Raffael in Florenz
Ab 1504 entschloss sich Raffael, Florenz zu seinem festen Wohnsitz zu machen, nachdem er der Stadt möglicherweise bereits zuvor kurze Besuche abgestattet hatte. Die Entfernung zwischen Perugia und Florenz ist nicht besonders groß und der Wunsch, die Stadt zu sehen, von der er schon so viel gehört hatte, macht solche Aufenthalte wahrscheinlicher. Dies würde erklären, warum der florentinische Einfluss in seinen Bildern aus der Zeit in Umbrien, wie etwa in der Predella Krönung Mariä im Vatikan, so augenscheinlich ist. Wie dem auch sei, sicher ist, dass Raffael im Oktober 1504 in der Kunsthauptstadt Italiens ankam. Er hatte seine Fürsprecherin, die Herzogin Giovanna della Rovere, um ein Empfehlungsschreiben an den Gonfalonier Piero Soderini gebeten, mithilfe dessen er unter ihrem Patronat bei dem Führer der Republik Florenz vorsprechen durfte. Dieser Brief war in den lobendsten Tönen verfasst. Die Herzogin schreibt:
Der Überbringer dieser Gabe ist der Maler Raffael aus Urbino. Das Talent, über das er verfügt, brachte ihn dazu, für einige Zeit nach Florenz zu kommen, um die eigene Kunst zu perfektionieren. Sein Vater war mir aufgrund seiner vielen außergewöhnlichen Eigenschaften teuer und sein Sohn, der ein bescheidener und liebenswürdiger junger Mann ist, ist es im gleichen Maße. Er wird, so hoffe ich, sämtliche Fortschritte machen und daher empfehle ich ihn ausdrücklich Eurer Lordschaft, indem ich Euch darum bitte, ihn mit allem in Eurer Macht Stehendem zu unterstützen. Ich werde Eure Dienste derart betrachten, als hättet Ihr sie mir erwiesen und stehe in Eurer tiefsten Schuld.
Das Zentrum von Florenz unterschied sich, als Raffael es zum ersten Mal besuchte, nicht sehr von dem heutigen, da die meisten der großartigen Gebäude, die noch heute die Größe der früher ‚Fiorenze‘ (Stadt der Blumen) genannten Stadt ausmachen, bereits standen. In alle Richtungen liefen gerade Straßen, die einen strengen Gegensatz zu den gewundenen Straßen der Bergdörfer, in denen Raffael zuletzt gewesen war, darstellten. Vornehme, großräumige Häuser aus feinstem grauen Stein, auf dem die Zeit keine Spuren hinterlässt, Paläste, deren raues Mauerwerk an die sogenannte Zyklopen-Architektur erinnern, schlanke Mittelpfeiler, offene, von fein gehauenen Säulen getragene Bogengänge und mit Terrakotta-Flachrelief oder dem Teil einer Skulptur Donatellos, Desiderios oder Minos gekrönte Türen belegen, dass eine Zeit der Freude die des Konflikts ablöste. Nichtsdestoweniger vermittelte die Stadt im Allgemeinen Strenge und Stolz, was durch das Fehlen jeglicher Gärten innerhalb der Wälle noch verstärkt wurde.
Als Raffael in Florenz ankam, hatten die Vertreibung der Medici, der Einzug Karls VIII., der Triumph und die anschließende Verbrennung Girolamo Savonarolas, der Krieg gegen Pisa, die Feldzüge Ludwigs XII. und die unaufhörlichen Intrigen der Anhänger der Medici die Finanzen und die Gemüter der Menschen derart strapaziert, dass die Zukunft der gesamten Renaissance bedroht war. Eines dieser Ereignisse muss einen besonderen Einfluss auf Raffael hinterlassen haben, da ganz Florenz noch mit der Rückerinnerung an Savonarola beschäftigt war. Als inbrünstiger Streiter für die Religion und kühner Reformator kirchlicher Missstände – im Namen Alexanders IV. als Ketzer verbrannt und von den Massen als Heiliger und Prophet verehrt – hinterließ Girolamo Savonarola einen tiefen Eindruck auf eine Gesellschaft, die zur Frivolität neigte. Sie mögen den Mann getötet haben, doch seine Ideen lebten fort, und Raffael, der noch immer unter dem Einfluss des umbrischen Mystizismus stand, muss sie oft in seinem Kopf gehabt haben. Er hatte die Figur des Reformators vor sich, als er den Disput über das Sakrament (Bd. 2, S. 78-79) malte, und er zögerte nicht, den dominikanischen Mönch, der nur wenige Jahre zuvor auf Anordnung päpstlicher Kommissare verbrannt worden war, im Vatikan inmitten der Kirchenväter zu platzieren. Alsbald begann Raffael mit der Suche nach Modellen, die in Perugia zu finden er nicht in der Lage gewesen war, und zwei Zeichnungen – die eine in den Uffizien, die andere in der Accademia in Venedig – zeigen uns seine Studien für Apollo und Marsyas, das er kurz darauf malte. M. A. Gruyer weist darauf hin, dass sie eher von einem Gefühl für als einer Kenntnis der Antike zeugen. Gleiches kann über das ebenfalls in Florenz angefertigte Die drei Grazien gesagt werden.
