Umgang mit dem Freunde

Man muss wissen, dass Freundschaft und Verbindung mit Gott in diesem Erdenleben möglich sind. Ich meine hier jene Verbindung, die Menschen suchen, die sich um Gebet und Andacht bemühen. Sie ist realer als alle Dinge dieser Welt und so beglückend, dass nichts ihrem Wert gleichkommt.

(Francisco de Osuna, S. 83 f.)

Lebendiges Wasser

Ich möchte ein Gleichnis benutzen, wenn ich auch nicht mehr weiß, woher ich es habe. Wer mit dem geistlichen Leben beginnt, ist wie jemand, der einen Garten anlegen will, damit sich der Herr darin gern ergehe. Sein Grundstück ist wild und voller Unkraut. Seine Majestät selbst rodet es und setzt schöne Pflanzen ein. Dann aber müssen wir uns bemühen, mit der Hilfe Gottes selbst gute Gärtner zu werden, und die Pflanzen regelmäßig begießen, damit sie nicht vertrocknen, sondern wachsen, blühen und herrlich duften, damit sich unser Herr daran erfreue. So wird er denn oft in diesen Garten kommen und sich zwischen den Blumen der Tugend ergehen.

Überlegen wir nun, wie wir den Garten bewässern können. Ich meine, da gibt es vier Arten: Erstens kann man das Wasser in einem Gefäß selbst aus dem Brunnen emporziehen, was eine große Mühe ist. Zweitens kann man sich eines Schöpfrades bedienen, wie ich es manchmal tat; das ist schon weniger anstrengend, und man hat mehr Wasser. Drittens kann man es aus einem Fluss oder Bach ableiten; das ist sehr viel wirkungsvoller, denn die Erde wird besser durchtränkt, und man muss nicht zu häufig bewässern, sodass dem Gärtner viel Arbeit abgenommen ist. Viertens, wir müssen überhaupt nichts mehr tun, weil der Herr es kräftig regnen lässt; und das ist unvergleichlich viel besser als alles zuvor Genannte. (V 11, 6–7)

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Wenn ich innere Vorgänge erklären will, so erscheint mir hierfür kein Bild so geeignet wie das des Wassers. Ungebildet und wenig begabt, wie ich bin, bin ich eine große Freundin dieses Elements, das mir unter den Dingen der Natur am meisten bedeutet. Unser großer und weiser Gott hat ja in alle Dinge, die er schuf, tiefe Geheimnisse gelegt, aus deren Erkenntnis wir lernen können. Allerdings glaube ich, dass letztlich jedes von Gott geschaffene Ding unsere Erkenntnis übersteigt, und handele es sich auch nur um eine kleine Ameise. (4 M 2, 2)

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Sie [die Seele] ist ein Baum des Lebens, gepflanzt in die lebendigen Wasser, das heißt in Gott. So wie aus einer reinen Quelle auch klare Bäche hervorgehen, so ist es mit den Werken einer Seele im Gnadenstand. Sie sind angenehm in den Augen Gottes und der Menschen, denn sie entspringen dieser Lebensquelle, in die der Baum der Seele gepflanzt ist und der er seine Frische und seine Früchte verdankt. (1 M 2, 1–2)

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Ich denke hier an den Vers: »dilatasti cor meum« [Du hast mir das Herz weit gemacht. Ps 118,32], der zeigt, wie sich die Seele erweitert: Das göttliche Wasser der Quelle, von der ich sprach, steigt auf aus den Tiefen und füllt erweiternd unser Inneres mit unbeschreiblichen Gaben, die größer sind als das Fassungsvermögen unserer Seele. Sie nimmt einen Duft wahr, als würden auf dem inneren Kohlenbecken Räucheressenzen verbrannt. Sie sieht keine Flamme, kennt keine Ursache, aber Wärme und Wohlgeruch durchdringen die ganze Seele, und meist hat auch der Körper daran teil. (4 M 2, 6)

