Memento:
Der Schmetterling

Alle, die nach Vollkommenheit streben, erreichen den Gipfel erst, wenn sie nicht mehr den eigenen Fortschritt suchen, sondern Gott allein. Sodass sie ganz aus der Liebe heraus leben. Sie gleichen dem Schmetterling, der nach getaner Arbeit aus der Seidenraupe hervorschlüpft.

(Francisco de Osuna, S. 100)

Über die [vorübergehende] Vereinigung habe ich wohl schon alles gesagt. Aber es gibt noch viel zu erklären zu dem, was hier der Herr in der Seele wirkt. Ich werde dazu ein Gleichnis benutzen, das zeigen soll, dass wir zwar selbst nicht aktiv mitwirken, wohl aber uns innerlich vorbereiten und zur Verfügung stellen können.

Ihr werdet schon einmal gehört haben, auf welch wunderbare Weise in der Natur die Seide entsteht. Nur der Herr selbst konnte eine solche Erfindung machen. Da ist zunächst ein winziges Ei, etwa von der Größe eines Pfefferkorns, wie ich hörte, denn ich habe es nie gesehen, aus dem, wenn der Maulbeerbaum seine ersten Blätter treibt, mit der Wärme ein Räupchen ausschlüpft. Es beginnt also erst zu leben, wenn es sich auch ernähren kann, und es frisst nun die Maulbeerblätter, bis man der groß gewordenen Raupe Zweige hinlegt, unter denen sie sich selbst mit Seidenfäden, die aus ihrem Munde hervorgehen, in eine ganz feste Hülle einspinnt. Das ist das Ende der großen und hässlichen Seidenraupe, aus deren Puppe dann ein weißer, ganz entzückender Schmetterling hervorgeht.

Wie nun die Raupe durch die Wärme ins Leben kam, so sendet Gott uns allen die Hilfe des Heiligen Geistes. Und wenn man sich der Nahrung, das heißt der Sakramente und des Wortes der heiligen Kirche bedient, so beginnt man zu leben und zu wachsen durch die Nahrung guter Betrachtungen, bis man so groß ist, dass man sich wie die Raupe einspinnen kann. Man baut sich so ein Haus zum Sterben. Dieses Haus müssen wir als Christus erkennen. Ich habe irgendwo gelesen oder gehört, dass unser Leben in Christus verborgen ist und dass wir sterben müssen, damit Christus in uns lebe.

Auf, meine Töchter, gehen wir ans Werk und weben wir uns diese Hülle! Trennen wir uns von unserer Eigenliebe und unserem Eigenwillen, von allem, was uns ans Irdische bindet! Sterbe, ja sterbe doch diese Seidenraupe, denn damit erfüllt sie, wozu sie geschaffen wurde. Dann werdet ihr Gott schauen und ganz eingehüllt sein in seine Größe, wie die Raupe in ihrer Puppe. Wenn ich sage »Gott schauen«, so müsst ihr darunter verstehen: wie er sich von uns in dieser Art der Vereinigung erfahren lässt.

Betrachten wir also, was aus der Raupe wird, wenn aus ihr, ganz in Gebet versenkt und der Welt abgestorben, ein weißer Schmetterling hervorgeht. O Größe Gottes, wie herrlich geht eine Seele schon aus solcher kurzen Versenkung in Gott hervor, die nach meiner Erfahrung nie länger als eine halbe Stunde dauert. Wahrhaftig, die Seele erkennt sich selbst nicht wieder. Denkt doch nur an den Unterschied zwischen der hässlichen Raupe und dem schönen weißen Schmetterling! Sie kann sich gar nicht erklären, wie ihr so viel Gnade zufließt. Die Seele möchte vergehen und tausend Tode sterben, um den Herrn so zu preisen, wie es sie innerlich drängt. Sie nimmt nun große Mühen und Leiden auf sich, es zieht sie zu Bußwerken, in die Einsamkeit, und zugleich möchte sie, dass alle Gott erkennen.

