht auf seine Form. Das gliedert Hegel in die abendlandische Metaphysik an deren auBerster Grenze ein. Engels hat das gesehen, aber die umgekehrte, ebenfalls undialek-tische Konsequenz gezogen, Materie sei das erste Sein 15 . Dialek-tische Kritik gebiihrt dem Begriff des ersten Seins selber. Heidegger wiederholt das Hegeische Eulenspiegel-Manover. Nur praktiziert dieser es offen, wahrend Heidegger, der kein Idealist sein mochte, die Ontologisierung des Ontischen wolkig verhullt. Die Triebfeder jedoch, das Weniger am Begriff als sein Mehr auszu-staffieren, ist allenthalben die alte Platonische Versagung, es sei das Unsinnliche das Hohere. Logik sublimiert das asketische Ideal zum auBersten und fetischisiert es zugleich, bar der Spannung zum Sinnlichen, in der das asketische Ideal seine Wahrheit gegen den Trug konzessionierter Erfullung hat. Der Begriff, der rein wird, indem er seinen Inhalt verstoBt, fungiert insgeheim als

Funktion des Existenzbegriffs

Modell einer Einrichtung des Lebens, aus der, bei allem Fort-schritt der Apparatur - welcher der Begriff entspricht -, Armut doch um keinen Preis verschwinden darf. Wenn irgend ware Ontologie ironisch moglich, als Inbegriff von Negativitat. Was sich selbst gleichbleibt, die reine Identitat, ist das Schlechte; zeit-los das mythische Verhangnis. Philosophie war, als dessen Saku-larisation, sein Sklave, indem sie mit gigantischem Euphemismus das Unveranderliche ins Gute umdeutete, bis zu den Theodizeen von Leibniz und Hegel. Wollte man eine Ontologie entwerfen und dabei dem Grundsachverhalt folgen, dessen Wiederholung ihn zur Invariante macht, so ware es das Grauen.Vollends eine Ontologie der Kultur hatte aufzunehmen, worin Kultur uberhaupt miBlang. Ort philosophisch legitimer Ontologie ware mehr die Konstruktion der Kulturindustrie als die des Seins; gut erst das der Ontologie Entronnene.

Auf die Ontologisierung des Ontischen will primar die Lehre von der Existenz hinaus. Da diese, nach dem uralten Argument, nicht aus der Essenz gefolgert werden kann, soil sie selber essentiell sein. Existenz wird iiber Kierkegaards Vorbild hinaus erhoht, eben dadurch aber, gegen jenen, entscharft. Noch der biblische Satz, daB ihr an ihren Fruchten sie erkennen sollt, klingt im Tempel von Existenz wie deren Profanierung und muB ver-stummen. Seinsweise von Sein, stent Existenz nicht langer anti-thetisch dem Begriff entgegen, ihr Schmerzhaftes ist entfernt. Sie empfangt die Wurde der Platonischen Idee, aber auch die Kugel-festigkeit dessen, was nicht anders gedacht werden kann, weil es kein Gedachtes sondern einfach da sei. Darin stimmen Heidegger und Jaspers uberein. Arglos bekennt dieser die Neutralisierung der Existenz gegen Kierkegaard: »Ich ... spiirte in seinen nega-tiven Entschlussen... das Gegenteil von allem, was ich liebte und wollte, zu tun bereit und nicht bereit war.« 16 Selbst der Jas-pers'sche Existentialismus, der in der Konstruktion des Seins-begriffs nicht vom pater subtilis sich hat anstecken lassen, hat sich von Anbeginn als »Frage nach dem Sein« 17 verstanden; beide konnten, ohne sich untreu zu werden, vor dem sich bekreuzigen, was in Paris, im Zeichen von Existenz, fur ihren Geschmack allzu rasch, von den Horsalen in die Keller drang 18 und dort weniger respektabel sich anhtirte. Solange freilich Kritik bei der