Fra Bartolommeo, Porträt Savonarolas, um 1498. Öl auf Tafel, 47 x 31 cm. Museo di San Marco, Florenz.
Leonardo da Vinci, Verkündigung, 1472-1475. Öl und Tempera auf Tafel, 98 x 217 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.
Mehr als ein Jahrhundert war vergangen, seit die Antike dank der Bemühungen Brunelleschis, Donatellos und Lorenzo Ghibertis ihre alte Kraft wiedererlangt hatte. Architekten, Maler und Bildhauer arbeiteten unaufhörlich an der Wiederentdeckung der alten Regeln, die ihre glorreichen Vorgänger in Rom und Athen angeleitet hatten. Griechische und römische Kunst, die nur durch ihre Marmorskulpturen, Bronzen, Metallarbeiten und antike Glyptik bekannt war, versorgte die Maler mit keinen klaren Modellen, und es dauerte lange, bis sie die in einer der ihren so unterschiedlichen Sprache verfassten Prinzipien erfasst hatten. Der Schule von Mantua gelang es als erster, diese Schwierigkeiten zu überwinden und die von den antiken Plastiken abgeleiteten Lektionen in ihre Fresken und Gemälde einzuarbeiten. In Florenz dauerte dieser Vorgang länger. Zwar gab es keinen Mangel an der Mythologie und Geschichte Griechenlands oder Roms entlehnten Motiven, zudem wurde die antike Ornamentik – Voluten, Trophäen und Medaillons – häufig imitiert, allerdings blieben die Typen, Kleider und Kompositionen im Wesentlichen modern. Die Arbeiten Domenico Ghirlandaios, Sandro Botticellis und Filippino Lippis belegen dies zweifellos. Ihre Imitation der Antike widmete sich den Details, und selbst wenn sie eine Szene aus der römischen Geschichte oder eine olympische Gottheit darstellten, zeigt sich ihre Unerfahrenheit. Botticellis Die Geburt der Venus ist, wie Springer gezeigt hat, ein augenfälliges Beispiel dafür. Es steckt nichts Antikes in der schmächtigen, spärlichen Figur, unsicher in eine Muschel platziert mit einem Blick, als wüsste sie nicht, was sie mit ihren Händen anfangen soll.
Leonardo da Vinci, der größte aller florentinischen Maler der Renaissance, ließ sich am wenigsten von den Fesseln der antiken Tradition binden. Dank seines ausgezeichneten Geschmacks erkannte er, dass die Arbeiten der römischen Bildhauer der Inspiration und nicht als Vorlage für Nachbildungen dienen sollten. Ihm erschien es sklavenhaft, sie zu kopieren und sein Verstand revoltierte bei dem Gedanken, Effekte auf die Malerei zu übertragen, die ihr wesensfremd waren. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass Raffael, der zu dieser Zeit mit der Schule von Florenz sympathisierte, diese Ansicht übernahm und keinesfalls dazu geneigt war, einem Tiefrelief oder einer antiken Statue entlehnte Figuren in seine Kompositionen mit einzubauen, wie er es später in Rom tat.
So groß der Respekt für die Antike im Florenz des frühen 16. Jahrhunderts auch war, der Einfluss einer aktuelleren, jedoch nicht weniger ertragreichen Epoche war es in demselben Maße. Giotto di Bondone, der glänzendste Meister des Mittelalters, war zur Natur zurückgekehrt und hatte die heute so bezeichnete Schule von Florenz begründet. Raffael schaute zweifelsohne mit beständiger und verdienter Bewunderung auf die Fresken in Santa Croce, die voller Grazie und Pathos sind, aber es war Brunelleschi, von dem er am meisten lernte. Der Schüler und Rivale dieser Meister, Masaccio, der die Prinzipien, die diese in die Architektur und die Bildhauerei eingeführt hatten, auf das Feld der Malerei übertrug, übte einen noch größeren Einfluss auf Raffael aus. Kein Künstler des 15. Jahrhunderts hatte so geschickt sowohl die Archaismen im Stil Giottos als auch die Exzesse der neuen naturalistischen Schule vermieden.
