Schlachtensplitter 4

Im Totbaumwald, auf der Roten Ebene

Gestern wurde ich erwürgt, heute bin ich wieder hier. Auf der Roten Ebene.

Wir sind im Totbaumwald, vor mir und rechts und links von mir Krieger in blauen Wappenröcken dicht an dicht. Ein Schmerz durchzuckt meinen Schädel, ich wurde noch nicht einmal verwundert, habe noch nicht einmal meine Klinge gezogen. Trotzdem spiele ich schon mit dem Gedanken, einen Heiltrank zu mir zu nehmen. Wäre das dumm? Ja, auf jeden Fall.

Aber wie gesagt, mein Kopf schmerzt und meine Knochen auch. Ich krame ein wenig herum. Ja, da ist eine Phiole. Ich hole sie heraus, entkorke sie vorsichtig, trinke. Die Schmerzen vergehen, ich fühle mich besser. Noch ist keine Chaos-Kreatur in Sicht. Aber ich kann sie hören, vor uns, in den Bäumen. Heute trage ich ein Kettenhemd. Ich ziehe mein Schwert, betrachte die Klinge. Guter Stahl.

Ich bin ganz zufrieden damit. Dafür sind die schweren Lederhandschuhe etwas zu steif. Ich stecke mein Schwert zurück, spreize stattdessen die Finger wieder und wieder. Es wird besser. Das charakteristische Heulen von Wargen erklingt. Orkische Kavallerie im Totbaumwald. Naja, das macht nicht wirklich Sinn. Aber gut für uns.

Noch stehen wir in Reih und Glied. Irgendwie mag ich den Totbaumwald. Er bringt ein Element des Chaos in diese ganze Sache. Sehr bald schon werden wir nicht mehr in Reih und Glied stehen. Schlachtreihen werden sich auflösen, werden zerfasern, werden ausgelöscht. Andere werden sich bilden. Alles unterliegt einer stetigen Veränderung und bleibt doch gleich. Ich setze mich auf den Boden. Die Kriegerin neben mir schaut mich merkwürdig an. Ich weiß, es wird noch einen Moment dauern, bis es losgeht. Irgendwann hat man das im Gefühl. Wir alle warten. Hier und da gibt es leise Gespräche. Nichts, was zu wiederholen sich lohnen würde. Geistloses Geplapper. Durch die riesigen, versteinerten Äste der Bäume ringsum schaue ich in den Himmel.

Die Drachen und die Harpyen fliegen bereits. Sie umkreisen sich. Auch dort oben hat der Kampf noch nicht begonnen. Ich frage mich, wie es ist, zu fliegen. Und überhaupt, die Drachen und die Harpyen, sind sie genauso auf der Roten Ebene, im Himmel der Roten Ebene gefangen, wie ich hier unten? Ich weiß es nicht, aber es muss so sein, oder? Warum sonst sollten sie bleiben? Ich meine, wenn ich einfach wegfliegen könnte von diesem Ort, ich würde nicht lange überlegen.

Nein, irgendetwas bindet sie, wie mich.

Und was ist mit dem Turmmeister und dem Herrn des Tores Gaarth? Sind auch sie an die rote Ebene gefesselt? Anzunehmen. Eines unserer Hörner erschallt.

Rings um mich herum regen sich die Blauröcke, Gespräche verstummen, ich seufze und stehe wieder auf. Es wird bald beginnen. Die ersten Zusammenstöße mit den Kreaturen des Chaos sind an jedem Tag ... ach, warum versuche ich überhaupt, das zu erklären? Ich aktiviere meine Steinhaut vorsorglich. Na gut, jetzt erkläre ich es doch.

Die erste Zeit in den Schlachtreihen, die ersten Zusammenstöße sind am gefährlichsten. Wir stehen beieinander, sind einfache Ziele, die Pfeile fallen dichter. Die Zauber finden immer irgendein Ziel. Später, wenn die Schlachtreihen sich aufgelöst haben, ist das ein wenig besser. Dann kann man navigieren, sich seine Feinde mehr oder weniger aussuchen. Aber hier, so eingepfercht zwischen all den anderen Kriegern - diese ersten Stunden zu überleben, das ist Glückssache.

Meistens hab ich welches. Meistens sind meine Tage auf der Roten Ebene relativ lang. Ich weiß nicht, ob ich das gut oder schlecht finde. Stolz darauf bin ich auf jeden Fall nicht. Vor uns eine Truppführerin. Die Frau ist füllig, groß, mittelalt. Sie trägt einen langen Speer und einen Schild.