Man kann sich mit Dir
über alles unterhalten

Meine Liebe und mein Vertrauen zum Herrn begannen sehr zu wachsen, als er sich mir zu erkennen gab als jemand, der jederzeit zu sprechen ist. Ich sah, dass Gott auch wahrhaft Mensch ist und sich über unsere Schwächen nicht entsetzt, sondern unsere elende, der Erbsünde unterworfene Verfassung von innen her versteht. Darum war er ja zu unserer Erlösung in die Welt gekommen. Man kann mit ihm umgehen wie mit einem Freunde, wie sehr er auch der Herr bleibt. Aber ich habe verstanden, dass er nicht ist wie die Herren dieser Welt, die ihr Ansehen auf erborgten Schein gründen. Und die nur zur Zeit ihrer Audienz angesehene Persönlichkeiten empfangen, sodass irgendein gewöhnliches und armes Menschlein die größten Mühen und Anstrengungen vollbringen muss, wenn es mit seinem Anliegen zu einem solchen Herrn vordringen will.

O Du mein Herr und Gott! Wir stehen ja schon fassungslos vor Deiner majestätischen Herrlichkeit, aber noch viel fassungsloser macht uns Deine Demut, mein Herr, und die Liebe, mit der Du jemandem wie mir begegnest. Man kann sich mit Dir einfach über alles unterhalten. (V 37, 6)

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O Herr des Himmels und der Erde, wie ist es möglich, dass wir noch in diesem irdischen Leben Deine ganz persönliche Freundschaft erfahren! (MC 3, 10)

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Wie man Gott aufnimmt, so gibt er und gibt sich selbst. Wer ihn liebt, den liebt er wieder, und welch ein lieber und guter Freund ist er! (V 22, 17)

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Ich konnte mir Christus immer nur in seiner Menschheit vorstellen, aber nicht als Gestalt, soviel ich auch darüber las oder Bilder betrachtete. Ich war wie einer, der blind oder im Finstern ist und der mit jemandem zwar spricht und seiner Gegenwart gewiss ist, ihn jedoch nicht sieht. So ging es mir, wenn ich an unseren Herrn dachte. (V 9, 6)

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Es geschah mir einige Male, wenn es auch nur von kurzer Dauer war, dass ich dieses Bewusstsein der Anwesenheit Christi hatte. Auch beim Lesen überkam mich plötzlich das Gefühl der Gegenwart Gottes so stark, dass ich nicht zweifeln konnte, dass er in mir war und ich ganz versenkt in ihn.

Das war aber keine Vision. Ich glaube, man nennt es »mystische Theologie«. Es ist, als würde dabei die Seele über sich hinausgetragen. Das Gedächtnis scheint gar nicht mehr vorhanden, der Verstand stellt das Denken ein, bleibt aber, wie mir scheint, vorhanden. Ich meine, er wirkt nicht, sondern steht staunend vor dem Übermaß dessen, was ihm zu verstehen gegeben wird. Gott will, dass er verstehe, wie unverstehbar das ist, was seine Majestät ihm vorstellt. (V 10, 1)

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O Leben, Leben! Wie kannst du weiterleben so fern von deinem Leben? In solcher Einsamkeit, wie erkennst du deine Aufgabe? Was kannst du tun, wenn alle deine Werke doch nur unvollkommen und fehlerhaft sind? Was tröstet dich, du meine Seele, auf diesem stürmischen Meer?

Ich klage über mich selbst und am meisten klage ich über die Zeit, da ich mich selbst nicht beklagte! O Herr, gar lieblich sind Deine Wege, wer aber kann furchtlos auf ihnen wandeln? Ich fürchte, Dir nicht wahrhaft zu dienen, und diene ich Dir, so ist mir nichts genug, um Dir nur ein wenig von dem zurückzugeben, was ich Dir schulde.

