Schlachtensplitter 8
Im Totbaumwald
Sie ist vorbei, die erste Schlacht für heute. Von Boden seh ich hoch zum Himmel, die versteinerten Äste in meinem Blickfeld, die der Bäume des Totbaumwaldes, verleihen dem Bild einen bizarren Rahmen. Es ist ein interessantes Paradox, den Wind im Haar zu spüren, ihn durch die Bäume pfeifend zu hören, aber in den Ästen keinerlei Bewegung wahrzunehmen.
Schlachten im Totbaumwald sind immer chaotisch, es gibt keine offenen Flächen. Man hat keinen Platz, mit Formationen und Marschordnungen zu arbeiten. Am Ende besteht eine Schlacht wie so oft aus einer Vielzahl einzelner Kämpfe und Duelle. Auch ich habe heute gekämpft. Ich war sogar ganz gut, muss ich sagen. Nach dem sechsundzwanzigsten Ork habe ich aufgehört zu zählen. Vor allem, weil ab dann auch Ungetüme, Chaos-Streiter, Vampire und Skelette aufgetaucht sind. Muss man differenzieren, aber wenn man kämpft, dann fällt das manchmal schwer. Jetzt tut mir alles weh. Ich durchsuche die Leichen meiner Kameraden nach Heiltränken. Ich finde drei und trinke zwei.
Die zahllosen kleinen Wunden und Schnitte, die ich davon getragen habe, schließen sich. Ich fühle mich besser. Es ist schwer zu sagen, wer gewonnen hat und wer verloren. Ich kann nur sagen, dass in meiner direkten Nähe niemand mehr am Leben ist. Weder ein Blaurock noch ein Chaos-Streiter. Nur ich und die Leichen meiner Feinde. Ich sehe an mir herab, an meiner Rüstung. Sie ist ziemlich lädiert. Ich suche mir einen toten Blaurock, der eine Bessere trägt, und nehme sie mir. Zumindest mal die Brustplatte und die Kettenkapuze.
Ich nehme mir sogar die Zeit, sie mit seinem Umhang sauber zu reiben. Der ist jetzt natürlich dreckig. Also suche ich mir den Toten mit dem saubersten Umhang. An einem der versteinerten Bäume lehnt eine Frau. Ein einzelner Pfeil ragt aus ihrer Brust. In der Fiederung und im Haar der Frau spielt der Wind. Ich betrachte dieses Bild eine Weile. Dann finde ich ihren Umhang gut genug und nehme ihn mir. Ich weiß nicht, warum das an diesem Tag auf der Roten Ebene für mich eine Rolle spielt. Aber ich will sauber sein nach der Schlacht. Nach und nach tausche ich alles aus. Die Stiefel, mein Schwert, meinen Schild, sogar das Lendentuch und die Beinlinge. Jemanden zu finden, der noch ein sauberes Ländentuch trägt … tja, das hat eine Weile gedauert.
Von weit her dringt neuer Schlachtenlärm heran. Eigentlich sollte ich hingehen, ich mag aber nicht. Ich wandle weiter zwischen den versteinerten Bäumen des Totbaumwaldes umher. Bei jedem Schritt, den ich mache, kommt eine Erinnerung hoch. Wie ich mich bewege, zuschlage, ausweiche, wie meine Klinge in Chaosfleisch beißt. Es fühlt sich immer gut an, aber es nutzt sich ab, dieses Wohlgefühl des Tötens. Wenn man als Krieger gut genug ist, fängt man an, sich kreativere Methoden auszudenken. Man stellt sich selbst Aufgaben.
Schlag dem Vampir beide Beine ab, bevor du ihn umbringst. Erledige einen Oger mit nur einem Schlag, und so weiter. Das kann einen eine Weile beschäftigen, aber am Ende nutzt auch das sich ab. Alles nutzt sich ab, verfällt, wird unwichtig auf der Roten Ebene. Dennoch ist man immer wieder bereit, die Waffe zu ziehen, die meisten von uns zumindest. Man ist immer wieder bereit, das Schwert zu erheben und die Axt zu schwingen. Ist bereit, die Anstrengung auf sich zu nehmen, den Schmerz in Kauf. Warum, frag ich mich, ich weiß es nicht. Einige Zeit wandelte ich zwischen versteinerten Bäumen und Leichen umher. Dann sehe ich etwas, eine Hütte.