Der Totbaumwald befindet sich im Südwesten der Roten Ebene. Aber von hier aus ist es nicht mehr allzu weit bis zum gewundenen Turm, wo der Turmmeister, naja, residiert. Die füllige Offizierin beginnt ihre Rede zu halten, hohle Phrasen voller Pathos. Ich habe diese Worte in tausend Variationen bereits tausendmal gehört. Aber sie macht es nicht schlecht, sie hat Charisma. Ich fühle tatsächlich ein wenig Kampfeslust in mir aufsteigen, auch wenn ich schon weiß, wie dieser Tag enden wird.

Im Westen hat es bereits begonnen. Ich kann den Schlachtenlärm hören, die Schreie und das Lied des Stahls. Die Offizierin hat ihre Rede beendet. Die meisten von uns stoßen ihre Hochrufe aus. Dann fangen wir an zu marschieren. Nach vorn, wie immer. Wie es üblich war, brauchen wir nicht lange zu marschieren. Bald erklingt Gebrüll. Chaos-Kreaturen kann ich inzwischen alle an ihrem Gebrüll unterscheiden. Es klingt immer schrecklich. Großknüppler sind keine angenehmen Gegner. Jeder von ihnen breit wie ein Fels und anderthalb Mann hoch. Jedem von uns ist klar, dass es Verluste geben wird. So ein Großknüppler ... na ja ... sieben oder acht Krieger schafft der schon. Die Großknüppler brüllen, wir brüllen. Ich tauche unter einem Hiebe hinweg, spüre den Luftzug und bin an diesem Großknüppler vorbei.

Ich muss mich zur Seite werfen. Die Keule eines anderen Großknüpplers fährt an der Stelle hernieder, an der ich mich gerade noch befunden habe. Ich will mich umdrehen, will kämpfen. Ich bin froh, dass ich mein Schwert nicht verloren habe. Dann bekomme ich einen Schlag ab, der mich kurzzeitig das Bewusstsein verlieren lässt.

Benommen setze ich mich auf. Es sieht so aus, als würden wir diesen Kampf gewinnen. Ein Großknüppler ist noch auf den Beinen. Naja, auf dem, was von seinen Beinen noch übrig ist.

Unsere Krieger hacken und stechen vor allem auf die Beine ein. Das liegt an den Größenverhältnissen. So einfach ist das. Unsere Truppführerin ist auch dabei. Sie stößt ihren Speer tief zwischen die Beine der Chaos-Kreatur, reißt ihn zurück, stößt noch einmal zu. Der Großknüppler schreit, natürlich schreit er, nun allerdings nicht mehr vor Angriffslust. Aber in der Truppführerin, da brennt eine Lust. Lust daran, die Chaos-Kreatur leiden zu lassen. Sie lebt sich aus. Die anderen Krieger und ich sehen ihr zu. Vielleicht will sie uns auch nur zeigen, dass sie eine gute Truppführerin ist, dass sie in erster Reihe kämpft. Dass man unter ihrer Führung überleben wird, als ob das wichtig wäre.

Ich weiß nicht, was sie denkt, aber das Schauspiel ist sehenswert. Ein Krieger, ein narbiger Kerl mit schwarzem Bart spielt an sich herum. Niemand nimmt Anstoß. So etwas sieht man oft auf der Roten Ebene. Außerhalb der Schlacht existieren wir nicht. Wir sind alle gleich. Es gibt keine Scham. Irgendwann ist die Truppführerin fertig damit, auf die Leiche des Großknüpplers einzustechen. Durch den Totbaumwald rücken wir weiter nach Norden vor. Einige Zeit später werden wir von der rechten Flanke her von einem Trupp Tiermenschen überfallen. Ihr Anführer ist ein Löwenmann. Der Kampf tobt. Bald ist seine Mähne vom Blut unserer Leute rot gefärbt.

Ein Speerträger neben mir hat seine Waffe verloren. Er weicht vor einer Pumafrau zurück. Ihre Krallen haben bereits Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Sie bemerkt mich nicht. Ich treibe ihr mein Schwert durch den Oberkörper. Dann hebe ich den Speer des Mannes auf und werf ihn ihm zu. Ich warte seinen Dank nicht ab. Ich kann Schleudersteine in der Luft hören. Sie schlagen in der Nähe ein. Drei Stück. Die großen und schweren Steingeschosse krachen in die versteinerten Bäume des Totbaumwaldes.

Ohrenbetäubend.