Welch ein staunenswertes Wunder vollbringt hier Gott, da doch der kleine Schmetterling keinen Augenblick untätig sein kann und zugleich noch nie in seinem Leben so tiefe Ruhe und solchen Frieden erfuhr. Er weiß aber nicht, wo er sich niederlassen soll, denn er ist so von Gott ergriffen, dass nichts auf Erden ihn mehr befriedigt, besonders wenn Gott ihm oft seinen Nektar zu trinken gibt. Aus jeder dieser Gebetsvereinigungen geht er neu beschenkt hervor. Das gemächliche Spinnen der Raupe kann er nicht mehr schätzen, denn inzwischen sind ihm Flügel gewachsen. Wie sollte denn jemand, der fliegen kann, noch Schritt für Schritt vorgehen wollen? Was auch immer er für Gott tun kann, erscheint ihm, verglichen mit seinem Wunsche, als wenig. Und die Leiden der Heiligen werden von ihm nicht überbewertet, da er nun aus Erfahrung weiß, wie der Herr eingreift und die Seele verwandelt, sodass sie eine ganz andere wird. Sie würde am liebsten alle alten Bindungen aufgeben, es sei denn, sie handele damit gegen den Willen Gottes. Alles ermüdet sie, weil sie erfahren hat, dass bei den Geschöpfen keine wahre Ruhe zu finden ist.

Der kleine Schmetterling fühlt sich also fremd hier auf Erden; er weiß nicht, wo er sich niederlassen soll. Wohin soll er fliehen, der arme Kleine? Es steht ja nicht in seiner Macht, zum Ausgangspunkt zurückzukehren, denn das liegt ganz in Gottes Hand. O mein Gott, welche Leiden beginnen nun für die Seele! Wer hätte das gedacht nach so hohen Gnaden. Kurz, es zeigt sich, dass wir unser Kreuz zu tragen haben, solange wir leben. Und wer meint, er lebe nach diesen ersten Gnaden der Vereinigung immer in Heiterkeit und Ruhe, dem sage ich, dass er sie überhaupt noch nicht erfahren hat. (5 M 2, 1–4, 6–9)

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Ich möchte wieder zum Schmetterling zurückkehren. Er hinterlässt wieder Samen für neue Seidenraupen und stirbt dann für immer. Ich spreche vom Samen, weil ich meine, dass Gott keine Gnade vergeblich gibt, sodass, was schon uns selbst nicht helfen kann, doch anderen hilft. Denn solange die Seele im Guten verbleibt, wird sie anderen Seelen nützen und ihnen von ihrer Wärme abgeben. Und auch, wenn ihr das Leben schon entweicht, möchte sie doch, dass andere durch sie die Gnade Gottes erkennen und ihm darum in Liebe dienen. (5 M 3, 1)

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So hat denn schließlich der kleine Schmetterling seine Ruhe gefunden und ist voll innigster Freude gestorben, weil Christus in ihm lebt. (7 M 3, 1)

Teresa von Ávila: Kurzbiografie

Teresa Sánchez de Cepeda y Ahumada wird am 28. März 1515 in Ávila als Tochter des Alonso Sánchez de Cepeda und seiner zweiten Frau Beatriz de Ahumada geboren. Die Mutter entstammt altkastilischem Adel, der Vater aus Toledo muss wegen seiner jüdischen Abstammung um seinen Adelstitel prozessieren: Teresas Großvater hatte sich 1485 unter dem Druck der neu errichteten Spanischen Inquisition zum Christentum bekehrt. »Conversos«, das heißt Zwangsbekehrte, wurden wegen des Verdachts der Scheinbekehrung und des Wirkens im »Untergrund« vom spanischen Staat mit seinem kirchlichen Instrument noch durch Generationen verfolgt.

1531, drei Jahre nach dem Tode ihrer Mutter, wird Teresa in ein Augustinerinnen-Internat gegeben, das sie jedoch wegen Erkrankung bald wieder verlässt. 1535 tritt sie gegen den Willen des Vaters in das karmelitische Menschwerdungskloster (Santa María de la Encarnación) in Ávila ein. Zwei Jahre später legt sie Profess ab und erkrankt schwer, sodass sie außerhalb des Klosters behandelt werden muss. Solche (psychosomatischen?) Krankheiten durchziehen ihr ganzes Leben, hindern sie aber nicht an heroischer Aktivität.

Im noch nicht zum »Vollkloster« entwickelten Konvent ringt Teresa ohne Seelenführer achtzehn Jahre lang um Fortschritt im kontemplativen Gebet und asketischen Leben. 1554 erfährt sie vor einer leidvollen Christusstatue eine schwere Erschütterung, die sie zu radikaler Nachfolge stark macht. Schon zwei Jahre später werden ihr die kurzen Gotteinigungen der »geistlichen Verlobung« zuteil. Im Verein mit weiteren fördernden Umständen lassen sie in ihr den Entschluss zur Ordensreform reifen. 1562 gründet sie in Ávila das Reformkloster San José.