Funktion des Existenzbegriffs

These der Nichtontologisierbarkeit des Ontischen stehenbleibt, ist sie selbst noch Urteil iiber invariante Strukturverhaltnisse, gleich-sam zu ontologisch; das war das philosophische Motiv vonSartres Wendung zur Politik. Die Bewegung nach dem zweiten Welt-krieg, die sich existentialistisch nannte und avantgardistisch auf-fiihrte, hatte etwas Unkraftiges, Schattenhaftes. Der Existentia-lismus, den das deutsche Establishment als subversiv beargwohnt, sieht den Barten seiner Anhanger ahnlich. Sie kostumieren sich oppositionell, JugendUche als Hohlenmenschen, die beim Schwin-del der Kultur nicht mehr mitspielen, wahrend sie doch nur das aus der Mode gekommene Emblem der patriarchalen Wurde ihrer GroBvater sich ankleben. Wahr am Existenzbegriff ist der Ein-spruch gegen einen Zustand von Gesellschaft und szientifischem Denken, der unreglementierte Erfahrung, virtuell das Subjekt als Moment von Erkenntnis austreibt. Kierkegaards Protest gegen die Philosophie war auch der gegen das verdinglichte Be-wuBtsein, in dem, nach seinem Wort, die Subjektivitat ausge-gangen ist: er nahm gegen die Philosophie auch deren Interesse wahr. Das wiederholt sich anachronistisch an den existentialisti-schen Schulen in Frankreich. Die unterdessen real entmachtigte und inwendig geschwachte Subjektivitat wird isoliert und -komplementar zur Heideggerschen Hypostasis ihres Gegenpols, des Seins - hypostasiert. Die Abspaltung des Subjekts nicht anders als die des Seins lauft, unverkennbar beim Sartre von L'etre et le neant, auf die Illusion der Unmittelbarkeit des Ver-mittelten hinaus. So vermittelt Sein durch den Begriff und da-mit durchs Subjekt, so vermittelt ist umgekehrt das Subjekt durch die Welt, in der es lebt, so ohnmachtig und bloB innerlich auch seine Entscheidung. Solche Ohnmacht laBt das dinghafte Unwesen iiber das Subjekt siegen. Der Existenzbegriff bestach viele als Ansatz von Philosophie, weil er Divergierendes zu ver-binden schien: die Reflexion auf das Subjekt, das jegliche Erkenntnis und damit jegliches Seiende konstituiere, und konkrete, jedem Einzelsubjekt unmittelbare Individuation seiner Erfahrung. Die Divergenz von beidem irritierte den subjektiven Ansatz insgesamt: dem konstitutiven Subjekt konnte vorgehalten werden, es sei vom empirischen bloB abgezogen und darum un-tauglich, es und irgendein empirisches Dasein zu begriinden; dem

Funktion des Existenzbegriffs

Individuum, es sei ein zufalliges Stuck Welt und entbehre der wesenhaften Notwendigkeit, deren es bedarf, um das Seiende zu umspannen und womoglich zu stiften. Existenz oder, im dem-agogischen Jargon, der Mensch, scheint sowohl allgemein, das alien Menschen gemeinsame Wesen, wie spezifisch, insofern dies All-gemeine anders als in seiner Besonderung, der bestimmten Indivi-dualitat, weder vorgestellt noch auch nur gedacht werden kann. Vor aller Erkenntniskritik jedoch, in der einfachsten Besinnung auf den Begriff Mensch in intentione recta verliert dies Heureka seine Evidenz. Was der Mensch sei, laBt sich nicht angeben. Der heute ist Funktion, unfrei, regrediert hinter alles, was als invariant ihm zugeschlagen wird, es sei denn die schutzlose Bedurf-tigkeit, an der manche Anthropologien sich weiden. Die Ver-stummelungen, die ihm seit Jahrtausenden widerfuhren, schleppt er als gesellschaftliches Erbe mit sich. Wurde aus seiner gegen-wartigen Beschaffenheit das Menschenwesen entziffert, so sabo-tierte das seine Moglichkeit. Kaum taugte eine sogenannte histo-rische Anthropologie mehr. Zwar begriffe sie Gewordensein und Bedingtheit ein, aber rechnete sie den Subjekten zu, unter Ab-straktion von der Entmenschlichung, die sie zu dem machte, was sie sind, und die im Namen einer qualitas humana toleriert bleibt. Je konkreter Anthropologie auftritt, desto trugerischer wird sie, gleichgultig gegen das am Menschen, was gar nicht in ihm als dem Subjekt griindet sondern in dem ProzeB der Entsubjektivierung, der seit unvordenklichen Zeiten parallel lief mit der geschichtlichen Formation des Subjekts. Die These arrivierter Anthropologie, der Mensch sei offen - selten fehlt ihr der hamische Seitenblick aufs Tier -, ist leer; sie gaukelt ihre eigene Unbestimmtheit, ihr Fallis-sement, als Bestimmtes und Positives vor. Existenz ist ein Moment, nicht das Ganze, gegen welches sie ersonnen ward und von dem sie, abgesprengt, die uneinlosbare Pretention des Ganzen an sich riB, sobald sie zur Philosophie sich stilisierte. DaB nicht sich sagen laBt, was der Mensch sei, ist keine besonders erhabene Anthropologie sondern ein Veto gegen jegliche. Wahrend Kierkegaard, nominalistisch, die Existenz gegen die Essenz ausspielt, als Waffe der Theologie gegen die Metaphysik, wird von ihm, schon nach dem Dogma der Gottesebenbildlichkeit der Person, Existenz, der Einzelne unmittelbar, mit Sinnhaftig-

