Schlachtensplitter 10
In der Nähe von Ruhn, auf der Roten Ebene.
Viele sind gefallen, manche tapfer, manche feig, ich mal wieder nicht, aber meine Rüstung ist zerschlagen, mein Schwert hat Scharten. Der Turmmeister hat viele von uns geopfert, um die Chaos-Kreaturen zu besiegen, die es auf Ruhn abgesehen hatten. Eine solche Feuersbrunst hab ich noch nie gesehen. Danach kam der Hagel. Die Erde hat sich aufgetan. Auch der Herr des Torres Gaarth war nicht untätig. Süd gegen Nord oder Nord gegen Süd. Für alle, die hier unten kämpfen, macht es am Ende keinen Unterschied. Nicht wenn es so läuft, wie es heute gelaufen ist. Ich helfe einer Kriegerin auf, die wie ich überlebt hat. Sie bedankt sich, sie sieht mich an, dann rennt sie weg.
Zuerst sah ihr Gesicht aus wie das eines hungrigen Dachses, dann wie das eines schreckhaften Häschens. Ich sehe ihr nach, sie stolpert und stürzt. Sie steht nicht wieder auf, sie kniet sich hin, hebt die Hände zum Himmel, sie betet zu ihren Göttern. Nun, die werden ihr nicht helfen. Aber ohne es zu wissen hat sie mir geholfen, denn meine Augen tasten den Himmel ab. Ein riesiger Schwarm Harpyen. Ich aktiviere meine Hast und renne, renne, bis ich ein Versteck finde. Sich in einer so hohen Geschwindigkeit über ein so verwüstetes Schlachtfeld zu bewegen ist gar nicht so einfach, aber ich schaffe es, ich stürze nicht.
Ich kauere mich in eine der Erdspalten, spähe vorsichtig über den Rand. Die widerlichen Vogelweiber staksen mit ihren Krallenbeinen übers Schlachtfeld. Sie kommunizieren miteinander, eine Mischung aus krächzendem Gelächter und kurzen, schnellen Lauten. Mit ihren Krallen töten sie Blauröcke, die dieses Armageddon überlebt haben. Eine ist besonders groß, und wenn dieses Wort nicht falsch klänge in diesem Zusammenhang, dann würde ich ihr Gefieder sogar als schön bezeichnen.
Einer der Krieger hat ein Bein verloren, er kann nicht weg. Natürlich versucht er es trotzdem, er kriecht. Auf widerliche Art und Weise hüpft sie eine Weile neben ihm her. Irgendwann gibt er auf. Erst dann zerdrückt sie seinen Kopf mit einer ihrer Klauen. Dann kommt Wind auf, ein Fauchen erreicht mich. Ein weißer Drache kommt über die Harpyen. Sie kreischen laut, Flügelschlagen ist zu hören. Sie fliehen, der Drache jagt ihnen hinterher. Sicher wird er nicht alle erwischen, aber hoffentlich doch einige. Die große Harpye von vorhin zerbeißt er in der Mitte.
Aus der Nähe betrachtet ist er gar nicht weiß. Seine Schuppen haben verschiedene Schattierungen, grau die meisten. Ich überlege, wann ich zum letzten Mal ein wirklich reines Weiß gesehen habe. Es fällt mir nicht ein. Er jagt die Harpyen weiter, der Weiße Drache. Sieben von ihnen fallen nach und nach brennend und zerrissen vom Himmel. Immer ein schöner Anblick. Irgendwie gibt er mir neue Kraft. Ich krieche aus der Erdspalte heraus, suche mir eine neue Waffe. Ein Schwert mit nicht so vielen Scharten. Ich finde auch einen brauchbaren Schild.
Jetzt mach ich es wie die Harpyen. Ich suche verletzte Chaos-Kreaturen und töte sie. Auch einigen Blaumänteln verhelfe ich zu einem schnelleren Ende. Dann ein Warg, in dessen Leib drei Speere stecken, der aber noch atmet. Eine Blutsirene und ein Vampir sind die Nächsten. Ich komme an eine Stelle, an der eine der Harpyen brennend vom Himmel gefallen ist. Sie brennt noch immer, nicht überall, aber an mindestens fünf Stellen. Eine Gänsehaut überkommt mich als Chaos-Seelen an mir vorbeischweben. Zurück zum Tore Gaarth.
Ich laufe weiter über dieses tote Feld, durch den Blutgeruch. Zwischen manchen der toten Körper zuckt noch magische Energie. Entstellte Körper, verwüstet, verzerrte Gesichter. Westlich von mir entdecke ich eine Gestalt in einem blauen Wappenrock, ein Magier. Ich gehe zu ihm hin. Er schaut mich an und heilt meine Wunden ohne nachzufragen. Wir beschließen es nicht wirklich, aber dennoch bleiben wir zusammen, der Zauberer und ich. Hinter einer Ansammlung von Leichen nehme ich eine Bewegung wahr. Ich schaue genauer hin. Ein Blutkobold müht sich mit einer Armbrust ab, die viel zu groß für ihn ist.