So viele Male habe ich schon im Totbaumwald gekämpft. Aber eine Hütte hab ich hier noch nie gesehen. Plötzlich wird mir ganz heiß. Ich beschleunige meinen Schritt. Anfangs verringere ich die Distanz zwischen mir und der Hütte, so schnell ich kann. Dann, je näher ich herankomme, werde ich langsamer, beobachte genauer. Irgendwann einmal bestand auch diese Hütte aus Holz. Aus demselben Holz wie die versteinerten Bäume. Natürlich ist auch sie versteinert. Ich komme noch näher heran. Ich frage mich, ob ich eine versteinerte Tür bewegen kann. Aber das muss ich gar nicht, sehe ich, als ich um die Ecke biege. Die Tür steht offen.
Ich könnte die Hütte betreten, aber ich rüttle dennoch an der Tür, weil ich wie gesagt wissen will, ob ich sie bewegen kann. Es stellt sich heraus, dass das nicht der Fall ist. Ich wende mich also von der Tür ab und schaue in die Hütte hinein. Eine Feuerstelle aus Steinen, ein Bett, ein Tisch mit einer versteinerten Öllampe darauf. Natürlich ist nicht nur die Öllampe versteinert, sondern auch alles, was ich in der Hütte befindet. Ich gehe hinein und sobald mein Fuß den Boden der Hütte berührt, ist sie nicht mehr da.
Verblüfft drehe ich mich um. Nein, tatsächlich, sie ist weg, Und ich stehe hier im Totbaumwald. Um mich herum nur die versteinerten Bäume, aa, und die Leichen natürlich. Ich setze mich, dann lege ich mich hin, starre in den Himmel. Dort oben ist es verdächtig ruhig. Keine Drachen, keine Harpyen, keine ... einfach nichts. In den Wolken sehe ich Gesichter. Ich sehe die Gesichter von gefallenen Freunden. Freunde sind relativ auf der Roten Ebene. Irgendwann, wenn man sich oft genug gesehen hat, wenn man oft genug nebeneinander gekämpft hat, dann hat man sich alles gesagt. Was bleibt dann noch?
Die Wolken verwirbeln und bilden neue Gesichter, und jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, nicht mehr sicher, ob das die Gesichter von Freunden sind, oder einfach irgendwelche Gesichter. Ich höre ein Stöhnen ganz in meiner Nähe, kein Lustlaut, ein Schmerzwimmern, jemand kommt wieder zu sich. Langsam setze ich mich auf, drehe den Kopf nach links, sehe nichts, drehe ihn nach rechts. Eine Kriegerin in meinem Alter etwa, Sie muss bewusstlos gewesen sein. Ihr linkes Auge ist zugeschwollen. Ich hole den Heiltrank aus der Tasche,
Sie wird ihn nur kriegen, wenn sie mich entdeckt und zu mir rüberkommt. Ich bin eigentlich nicht scharf darauf, ihn herzugeben. Aber schlecht erzogen bin ich auch nicht. Sie muss ihn sich verdienen. Ich schaue, welche Art von Wunde sie davon getragen hat. Die Rüstung scheint intakt. Ich finde nichts. Na, vielleicht war es am Ende wirklich nur der Schlag auf den Kopf. Etwas wackelig steht sie nun da auf ihren beiden Beinen, sieht sich um. Sie wedelt ein wenig mit den Armen, um ihr Gleichgewicht zu halten. Ich wette, dass sie gleich wieder umfällt, aber ich verliere diese Wette gegen mich selbst.
Tatsächlich sieht sie mich. Sie kommt nicht sofort rüber, zuerst sieht sie sich um, dann macht sie ein paar staksige Schritte, geht ein wenig nach rechts, und hebt eine Axt auf. Eine schöne Waffe, sieht gut aus, brauchbar, scharf. Sie packt den Stiel fest, bevor sie zu mir kommt, als ob sie mir nicht trauen würde. Ich halte ihr den Heiltrank hin, ich kann nun den Zwiespalt in ihrem Gesicht sehen. Wenn sie den Heiltrank nehmen möchte, und das müsste sie eigentlich wollen, dann muss sie die Axt loslassen.
Zumindest so kampfbereit wie jetzt wäre sie im Moment dann nicht. Kurz bin ich in Versuchung an mir herabzusehen, nachzusehen, ob ich auch wirklich einen blauen Wappenrock trage wie alle anderen. Ja, das tue ich. Mit mir scheint also wirklich alles in Ordnung zu sein. Ich verstehe nicht, was sie hat. Traumatisiert vielleicht? Na gut, das sind wir alle. Wir schauen uns eine ganze Weile lang an. Ich frage, ob wir uns kennen, und sie schüttelt den Kopf. Ich halte ihr den Heiltrank noch einmal hin, sage, ich brauche ihn nicht, und schließlich will sie danach greifen. In dem Augenblick, in dem sie ihn fast berührt, fällt etwas neben sie.