»Dasein an ihm selbst ontologisch«

keit bedacht. Er polemisiert gegen Ontologie, aber das Seiende, als Dasein »jener Einzelne«, saugt deren Attribute auf. Nicht viel anders als in den Ausgangsreflexionen der »Krankheit zum Tode< wird auch in >Sein und Zeit< Existenz ausgezeichnet; die Kierkegaardsche »Durchsichtigkeit« des Subjekts, BewuBtsein, ist der Rechtstitel ihrer Ontologisierung: »Das Sein selbst, zu dem das Dasein sich so oder so verhalten kann und immer irgend-wie verhalt, nennen wir Existenz« 19 , oder buchstablich: »Dasein ist auf dem Grunde seiner Existenzbestimmtheit an ihm selbst >ontologisch<.« 20 Der Begriff Subjektivitat schillert nicht minder als der des Seins und ist darum beliebig auf diesen abzustimmen. Seine Mehrdeutigkeit gestattet es, Dasein einer Seinsweise des Seins gleichzusetzen und die ontologische Differenz wegzuanaly-sieren. Ontisch heiBt dann Dasein kraft seiner raumzeitlichen Individuation, ontologisch als Logos. Dubios ist in Heideggers SchluB von Dasein auf Sein jenes »Zugleich«, das Heideggers Rede vom »mehrfachen Vorrang« des »Daseins« »vor allem anderen Seien-den« impliziert. Dadurch, daB das Subjekt bestimmt ist durch BewuBtsein, ist nicht auch das an ihm ganzlich BewuBtsein, durchsichtig, >ontologisch<, woran BewuBtsein unabloslich haftet. Kein Etwas, nur Satze konnten iiberhaupt ontologisch sein. Das Individuum, das BewuBtsein hat, und dessen BewuBtsein nicht ware ohne es, bleibt raumzeitlich, Faktizitat, Seiendes; nicht Sein. In Sein steckt Subjekt, denn es ist Begriff, nicht unmittelbar gegeben: in Subjekt aber steckt einzelmenschliches BewuBtsein und damit Ontisches. DaB dies Seiende denken kann, geniigt nicht, es seiner Bestimmung als eines Seienden zu entkleiden, als ware es unmittelbar wesenhaft. Gerade nicht »an ihm selbst« ist es »onto-logisch«, denn diese Selbstheit postuliert jenes Ontische, das die Doktrin vom ontologischen Vorrang aus sich eliminiert. Zur Kritik steht aber nicht bloB, daB der ontologische Existenz-begriff das Nichtbegriffliche extirpiert, indem er es zu seinem Begriff erhoht, sondern ebenso der Stellenwert, den das unbe-griffliche Moment darin erobert. Nominalismus, eine der "Wurzeln der Existentialphilosophie des protestantischen Kierkegaard, ver-schaffte der Heideggerschen Ontologie die Attraktionskraft des nicht Spekulativen. Wie im Existenzbegriff das Existierende falsch verbegrifflicht wird, so wird komplementar dem Existierenden

Nominalistisdier Aspekt

ein Vorrang vor dem Begriff zugesprochen, von dem dann wieder der ontologische Existenzbegriff profitiert. 1st das Individuum gesellschaftlich vermittelter Schein, so auch dessen erkenntnis-theoretische Reflexionsform. Warum das individuelle BewuBtsein des je Redenden, der bereits in der Partikel >mein< eine sprach-liche Allgemeinheit voraussetzt, die er durch den Primat seiner Besonderung verleugnet, irgendeinem anderen vorgangig sein soil, ist unerfindlich; das Zufallige, das ihn daran bindet, mit seinem. BewuBtsein anzuheben, in das er nun einmal eingewach-sen ist, wird ihm zum Grund von Notwendigkeit. Dabei ist, wie Hegel friih erkannte, in der Limitation auf das >mein< a priori die Beziehung auf jenes andere impliziert, das dadurch ausge-schlossen werden soil. Gesellschaft ist vor dem Subjekt. DaB es sich verkennt als vor der Gesellschaft Seiendes, ist seine notwen-dige Tauschung und sagt bloB Negatives uber die Gesellschaft. In dem >mein< hat sich das Eigentumsverhaltnis sprachlich ver-ewigt, ist fast zur logischen Form geworden. Das reine x<58e si ist ohne das Moment des Allgemeinen, auf welches das Mein deutet, indem es davon sich unterscheidet, so abstrakt wie das Allge-meine, das vom isolierten x&hz xi leer und nichtig gescholtenwird. Der philosophische Personalismus Kierkegaards, etwa auch sein Buberscher AufguB, witterte im Nominalismus die latente Chance von Metaphysik; konsequente Aufklarung jedoch schlagt zuriick in Mythologie an der Stelle, wo sie den Nominalismus verabso-lutiert, anstatt auch seine These dialektisch zu durchdringen; dort, -wo sie im Glauben an ein letzthin Gegebenes die Reflexion abbricht. Solcher Abbruch der Reflexion, der Positivistenstolz auf die eigene Naivetat, ist nichts anderes als die zum sturen Begriff gewordene, besinnungslose Selbsterhaltung. Den Begriff des Existentiellen, dem Heidegger das bereits onto-logisierte Existential Dasein qua Sein vorzieht, beherrscht die Vorstellung, es sei das MaB der Wahrheit nicht deren wie immer geartete Objektivitat sondern das pure so Sein und so sich Ver-halten dessen, der denkt. Die subjektive Vernunft der Positivisten wird v-eredelt, indem man sie ihres Vernunftmoments entkleidet. Jaspers folgt darin umstandslos Kierkegaard; Heideggers Objek-tivismus unterschriebe zwar schwerlich den Satz, die Subjektivitat sei die Wahrheit; in der Analyse der Existentialien aus >Sein und