Giorgio Vasari, Heilige Familie mit dem heiligen Franziskus in einer Landschaft, 1542. Öl auf Leinwand, 184,2 x 125,1 cm. Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles.
Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus, um 1486. Tempera auf Leinwand, 172,5 x 278,5 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.
Domenico Ghirlandaio, Vermählung Marias, 1490. Fresko, Basislänge: 450 cm. Kapelle Tornabuoni, Santa Maria Novella, Florenz.
Als Raffael die Fresken Masaccios (S. *) kopierte, war die bescheidene Kapelle in der Kirche Santa Maria del Carmine längst ein Pilgerort für florentinische Künstler. Jahre später, nachdem er die Schule von Rom begründet hatte, beschloss er, seinen großen Vorgänger zu ehren. In Die Predigt Pauli in Athen greift er bis ins kleinste Detail die Haltung aus Paulus spricht zu Petrus im Gefängnis auf, und in Die Vertreibung aus dem Paradies ist die Anlehnung im gleichen Maße absolut. Unter den anderen Malern aus Florenz, deren Arbeiten Raffael bewunderte, befand sich auch Domenico Ghirlandaio, dessen wunderbare Fresken in Santa Maria Novella ihn faszinierten. Die Krönung der Jungfrau in der Apsis der Kirche beeinflusste ihn ganz besonders. Die Figuren der Apostel und Patriarchen wurden von ihm zusammen mit denen aus Fra Bartolommeos Das Jüngste Gericht für seine Fresken in San Severo verwendet. Zu dieser Zeit fand ein harter Kampf zwischen Leonardo da Vinci und Michelangelo statt, die um die Aufmerksamkeit aller Florentiner rivalisierten. Die gesamte Zukunft der Kunst stand auf dem Spiel, da es unsicher war, ob der Vertreter der Schönheit oder der der Kraft als Sieger hervorgehen würde. Raffael zögerte ob seines jungen Alters nicht und schloss sich früh den Anhängern Leonardos an. Als er Rom sechs Jahre später verließ, spürte er den Aufstieg Michelangelos und trachtete sogar danach, ihn mit seinen eigenen Waffen zu bekämpfen. So kopierte er den Künstlerrivalen, doch diese Imitation richtete großen Schaden an, da er einige seiner besten Qualitäten opferte, ohne die seines Rivalen zu erreichen. Der Einfluss Leonardos ist in vielen Werken aus dieser Zeit offensichtlich. Zunächst sei das Porträt der Maddalena Doni genannt. Er war fröhlicher in der Madonna Terranuova (Bd. 2, S. 39) in Berlin und noch mehr in der Madonna im Grünen (Bd. 2, S. 48) in Wien und in der Heiligen Familie mit dem Lamm im Madrider Museo del Prado, in dem es ihm nicht nur gelang, die melancholische Anmut und „morbidezza“ seines Modells darzustellen, sondern auch Leonardos Kolorit besser zu verstehen.
Der Maler, der neben Leonardo Raffaels größte Wertschätzung erfuhr, war einer, dessen Stil dem Raffaels am gegensätzlichsten gewesen zu sein scheint. Was aber, mag man fragen, könnte der brillante und geistreiche Raffael, der Maler, der Anmut und Schönheit zu seinen Motiven machte, mit dem scheinbar von der Welt vergessenen und von der Erinnerung an eine Katastrophe niedergedrückten Fra Bartolommeo gemein haben? Der früh zum Waisen gewordene Bartolommeo, genauer Baccio della Porta, der ein Schüler von Cosimo Rosselli und dem Mystizismus zugeneigt war, folgte begeistert den Lehren Savonarolas. Er spielte eine bedeutende Rolle bei der Entzündung des ‚Feuers der Eitelkeiten‘ von 1497, das der Zerstörung allen von Savonarola als eitel angeprangerten Dingen galt – Masken, schicke Kleidung, Musikinstrumente, selbst Bücher und Manuskripte, Statuen und Bilder, die die Erinnerung an die heidnische Antike wach hielten.