Ein violetter Dunst geht davon aus, ein orkischer Feuerstein. Ich fluche, halb werfe ich mich, halb rolle ich mich weg, so weit weg wie möglich. Ich aktiviere meine Steinhaut. Dann der magische Knall. Die Druckwelle versengt mir die Augenlinie. Als sich der Dunst verzieht, steht da noch ein Bein. Der Unterschenkel, am Knie abgetrennt. In einem Stiefel. Der Rest von ihr bröckchenweise im Umkreis verteilt. Innerlich seufze ich, als ich aufstehe und mich nach den Orks umsehe. Zwei Pfeile prallen an meiner Rüstung ab. Ja, es ist vorbei mit der Ruhe.
Ich beginne mit der Phönixparade, das scheint mir angemessen. Tatsächlich fühle ich mich ein wenig wiedergeboren. Ein paar schnelle Drehungen und hinter mir liegen drei Orks im Dreck und bluten. Nur einer ist tot, die anderen zwei halten ihre Eingeweide fest. Dabei machen sie lustige Gesichter. Ein Pfeil trifft mich im Schritt. Ein Glück. Meine Steinhaut verhindert Schlimmeres. Sie wird noch einen Moment lang wirken. Daher habe ich die Zeit, den Schützen anzulächeln. Der Ork ist kleiner als seine Artgenossen und als ich einen Schritt auf ihn zumache, ja, da dreht er sich um und rennt. Zwei der eigenen Leute machen ihn nieder.
Ich verstehe nicht ganz, warum sie so sauer sind. Es ist doch ohnehin egal. Naja, offensichtlich sehen sie das ein wenig anders. Außerdem haben sie mich meines Vergnügens beraubt. Orks sind einfach missgünstige Kreaturen. Also vergnüge ich mich mit ihnen. Ich weiß nicht, wie lange es dauert. Irgendwann mittendrin fühle ich mich geistig fit genug, meine Hast zu aktivieren. Ab diesem Zeitpunkt geht es auf jeden Fall schnell. Aber es ermüdet mich auch. Im Prinzip bin ich jetzt wieder im selben Zustand, in dem ich vorhin schon war.
Ich habe gekämpft, ich habe gesiegt und ich bin atemlos. Ich gehe zurück zu der Stelle, an der ich vorhin schon saß und setze mich wieder dorthin. Dann denke ich über die Hütte nach. Wohin ist sie verschwunden? Warum ist sie verschwunden, kaum dass ich sie betreten hatte? Spielt es eine Rolle und sollte ich aus dem Umstand lernen, dass sie verschwunden ist? Oder ist auch das völlig egal? Ich erinnere mich an den Heiltrank. Wo ist der denn hingekommen? In der Explosion des orkischen Feuersteins zerstört worden? Sehr wahrscheinlich.
Ohne aufzustehen, lasse ich meinen Blick schweifen, bis ich ihn finde. Ah, er liegt dort drüben im Dreck. Die Phiole ist zerbrochen, aber ein bisschen der kostbaren, roten Flüssigkeit wird vielleicht noch zu retten sein, denke ich mir. Ich bemühe mich, würdevoll zu gehen und Stärke auszustrahlen, nur für den Fall, dass mich jemand beobachtet. Ich bin schon ein alberner Vogel. Ich nehme die Phiole in die rechte Hand und gieße mir das, was noch übrig ist, in die linke. Dann schlürfe ich die Flüssigkeit auf, dabei versuche ich, keine Glassplitter zu schlucken. Es gelingt mir. Ein Gutteil meiner Müdigkeit verfliegt.
Ich warte ein Weilchen, bis sich meine Hast und meine Steinhaut regeneriert haben. Ein irres, hohes und vielstimmiges Kichern dringt an mein Ohr. Blutkobolde. Sie rennen und springen auf mich zu, eine ganze Horde. Sie schwingen die üblichen Knochenwaffen. Ich denke nicht, dass ich meine Steinhaut für sie brauche. Meine Rüstung ist in diesem Falle Schutz genug. Während ich um mich hacke, immer wieder Blutkobolde von mir abschüttele, von mir werfe, da kommt jemand dazu. Zuerst ist es nur eine Gestalt im blauen Wappenrock. Eine Frau, jünger als die, die ich zuletzt gesehen habe. Dann wächst die Zahl der blauen Gestalten irgendwann auf ein gutes Dutzend.