Er zielt in unsere Richtung, seine Arme zittern vor Anstrengung. Ich bleibe einfach stehen. Sollte dieses kleine Mistvieh mich treffen, dann hab ich den Tod verdient. Und eine Rolle spielt es ohnehin nicht. Nichts auf der Roten Ebene spielt eine Rolle. Den Blutkobold auf mich anlegen zu lassen, ist so etwas wie eine Wette mit mir selbst. Eine kleine Zerstreuung. Auch mein Begleiter hat den Blutkobold nun entdeckt. Er schaut mich an und ich grinse ein wenig. Ohne Worte versteht er, was ich da tue. Als der Blutkobold dann schießt, fliegt der Bolzen weit an mir vorbei und auch an meinen Begleiter. Ich zucke mit den Schultern, er zuckt mit den Schultern.
Dann schickt er dem Blutkobold ein magisches Geschoss in dem Schädel. Eine Weile später treffen wir auf Trelloch. Der Barbar sitzt einfach nur da. Er hat eine Streitaxt auf den Knien liegen und die leere Phiole eines Heiltrankes in der Hand. Ich winke ihm, aber er reagiert nicht. Dafür aber höre ich jemanden rufen und drehe mich nach hinten um. Eine Kriegerin mit einem Streitkolben winkt. Wir warten, bis sie uns eingeholt hat. Zu dritt gehen wir weiter. Weiter nördlich erledigen wir noch weitere Chaos-Kreaturen. Die nächste Begegnung, die man als einen Kampf bezeichnen könnte, findet zwischen uns und einem Oger statt.
Es ist ziemlich selten auf einen Oger in eigens für ihn angefertigter Rüstung zu treffen. Dieser hier trägt eine. Sie ist hässlich, aus Eisen. Aber sie hat ihn geschützt. Es sind ein paar Chaosrunen darauf geschmiert, mit Blut, so wie es aussieht. Das Vieh reißt sein hässliches Maul auf. Es brüllt und stürmt auf mich zu. Ich aktiviere meine Steinhaut. Eher ein Reflex als eine bewusste Entscheidung. Das Biest kämpft ohne Waffe. Er versucht einfach mich zu packen und mir die Knochen zu brechen. Eine ganze Weile kann ich ihm ausweichen. In dieser Zeit gelingt es mir, immer wieder ihm oberflächliche Wunden zu schlagen. Auch die Kriegerin mit dem Streitkolben tut ihr Bestes, wird aber von den Beinen gefegt, als der Oger sie trifft.
Ich finde, dass es jetzt reicht und höre auf, dem Oger auszuweichen. Ich lasse mich von ihm packen. Dabei achte ich aber darauf, dass mein Schwertarm frei bleibt. Er zieht mich etwas näher zu sich heran, brüllt mir seinen stinkenden Atem ins Gesicht. Durch sein hässliches Maul ramme ich ihm mein Schwert in den Schädel. Die Bestie fällt. Während ich versuche, mein Schwert wieder aus seinem Schädel herauszubekommen, sehe ich zum Magier hin. Er hilft der Kriegerin auf die Beine.
Sie hat sich nichts gebrochen, was ich gut finde. Nachdem ich meine Klinge gesäubert habe, gehen wir weiter. Etwas östlich erkenne ich Bahrin, die Klinge von Manschur. Alleine bekämpft er eine Gruppe der grässlichen Dämonen, sie haben es auf ihn abgesehen. Der Zauberer schickt zwei Flammenlanzen. Mit den Gehörnten, die dann auch noch übrig sind, sollte Bahrin alleine fertig werden. Das sollte man von jemandem erwarten können, der einen Beinamen hat. Ich frage mich, ob er seinen Beinamen überhaupt kennt. Er ist eine auffällige Entscheidung mit seinem Kriegerzopf. Seine Rüstung aus Stoff und Leder in Schwarz und Gold.
Ich kenne ihn nicht, ich weiß nur, wer er ist. Wir haben nie ein Wort miteinander gesprochen. Das macht auch nichts. Wir haben noch eine Ewigkeit Zeit dafür. Die Sonne hat sich ein wenig weiter über die Rote Ebene bewegt, als jemand auf uns zu rennt. Ein Blaumantel mit einem Bogen flieht vor einem Knochenbären. Da ist der Bogen eine wahrlich schlechte Wahl, denke ich. Der Streitkolben meiner Begleiterin ist deutlich besser geeignet. Der Magier bleibt zurück, er bereitet ein paar Zauber vor. Die Kriegerin und ich rennen dem Mann entgegen. Leider erreichen wir ihn erst, als der Knochenbär ihn schon zerfleischt hat.