Ich möchte ja alles tun, was ich vermag, aber die Betrachtung meiner Armseligkeit lässt mich erkennen, dass ich nichts Gutes tun kann, es sei denn, Du gibst es mir. Wie soll ich mich verhalten, dass ich nicht störend zwischen Dich und Deine großen Gnaden trete? (E 1)

Inneres Gebet

Über das innere Gebet haben schon viele gute und heilige Männer geschrieben. Ich will mich darum auf die Darlegung meiner eigenen Erfahrung beschränken. Vor allem darf jemand, der es begonnen hat, es nie wieder aufgeben, auch nicht, wenn er in Sünde fiel. Denn es ist das Heilmittel, das ihn wieder aufrichtet, was sonst sehr schwierig sein könnte. Man möge hier Gottes Wort vertrauen und glauben, dass, wenn wir wahre Reue zeigen und entschlossen sind, ihn nicht mehr zu beleidigen, er uns wieder in die alte Freundschaft aufnimmt.

Wer mit der Übung des inneren Gebets noch nicht begonnen hat, den bitte ich bei der Liebe Gottes, sich ein solches Gut doch nicht entgehen zu lassen. Es gibt hier nichts zu fürchten, aber alles zu hoffen. Wer darin beharrlich ist, der wird die Barmherzigkeit Gottes erfahren, der jede Freundschaft erwidert. Denn das innere Gebet ist, so meine ich, nichts anderes als Umgang und vertraute Zwiesprache mit dem Freunde, von dem wir wissen, dass er uns liebt. (V 8, 5)

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Ich betete in folgender Weise: Da es mir schwer wurde, verstandesmäßig nachzusinnen, bemühte ich mich, mir Christus innerlich vorzustellen, was mir am leichtesten fiel, wenn ich an die Augenblicke seines Lebens dachte, in denen er einsam war. Es kam mir dann vor, als ob er, so allein und betrübt, jemanden brauche, sodass er mich akzeptieren würde. Ja, so einfältig war ich oft. Zum Beispiel stellte ich mir gern das Gebet im Garten von Getsemani vor. Dort war ich bei ihm und blieb so lange, wie es meine umherschweifenden Gedanken gestatteten. Leider hatte ich davon recht viele, was mich quälte.

Bei dieser Art des Betens kann die Seele viel verlieren, weil die Gedanken sich zerstreuen, oder viel gewinnen, weil die Liebe wächst. Aber es ist nicht leicht, dahin zu gelangen. Man kann sich oft besser sammeln mithilfe eines Buches. Mir persönlich half es auch, wenn ich die Felder, das Wasser, die Blumen betrachtete. Alles dieses erinnerte mich an den Schöpfer, und so konnte ich mich sammeln wie bei der Lektüre eines Buches und dabei auch meiner Undankbarkeit und meiner Sünden gedenken. Transzendente und erhabene Dinge aber vermochte ich mir niemals vorzustellen, dazu war mein Verstand zu ungeschickt; und ich hätte niemals etwas davon erfahren, wenn der Herr mir diese Dinge nicht gezeigt hätte. (V 9, 4–5)

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Um nun diesen Weg zu beginnen, den man, wie ich schon sagte, auch verfehlen kann, wollen wir überlegen, wie man die Reise anzutreten hat, denn das ist die Hauptsache, ja, alles hängt davon ab. Auch der noch Unschlüssige möge diesen Weg beginnen, Gott wird ihm dann das Fehlende ergänzen. Schon wenige Schritte geben Licht und Kraft, ihn für andere zu gehen. Wollt ihr gute Verwandte sein, so ist dies der wahre Liebesdienst; gute Freundinnen, so könnt ihr es nur auf diesem Wege werden. Die Wahrheit dringe in eure Herzen wie in eure Betrachtung, und ihr werdet klar die Liebe erkennen, die wir dem Nächsten schulden. (CV 20, 3–4)