Ich töte noch den Blutkobold, mit dem ich es gerade zu tun hatte, dann lass ich die anderen die Arbeit erledigen. Etwas am Himmel erweckt meine Aufmerksamkeit. Der Himmel ist nicht mehr leer. Harpyen und etwas tiefer einige Blutsirenen. Ich mache die Truppführerin auf sie aufmerksam. Dann wirke ich meinen Himmelssturm. Es reicht für etwa die Hälfte der fliegenden Chaos-Kreaturen und diesmal - keine eigenen Verluste. Die Truppführerin weist die Bogenschützen an, die letzte Blutsirene vom Himmel zu holen, bevor wir sie hören können. Es gelingt.
Zwei der Harpyen reißen einen Krieger mit sich, sie zerreißen ihn in der Luft, lassen ihn in Einzelteilen auf uns herabregnen. Als sie bemerken, dass wir den restlichen Schwarm schon so gut wie besiegt haben, drehen sie ab, kreischen und fliegen woanders hin. Irgendwie scheine ich von diesem Platz hier heute nicht wegzukommen.
Sie wollen rasten. Ja, soll mir recht sein. Ich säubere meine Klinge am Gefieder einer Harpye. Ich schaue mir die anderen an. Sie sind angestrengt, aber nicht mutlos. Sie wollen tatsächlich noch etwas weitermachen, nachdem sie ausgeruht haben. Die Truppführerin möchte ein Gespräch mit mir beginnen. Ich habe aber kein Interesse.
Ich gebe ihr so lange nur einsilbige Antworten, bis sie wieder geht. Das ist aber nicht wichtig. Auf der Roten Ebene ist gar nichts wichtig. Wahrscheinlich ist es zu hart für manche, diese Wahrheit zu akzeptieren. Da bleiben sie lieber motiviert. Kampfeslüstern. Enthusiastisch. Ich meine, wenn sie aufbrechen, dann werde ich mitgehen. Warum auch immer. Aber ich habe keine Lust, alleine hier zurückzubleiben. Vielleicht ist es das. Erneut zwei Harpyenschwärme am Himmel. Aber bevor sie uns erreichen, kommt ein weißer Drache vorbei. Als er mit ihnen fertig ist, vergeht jede von ihnen in einem Feuerball und fällt brennend zu Boden. Ein sehr, sehr eindrucksvolles Bild.
Aber auch das nutzt sich ab, wenn man es zu oft gesehen hat. Unsere Bogenschützen suchen sich Pfeile zusammen. Von denen kann man nie genug haben, und ein besonders Schlauer nimmt sich noch die Axt mit, die die Frau vorhin gefunden hatte. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm das Glück bringen wird. Schade auch, dass wir keinen Magier in unseren Reihen haben. So ein Magier macht vieles, sehr viel bequemer. Eine Kriegerin im Kettenhemd setzt sich neben mich. Sie möchte über mein Schwert reden. Tatsächlich, und ich merke es erst sehr spät, meint sie wirklich meine Klinge. Sie findet sie außergewöhnlich.
Ich fordere sie auf, mir ihre zu zeigen. Eine einfache Waffe, es scheint ihr ein wenig peinlich zu sein. Ich setze meinen besten Kennerblick auf und sage ihr, dass diese Waffe sie beschützen wird. Sie verdreht die Augen, dann sagt sie, dass sie das weiß, dass sie ihr bloß nicht gefällt. Ich sage ihr, dass das nicht wichtig ist, dass nichts, was auf der Roten Ebene passiert, wichtig ist. Sie sagt, dass sie auch das weiß. Stumm bleibt sie neben mir sitzen. Ich an ihrer Stelle wäre jetzt weggegangen, wobei ich mich nun folgerichtig fragen muss, warum ich das getan hätte, wenn nichts, was hier passiert, eine Rolle spielt. Doch dass mir keine Antwort auf diese Frage einfällt, spielt auch keine Rolle. Plötzlich muss ich lachen. Sehr zu meiner Verwunderung stimmt sie in mein Lachen ein. Ich bin fasziniert. Tatsächlich das schönste Geräusch, das ich seit Langem hier gehört habe. Ein bisschen zu hoch, ein bisschen zu schrill. Trotzdem nicht unangenehm. Nachdem ich zu lachen aufgehört habe, lacht sie noch ein wenig weiter. Dann ruft die Truppführerin zum Abmarsch. Wir marschieren also durch den Totbaumwald. Sie interessiert sich wirklich sehr für mein Schwert.