Existenz autoritar

Zeit< indessen klingt er durch. Zu seiner deutschen Beliebtheit tragt bei, daB der radikale Gestus und der geweihte Ton mit einer auf die Person gemunzten Ideologie des Kernigen und Echten sich zusammenfinden, Qualitaten, die Individuen im Geist des Privilegs mit schlauer Tumbheit sich selbst vorbehalten. Lost Subjektivitat, durch ihr von Kant als funktional bezeichnetes "Wesen, die festen vorgeordneten Substanzen auf, so beschwichtigt ihre ontologische Affirmation die Angst davor. Subjektivitat, der Funktionsbegriff *kt' s^o^v, wird zum absolut Festen, wie es iibrigens schon in Kants Lehre von der transzendentalen Einheit angelegt war. Aber Wahrheit, die Konstellation von Subjekt und Objekt, in der beide sich durchdringen, ist so wenig auf Subjektivitat zu reduzieren, wie umgekehrt auf jenes Sein, dessen dia-lektisches Verhaltnis zur Subjektivitat Heidegger zu verwischen trachtet. Was wahr ist am Subjekt, entfaltet sich in der Beziehung auf das, was es nicht selber ist, keineswegs durch auftrumpfende Affirmation seines Soseins. Hegel hat das gewuBt, den Schulen der Repristination ist es lastig. Ware Wahrheit tatsachlich die Subjektivitat, ware der Gedanke nichts als Wiederholung des Subjekts, so ware er nichtig. Die existentielle Erhohung des Sub-jekts eliminiert diesem zuliebe, was ihm aufgehen konnte. Damit uberantwortet sie sich dem Relativismus, uber den sie erhaben sich diinkt, und bringt das Subjekt herunter auf seine undurch-sichtige Zufalligkeit. Solcher irrationale Existentialismus wirft sich in die Brust und hetzt gegen die Intellektuellen, indem er als Auch Einer sich bekennt: »Der Philosoph aber wagt das Ge-rede, in dem es keine objektive Unterscheidung zwischen echtem Sprechen aus philosophierendem Ursprung und leerer Intellek-tualitat gibt. Wahrend der Mensch als Forscher fiir seine Ergeb-nisse jeweils allgemeingultige Kriterien und in der Unausweich-lichkeit ihrer Geltung seine Befriedigung hat, hat er als Philosoph zur Unterscheidung des leeren vom existenzerweckenden Sprechen nur das jeweils subjektive Kriterium seines eigenen Seins. Daher ist ein in der Wurzel anderes Ethos des theoretischen Tuns in den Wissenschaften und in der Philosophies 21 Bar des ihr Anderen, zu dem sie sich entauBert, verschafft Existenz, die derart sich als Kriterium des Gedankens proklamiert, autoritar ihren bloBen Dekreten Geltung wie in der politischen Praxis der Diktator

»Geschichtlichkeit«

jeweils der Weltanschauung. Durch die Reduktion des Gedankens auf die Denkenden wird dessen Fortgang stillgestellt, in dem er erst zum Gedanken wurde und in dem Subjektivitat allein lebte. Sie wird, als festgestampfter Boden der Wahrheit, verdinglicht. Dem Klang des altmodischen Wortes Personlichkeit war all das schon anzuhoren. Denken macht sich zu dem, was der Denkende vorweg schon ist, zur Tautologie, einer Form regressiven BewuBt-seins. Statt dessen ware das utopische Potential des Gedankens, da6 er, vermittelt durch die in den einzelnen Subjekten verkor-perte Vernunft, die Beschranktheit der so Denkenden durch-brache. Es ist seine beste Kraft, den schwachen und fehlbaren Denkenden zu uberflugeln. Sie wird — seit Kierkegaard zu ob-skurantistischen Zwecken - vom existentiellen Wahrheitsbegriff gelahmt, Borniertheit als Kraft zur Wahrheit propagiert; darum bluht der Kultus der Existenz in der Provinz aller Lander. Langst hat die Ontologie die Opposition des Existenzbegriffs gegen den Idealismus kassiert. Das Seiende, das einmal gegen die Weihe der von Menschen gemachten Idee zeugen sollte, ist mit der weit ambitioseren Weihe von Sein selber versehen worden. Ihr Ather adelt es vorweg gegeniiber den Bedingungen der mate-riellen Existenz, die der Kierkegaard des >Augenblicks< meinte, als er die Idee mit der Existenz konfrontierte. Durch die Absorption des Existenzbegriffs im Sein, ja bereits durch dessen philo-sophische Aufbereitung zum diskussionsfahigen Allgemeinbegriff wird die Geschichte wiederum eskamotiert, die bei Kierkegaard, der uber die Linkshegelianer nicht gering dachte, unter dem theo-logischen Signum der paradoxalen Beriihrung von Zeit und Ewig-keit in die Spekulation eingebrochen war. Die Ambivalenz der Seinslehre: von Seiendem zugleich zu handeln, und es zu onto-logisieren, also es durch Rekurs auf seine characteristica for-malis all seines Unbegrifflichen zu enteignen, bestimmt auch ihr Verhaltnis zur Geschichte*. Auf der einen Seite wird durch deren Transposition ins Existential der Geschichtlichkeit das