Splitter fliegen. Manche sind so groß, dass sie Schaden anrichten können. Unsere Krieger und Chaos-Kreaturen gleichermaßen werden von ihnen erschlagen. Ich selbst werde nur knapp verfehlt, und einer Speerkämpferin neben mir fällt ein Stein auf den Fuß. Ich kann die Knochen brechen hören. Sie schreit nicht, die Frau, sie beißt die Zähne zusammen und flucht. Ich frage sie, ob sie noch einen Heiltrank hat und sie nickt. Das reicht mir. Ich stelle mich einem weiteren Tiermenschen. Ich greife an, mit einem hoch geführten Hieb. Instinktiv reißt die Bestie die Arme hoch, um ihn abzuwehren, und verliert eine Tatze. Instinkte sind nicht immer richtig.

Kurz darauf durchtrenne ich die Kehle des Wesens, lasse es ausbluten. Ich schaue es mir nicht an. Wozu? Ich gehe weiter. Eine Büffelfrau erschlage ich von hinten. Dann noch einen Garthor, der sich unter die Tiermenschen gemischt hat. Eine Kriegerin mit einer Hellebarde fällt mir auf. Ich weiß nicht warum, sie kämpft nicht besonders gut. Die schwingt ihre Waffe, als wäre es ein Dreschflegel. Ohne jede Eleganz, plump und ungelenk. Aber sie gewinnt ihren Kampf. Sie rampt der Chaos-Kreatur die Spitze ihrer Waffe tief in den Oberschenkel. Dann reisst sie sie heraus und stößt noch einmal zu, gegen den Brustkorb. Sie erwischt das Herz. Ihr Atem geht hechelnd, als sie sich zu mir umdreht.

Sie lächelt mich an, will Beifall. Von mir kriegt sie keinen. Ihr Lächeln gefriert und sie dreht sich weg. Das ist gut, im Kampf hat sie einen ihrer Heiltränke verloren. Ich hebe ihn auf. Jetzt brauche ich ihn noch nicht, später aber sehr wahrscheinlich.

Ich steige auf den Tiermenschen, auf seinen Brustkorb meine ich. Ich verschaffe mir einen Überblick. Nach diesem Kampf werden wir wohl gewinnen. Aber unser Trupp ist um die Hälfte geschrumpft. Ich frag mich, ob unsere Truppführerin noch auf den Füßen ist.

Ist sie. Sie feuert drei Schwertkämpfer an. Von ihren Rufen begleitet zerhacken sie eine weitere Chaos-Kreatur. Ich greif in mein Vorratsbeutel, esse eine Karotte und warte, bis dieses Scharmützel vorbei ist.

Ein gewaltiges Krachen, lauter noch als das, das die Schleudersteine verursacht haben. Der Herr des Tores Gaarth hat uns ein Gruß geschickt. Die Erde bebt, Feuer und Steinsplitter überall. Ich sehe, wie sich die Münder meiner Kameraden zum Schreien öffnen. Hören kann ich ihre Schreie nicht. Ich kaue auf einem Stück Karotte herum, aber auch ich bleibe davon nicht unbeeindruckt. Außerdem beiße ich mir auf die Zunge. Verdammt, am Mist! Auch unsere Katapulte und Ballisten feuern wieder. Noch mehr Steinsplitter, noch mehr zufälliger, chaotischer Tod.

Diesmal hat die Truppführerin kein Glück. Ein kopfgroßer Stein trifft sie mitten ins Gesicht. Sie fällt, langsam, wie ein großer Baum. Ihr Kopf hat nur noch seine halbe Größe. Ich seh mich weiter um. Eine unserer Kriegerinnen rappelt sich wieder zurück auf die Füße. Sie sieht ein wenig desorientiert aus, aber sie findet einen Streitkolben auf dem Boden. Sie nimmt ihn mit. Ich gehe zu ihr hin.

Sie ist zu jung, um hier zu sein. Ich denke, ich werde ein wenig auf sie aufpassen. Es gelingt mir, eine ganze Weile dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Wir überstehen Kämpfe mit Silberskeletten und Schwerthexern, dann noch mehr Tiermenschen. Sie wird zwischendurch am Bein verletzt.