Ich kann in ihr den Zwiespalt sehen, denn ich will gewiss nicht vorne gehen. Sie will für ihren Trupp nicht schlecht dastehen, aber sie möchte bei mir bleiben. So etwas kommt manchmal vor, ich verstehe es nie. Aber ich nehme es hin, ich entmutige sie nicht. Schweigend laufen wir nebeneinander am Ende des Trosses. Ich fühle ihre gelegentlichen Seitenblicke, aber sie stören mich nicht wirklich. Auch die verstehe ich nicht, denn ich bin gewiss nicht schön anzusehen. Sie dagegen ist gut gewachsen und hat zumindest mal keine Narben im Gesicht. Manchmal flimmert sie in meinem Blick.
Mein Geist ist überlastet. Meine Augen vielleicht ebenfalls. An der Spitze des Trosses bricht ein wenig Hektik aus. Irgendjemand schreit Orks, Orks, Orks . Das klingt lustig. Am Ende war es aber falscher Alarm. Ich frage sie, ob sie ihre Waffe mit mir tauschen möchte. Sie strahlt. Sie strahlt auf eine Weise, auf die ich zuletzt als Kind gestrahlt habe. Und bei allen falschen Göttern, das hab ich nicht oft getan. Irgendwie erfreut mich das. Ich trage jetzt ihr Schwert und sie meines. Mir ist es ohnehin egal, mit was ich kämpfe. Hauptsache scharf. Bald treffen wir auf einen zweiten Trupp, der sich dann als Illusion herausstellt.
Aber das macht nichts. Im Gegenteil. Wo eine Illusion ist, befindet sich auch ein Magier oder eine Magierin. In diesem Fall ein Mann. Er schließt sich uns an. So oft wie unsere Anführerin die Richtung wechselt, hab ich nicht das Gefühl, dass sie ein Ziel hat. Wenn sie kämpfen will, dann hat sie schlechte Ohren. Aus drei Richtungen kann ich Schlachtenlärm hören, aber sie führt uns in keine davon. Also laufen wir. Wir laufen ... unglücklich.
Pfeile zischen an mir vorbei, unsere Pfeile, die den Wargreitern entgegenfliegen. Die ersten fünf fallen. Ich sehe mich zu der Frau, mit der ich das Schwert getauscht habe. Sie scheint eifrig, es einzusetzen. Ich nicke ihr zu. Geh ruhig, sagt die Geste, als ob sie meine Erlaubnis bräuchte. Aber sie scheint wirklich darauf gewartet zu haben. Ein Krieger vor mir wird von einem Orkpfeil ins Auge getroffen. Sein Geschrei nervt mich. Ich helfe ihm. Vielleicht, überlege ich, sucht sie deswegen meine Nähe. Vielleicht habe ich einen Ruf, hilfsbereit zu sein, das Leiden möglichst kurz zu halten. Die zweite Reihe Wargreiter erledigt unser Magier im Alleingang.
Er modifiziert seine magische Wand. Macht sie schmal und scharf und platziert sie auf Kopfhöhe. Was dann noch übrig ist, erledigt meine neue Freundin zusammen mit ein paar anderen. Kein schlechter Kampf, nur ein Toter auf unserer Seite. Aber das ist egal, denn morgen wird er wieder kämpfen auf der Roten Ebene.
Ein Speerkämpfer neben mir zeigt nach oben. Dort sind die Drachen wieder zu Gange. Flammenstrahlen, animalisches Gebrüll, das hier unten wirklich schrecklich klingt. Dann zucken wir alle zusammen. Von Norden her eine Feuerwalze. Die Truppführerin schreit, wir sollen in Deckung gehen. Und das tun wir auch, zwischen den Wurzeln der versteinerten Bäume des Totbaumwaldes. Das Inferno, das der Herr des Tores Gaarth beschworen hat, brandet über uns hinweg.
Einige von uns schaffen es nicht, in Hitze dematerialisiert. Als es vorbei und die Hitze danach verflogen ist, stehe ich vorsichtig auf. Ich schaue nach vorn, wo meine neue Freundin gekämpft hat. Sie lebt noch, hat es rechtzeitig geschafft. An den meisten anderen Orten auf der Roten Ebene wäre der ganze Top ausgelöscht worden. Hier im Totbaumwald hat man mit so etwas manchmal Glück. Ich bin erfreut und sie ist es auch. Sie kommt wieder zu mir. Ich sehe mich weiter um, auch die Truppführerin und das sind die wichtigsten. Gut.