* »Nur Seiendes, das wesenhaft in seinem Sein zukiinftig ist, so daC es frei fur seinen Tod an ihm zerschellend auf sein faktisches Da sich zuruckwerfen lassen kann, das heiBt nur Seiendes, das als zukunftiges gleichurspriinglich gewesen ist, kann, sich selbst die ererbte Moglichkeit iiberliefernd, die eigene Geworfenheit iibernehmen und augenblicklich sein fur >seine Zeit<. Nur eigentliche Zeitlichkeit, die zugleich endlich ist, macht so etwas wie Schicksal,

»Geschichtlichkeit«

Salz des Geschichtlichen entfernt, der Anspruch aller prima philosophia auf eine Invariantenlehre ausgedehnt iiber das, was variiert: Geschichtlichkeit stellt Geschichte sdll ins Ungeschicht-liche, unbekummert um die geschichtlichen Bedingungen, denen innere Zusammensetzung und Konstellation von Subjekt und Objekt unterliegen*. Das erlaubt dann das Verdikt iiber die Soziologie. Sie verzerrt sich, wie zuvor die Psychologie bei Hus-serl, zur der Sache selbst auBerlichen Reladvierung, welche die gediegene Arbeit des Denkens schadige: als ob nicht reale Geschichte im Kern alles dessen aufgespeichert ware, was zu erken-nen ist; als ob nicht jede Erkenntnis, welche im Ernst der Ver-dinglichung widersteht, die erstarrten Dinge in FluB brachte, eben dadurch in ihnen der Geschichte gewahr wurde. Anderer-seits wieder gestattet es die Ontologisierung der Geschichte, der unbesehenen geschichtlichen Macht Seinsmachtigkeit zuzuspre-chen und damit die Unterordnung unter historische Situationen zu rechtfertigen, als werde sie vom Sein selbst geboten. Diesen Aspekt der Heideggerschen Ansicht von der Geschichte hat Karl Lowith hervorgehoben **. DaB Geschichte je nachdem ignoriert oder vergottet werden kann, ist eine praktikable politische Folge-

das heiBt eigentliche Geschichtlichkeit moglich.« (Heidegger, Sein und Zeit, a.a.O., S. 385.)

* An ihrer Sprachgestalt ist die Fundamentalontologie eines geschichtlichen und gesellschaftlichen Moments zu uberfuhren, das nicht seinerseits -wiederum auf die reine essentia von Geschichtlichkeit zu bringen ware. Die sprachkriti-schen Befunde im >Jargon der EigentlichkeiK sind datum solche wider den philosophischen Gehalt. Die Beliebigkeit, welche Heidegger im Begriff des Entwurfs mitschleppt, unmittelbare Erbschaft der Phanomenologie seit ihrem Obergang zu einer materialen Disziplin, wird flagrant in den Ergebnissen: die spezifischen Bestimmungen von Dasein und Existenz bei Heidegger, das, was er der condition humaine zurechnet und als Schliissel einer wahren Seins-lehre betrachtet, sind nicht stringent, wie er es unterstellt, sondern deformiert von zufallig Privatem. Der falsche Ton iibertaubt das, und gesteht es gerade dadurch ein.