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Wisst, Töchter, dass sich das innere Gebet nicht dadurch vom mündlichen unterscheidet, dass ihr den Mund schließt. Wenn ich mündlich bete und mir dabei voll bewusst bin, dass ich mit Gott spreche und darauf mehr meine Aufmerksamkeit richte als auf die Worte selbst, so ist das zugleich mündliches und inneres Gebet. Allerdings darf man euch nicht weismachen, dass ihr mit Gott sprecht, wenn ihr beim Vaterunser an die Welt denkt. Hierüber will ich lieber schweigen! Wenn ihr wirklich betet und mit einem so großen Herrn sprecht, müsst ihr wohl bedenken, wer der ist, zu dem ihr redet, und wer ihr selber seid. damit ihr euch zumindest als wohlerzogene Geschöpfe zeigt. Denn wie könnt ihr zu einem König ›Hoheit‹ sagen und die Formen beachten, die man im Umgang mit einem Großen beherrschen muss, wenn ihr nicht genau wisst, welchem Stande er im Gegensatz zu euch angehört? Denn dem müssen ja die Umgangsformen entsprechen, die ihr zu kennen habt. Sonst wird man euch als Einfältige fortschicken und ihr erreicht gar nichts. Aber was für Vergleiche bringe ich hier, mein Herr und mein Herrscher! Sind solche Bilder denn passend? Dein Königreich, mein Gott, ist nicht nur verliehen: Herrscher bist Du in alle Ewigkeit.

Ich höre es immer so gern, wenn man im Credo sagt: »Seines Reiches wird kein Ende sein.« Ich will Dich rühmen und preisen, mein Herr, in Ewigkeit! Und einstimmen sollen alle Geschöpfe! Aber niemals, Herr, nie mögest Du zulassen, dass man nur mit dem Munde Dein Loblied singe und das Wort an Dich richte. Was fällt euch ein, ihr Christen? Wie möchte ich meine Stimme erheben und, wie ich nun einmal bin, mit jenen streiten, die das innere Gebet für überflüssig erklären! Freilich verstehe ich, dass ihr gar nichts versteht, da ihr weder wisst, was inneres noch mündliches noch kontemplatives Gebet ist. Denn wüsstest ihr’s, so könntet ihr nicht auf der einen Seite verdammen, was ihr auf der anderen lobt.

Ich denke mir das innere und das mündliche Gebet immer zusammen, das sage ich zu eurer Beruhigung, meine Töchter. Ich hatte ja selbst damit allerlei Mühe und Plagen und weiß, wie diese Dinge laufen. Darum bin ich besorgt, dass euch jemand beunruhigen könnte, weil Ängstlichkeit auf diesem Wege schadet. Es ist wichtig, dass ihr euch auskennt, denn einen verirrten Wanderer, der nach dem Weg fragt, schickt man von einem Ende zum anderen. Er geht und sucht und wird müde, verliert Zeit und kommt verspätet an. Wer kann behaupten, es sei schlecht, wenn wir zu Beginn des Stundengebetes oder des Rosenkranzes uns vergegenwärtigen, mit wem wir sprechen wollen, und wer es ist, der zu uns spricht, auf dass wir wissen, wie wir uns ihm gegenüber zu verhalten haben? Ich möchte euch sagen, Schwestern: wenn man nach dem Verständnis dieser beiden Punkte richtig handelte, so würdet ihr vor dem Beginn des mündlichen Gebetes eine ganze Weile im inneren Gebet verharren. (CE 37, 1–2, CV 22, 1–3)

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Bedenkt also, wenn ihr vor den Herrn tretet, wer der ist, zu dem ihr sprechen wollt oder zu dem ihr sprecht. Tausend Leben würden nicht ausreichen, dass wir begreifen, welche Ehrbezeugungen dieser Herr verdient, vor dem die Engel zittern. Über alles gebietet er, alles vermag er, sein Wollen ist schon Vollbringen. Auf ihn allein muss all meine Aufmerksamkeit gerichtet sein.