Wie als Antwort auf die mächtige Feuerwalze, feuern irgendwo im Süden unsere mächtigen Katapulte. Ihre Geschosse fliegen in hohem Bogen weit über unseren Köpfen Richtung Norden. Wir hören das Krachen. Stein trifft auf Stein, Chaos-Kreaturen schreien auf und vor lauter überwältigenden Sinneseindrücken bemerken wir die Horde Ungetüme und Nacktalben nicht, die sich uns nährt. Keine Zeit für Bogenschützen, keine Zeit für Schutzzauber. Zusammengeschmolzene, nackte Menschenleiber, aufgetürmt zur Größe von Ogern, verzweifelte Augen. Die Nacktalben sind ohnehin der pure Trieb.
Ich aktiviere meine Hast. Da ich jetzt sehr, sehr schnell bin, kann ich mir Zeit nehmen, das Gesicht meiner neuen Freundin zu betrachten. Erstaunlich, sie hat keine Angst vor Nacktalben oder Ungetümen. Nein, sie genießt den Kampf. Das ist wirklich selten. Ich frage mich, ob ich sie morgen wiedersehen werde, auf der Roten Ebene, an einem anderen Ort. Fast schon regt sich so etwas wie Hoffnung in mir. Ich widerstehe dem Drang, mich in dieses Gefühl hineinfallen zu lassen. Stattdessen nutze ich meine Hast.
Ich erschlage drei weiblichen Nackalbe so schnell ich kann. Dann reiße ich einen schweren Speer vom Boden hoch, werfe ihn auf ein Ungetüm. Der Treffer war nicht schlecht, aber er dringt nicht tief genug ein. Ein alter, vollbärtiger Krieger mit einer Axt ändert das, indem er mit der Breitseite seiner Waffe darauf hämmert. Ein Ungetüm weniger. Jetzt bemerke ich auch, dass dieser Krieger seine eigene Hast aktiviert hat. Zusammen machen wir zwei Drittel der Angreifer nieder. Auf unserer Seite haben wir vier weitere Tote zu beklagen. Meine neue Freundin trägt eine Wunde am Arm davon. Der Magier heilt sie. Er hat die meisten der übrigen Chaos-Kreationen vernichtet. Wir sammeln und formieren uns neu.
Schon erstaunlich, wie schnell in einem Kampf jegliche Ordnung zusammenbrechen kann. Eine halbe Stunde später geht es gegen einen Trupp Reißer. Übergroße Kreaturen mit übergroßen Armen und unglaublich scharfen Klauen. Dieser Kampf gestaltet sich etwas schwieriger. Kameraden werden, nun ja, zerrissen, zweigeteilt oder in noch mehr Teile gerupft. Meine neue Freundin verliert ihren Arm und ich helfe ihr, so schnell ich kann. Während ich zu ihr haste, kann ich den Tod unserer Truppführerin erleben. Ein Reißer hat seine Klaue in ihrem Unterleib vergraben. Ist mir egal, meine neue Freundin geht vor.
Kurz halte ich ihr Gesicht und lächle, dann einen Schritt nach hinten. Ich schlage den Kopf von ihren Schultern. Jetzt bin ich ein wenig sauer. Dem Reißer von vorhin nehme ich seine Klauenhand und lasse ihn ausbluten. Beim Nächsten will ich dasselbe tun, aber ich bin zu unachtsam. Seine Klaue zerfetzt mir das Gesicht. Von meiner Stirn hängt ein Hautlappen herunter und ich bin sicher, dass man meinen Schädel sehen kann. Aber immerhin der hat wohl gehalten. Ich töte die Bestie. Dann noch eine, bevor mir schwindelig wird. Magische Flammenlanzen schießen an mir vorbei. Dann trifft auch mich Energie. Aber keine Flammenlanze, ein Heilzauber.