Ich gebe ihr den Heiltrank, den ich mir vorhin erschlichen habe. Unsere nächsten Gegner sind Korrumpierte. Vielleicht ist es deren Ähnlichkeit zu uns, die sie so in Angst versetzt hat. Auf jeden Fall flieht sie mitten im Kampf und lässt mich zurück. Ich hacke und schlage um mich. Ich mag die Korrumpierten nicht. Köpfe fallen, Finger, Hände und Arme werden durchtrennt. Dreimal rettet mich meine Panzerung. Zum Glück war es nur ein kleines Grüppchen. Am Ende habe ich sie alle getötet. Ich sehe mich um, sehe ihnen in die degenerierten Gesichter.

Sicher, die Augen sind jetzt tot und leer. Aber vorher waren sie noch beseelt. Und ihre Seelen, die waren schmutzig. Aber auch das ist einfach so auf der Roten Ebene.

Niemand ist hier ehrenvoll, ein jeder hat Schuld auf sich geladen. Ich gehe langsam weiter. Dann finde ich die Leiche des Mädchens. Zwei Guhle wühlen in ihren Eingeweiden. Ich weiß nicht, ob es nur ein Nervenzucken ist oder ob sie noch lebt, aber ihre Augen bewegen sich. Ihr Mund öffnet und schließt sich langsam, fast im Gleichtakt mit den gierigen Kiefern der Guhle. Die Guhle erschlage ich zuerst und dann, um sicherzugehen, dass sie wirklich tot ist, stoße ich ihr meine Klinge durchs Herz. Schade, dass sie heute einen solchen Tod erlitten hat. Aber schlimm, nein, schlimm ist es nicht, denn morgen wird sie wieder kämpfen.

Ich weiß, dass sie nicht unschuldig sein kann. Es war ihr Äußeres, nehme ich an, ihre Jugend, die mich dies annehmen ließ, die in mir den Wunsch geweckt hat, sie zu beschützen, für ein Weilchen. Aber man sollte solche Regungen nicht hinterfragen. Nicht hier. Man sollte sich freuen, dass man überhaupt noch menschliche Regungen hat.

Ich treffe auf einen Mann und eine Frau in blauen Wappenrock. Ich bleibe neben ihnen stehen. Eine Weile lang ignorieren sie mich. Ich scheine sie zu stören. Am Ende gehen wir aber doch zusammen weiter durch den Totbaumwald auf der Suche nach neuen Chaos-Kreaturen. Sie sagen mir ihre Namen und ich sage ihnen, wie ich heiße. Jeder von uns weiß, dass das keine Rolle spielt. Trotzdem, irgendwie nett, diese Geste der Höflichkeit. Um die Mittagszeit haben wir uns einem anderen Kampftrupp angeschlossen. Plötzlich erfüllt ein Kreischen die Luft.

Blutsirenen.

Ich rolle mich zusammen, halte mir die Ohren zu und lasse die anderen das Töten und Sterben erledigen. Wir haben Glück, denn es sind nur drei Blutsirenen, die in der Luft heranschweben. Wir haben offenbar ein paar gute Bogenschützen im Trupp. Das Schreien und Kreischen der Blutsirenen hält nicht lange an. Ich stehe wieder auf und ignoriere die Blicke der anderen, in denen Verachtung liegt und Abscheu.

Solche Blicke treffen mich nicht mehr. Sie haben mich schon damals nicht mehr getroffen, bevor ich auf der Roten Ebene war. Erinnerungsfetzen eines früheren Lebens. Schon als Kind wurde ich beim Diebstahl erwischt. Schon als Kind hat man mich Feige genannt. Schon als Kind war mir das egal. Trotzdem bekomme ich jetzt irgendwie die Quittung für mein Verhalten. Orkpfeile surren durch die Luft auf uns zu. Die Spitze eines dieser Pfeile bohrt sich in mein linkes Bein. Fast schon heiße ich den Schmerz willkommen. Ich lass den Pfeil eine Weile stecken.

Zum einen will ich nicht verbluten. Zum anderen, wie gesagt, jeder muss seinen Preis zahlen auf der Roten Ebene. Zwei Speerträgerinnen kümmern sich um mich, nachdem die Orks besiegt sind. Eine hält mich fest, was nicht nötig wäre. Die andere reißt den Pfeil heraus und verbindet die Wunde. Ich frage nach einem Heiltrank, aber ich bekomme keinen. Ich will nicht betteln. Auch das hab ich in meiner Kindheit oft genug tun müssen. Das tut mehr weh als die Pfeilwunde. Unruhe kommt auf, als ein Landkranke sich zwischen den Bäumen hindurchwälzt. Die riesige, tentakelbewehrte Bestie hat es auf meine Gruppe abgesehen. Die Bogenschützen tun ihr Bestes, aber er erreicht uns. Ich humple nach hinten, als zwei Tentakel auf uns zuschießen. Die schlingen sich um eine meiner Helferinnen, reißen sie in der Mitte durch.