Das ist das innere Gebet, meine Töchter. Versteht es doch bitte. Wenn ihr euch darum auch beim mündlichen Gebet bemüht, kann ich euch nur beglückwünschen. Nur sprecht nicht mit Gott und denkt dabei an andere Dinge, denn das hieße, nichts verstanden zu haben. Ich glaube, nun habe ich das Notwendige über das innere Gebet gesagt. Wolle Gott, dass wir danach handeln, Amen. (CV 22, 7)

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Ich fürchte freilich, das Gebet wird nicht gelingen, wenn wir nicht ständig an unserer inneren Vervollkommnung arbeiten. Sonst wird der König der Herrlichkeit nicht in unsere Seele kommen. O Herr, kommt uns doch aller Schaden daher, dass wir die Augen nicht auf Dich gerichtet halten. Würden wir auf nichts anderes achten als auf den Weg zu Dir, so kämen wir bald ans Ziel. Stattdessen fallen und stolpern wir tausendmal und verirren uns, weil unsere Augen nicht auf den Weg gerichtet sind. Er kann uns so unbekannt erscheinen, als hätten wir ihn nie betreten. Das ist gewiss bedauerlich, aber es kommt vor.

Zugleich können und wollen wir schon den kleinsten Tadel nicht ertragen. Wir sagen dann, wir seien keine Heiligen. Gott bewahre uns, meine Schwestern, dass wir immer gleich, wenn wir uns unvollkommen finden, sagen: »Wir sind keine Engel, wir sind keine Heiligen.« Bedenkt, dass – wenn wir es auch nicht sind – wir uns doch darum bemühen sollten. Wenn wir uns anstrengen, reicht uns Gott die Hand. Ihr müsst nicht fürchten, er werde euch im Stich lassen. Und da wir um der Heiligkeit willen hier sind, Hand ans Werk!, wie man so sagt. Es darf keinen Wunsch des Herrn geben, den wir nicht mit seiner Hilfe zu erfüllen suchen. Diesen Anspruch stelle ich in diesem Hause, und die Demut wird dabei wachsen: Eine heilige Kühnheit müssen wir haben, denn Gott hilft den Mutigen ohne Ansehen der Person. (CV 16, 2, 7–8)

Übergang zu anderen
Arten des Betens

Ich möchte noch einmal auf das mündliche Gebet zurückkommen, damit uns Gott, auch wenn wir das Wie nicht verstehen, mit ihm zugleich die anderen erwähnten Gebetsarten schenke. Um recht zu beten, müssen wir zunächst unser Gewissen erforschen, uns mit dem Heiligen Kreuz bezeichnen und das »Confiteor« [das Sündenbekenntnis] sprechen. Ihr wisst, das ist für den Beginn unerlässlich. Und seid ihr allein, meine Töchter, so bemüht euch um Gesellschaft: Wer wäre da besser als der Meister selbst, der euch das Gebet lehrte? Vergegenwärtigt euch also den Herrn und seht, mit welcher Demut und Liebe er euch unterweist. Und überhaupt, glaubt mir, solltet ihr diesen guten Freund überall bei euch haben. Wenn ihr euch an seine stete Anwesenheit gewöhnt, und er sieht die Liebe, mit der ihr ihn erfreuen möchtet, könnt ihr ihn, wie man so sagt, gar nicht mehr vertreiben. Er wird euch nie mehr verlassen, überall bei euch sein, euch helfen bei allen Aufgaben, in allen Schwierigkeiten und Nöten: Denkt doch, was es heißt, einen solchen Freund zur Seite zu haben!