Mein Gesicht ist wieder wie neu. Ich fühle mich belebt. Relativ zumindest. Mein Körper will weiter kämpfen. Ich bin erstaunt über die Stärke dieses Wunsches und sehe mich um. Ein neuer Trupp Blaumäntel stößt zu uns. Sie kommen uns zur Hilfe. Ihr Anführer ist ein Paladin in schimmernder Rüstung. Jetzt weiß ich auch, wo das Gefühl herkommt. Eine motivierende Aura geht von ihm aus. Sie wirkt sich nicht nur auf mich aus, sondern auf uns alle, und bald haben wir die Reißer erledigt. Ich gehe zurück ganz langsam zu meiner neuen Freundin, hebe ihren Kopf auf, betrachte ihn. Ich mag sie immer noch. Ich lass ihn nicht einfach fallen. Ich lege ihn ab. Dazu finde ich eine schöne Stelle zwischen den Wurzeln eines Totbaums. Dann nehme ich mein Schwert wieder an mich. Das Alte ramme ich einer Reißerleiche in den Schritt. Sie qualmt noch die Reißerleiche, eine von denen, die der Magier erledigt hat.
Inmitten der Krieger, die mit dem Paladin gekommen sind, entdecke ich Lady Winterkalt, die Vampirin in der blutroten Rüstung. Jeder von uns interessiert sich dafür, wie ihr Gesicht wohl aussehen mag, doch sie nimmt ihren ebenfalls blutroten Helm nie ab. Sie beachtet niemanden von uns, spricht nur mit dem Paladin. Sieht zwar aus, als hätte sie einen Plan. Ich kann nicht verstehen, wie man auf der Roten Ebene überhaupt einen Plan haben kann. Aber die Art und Weise, in der die beiden miteinander sprechen, sie und der Paladin, lässt darauf schließen, dass zumindest sie selbst die eigenen Worte sehr, sehr wichtig nehmen. Mir egal, ich sehe mich weiter um.
Manche von uns haben jetzt genug. Sie heulen, wiegen sich hin und her, umarmen sich selbst. Ein Krieger umarmt einen anderen. Andere sitzen da, warten auf einen Heiltrank oder einen Zauber, der ihr Leiden lindert. Ich könnte das auch tun, aber niemand bittet mich darum. Meine Methode ist unbeliebt bei manchen. Andere essen oder erleichtern sich dort, wo sie gerade sind. So verharren wir für eine oder zwei Stunden. Solange, bis wir wieder marschieren können. Also, ich hätte die ganze Zeit schon marschieren können, ich meine als Trupp.
Tatsächlich war ich kurz davor, alleine weiter zu ziehen. Ich habe Lust, noch ein paar Chaos-Kreaturen zu töten. Aber wie gesagt, erst einmal heißt es marschieren. Zwischen großen und kleineren, versteinerten Bäumen hindurch, über Hügel, schon vor Jahrtausenden zum ersten Mal vom magischen Feuer verbrannt. Während wir marschieren, halte ich die Augen offen. Ich halte Ausschau nach einer Hütte, die ich vielleicht irgendwo entdecken könnte. Einer Hütte, wie ich sie noch nie im Totbaumwald gesehen habe. Ich entdecke keine. Wahrscheinlich habe ich mir das Ganze nur eingebildet.
Blaue Wappenröcke vor mir, blaue Wappenröcke hinter mir. Die blauen Wappenröcke vor mir sind auf einmal nicht mehr da. Naja, sie sind schon noch. Die hinter mir werden von Totranken festgehalten und wirklich niemand hat die Orks kommen sehen. Ich darf mich nicht beschweren. Auch ich habe nichts bemerkt, aber ich war ja abgelenkt. Wegen der Hütte. Ich aktiviere alle meine Fähigkeiten zur gleichen Zeit. Die Hast, die Steinhaut und den Himmelssturm. Den lasse ich auf die Orkschamanen herabregnen. Es sind fünf in ritueller Haltung. Sie haben ihre Kräfte vereint, aber sie haben vergessen sich gegen den Tod von oben zu schützen.
Trotzdem, der Totbaumwald ist plötzlich voller orkischer Krieger. Von uns stehen nur noch fünf. Während ich mich umsehe, prallen drei Pfeile an mir ab. Einer von meiner Rüstung, zwei von meinem Gesicht. Ein Hoch auf meine Steinhaut. Ich könnte meine Hast nun nutzen, um einen aussichtslosen Kampf zu kämpfen. Die Hälfte der Orks könnte ich vielleicht nieder machen. Aber dann? Nein, es sind zu viele.
Ich renne. Es wirkt, als würde die Zeit stillstehen. Orks, Blauröcke, tote Bäume, alles fliegt an mir vorbei. Ein paar der Orks töte ich im Vorbeigehen doch noch. Eine sinnlose Geste, mehr nicht. Ich renne, bis meine Hast verfliegt.