Für einen Moment hängt der Oberkörper in der Luft und die Eingeweide baumeln heraus. Die andere kreischt und schreit und heult, aber dann schleudert sie ihren Speer. Ich sehe sehr viele, sehr widersprüchliche Regungen in ihrem Gesicht. Die letzte ist Panik, als sie bemerkt, dass sie jetzt keine Waffe mehr hat. Der Landkrake ist inzwischen schwer verletzt von zahllosen Hieben und Pfeilen. Als er stirbt, reißt er einen der versteinerten Todbäume mit sich um. Offenbar ist der Landkrake aber nur eine Vorhut einer Gruppe von Chaosstreitern. Meine Helferin hat inzwischen eine neue Waffe gefunden. Einen Säbel. Von dort, wo ich stehe, ja, ich stehe inzwischen wieder, kann ich sehen, dass die Klinge nicht von besonders guter Qualität ist.

Trotzdem kämpft sie tapfer. Drei Chaosstreiter macht sie nieder, bevor sie fällt. Auch ich schwinge wieder mein Schwert. Drei Axthiebe muss ich abwehren, bevor ich selbst meinen nächsten Treffer lande. Ich habe Glück und der Stich ist tödlich. Dennoch, ich hebe einen Bogen auf und einen Pfeilköcher. Bis zu meiner nächsten Heilung bin ich mit dieser Waffe wohl besser bedient. Ich bin heute nicht der beste Schütze, aber ich leiste meinen Beitrag. Es ist bald vorbei und dann bin ich erschöpft. Ich schaue auf mein Bein. Am Blutverlust liegt es nicht. Der Verband hält. Sie haben ihn doch ziemlich festgezurrt. Ich spüre meinen Herzschlag jetzt sehr stark. Weil ich mit der Wunde langsamer bin, gehe ich hinten. Wir ziehen weiter durch den Totbaumwald. Wir halten an und ich frage mich warum, bis ich das Zischen einer Sulphurspinne höre. Meine Augen suchen die Bestie.

Unsere Schwertkämpferinnen an der Spitze befinden sich bereits im Kampf. Ich berechne den Winkel, spanne die Sehne, lasse sie los, kein Treffer. Am Ende ist es eine der Schwertkämpferinnen, die die Sulphurspinne tötet. Bis zum Heft ins Auge. Hätte ich nicht besser machen können. Jetzt wo ich das gesehen habe, habe ich plötzlich schlechte Laune. Ich will diese dämliche Beinwunde nicht mehr. Es sind nicht die Schmerzen, es ist die Einschränkung, die damit einhergeht.

Unerwartet fühle ich eine Träne über mein Gesicht fließen. Sie kam aus dem linken Auge. Die will ich auch nicht. Ich hab nicht um sie gebeten. Aber ich konnte nichts dagegen tun und irgendwie macht mich das wütend. Ich wische sie weg. Kleine Steine knirschen unter meinem Schritt. Mein Blick wandert und ich sehe Lord Whiley, die Flamme von Brackenburg. Sein Wappenrock ist dunkelgrün und mit Silber bestickt. Das Wappen seines Hauses, ein aufrecht stehender Bär. In dem Augenblick, in dem ich ihn wahrnehme, tut er gar nichts. Er steht einfach nur da und die Sonne funkelt auf seinem Stirnreif. Dann begreife ich, dass er einem Lähmungszauber unterliegt.

Suche nach der Quelle. Ich schicke einen Pfeil auf den Weg. Diesmal treffe ich und ich fühl mich besser. Es dauert eine Weile, bis die Lähmung ganz verflogen ist. Ich beobachte ihn. Ich will wissen, ob er nach mir sucht. Nach seinem Retter, ob er sich bedanken will.

Will er nicht. Auch gut. Ich seh ihm nach, wie er davonstapft. Eine korrumpierte Frau hat sich an mich herangeschlichen. Es gelingt mir, ihren Angriff abzuwehren und ihr den Bogen ins Gesicht zu schlagen.