Als ein Jahr später Johannes vom Kreuz in den Orden eintritt, wird durch seine Mitarbeit auch der männliche Orden reformiert. Weitere Helfer und Helferinnen schließen sich an; Teresa, die sich jetzt Teresa de Jesús nennt, ist fast ständig auf Reisen, was nicht den Eintritt in die Unio mystica, die »geistliche Vermählung« hindert, die nach Angabe der Heiligen 1572 stattfindet.

Durch den Erfolg der Reform wachsen auch die Widerstände, besonders im männlichen Orden. Als 1575 der Pater Jerónimo Gracián nicht nur zum kommissarischen Provinzial für Andalusien, sondern auch zum apostolischen Visitator des Gesamtordens in Spanien ernannt wird, bricht der berühmte »Sturm« los, der Teresas engste Mitarbeiter ins Gefängnis wirft und sie selbst, neben Schwierigkeiten mit der Inquisition, zum Aufgeben ihrer Gründungstätigkeit zwingt. Der Apostolische Nuntius nennt sie bei dieser Gelegenheit eine »ruhelose Landstreicherin« (Cta 254). Die Kämpfe werden von Rom aus durch Ernennung des P. Angel de Salazar zum Generalvikar der »Unbeschuhten Karmeliten« beendet, die hiermit zur Eigenständigkeit gelangen. 1581 tritt das erste Kapitel des sich formierenden Ordens zusammen und wählt den P. Gracián zum Provinzial der spanischen Provinzen.

Teresa konnte schon 1580 ihre Gründungstätigkeit wieder aufnehmen. Sie stirbt zwei Jahre später, am 4. Oktober 1582, im Kloster zu Alba de Tormes, in dem sie sich besuchsweise aufhielt, an einem Blutsturz. Der nächste Tag ist der 15. Oktober, da in der Nacht der gregorianische Kalender in Kraft tritt (4. Oktober = 14. Oktober. Fest am 15.10.).

 

Posthume Daten: Seligsprechung 1614, Ernennung zur Schutzpatronin Spaniens 1617, Heiligsprechung 1622. Als erste Frau wird sie 1970 zum Doctor Ecclesiae, zur Kirchenlehrerin ernannt.

Schriften

Die angegebenen Jahreszahlen stehen für die Zeiten der Entstehung. Die Abkürzungen, die für die Texte benutzt wurden, entsprechen denen der ersten Edition der diesem Buche zugrunde liegenden Ausgabe der »Obras completas de Santa Teresa de Jesús«, Biblioteca de Autores Cristianos, Madrid 6/1977. (Für Revisionen Madrid 8/1986.)

 

1562–65 Vida (Autobiografie)
(Die erste Fassung 1560–62 ging verloren)
V
1560–81 Cuentas de Conciencia (Erfahrungsberichte) CC
1562–69 Camino de perfección (Weg der Vollkommenheit)
Manuskript Escorial 1562–64
Manuskript Valladolid 1569


CE
CV
1566/67, 1574 Meditaciones sobre El Cantar de Cantares (Gedanken über das Hohelied), I und II MC
1569 Exclamaciones del alma (Rufe der Seele) E
1573–82 Libro de las Fundaciones
(Buch der Klostergründungen)
F
1577 Las Moradas del Castillo interior
(Die Wohnungen der inneren Burg)
M
1546–82 Epistolario (Briefe) Cta

In den Texten
auftretende Personen

Fray Pedro de Alcántara, Franziskaner, 1499–1562, Mystiker und Klostergründer, in seiner Zeit sehr verehrt. Heiligsprechung 1669. Teresa lernt ihn im August 1560 in Ávila kennen. Sie findet bei diesem Beichtvater großes Verständnis.

 

Ana de Jesús, Unbeschuhte Karmelitin, Freundin und Helferin Teresas bei den Klostergründungen. Gestorben 1621 in Brüssel. Priorin in Beas und nach dem Tode Teresas in Madrid. Sie führt den Orden in Frankreich und Belgien ein. Eine bedeutende Frau, Johannes vom Kreuz widmet ihr seinen Cántico Espiritual (Geistlichen Gesang), Fray Luis de León das in Briefform gehaltene Vorwort zur Erstausgabe der Werke Teresas (deren Handschriften Ana gesammelt hatte) und seinen weltberühmten Kommentar zum Buche Hiob.

 

Domingo Báñez, Dominikaner, 1528–1604, Hauptvertreter des strengen Thomismus in Spanien, Gegner der von den Jesuiten (Luis de Molina) vertretenen Lehre vom freien Willen. Erhält 1581 einen Lehrstuhl an der Universität Salamanca (einer der besten Theologischen Fakultäten Europas). Ist langjähriger Beichtvater Teresas. Ermutigt sie zu ihrer Autobiografie, (1560–62), beschützt sie mehrfach mit seinen Gutachten vor der Inquisition. Im »Gnadenstreit« mit den Jesuiten legen die Dominikaner, geführt von Báñez, den Akzent auf die Allmacht Gottes.