** »Die Anfuhrungszeichen, in die Heidegger in dem obigen Zitat >seine Zeit< setzt, sollen vermutlich darauf hinweisen, daB es sich dabei nicht um einen beliebigen >Einsatz< fur ein sich momentan aufdrangendes zeitgenossisches Heute handelt, sondern um die entscheidende Zeit eines echten Augenblicks, dessen Entscheidungscharakter sich aus dem Unterschied von vulgarer und existenzialer Zeit und Geschichte ergibt. Aber wie vermag man im gegebenen Fall eindeutig zu unterscheiden, ob die Zeit der Entscheidung ein >ursprung-licher< Augenblick ist oder nur ein aufdringliches >Heute< im Lauf und Ver-lauf eines Weltgeschehens? Die Entschlossenheit, die nicht weiB, wozu sie ent-

»Geschichtlichkeit«

rung aus der Seinsphilosophie. Zeit selber, und damit Vergangnis, wird von den existentialontologischen Entwurfen als ewig ebenso verabsolutiert wie verklart. Der Begriff der Existenz, als der Wesenhaftigkeit von Vergangnis, der Zeitlichkeit des Zeitlichen, halt Existenz fern durch ihre Nennung. Wird sie einmal als phanomenologischer Problemtitel abgehandelt, so ist sie schon integriert. Das sind die jiingsten Trostungen der Philosophic, vom Schlag des mythischen Euphemismus; falsch auferstandener Glaube, der Bann des Naturlichen ware dadurch gebrochen, daB man ihn beschwichtigend nachmacht. Das existentiale Denken verkriecht sich in die Hohle der vorvergangenen Mimesis. Dabei willfahrt es gleichwohl dem verhangnisvollsten Vorurteil aus der von ihm wie uberflussige Angestellte abgebauten Philosophie-geschichte, dem Platonischen, das Unvergangliche miisse das Gute sein, womit nicht mehr gesagt ist, als daB die jeweils Starkeren im permanenten Krieg recht hatten. Pflegte indessen Piatons Pad-agogik die kriegerischen Tugenden, so hatten diese doch, dem Gorgias-Dialog zufolge, vor der Idee der Gerechtigkeit, der hoch-sten, sich zu verantworten. Am verfinsterten Himmel der Exi-stenzlehre aber leuchtet kein Gestirn mehr. Existenz wird ge-weiht ohne das Weihende. Von der ewigen Idee, an der das Sei-ende teilhaben oder durch die es bedingt sein sollte, ist nichts ubrig als die nackte Affirmation dessen, was ohnehin ist: Beja-hung der Macht.

schlossen ist, gibt darauf keine Antwort. Es ist schon mehr als einmal gesche-hen, daB sehr Entschlossene sich fiir eine Sache einsetzten, die den Anspruch erhob, schicksalhaft und entscheidend zu sein, und die doch vulgar und des Opfers nicht wiirdig war. "Wie soil man iiberhaupt innerhalb eines durchaus geschichtlichen Dehkens die Grenze Ziehen konnen zwischen dem eigentlichem Geschehen und dem, was >vulgar< geschieht, und eindeutig unterscheiden konnen zwischen dem selbstgewahlten Schicksal und den nicht gewahlten Ge-schicken, die iiber den Menschen hereinbrechen oder ihn zu einer momentanen Wahl und Entscheidung verfuhren? Und hat sich nicht die vulgare Geschichte an Heideggers Verachtung filr das bloB heute Vorhandene deutlich genug geracht, als sie ihn in einem vulgar entscheidenden Augenblick dazu verfuhrte, unter Hitler die Fuhrung der Freiburger Universitat zu ubernehmen und das entschlossene eigenste Dasein in ein >deutsches Dasein< uberzufuhren, um die ontologische Theorie der existenzialen Geschichtlichkeit auf dem ontischen Boden des wirklich geschichtlichen, das heiBt politischen, Geschehens zu prak-tizieren?« (Karl Lowith, Heidegger, Denker in durftiger Zeit, Frankfurt am Main 1953, S. 49.)

Zweiter Teil

Negative Dialektik

Begriff und Kategorien

Kein Sein ohne Seiendes. Das Etwas als denknotwendiges Sub-strat des Begriffs, audi dessen vom Sein, ist die auBerste, doch durch keinen weiteren DenkprozeB abzuschaffende Abstraktion des mit Denken nicht identischen Sachhaitigen; ohne das Etwas kann formale Logik nicht gedacht werden. Sie ist nicht zu reini-gen von ihrem metalogischen Rudiment*. DaB durch die Form des Uberhaupt der Gedanke jenes Sachhaltige abzuschiitteln ver-mochte: die Supposition absoluter Form, ist illusionar. Fur die Form Sachhaltiges uberhaupt ist konstitutiv die inhaltliche Er-fahrung von Sachhaltigem. Korrelativ laBt auch am subjektiven Gegenpol der reine Begriff, Funktion des Denkens, nicht radikal sich sondern von dem seienden Ich. Das -p-s-cov 4.e5Bo^ des Idea-lismus seit Fichte war, in der Bewegung der Abstraktion werde man dessen ledig, wovon abstrahiert ist. Ausgeschieden wird es vom Gedanken, verbannt aus dessen einheimischem Reich, nicht an sich vernichtet; der Glaube daran ist magisch. Denken wider-sprache schon seinem eigenen Begriff ohne Gedachtes und dies Gedachte deutet vorweg auf Seiendes, wie es vom absoluten Denken doch erst gesetzt werden soil: ein einfaches Coxspov -rcptfTspov. Der Logik der Widerspruchslosigkeit bliebe es anstoBig; allein Dialektik kann es in der Selbstkritik des Begriffs begreifen. Sie