Trotzdem reißt die Angriff mich von den Füßen. Sie landet auf mir, Blut tropft aus ihrer Nase direkt in mein Gesicht, als sie versucht mich zu erwürgen. Ihre Augen sprühen vor Hass. Ich frage mich, woher sie bloß diese Leidenschaft nimmt. Weiß sie nicht, dass alles keine Rolle spielt, frage ich mich. Ihr Griff wird fester. Also nein. Nein, sie scheint es nicht zu wissen. Während mein Blick langsam verschwimmt, sehe ich magische Energie durch die Luft zucken. Ich höre Kampfgeschrei und Schmerzenslaute. Interessanterweise werden sie immer lauter, je weniger ich sehen kann. Sterne tanzen vor meinen Augen. Ich akzeptiere, dass es für heute für mich vorbei ist.

Dann fällt mir ein, dass ich bereits gestern erdrosselt wurde. Langweilig. Na gut, dann eben nicht. Der Tag ist gerade mal halb vorbei. Im Süden werden ein paar unserer großen Ballisten abgefeuert. Ich kann hören, dass die Pfeile auf dem Weg hierher sind. Naja, Pfeile ist vielleicht das falsche Wort. Speere sind es, halbe Baumstämme. Einer davon reißt die korrumpierte Frau von mir herunter, trägt sie mit sich, nagelt sie gegen einen Totbaum. Ich kann plötzlich wieder atmen, und das tue ich eine ganze Weile.

Einfach nur einatmen und ausatmen. Es tut weh im Hals, aber mein Blick klärt sich wieder. Die Sterne verschwinden, und langsam verschwindet auch die Übelkeit.

Die korrumpierte Frau war nicht alleine, bemerke ich dann. Sie hat uns mit fünfzig ihrer Artgenossen angegriffen. Meine Leute erwehren sich ihrer mit erbitterter Standhaftigkeit. Aber nein, etwas stimmt nicht. Ah, es sind nur fünf Korrumpierte. Die anderen 45 sind magisch erzeugte Trugbilder, die uns verwirren sollen.

Umso besser, ich schreie meine Erkenntnis heraus und einige nehmen meinen Schrei wahr. Es dauert nicht lange, dann ist der letzte Korrumpierte erledigt und die Trugbilder verschwinden. Aus irgendeinem Grund beschließt der Truppführer, dass wir hier die Stellung halten sollen.

Außerdem haben uns die Korrumpierten auf eine Idee gebracht. Plötzlich sind wir doppelt so viele wie zuvor. Auch irgendeiner von uns hat ein Trugbild gewirkt. Soll mir recht sein. So werden uns kleinere Einheiten von Chaos-Kreaturen in Ruhe lassen. Höchstwahrscheinlich zumindest.

Eine Schwertkämpferin neben mir nutzt die Pause. Sie zieht die Platten ihrer Rüstung wieder fest. Irgendein Gurt scheint sich gelockert zu haben. Ich lehne mich gegen einen Totbaum und schaue in den Himmel. Ein weißer Drache wird von zwei Roten bedrängt. Er blutet bereits aus zahllosen Wunden. Er ist größer als seine Gegner, aber das wird ihm nicht viel nützen. Flammen zucken über den Himmel. Die Bewegungen der schönen Tiere sehen langsam aus, aber ich weiß, dass das nicht stimmt.

Am Ende erwischen sie ihn, zerreißen ihn in der Luft. Sie reißen ihm einen Flügel aus, er stürzt. Im Fallen allerdings verbrennt er noch einen ganzen Schwarm Harpyen, die unterwegs zu uns waren. Er wird nicht in unserer Nähe auf der Roten Ebene aufschlagen. Er steuert mit seinem verbleibenden Flügel. Vielleicht wird er den Sturz sogar überleben. Vielleicht wird er auf dem Boden herumkriechen und ein paar Chaos-Kreaturen verbrennen. Ich hoffe, dass es so ist. Ich mag Drachen. Sie sind schön. Ein bisschen seltsam. Aber sie wirken von all dem hier, was auf der Roten Ebene passiert, so herrlich unberührt. Sie tun eben, was sie tun, wozu sie geboren wurden. Wir im Gegensatz dazu, wir sind unnatürlich. Unser Dasein hier hat mit Natur nichts zu tun. Weniger als nichts, genau genommen.

Ich frage mich, wo auf der Roten Ebene diese Drachen ihre Schätze gehortet haben. Gibt es nicht immer einen Schatz, wo immer auch ein Drache ist? Ach, die alten Geschichten. Vielleicht werde ja auch ich einmal in einer Geschichte vorkommen.

Ich will weiter darüber nachdenken, aber das Geräusch heranfliegender Armbrustbolzen unterbricht meinen Gedankengang. Einer davon trifft mich sogar. Er durchdringt meine Panzerung, aber die Spitze piekt mich nur ein bisschen. Er muss weit geflogen sein, hat unterwegs an Kraft eingebüßt.