Die den Flammen zum Opfer gefallenen Gegenstände waren so kostbar, dass ein venezianischer Kaufmann 22 000 Golddukaten für sie bot, aber Fra Bartolommeo war, wie auch Lorenzo di Credi und viele andere Künstler, bereit, seine Studien nach der Natur zu opfern. Villari erwähnt eine achteckige, über 200 Meter hohe Pyramide, die auf der Piazza aufgestellt wurde, an deren fünfzehn Stufen die während der Raubzüge beschlagnahmten Objekte platziert wurden. Auf ein Signal setzten vier Männer die Ecken der Pyramide in Brand, und als der Rauch und die Flammen gen Himmel stiegen erklangen die Trompeten, und die Menge schrie vor Freude zum Geläut der Palastglocken, als ob der Feind des Menschengeschlechts vernichtet worden wäre.
Jahre später, als die Bewunderung der Florentiner für Savonarola in Hass umgeschlagen war, lebte der Eifer Fra Bartolommeos für die nun diskreditierten Lehren wieder auf, und er griff zur Verteidigung des Markus-Klosters zu den Waffen, um tapfer an der Seite der Mönche zu kämpfen. Aber die Anstrengungen der kleinen Gruppe waren vergeblich, Savonarola wurde gefangen genommen und an seine unerbittlichen Feinde ausgeliefert; in dieser Stunde größten Leids schwor Fra Bartolommeo, dass er, falls er entkommen würde, dem Dominikanerorden beitreten würde, was er auch erfüllte, nachdem er 1499 ein Fresko gemalt hatte, das allein ausgereicht hätte, um ihn unsterblich zu machen. Ein Bild in der Galleria degli Uffizi in Florenz, Die Vision des heiligen Bernhard, gemalt 1507 [nach aktuellen Forschungen auf um 1505 datiert], gibt eine gute Vorstellung von dem, was Fra Bartolommeo Raffael gelehrt hat. Dieses Bild ist voller Bewegung und Geist, und doch spürt man, dass der Künstler nichts dem Zufall überließ, sondern in Vollendung sich alle bekannten Mittel der Kunst zunutze machte.
Wenn auch von anderer Art, war der Einfluss, den Raffel auf den Mönch ausübte, nichtsdestoweniger nützlich. Fra Bartolommeo, dessen ganzer Verstand auf die allgemeine Wirkung seiner Bilder konzentriert war, investierte keine Zeit in Studien nach der Natur und war einer der ersten, der das lebende Modell durch Gliederpuppen ersetzte. Die Gesellschaft Raffaels führte ihn zur Natur selbst, und seine Figuren kennzeichneten sich durch Wahrheit und einen stärkeren Ausdruck. Die Madonnen in Savonarolas Zelle in Sankt Markus zeigen, wie kraftvoll Raffaels Einfluss war. Eine von ihnen zeigt die Jungfrau, wie sie ihr Kind umklammert, und erinnert stark an die Madonna Tempi. Der Bildaufbau ist beinahe identisch. Die Vertrautheit zwischen Raffael und Fra Bartolommeo war ungebrochen, und im Jahr 1504 besuchte Fra Bartolommeo Raffael in Rom und kam mit einer gesteigerten Bewunderung für das Genie zurück. Er starb, wie auch Raffael, jung am 3. August 1517 im Alter von zweiundvierzig Jahren.
Aufenthalte in Urbino, Florenz und Bologna
Dank Peruginos Empfehlung wurde Raffael in Florenz sogleich willkommen geheißen. Im Atelier des gefeierten florentinischen Architekten, Baccio d’Agnolo, erlangte er die nützlichsten Kenntnisse, denn Baccio betätigte sich wie viele seiner Zeitgenossen zugleich auf dem Feld der Architektur, der Holzschnitzerei und der Inkrustation. In einem Moment beaufsichtigte er den Bau riesiger Paläste und im nächsten setzte er mit größter Geduld winzige Holzstücke zusammen, die für die Ausgestaltung einer Kathedrale bestimmt waren.
Baccios Atelier war ein Hort der Talente. Vasari, der von den „bellissimi discorsi“ und „dispute d’importanza“ hörte, bezeichnete Raffael als einen der bedeutendsten der Gruppe, die aus Andrea Sansovino, Il Cronaca, Antonio und Giuliano da Sangallo, Il Granacio und vielen anderen florentinsichen und auswärtigen Künstlern bestand. Raffael zeichnete sich durch seine besondere Gewandtheit und sein Feingefühl aus, mit dem er seine Meinung äußerte, ohne seinen Gegenüber zu kränken.
Giotto di Bondone, Das Jüngste Gericht, 1303-1306. Fresko, 1000 x 840 cm. Cappella degli Scrovegni, Padua.