O Seelen, die ihr nicht mit vielem Nachdenken beten könnt, gewöhnt euch doch an diese Übung! Ich bitte euch ja gerade nicht, nachzusinnen, geistreiche Formulierungen zu finden und tiefsinnige Betrachtungen anzustellen. Ich möchte nur, dass ihr ihn anseht. Was hindert euch denn, die Augen der Seele – zumindest für einen kurzen Blick – auf ihn zu richten? Ihr seid ja fähig, recht hässliche und abstoßende Dinge zu betrachten: warum dann nicht auch das Schönste, was man sich vorzustellen vermag? Wenn euch das nicht gut erscheint, will ich euch gern erlauben wegzusehen. Euer Bräutigam aber kehrt niemals die Augen von euch, und all die tausend Fehler und Unerfreulichkeiten, die ihr ihm bietet, genügen ihm nicht, um sich abzuwenden. Ist es dann zu viel verlangt, dass ihr euren Blick hin und wieder auf ihn richtet statt auf äußere Dinge? Er möchte doch nur dieses: dass ihr ihn anseht. Je mehr ihr euch nach ihm sehnt, umso schneller werdet ihr ihn finden. So sehr wünscht er, dass wir die Augen zu ihm kehren, dass es an seinem Entgegenkommen nicht fehlen wird. (CE 42, 1–3; vgl. CV 26, 1–3)

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Nun berichtet uns der Heilige Augustinus, dass er Gott allenthalben suchte, bis er ihn endlich im eigenen Inneren fand. Ihr müsst euch einmal vorstellen, wie viel diese Wahrheit für eine allenthalben verstreute Seele bedeutet, wenn sie erkennt, dass sie nicht zum Himmel aufsteigen muss, um mit dem Vater zu reden, und dass kein lautes Rufen nötig ist, um seine Liebe zu erfahren. Wie leise sie auch spreche, er ist so nah, dass er sie hört. Sie braucht keine Flügel, um zu ihm zu gelangen, nur in die Einsamkeit muss sie gehen, in ihr Inneres schauen und sich nicht wundern über einen so hohen Gast. Vielmehr spreche sie ihn sehr demütig an als ihren Vater, bitte ihn als ihren Vater, berichte ihm von allen Nöten und welcher Hilfen sie bedarf, immer im Bewusstsein ihrer Unwürdigkeit als Tochter des Herrn.

Seid aber nicht kleinmütig wie einige, die das mit Demut verwechseln. Es ist wahrhaftig nicht demütig, wenn ihr eine Gabe des Königs zurückweist. Nehmt das unverdiente Geschenk an und freut euch darüber. Eine schöne Demut wäre mir das, wenn ich den Herrn des Himmels und der Erde in meinem Haus zu Gast hätte und weise die Gnade ab, mit der er kommt, um mir eine Freude zu machen! Haltet euch fern von so falscher Demut und geht mit ihm um wie mit einem Vater, einem Bruder, einem Herrn, ja, wie mit einem Bräutigam – bald auf die eine, bald auf die andere Weise, die er euch lehren wird. Das nennt man »Gebet der Sammlung«, weil die Seele ihre Vermögen sammelt und mit Gott in ihr Inneres eingeht. (CV 28, 2–4)

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Die Zeit, die ich dem Herrn schenke, ist die seine. (CV 23, 2)

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Das Erste, was uns seine Majestät über das Gebet lehrt, ist, dass wir in die Stille gehen müssen. Er selbst pflegte in der Einsamkeit zu beten. Wir müssen in die Stille gehen, damit wir verstehen, mit wem wir zusammen sind und hören, was der Herr auf unsere Bitten antwortet. Oder meint ihr, er schweige, nur weil wir ihn nicht hören! Von Herzen gebeten spricht er zum Herzen. Wir tun gut daran, uns vorzustellen, dass er selbst uns dieses Gebet gegeben hat und dass der Meister sich nie so weit vom Schüler entfernt, dass dieser nach ihm rufen müsse; nein, er bleibt ihm ganz nah. Ich möchte, dass ihr daran denkt, wenn ihr das Vaterunser betet: Haltet euch an den Meister, der es euch lehrte. (CV 24, 4)