Ein Speerträger, etwas dicklich, älter als ich, Er stapft durch mein Blickfeld. Der Mann geht zu einem Totbaum hin und erleichtert sich. Dann die zweite Bolzensalve. Drei treffen ihn in den Rücken. Eine Kriegerin scheint die Schützen entdeckt zu haben und stößt einen Kampfschrei aus. Sie rennt los und vier andere Kämpfer mit ihr. Als sie zurückkehren, haben sie Ork-Köpfe dabei. Sie halten sie hoch. Wir alle sollen sehen, wie tapfer sie waren. Applaus, Applaus, Applaus. Einen der Orks scheinen sie übersehen zu haben.

Ein einzelner Bolzen fliegt heran, er trifft die Kriegerin direkt ins Auge, Er dringt tief ein, ich kann den Schaft kaum noch sehen, nur ein wenig der Fiederung. Ich bin so müde, Ich sehe der Frau nicht beim Sterben zu. Neben mir wächst eine Blume. Die ist ganz hübsch, ich konzentriere mich auf sie. Dann feuern wieder unsere Ballisten, sie sind nachgerückt, das Geräusch ist ziemlich laut, die Geschosse steigen in einem steilen Winkel über unsere Köpfe, ich begreife, dass sie auf einen der roten Drachen gezielt haben, die noch immer über uns gekreist sind. Eine gute Salve, zwei der Geschosse treffen, das Vieh schreit und stürzt.

Die kreisende, trudelnde Bewegung hat etwas Schönes und Hypnotisches. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass er auf mir landen wird. Ich aktiviere meine Hast, gerade noch im rechten Moment. Ein Totbaum zerbricht unter der Last des Drachen. Noch mehr Lärm. Als der Staub sich gelegt hat, stehen alle um den Drachen herum. Mit einer Pfeilwunde im Bein Hast zu aktivieren ist keine besonders gute Idee. Aber besser, als von einem roten Drachen erschlagen zu werden. Einer Frau neben mir drücke ich den Bogen in die Hand und dann den Pfeilköcher.

Sie ist verwirrt und ich weiß auch nicht, was ich mir dabei denke, aber ich ziehe mein Schwert wieder. Die Klinge ist schmutzig und ich reinige sie am Wappenrock eines Toten. Dann, wie aus dem Nichts, tauchen Reißer auf. Diese Bestien haben keine Angst vor irgendetwas. Der Kampf ist hart, ich gerate in eine Trance. Das passiert mir manchmal. Ausweichen, abwehren, angreifen, immer wieder. Links und rechts werden meine Leute von Klauen zerfetzt, zerrissen. In der Mitte, inzwei oder von oben nach unten. Schreie überall ringsum. Die Reißer haben den Illusionszauber aus irgendeinem Grund durchschaut und sich zum Angriff entschieden. Ich schlage und haue und steche um mich. Einer hat mich fast erwischt. Ich blute an der Schulter, aber es tut nicht sehr weh. Ich habe keine Zeit, Schmerzen zu fühlen. Ich mag diese Trance, mein Kopf ist dann so angenehm leer. Es gibt nur die Wahrheit der Schlacht. Kein großes Ziel, nur diesen Augenblick, diese Entrückung, den Nebel. Ich kämpfe, bis meine Muskeln versagen. Unter meiner Rüstung bin ich vom Schweiß ganz nass. Mein Schwert ist schon wieder schmutzig.

Ich merke, dass ich mich von meiner Gruppe entfernt habe. Der Kampf hat mich wie ein Blatt verweht. Viele stehen nicht mehr und die Reißer haben sie schrecklich zugerichtet. Hinter einem Totbaum sehe ich etwas Blaues.

Noch einer von uns, der es geschafft hat zu entkommen, der Glück gehabt hat. Ein Magier, etwa in meinem Alter. Ich mache eine Geste, zeige ihm, dass er leise sein soll. Er versteht und er nickt und er heilt meine Wunden. So schön, wenn der Schmerz nachlässt. Auch er hat das Bedürfnis, mir seinen Namen zu nennen. Auch diesen Namen merke ich mir nicht.

Aber ich nicke. Ich will nicht, dass er weggeht. Er soll bei mir bleiben. Wir sitzen zwischen den versteinerten Wurzeln eines Totbaums und reden. Der Wind trägt Schreie und Gerüche heran. Dann nimmt er sie uns wieder weg.