Erstaunt stelle ich fest, dass ich mich nicht mehr im Totbaumwald befinde. Ich bin an seinem südlichen Rand herausgekommen, stehe auf der Roten Ebene. Ich kann den gewundenen Turm sehen. Hoch wächst er in den Himmel, unendlich hoch. Wo mein Blick endet, verschwindet er in den Wolken. Weiße Drachen umkreisen ihn. Wie weit mag er wohl weg sein? Dreißig Meilen oder zwanzig? Ich drehe mich einmal um, blicke zurück in den Totbaumwald.
Der Turmmeister, der Herr des gewundenen Turmes wollte mich dort haben, an diesem Tag auf der Roten Ebene. Nun bin ich aber nicht mehr im Totbaumwald und nichts passiert. Ich schaue zum Himmel hoch, aber nicht, um mir die Kämpfe anzusehen, die in den Wolken toben, nein. Ich will wissen, wo die Sonne steht.
Die Antwort auf diese Frage ist frustrierend. Es bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Meine Hast habe ich gerade fürs Erste aufgebraucht. Die zwanzig Meilen bis zum gewundenen Turm kann ich nicht schaffen, bevor die Sonne untergeht.
Bedauerlich, denke ich, dann marschiere ich dennoch los. Soweit ich das erkennen kann, befindet sich nichts zwischen mir und dem gewundenen Turm. Nur der rote Staub der Roten Ebene. Ich verspüre den Drang, mich zu beeilen, aber nach ein, zwei Meilen wird das sehr anstrengend. Ich halte an, lege meine Rüstung ab. Auch meinen Schild lasse ich zurück. Mein Schwert nehme ich aber mit. Ab jetzt geht es etwas leichter. Ich schaffe fünf oder sechs weitere Meilen. Aber ich fürchte, ich habe mich verschätzt, was die Entfernung angeht. Der gewundene Turm ist keinen Schritt näher gekommen. Er steht noch genauso da, wie zuvor.
Fest. Riesig. Unerreichbar, meine Füße schmerzen. Ich könnte die Stiefel ausziehen und sie mir ansehen, aber wozu? Jede Wunde, die ich heute gesehen habe, sah schrecklicher aus als ein paar Blasen an den Füßen. Noch eine Weile später fällt mir etwas anderes auf. Da ist noch ein gigantisches Gebäude. Es steht zu Füßen des gewundenen Turmes. Ich erinnere mich, ich war tatsächlich schon einmal näher dran am gewundenen Turm als jetzt. Aber die Erinnerung ist recht verschwommen.
Ja, die Schmiede des Lichts. Das ist der Name dieses Gebäudes. Ich gehe weiter und weiter und weiter, immer einen Fuß vor den anderen. Ich erinnere mich an das Gesicht meiner neuen Freundin. Aber es stimmt nicht. Ihre Züge verschwimmen. Sie vermischen sich mit den Gesichtern von so vielen anderen Frauen, so vielen anderen Kriegerinnen, die ich auf der Roten Ebene gesehen habe. Manche Geliebte, manche nur flüchtige Begegnungen zwischen den Kämpfen. Wenn man sich auf der Roten Ebene verliebt, braucht man viel Geduld. Man weiß nicht, wann man sich wieder sieht. Und wenn man sich wieder sieht, weiß man nicht, was die Rote Ebene mit dem anderen gemacht hat.
Vielleicht, denke ich, ist das der eigentliche Fluch der Roten Ebene. Ewigkeit im Kampf. Vielleicht ist es der ewige Verlust, die ewige Ungewissheit. Ich denke an die Vampirin in ihrer blutroten Rüstung. Was will sie hier? Wie ist sie hierher gekommen? Wurde sie tatsächlich durch ein Henkersschwert gerichtet? Und worin liegt ihre Strafe? Unsterblich, zeitlos, war sie ohnehin schon. Mir kommt ein Gedanke. Vielleicht will sie hier den Tod finden, ihn studieren, jeden Tag aufs Neue. Vielleicht will sie hier das erleben, was ihr in ihrer anderen Daseinsform verwehrt geblieben ist.
Ein verrückter Gedanke. Möglich wäre es. Dann beschließe ich, dass mir die Vampirin egal ist. Ich gehe weiter, noch eine Meile oder zwei oder drei. Ich werde mein Ziel heute nicht erreichen. Ohnehin ist es sinnlos, Ziele zu haben auf der Roten Ebene. Bald wird die Sonne untergegangen sein. Aber das ist egal. Denn morgen, morgen werde ich wieder kämpfen.