Masaccio (Tommaso Cassai), Der Zinsgroschen, um 1428. Fresko, 255 x 598 cm. Brancacci-Kapelle, Kirche Santa Maria del Carmine, Florenz.
Fra Bartolommeo, Die Vision des heiligen Bernhard, um 1505. Öl auf Tafel, 220 x 213 cm. Galleria dell’Accademia, Florenz.
Manchmal sah man aber auch einen blassen jungen Mann, düster und wortkarg, der sein Schweigen nur brach, um eine sarkastische Bemerkung von sich zu geben. Man hörte ihm mit Respekt zu, da sein Name trotz seines jungen Alters von dreißig Jahren in ganz Italien bekannt war.
Obwohl Raffael viele Freunde hatte, musste er während seines vierjährigen Aufenthalts in Florenz für Laien zweiter Ordnung und sogar für Fremde arbeiten. Die Glaubensgemeinschaften und Bürgergesellschaften bestellten bei einheimischen Meistern, also war er auf die Kenner angewiesen, die, entweder aufgrund ihres Geschmacks oder aufgrund wirtschaftlicher Zwänge, seine Leinwandgemälde den großen Kompositionen anderer Künstler vorzogen.
Die Familie Dei war die einzige, die bei ihm ein Altarbild in Auftrag gab – die Madonna del Baldacchino (Bd. 2, S. 65). Diese Gelegenheit bestimmte zu einem großen Teil den Charakter seiner Arbeiten, und ein Vorfall dieser Art ist manchmal ausreichend, den Fortgang einer ganzen Schule zu verändern. Raffaels Zeit in Florenz kann mit Recht als die Periode der Madonnen bezeichnet werden.
All die großen Bilder, die er zwischen 1504 und 1508 malte, wurden mit Ausnahme der Madonna del Baldacchino nicht aus der Toskana, sondern aus Umbrien geordert, denn er schuf das Altarbild für das Kloster Sankt Antonius, das San Severo-Fresko, die Madonna Ansidei (Bd. 2, S. 40), Die Krönung der Jungfrau für das Konvent Monte-Luce und Die Grablegung ausnahmslos für seinen Heimatort.
Unter den florentinischen Patriziern, die Raffael dabei halfen, Bekanntheit zu erlangen, nahm Taddeo Taddei den ersten Platz ein. Er war ein aufgeklärter Förderer der Literatur und der Kunst und ein guter Freund des Dichters Bembo.
Taddei hielt so viel von dem jungen Künstler, das er ihm Unterkunft und Verpflegung anbot, und Raffael, der das Angebot gerne annahm, bedankte sich mit zwei Gemälden, darunter die Madonna im Grünen, die zu seinen schönsten Arbeiten zählt. Raffaels Zeit in Florenz nutzte ihm mehr bezüglich der Unterweisung, die er erhalten hatte und des daraus resultierenden Fortschritts seiner Technik als aus finanzieller Sicht.
Der junge Künstler hatte schnell eine Reife erreicht und produzierte Meisterwerke, ohne dass weder die Regierung noch die wohlhabenden Schirmherren, die nach der Vertreibung der Medici die Kunst unter ihr Patronat genommen hatten, von seiner Existenz Kenntnis genommen hätten.
In den toskanischen Schriftstellern, die drittklassige Maler mit Lob überhäufen, findet sich kein positives Wort über ihn. Albertini erwähnt in seinem kostbaren, 1510 gedruckten Memoriale di molte statue et pitture sono nella inclyta cipta di Florentia lediglich seinen Namen. Nichtsdestotrotz vergaß Raffael nie, was er Florenz verdankte.
Die Madonnen, die der junge Künstler in Florenz malte, bilden eine ganz eigene Gruppe innerhalb seines Werks, denn da sie frei von dem Mystizismus seiner umbrischen Bilder sind, zeigen sie nicht die triumphierende Schönheit seiner Devotionalbilder als er sozusagen zum offiziellen Maler der Kirche aufgestiegen war. In diesen frühen Arbeiten strebte er danach, Schönheit und Wahrheit zu verbinden. Mütterliche Zärtlichkeit und kindliche Freude sind mit einer Frische und Gewandheit dargestellt, die beinahe den dogmatischen Aspekt verdecken. Tatsächlich waren seine Arbeiten aus dieser Zeit abgesehen von zwei oder drei Ausnahmen keine Altarbilder, sondern Leinwandgemälde für private Oratorien oder womöglich für die Innenräume wohlhabender Kunstkenner. Unter all diesen Madonnen findet sich kaum eine, die einen Ton der Melancholie oder ein Gefühl zukünftigen Unglücks aufweist.