* Hegel weigert sich, in der ersten Anmerkung zur ersten Trias der Logik, mit dem Etwas anstatt mit dem Sein zu beginnen (vgl. Hegel, WW 4, a. a. O., insbes. S. 89; auch S. 80). Er prajudiziert damit das gesamte Werk, das den Primat des Subjekts dartun will, in dessen Sinn, idealistisch. Schwerlich ver-liefe bei ihm die Dialektik anders, wenn er, wie es dem Aristotelischen Grund-zug des Werkes entsprache, vom abstrakten Etwas ausginge. Die Vorstellung eines solchen Etwas schlechthin mag mehr Toleranz gegenilber dem Nichtiden-tischen bezeugen als die vom Sein, ist aber kaum weniger vermittelt. Auch beim Begriff des Etwas ware nicht stehenzubleiben, seine Analysis muBte in der Richtung dessen, was er denkt, sich weiter bewegen: der aufs Nichtbe-grifftliche hin. Hegel indessen kann selbst die minimale Spur von Nicht-identitat im Ansatz der Logik nicht ertragen, an die das Wort >etwas< mahnt.

Unaufloslichkeit des Etwas

wird objektiv vom Gehalt des von der Vernunftkritik Erorterten, von Erkenntnistheorie veranlaBt und uberlebt darum den Unter-gang des Idealismus, der in ihr gipfelte. Der Gedanke fiihrt auf das Moment des Idealismus, das diesem kontrar ist; es laBt nicht wiederum in den Gedanken sich verfliichtigen. Die Kantische Konzeption erlaubte noch Dichotomien wie die von Form und Inhalt, Subjekt und Objekt, ohne daB die mutuelleVermitteltheit der Gegensatzpaare sie beirrte; ihr dialektisches Wesen, den Wi-derspruch als ihr Sinnesimplikat bemerkte sie nicht. Erst Hei-deggers Lehrer Husserl hat die Idee der Aprioritat so gescharft, daB gegen seinen Willen wie gegen den Heideggers am eigenen Anspruch der e ' &7 i deren Dialektik zu entnehmen war 1 . Ist Dia-

lektik aber einmal unabweisbar geworden, so kann sie nicht wie Ontologie und Transzendentalphilosophie bei ihrem Prinzip beharren, nicht als eine wie immer auch modifizierte, doch tra-gende Struktur festgehalten werden. Kritik an der Ontologie will auf keine andere Ontologie hinaus, auch auf keine des Nichtonto-logischen. Sie setzte sonst bloB ein Anderes als das schlechthin Erste; diesmal nicht die absolute Identitat, Sein, den Begriff, sondern das Nichtidentische, Seiende, die Faktizitat. Damit hy-postasierte sie den Begriff des Nichtbegrifflichen und handelte demzuwider, was er meint. Grundphilosophie, xpoj-nrj filoaoyia. fiihrt notwendig den Primat des Begriffs mit sich; was ihm sich verweigert, verlaBt auch die Form eines vorgeblich aus dem Grunde Philosophierens. Im Gedanken an die transzendentale Apperzeption, oder noch ans Sein, konnte Philosophie sich stillen, solange jene Begriffe ihr identisch waren mit dem Denken, das sie denkt. Wird solche Identitat prinzipiell gekiindigt, so reiBt sie die Ruhe des Begriffs als eines Letzten in ihren Sturz hinein. Weil der Fundamentalcharakter jeglichen Allgemeinbegriffs vor dem bestimmten Seienden zergeht, darf Philosophie auf Totalitat nicht mehr hoffen.

In der Kritik der reinen Vernunft okkupiert die Empfindung als das Etwas die Stelle des unausloschlich Ontischen. Empfindung jedoch hat keinerlei Vorrang der Erkenntnisdignitat vor irgend-einem anderen realen Seienden. Ihr einer transzendentalen Analyse zufalliges und an ontische Bedingungen gekniipftes »mein« wird von der in ihrer Reflexionshierarchie befangenen Erfahrung, die