 

Johannes vom Kreuz (Juan de la Cruz), 1542–1591. Karmelit, großer Mystiker und Heiliger. Tritt 1563 in das in Medina del Campo gegründete Kloster ein, wird Teresas wichtigster Mitgründer und Fortsetzer der Ordensreform. Als Opfer der Kämpfe zwischen dem Stammorden und dem Reformorden 1577/78 im Klostergefängnis zu Toledo. 1582–88 Prior in Granada, 1585–87 Provinzialvikar von Andalusien. 1588–91 Prior und Generaldefinitor in Segovia, Seligsprechung 1675, Heiligsprechung 1726. Ernennung zum Kirchenlehrer 1926. Johannes vom Kreuz ist einer der größten Lyriker Spaniens. Darum wurde er 1952 zum Schutzpatron der spanischen Dichter ernannt. Zusammen mit Teresa von Ávila ist er der offizielle Vertreter christlicher Mystik.

 

Juan Bautista Rubeo, Ordensgeneral der Beschuhten Karmeliten, 1507–1578. Professor in Rom, Befürworter der Reform Teresas, wenn es auch später zu Spannungen kam.

 

Nicolás Doria, 1539–1594, Unbeschuhter Karmelit und sehr tüchtiger Mitarbeiter Teresas, der es zu höchsten Ämtern brachte. Durch ein Übermaß an Strenge arbeitete er später oft gegen den Geist Teresas und wurde zum Feinde des P. Gracián, den er aus dem Orden ausstoßen ließ.

 

Jerónimo Gracián, Klostername de la Madre de Dios, 1545–1614, ab 1572 Unbeschuhter Karmelit in Pastrana, 1575 »inoffiziell« Provinzial von Andalusien, Ende des gleichen Jahres Ernennung zum apostolischen Visitator der dortigen Beschuhten und Unbeschuhten Karmeliten. 1578 vom päpstlichen Nuntius abgesetzt wegen der Rebellion der »Beschuhten« und im Colegio von Alcalá zu Arrest verurteilt. Von König Philipp II. wiedereingesetzt, jedoch mit geringer praktischer Wirkung. Erst durch das Kapitel von Alcalá de Henares am 5. Mai 1581 wird der P. Gracián offiziell zum Provinzial aller »Unbeschuhten« Klöster Spaniens gewählt. Nach dem Tode Teresas setzt eine Diffamierungskampagne gegen ihn – den von Teresa am meisten geschätzten Karmeliten – ein. Da er keinen Widerstand leistet, wird er 1592 aus dem Orden ausgestoßen. (Sein eigentlicher Feind ist der Unbeschuhte Karmelit Nicolás Doria.) Gracián reist nach Rom, um Unterstützung gegen Doria zu suchen. Unterwegs fällt er türkischen Seeräubern in die Hände, die ihn gefangen nehmen und nach Tunis führen, wo man ihm ein Kreuz in die Fußsohlen brennt. Er bemüht sich, die Moslems zum Christentum zu bekehren. 1595 ist er wieder frei und wird durch Papst Clemens VIII. in den Stammorden zurückversetzt. Er lebt nun in Brüssel, wo Ana de Jesús, die stets und unter Schwierigkeiten zu ihm hielt, eines der von ihr gegründeten Klöster als Priorin leitet. Gracián stirbt in Brüssel am 21. September 1614, fünf Monate nach der Seligsprechung der heiligen Teresa von Ávila.

Teresa lernte ihn 1575 in Beas (Andalusien) kennen und wählte ihn »für ihr Leben« zum Beichtvater, Freund und Vertrauten. Sie schreibt ihm in den sieben Jahren, die ihr bis zu ihrem Tode noch bleiben, fast täglich.

 

König Philipp II. von Spanien, 1527–1598, Regierungszeit ab 1556. Vorkämpfer der Gegenreformation, großer Kulturmäzen, aber schlechter Politiker und »Ökonom«: Verlust der Niederlande, der Armada (der »unbesieglichen« Flotte), mehrere Staatsbankrotte. Erbauer des Escorial, der wichtige Schriften Teresas verwahrt. Teresa trat mit ihm in brieflichen Kontakt. Der König schützte und förderte die Unbeschuhten Karmeliten.