Es scheint, als gebe es im Herzen der jungen Mutter, während sie ihr Kind streichelt, einzig Platz für Zuneigung, Hoffnung und frohe Gedanken.
Der Eindruck wird außerdem durch die fast komplette Abwesenheit von Accessoires verstärkt; nur hier und da sieht man das kleine rote Kreuz Johannes des Täufers oder das Band mit dem Agnus Dei. Ein Heiligenschein wird nicht immer hinzugefügt.
Da Raffael weder die Skrupel seiner umbrischen Mäzene hatte noch die Anforderungen des päpstlichen Hofes an Humor erfüllen konnte, gab er sich voll und ganz seiner Inspiration hin. Solch eine Gelegenheit ergibt sich nur einmal im Leben und während dieser kurzen Zeit erkannte der Meister, indem er sich von der theologischen Tradition löste und sich frei von jeglichen Beschränkungen machte, nur ein Prinzip an: das der Kunst um der Kunst willen.
Das war das Ende dieser strengen und genauen, von so vielen Generationen von Künstlern und Theologen erarbeiteten Disziplin, in der, wie es Taine völlig korrekt bemerkt hat,[4] Form oder Gestalt nicht ausreichten, um das Interesse des Publikums zu wecken, sondern es eines Symbols bedurfte, das ein erhabenes Mysterium andeutete, wie eine Kathedrale, die mit ihrem Lang- und Querschiff das Kreuz, an dem Jesus starb, repräsentiert; oder wie die Fensterrose, die die ‚ewige Rose‘ repräsentiert mit ihren Blütenblättern, von denen jedes für eine gerettete Seele steht, während die Abmessungen jedes Gebäudeteils mit bestimmten ‚heiligen Zahlen‘ übereinstimmen.
Die kleinsten Details wurden nach einer festen Regel eingebracht und hatten stets eine Bedeutung, sodass Kunst zur Helferin der Religion und eine Bibel der Ungebildeten wurde.
Der Künstler büßte gewiss Unabhängigkeit ein, dafür wurde er mit dem Strom der Sympathie, die zwischen ihm und den Massen entstand, mehr als ausreichend belohnt. Selbst bei Giotto und seinen Schülern folgen die Typen, die Haltung, die Attribute und die Position der Figuren den strikten Anforderungen der christlichen Bildertheologie. Der Künstler, der bei einem gekreuzigten Jesus den Heiligenschein weggelassen hätte, wäre als Ketzer angesehen worden.
Predigt Johannes des Täufers (Predella der Pala Ansidei), 1505. Öl auf Holz, 26,2 x 52 cm. National Gallery, London.
Die florentinischen Naturalisten des 15. Jahrhunderts waren die ersten, die diese Tradition missachteten, und der Widerstand Fra Angelicos und der Umbrischen Schule half nichts gegen die mutigen Neuerer, die sich mit dem zweischneidigen Schwert der klassischen Antike und der Natur bewaffneten.
Die gewohnten Heiligen und Apostel wurden durch Figuren des Lebens ersetzt; der Heiligenschein, der in den Gemälden der frühen Maler in den Grund eingeritzt worden war, wurde zu einem bloßen Goldfaden und in einigen Bildern Raffaels ist er überhaupt nicht sichtbar. Selbst die Symbole der Evangelisten verschwinden in dieser Komposition, die stärker als alle anderen an die Tradition des Mittelalters erinnert – Der Disput über das Sakrament; und Engel, die die heiligen Bücher in ihren Händen halten, treten an die Stelle von Adler, Löwe und Stier.
Raffael, der strebsame und geachtete Schüler der Natur, konnte sich nicht dazu durchringen, Leben und Wahrheit dem Smybolischen zu opfern. Seine Schöpferkraft – der stabile und gesunde Geist der Renaissance – hatte keine Sympathie für Abstraktionen und wählte Motive, die es um ihrer willen wert waren, gemalt zu werden.
Seine Figuren standen in Übereinstimmung mit ihrem Alter und Charakter; seine Kinder sind reale Kinder – sie haben nichts theatralisches an sich. Das ist das Geheimnis des Charmes, der seine florentinischen Madonnen umgibt. Während sich Raffael bemühte, ein neues Idealbild der Jungfrau und des Jesuskinds zu finden, begann er an dem schwierigsten Teilgebiet seiner Kunst zu experimentieren, nämlich der Porträtmalerei.