Notigung zum Sachhaitigen

sich selbst das Nachste ist, als Rechtsanspruch verkannt; wie wenn das fur irgendein einzelmenschliches BewuBtsein vermeint-lich Letzte ein an sich Letztes ware, nicht jedes andere einzel-menschliche, auf sich beschrankte BewuBtsein fur seine Empfin-dungen denselben Vorzug reklamieren diirfte. Soil indessen die Form, das transzendentale Subjekt, um zu funktionieren, also gultig zu urteilen, streng der Empfindung bediirfen, so ware es, quasi ontologisch, nicht nur an der reinen Apperzeption sondern ebenso an deren Gegenpol, an seiner Materie, befestigt. Das muBte die gesamte Lehre von der subjektiven Konstitution zer-riitten, auf welche ja, Kant zufolge, die Materie nicht zuriick-fuhrbar ist. Damit brache aber auch die Idee eines Unverander-lichen, sich selbst Gleichen zusammen. Sie leitet von der Herr-schaft des Begriffs sich her, der konstant sein wollte gegeniiber seinen Inhalten, eben der >Materie<, und darum gegen diese sich abblendete. Empfindungen, die Kantische Materie, ohne welche die Formen nicht einmal vorzustellen waren, die also auch ihrer-seits Bedingungen der Moglichkeit von Erkenntnis sind, haben den Charakter des Verganglichen. Das Nichtbegriffliche, dem Begriff unabdingbar, desavouiert dessen Ansichsein und veran-dert ihn. Der Begriff des Nichtbegrifflichen kann nicht bei sich, der Erkenntnistheorie verweilen; zur Sachhaitigkeit der Philosophic notigt diese. Wann immer sie ihrer machtig war, nahm sie mit geschichtlich Seiendem als ihrem Gegenstand es auf, nicht erst bei Schelling und Hegel, sondern contre cceur schon bei Piaton, der das Seiende das Nichtseiende taufte und doch eine Lehre vom Staat schrieb, in der die ewigen Ideen mit empirischen Bestim-mungen wie Aquivalententausch und Arbeitsteilung verschwi-stert sind. Heute hat sich akademisch der Unterschied eingeschlif-fen zwischen einer regularen, ordentlichen Philosophic, die es mit den obersten Begriffen zu tun habe, mogen sie auch ihre Begrifflichkeit verleugnen, und einer bloB genetischen, auBer-philosophischen Beziehung auf Gesellschaft, deren anriichige Pro-totypen Wissenssoziologie und Ideologiekritik seien. Der Unterschied ist so untriftig wie das Bediirfnis nach regularer Philosophic seinerseits verdachtig. Nicht bloB kehrt eine, die verspatet um ihre Reinheit bangt, von allem sich ab, woran sie einmal ihre Substanz hatte. Sondern die philosophische Analyse trifft imma-

»Guckkastenmetaphysik«

nent, im Inneren der vermeintlich reinen Begriffe und ihres Wahr-heitsgehalts, auf jenes Ontische, vor dem es dem Reinheitsan-spruch schaudert und das er, hochmutig zittemd, an die Einzel-wissenschaften zediert. Das kleinste ontische Residuum in den Begriffen, an denen die regulare Philosophic vergebens herum-reibt, notigt sie, das Daseiende selber reflektierend einzubeziehen, anstatt mit dessen bloBem Begriff vorlieb zu nehmen und dort sich geborgen zu wahnen vor dem, was er meint. Philosophisches Denken hat weder Reste nach Abstrich von Raum und Zeit zum Gehalt, noch generelle Befunde iiber Raumzeitliches. Es kristal-lisiert sich im Besonderen, in Raum und Zeit Bestimmtem. Der Begriff von Seiendem schlechthin ist nur der Schatten des falschen von Sein.

Wo ein absolut Erstes gelehrt wird, ist allemal, als von seinem sinngemaBen Korrelat, von einem Unebenburtigen, ihm absolut Heterogenen die Rede; prima philosophia und Dualismus gehen zusammen. Um dem zu entrinnen, muB die Fundamentalonto-logie ihr Erstes von Bestimmung fernzuhalten trachten. Dem Ersten Kants, der synthetischen Einheit der Apperzeption, erging es nicht besser. Ihm ist jegliche Bestimmung des Gegenstandes eine Investition der Subjektivitat in die qualitatslose Mannig-faltigkeit, ohne Rucksicht darauf, da6 die bestimmenden Akte, die ihm fur spontane Leistungen der transzendentalen Logik gel-ten, auch einem Moment sich anbilden, das sie nicht selbst sind; daB sich synthesieren nur laBt, was es auch von sich aus gestattet und verlangt. Die aktivische Bestimmung ist kein rein Subjektives, und darum der Triumph des souveranen Subjekts hohl, das da der Natur die Gesetze vorschreibe. Weil aber in Wahrheit Subjekt und Objekt nicht, wie im Kantischen GrundriB, fest sich gegen-uberstehen, sondern reziprok sich durchdringen, affiziert die Degradation der Sache zu einem chaotisch Abstrakten durch Kant auch die Kraft, die es formen soil. Der Bann, den das Subjekt aus-ubt, wird ebenso zu einem iiber das Subjekt; beide verfolgt die Hegelsche Furie des Verschwindens. In der kategorialen Leistung verausgabtes sich und verarmt; um, was ihm gegeniiber ist, bestim-men, artikulieren zu konnen, so daB es zum Kantischen Gegen-stand werde, muB es der objektiven Gultigkeit jener Bestimmun-gen zuliebe, sich zur bloBen Allgemeinheit verdiinnen, nicht