Ich frage ihn, ob er sich an vorher erinnern kann. Er erzählt mir ein wenig aus seinem früheren Leben, dass er in einem Fischerdorf von der Küste aufgewachsen ist. An irgendeiner Küste. Er weiß nicht mehr an welcher. Er spricht von einer Frau und von Kindern, von einem Experiment, das schiefgelaufen ist. Davon in Ungnade gefallen zu sein. Aber wir beide wissen, dass er nicht zu Unrecht hier ist. Niemand ist das. Während er spricht, kratzt er etwas Schorf von einem Kratzer im Gesicht. Er blutet ein wenig. Er könnte sich selbst heilen, aber er tut es nicht. Ob das einen Grund hat oder ob er schlicht nicht auf die Idee kommt, das weiß ich nicht. Sein Wappenrock ist ebenso zerfetzt wie meiner. Ich spiele ein wenig an den Kettengliedern meiner Rüstung herum. Ich bin jetzt wirklich sehr, sehr müde. Ich frage ihn, ob er einen Tarnzauber kennt. Ob er uns für eine Stunde nur aus der Schlacht herausnehmen könnte.

Früher einmal hätte er es gekonnt, sagt er, sagt, dass der Spruch hier nicht funktioniert. Ich würde so gerne schlafen, richtig schlafen. Ich meine nicht diesen Dämmerzustand zwischen den Schlachten. Wir beschließen, unsere Rationen zusammenzulegen, essen gemeinsam. Irgendwann steht er auf und geht weg. Ich bleibe sitzen zwischen den Wurzeln des Totbaums. Ich summe ein Lied aus meiner Kindheit. Ich summe es immer wieder, beginne immer neu von vorn. Vielleicht wird es irgendeine Chaos-Kreatur hören im Schlachtenlärm. Vielleicht wird sie zu mir kommen und mich töten. Es wäre nicht schlimm, denn morgen würde ich dann wieder kämpfen auf der Roten Ebene.

Ich schließe die Augen und überlege, wie ich heute wohl sterben werde. Was für eine Chaos-Kreatur mich töten wird. Gibt es irgendeinen Tod, den ich noch nicht gestorben bin? Ich glaube nicht. Am Himmel fliegt ein neuer weißer Drache. Im Moment kreist er dort oben, ganz einsam, so ähnlich wie ich hier sitze. Ich stehe erst wieder auf, als ich einen Narbengeißler höre. Er stapft hinter dem Baum vorbei, an dem ich sitze. Ich rufe nach ihm. Der Kampf, der folgt, ist recht unterhaltsam. Es ist ein schnelles und starkes Exemplar. Wir kämpfen für vielleicht fünfzehn Minuten, was aber auch daran liegt, dass ich es in die Länge ziehe. So manche Gelegenheit, den Kampf siegreich zu beenden, lasse ich aus, verlege mich auf die reine Abwehr seiner Attacken. Hier und da piekse ich ihn ein wenig. Er blutet aus vielen oberflächlichen Wunden und wird immer wütender. Zwischen zwei Schlägen muss ich lachen. Aber warum sollte man nicht ein wenig Spaß haben? Außerdem will ich, dass er wütend ist, wenn er mich tötet. Ich möchte etwas fühlen und wenn es Agonie und Pein sein soll, dann gut. Der Narbengeißler erfüllt mir meinen Wunsch. Er zerfetzt meine Wange, bricht mir den linken Arm. Er reißt mir den Brustkorb auf.

Er schließt seine Klaue um mein Herz und drückt zu. Sein zornerfüllter Blick sucht meine Augen, ich halte ihm stand und lächle. Er versteht es nicht und wird schon wider wütend, er lässt mein Herz los. Nun beginnt er mir, die Beine auseinanderzureißen. Diesen Schmerz kannte ich noch nicht. Er zieht und zerrt, so lange, bis er eines meiner Beine abgerissen hat. Die Knochen waren schon lange vorher gebrochen. Ich müsste schon längst tot sein, längst nichts mehr fühlen. Aber ich spüre sie, ich spüre die Schmerzen und sie sind schrecklich.

Es ist fast so, als wollte mich die rote Ebene bestrafen, dafür, dass ich beschlossen habe, den Tod zu suchen. Und wenn es nur für heute ist, das kommt mir paradox vor, denn es ist nicht schlimm, wenn ich sterbe. Denn morgen werde ich wieder kämpfen, auf der Roten Ebene. Nichts spielt eine Rolle.