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Damit ihr nicht meint, mit einem sehr guten mündlichen Gebet sei wenig gewonnen, sage ich euch, dass es sehr wohl während eines Vaterunsers oder eines anderen mündlichen Gebetes geschehen kann, dass uns der Herr zu vollkommener Beschauung [Kontemplation] erhebt. So zeigt seine Majestät, dass er den Sprechenden hört und ihm in seiner Größe antwortet: Er setzt ihm den Verstand außer Kraft, indem er den Lauf der Gedanken anhält und ihm, wie man so sagt, das Wort aus dem Munde nimmt. Nur mit großer Anstrengung könnte er noch sprechen. Doch er begreift die wortgeräuschlose Unterweisung des göttlichen Meisters, der ihm Fähigkeiten aufhebt, die, würde er sich ihrer jetzt noch bedienen, eher schadeten als nützten. So ist er selig, ohne zu wissen, was ihn so selig macht. Die Seele flammt auf in Liebe und weiß doch nicht, wie sie zu solcher Liebe kommt. Aber sie versteht sehr wohl, dass, was sie liebt, sie so beseligt, wie auch immer das geschehen mag. Und sie ist sicher, dass diese Seligkeit alles Vorstellungsvermögen übersteigt. Der Wille nimmt sie ganz auf, ohne das Wie zu kennen. Aber er begreift, dass kein Bemühen der Welt ihm ein solches Gut erwerben könnte. Es ist ein Geschenk vom Herrn des Himmels und der Erde, das ihm entspricht. So, meine Töchter, ist die vollkommene Kontemplation.

Nun werdet ihr den Unterschied zwischen Kontemplation und innerem Gebet begreifen. Letzteres ist, wie gesagt, Bewusstsein dessen, was wir sagen, zu wem wir es sagen und wer wir selbst sind, die wir uns mit einem so großen Herrn zu sprechen erkühnen. Dieses und Ähnliches zu erwägen, zum Beispiel wie wenig wir ihm dienen und wie viel wir ihm dienen müssten, ist inneres Gebet. Lasst es euch nicht böhmisch vorkommen und erschreckt nicht vor dem Namen. Betet ihr das Vaterunser oder Avemaria oder was ihr sonst wollt, so ist das mündliches Gebet. Aber seht, es kommt ja ohne das innere Gebet nicht zum Schwingen! Und manchmal fehlt dann den Worten die Harmonie.

Bei diesen beiden Gebetsarten vermögen wir mit Gottes Gnade noch selbst etwas zu tun. Beim kontemplativen Gebet dagegen gar nichts. Hier liegt alles Tun bei seiner Majestät, denn es übersteigt unsere natürlichen Kräfte. (CV 25, 1–3)

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Wenn sich auch hier im Kloster alles um das Gebet dreht, müssen doch nicht alle kontemplativ veranlagt sein. Das ist unmöglich, und es wäre ein großer Kummer für eine, die es nicht ist, hätte sie nicht verstanden, dass die Gabe des kontemplativen Betens einzig von Gott abhängt. Zum Heile ist es nicht notwendig, darum denke niemand, es werde von ihm verlangt. Man kann auch auf andere Weise vollkommen sein. Ja, die Nichtkontemplative kann größeres Verdienst haben, denn sie hat es schwerer und wird vom Herrn als starke Seele behandelt, die dereinst alles auf einmal erhalten wird, was sie auf Erden nicht bekam. Doch gebe sie deshalb nicht auf und bete weiter mit den anderen. Manchmal kommt der Herr spät und verleiht alles überreichlich auf einmal, was er an andere über viele Jahre verteilte. (CE 27, 2)

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Ich betone, dass viel daran gelegen ist, mit großer Entschlossenheit zu beginnen. Auch müsst ihr das sichere Vertrauen haben, dass ihr aus mutig geführtem Kampf als Sieger hervorgehen werdet. (CV 23, 1, 5)

Gedicht

Wie glücklich ist ein Herz, das all sein Lieben

und all sein Denken hat auf Gott gerichtet.

In höchster Seligkeit ist es verblieben,

auf Eitelkeit der Welt hat es verzichtet,

zu Gott allein weiß sich sein Wunsch getrieben,

das eig’ne Sorgen ist ihm ganz vernichtet.

So kreuzt es freudig auf dem Meer des Lebens,

und alle Stürme drohen ihm vergebens.

 

(P. Dichoso el corazón enamorado)