Wenn er ein Modell vor sich hatte, war er nicht fähig oder willens, das kleinste Detail zu verändern oder wegzulassen; Ähnlichkeit war die Hauptbedingung, nach der er sich richten musste, und doch sagte ihm sein künstlerischer Instinkt, dass die genaueste Kopie nicht den Titel eines Porträts verdiente, wenn es ihr nicht gelang, das Interesse des Betrachters zu wecken und eine wirkliche Individualität zu erschaffen.
Raffaels erste Reise nach Florenz scheint keine lange gewesen zu sein, da er bereits 1505 in Perugia war, wo er den Großteil des Jahres verbrachte. Zwei wichtige Arbeiten entstanden in dieser Zeit, die Heilige Familie des Sankt Antonius Konvents (begonnen 1504) und das Fresko von San Severo (Bd. 2, S. 34).
Am 29. Dezember 1505 erhielt er den Auftrag für eine Krönung der Jungfrau für die Nonnen von Monteluce nahe Perugia, und vielleicht für die Madonna Ansidei und die Grablegung, auch wenn er sie erst zwei Jahre später malte.
Der Vertrag für das Konvent von Monteluce zeigt, dass Raffael selbst zu dieser Zeit den Ruf hatte, der „größte Maler der Gegend“ zu sein.
Im Jahr 1506 hielt sich Raffael erneut in Urbino auf, jedoch vermutlich nicht vor Ende März, da die Pest ungefähr bis zu diesem Zeitpunkt in Urbino wütete, und Guidobaldo, der den Winter in Rom verbracht hatte, kehrte erst Ende Februar in seine Hauptstadt zurück. Man weiß zudem, dass Baldassare Castiglione, als er am 10. Juli eine Reise nach England antrat, ein Gemälde des heiligen Georgs, das der Herzog von Urbino bei Raffael bestellt hatte, als Geschenk für Heinrich den VII. mitnahm.
Madonna mit Kind oder Madonna Bridgewater, um 1507. Öl und Gold auf Holz, auf Leinwand übertragen, 81 x 55 cm.
Scottish National Gallery, Edinburgh.
Madonna Tempi, 1507-1508. Öl auf Holz, 75 x 51 cm. Alte Pinakothek, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München.
Vasari, der nur von einer Reise nach Urbino spricht, sagt, dass Raffael für Guidobaldo einen Christus im Garten von Gethsemane und zwei zwar kleine, dafür aber äußerst schöne Madonnen gemalt habe. Raffael scheint auch das Porträt der Herzogin Elisabetta gemalt zu haben, da bekannt ist, dass Castiglione ein Bild einer „bellissima et principalissima signora“ aus der Hand seines Freundes besaß und dass er auf dessen Rückseite zwei Sonette zu Ehren der besagten Dame verfasste.
Urbino scheint in Raffael dessen dichterische Vorstellungskraft weiterentwickelt zu haben. 1506, wie bereits 1504, betritt der sanfte und zurückgezogene Maler der Madonnen plötzlich das Schlachtfeld: in seinem Bild in der Washingtoner National Gallery of Art Heiliger Georg, den Drachen besiegend ist genauso viel Temperament und Feuer wie in seinem Bild im Pariser Louvre Der heilige Georg im Kampf mit dem Drachen (Bd. 2, S. 26). Diese Arbeit fertigte Raffael für Herzog Guidobaldo an, der, berührt von der Schönheit des Bildes Der heilige Michael besiegt den Drachen (Bd. 2, S. 25) und des Heiligen Georgs im Kampf mit dem Drachen Raffael beauftragte, ein weiteres Bild des heiligen Georgs für Heinrich VII. von England zu malen, der ihn gerade erst zu einem Ritter des Hosenbandordens geschlagen hatte.
Das Wort ‚Honi‘ auf dem Band, das der Heilige über seiner Rüstung trägt, ist ein klarer Beweis für die Bestimmung des Gemäldes, das von Castiglione nach England gebracht wurde, als dieser dorthin reiste, um die Insignien des Ordens entgegenzunehmen. Daher muss es vor dem 16. Juli, dem Tag, an dem Castiglione aufbrach, beendet worden sein.
Im Zeitraum zwischen der Fertigstellung des Louvre-Gemäldes Der heilige Georg im Kampf mit dem Drachen und diesem Gemälde studierte Raffael Donatellos wunderbares kleines Flachrelief von Or‘ San Michele. Ein derart perfektes Vorbild musste bei Raffael einen bleibenden Eindruck hinterlassen, und er kopierte es beinahe ebenbürtig. Es lassen sich allerdings ein oder zwei leichte Unterschiede erkennen, was belegt, dass Raffael kein bloßer Imitator war.
Das wunderschöne kleine Bild Die drei Grazien wurde vermutlich auch in Urbino gemalt; der Eindruck, den die in Stein gemeißelte Gruppe in Siena auf Raffael ausübte, war so groß, dass er überlegte, unzufrieden darüber, sie in seinem Gedächtnis nach einer hastigen Skizze zu vollenden, ob er nicht in der Lage wäre, es mit der Arbeit des griechischen Bildhauers aufzunehmen.
Während er sich bezüglich der Positionierung an das Original hielt, stattete er sie mit Haltungen und Proportionen aus, die ihm für ein Gemälde angemessener erschienen. Raffael malte drei italienische Mädchen des 16. Jahrhunderts und keine antiken Göttinnen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach nutzte Raffael seinen Aufenthalt in Urbino dazu, einen Ausflug nach Bologna zu unternehmen, wohin es ihn zog, da er wünschte, die Bekanntschaft Francesco Francias, dessen Berühmtheit als Goldschmied und Maler lange Zeit allbekannt war, zu machen. Francia war ferner der Meister einer der besten Freunde Raffaels, Timoteo Viti, und schon bald entwickelte sich eine enge Vertrautheit zwischen den beiden, wenn auch Francia zu diesem Zeitpunkt mit seinen fünfundfünfzig Jahren um einiges älter als Raffael war. Belege dieser Freundschaft existieren in Form eines Briefes, den ihm Raffael 1508 geschrieben hat, in dem er ihm dafür dankt, dass er ein Porträt von ihm angefertigt hatte.
Raffael betraute Francia außerdem mit der Aufgabe, sein Bild der Heiligen Cäcilia (Bd. 2, S. 129) entgegenzunehmen und wenn nötig zu überarbeiten. Vielleicht machte im Jahre 1510 auch Marc Antonio durch Francia die Bekanntschaft Raffaels. In der zweiten Hälfte des Jahres 1506, spätes-tens zu Beginn des Jahres 1507, kehrte Raffael nach Florenz zurück und schuf drei sehr unterschiedliche Gemälde, Apollo und Marsyas, die Heilige Katharina von Alexandrien (Bd. 2, S. 55) und die Grablegung. Man kann sich keine raffiniertere, harmonischere oder göttlichere Figur vorstellen als die des jungen Gottes in Apollo und Marsyas. Aufrecht stehend, das Haar im Wind flatternd, eine Hand in die Hüfte gestützt und die andere auf Kopfhöhe ausgestreckt, guckt er mit verächtlichem Blick seinen Rivalen an, der vor ihm sitzt und Flöte spielt. Das Bild Heilige Katharina von Alexandrien in der Londoner National Gallery zeigt zeitlich die erste der bezaubernden Figuren, die eine eigene Klasse innerhalb des Werks Raffaels bilden.
Es ebnet den Drei Tugenden in der Grablegung, der Heiligen Margarethe (S. * und Bd. 2, S. 181), der Heiligen Cäcilia von Bologna und so vielen anderen den Weg. Die im Vergleich zu dem Gemälde nur unmerklich weniger schöne Originalzeichnung befindet sich im Louvre. Im Jahr 1508, als Raffael sich auf den Weg nach Rom machte und sich vor ihm eine neue Welt auftat, war er gerade einmal fünfundzwanzig Jahre alt und hatte bereits in Umbrien, der Toskana, dem Herzogtum Urbino und Bologna gearbeitet.
Über sechzig Bilder (Passavant beschreibt fünfundfünfzig Ölgemälde), ein riesiges Fresko und zahllose Zeichnungen bezeugen seinen unerschöpflichen Schaffensdrang. Wohin er auch ging, legte er die größte Bescheidenheit gegenüber bestehenden Schulen an den Tag, dazu eine beispiellose Fähigkeit zur Nachahmung, die stets darin gipfelte, dass er seinen ehemaligen Meistern Konkurrenz machte.
Perugino und seine Schüler Pinturicchio, Timoteo Viti und Francia erkannten sein Genie, und Fra Bartolommeo war stolz, ihm einige Hilfestellungen gegeben zu haben. Die Gemeinden, Klöster und Kunstsammler aus Perugia, Città di Castello und Florenz ermutigten ihn und der Herzog von Urbino war froh, sein Förderer zu sein.
Bildnis einer jungen Frau mit dem Einhorn, 1506. Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 65 x 51 cm. Palazzo Pitti, Florenz.