Sicher, wir lassen den Knochenbären danach für seine Tat bezahlen. Das schon, aber schade ist es trotzdem. Als wir uns umdrehen und zurückwollen zu unserem Magier, tja, der Gute wurde von drei Schwerthexern eingekreist. Er hat eine blau-leuchtende Schutzkuppel um sich herum beschworen. Die Schwerthexer hacken auf sie ein. Während wir rennen, sehe ich sie schwächer werden. Jetzt bereue ich es, dass ich den Bogen nicht mitgenommen habe. Zusätzlich glänzt die Gestalt unseres Magiers nun golden. Ein weiterer Zauber, der ihn vor Hieben schützen soll, wenn die Schutzkuppel einmal nicht mehr ist. Und das dürfte bald soweit sein. Immer wieder, fast schon leidenschaftlich, hämmern sie auf die Barriere ein. Dann sind wir da, ich und meine Begleiterin.
Schwerthexer sind keine leichten Gegner, der Kampf dauert eine ganze Weile, und am Ende ... am Ende gibt es nur noch mich und den Zauberer. Ein Schlag quer übers Gesicht hat ihn ganz schön entstellt. Er hat Schmerzen und wimmert vor dich hin. Ich könnte sein Leid beenden, reden kann er nicht, aber ich glaube, er will noch nicht sterben, an diesem Tag auf der Roten Ebene. Ansonsten hätte er nicht gleich zwei Schutzzauber um sich herum gewoben. Also durchsuche ich die erschlagene Kriegerin. Zwei Schwerthexerklingen haben sie gleichzeitig erwischt. Ein Stich durch die Brust und der linke Unterarm fehlt. Ah, sie hat noch einen Heiltrank. Ich muss den Magier festhalten, damit ich ihm den Heiltrank einflößen kann.
Danach ist es besser. Es reicht nicht, um die Wunde ganz abheilen zu lassen. Aber es hilft, er kann seine Formeln jetzt wieder aufsagen, den Rest kann er selbst heilen. Das tut er denn auch. Plötzlich bebt die Erde, das hatten wir heute schon einmal, denke ich. Auch der Magier erinnert sich, er tritt nah an mich heran, packt meine Schulter. Blaue Energie, er webt eine Schutzkuppel um uns beide. Ich kann sehen, wie sehr er sich konzentrieren muss, wie er sich anstrengt. Überall um uns herum, auf dem gesamten Schlachtfeld ringsum ... überall bricht erneut die Erde auf. Manchmal, manchmal frage ich mich, was der Turmmeister sich dabei denkt. Frage mich, ob der Herr des gewundenen Turmes vielleicht … dumm ist.
Warum setzt er seine Kraft auf einem Schlachtfeld ein, auf dem schon lange nicht mehr gekämpft wird, auf dem nichts mehr entschieden werden kann? Ob er vielleicht würfelt, was er als Nächstes tut? Dann wiederum sage ich mir, dass ich seine Entscheidung gar nicht verstehen kann, dass ich ein ganz anderes Blickfeld habe als er. Überall ringsum, so sieht es aus, frisst die Erde Leichen auf. Blauröcke und Chaoskreaturen gleichermaßen. Der Magier und ich bleiben verschont. Aber als es vorbei ist, und es dauert eine ganze Weile, bis es dann wirklich vorbei ist, da brabbelt er nur noch wirres Zeug. Seine Augen sind weit aufgerissen, seine Züge in Entsetzen verzerrt.
Ich gebe ihm ein paar Ohrfeigen, es hilft nicht. Er brabbelt weiter, an seinen Fingerspitzen zuckt ab und an magische Energie hervor. Wäre gefährlich, bei ihm zu bleiben. Wäre gefährlich, ihn am Leben zu lassen. Von links steche ich in seinen Hals. Schlaff fällt sein Leib zu Boden und ich gehe alleine weiter. Das ist ohnehin ein Zustand, in dem ich mich sehr, sehr wohl fühle. Meistens zumindest. Ich überlege, ob das schon immer so war. Wirre Bilder vor meinen Augen. Bilder aus der Zeit vor der Roten Ebene. Irgendwann gelingt es mir, die Bilderflut wieder zu stoppen, und ich ziehe ein Fazit. Ja, ich war auch damals schon gerne alleine.
Eine ganze Weile gehe ich weiter. Noch immer hat das Schlachtfeld kein Ende genommen. Im Süden sehe ich die Ahnung des gewundenen Turms ganz schwach im Dunst. Sieht fast schon unbedeutend aus. Dabei bedeutet er doch alles oder mindestens die Hälfte. Ich drehe mich nach Norden. Nein, die Berge, in denen das Tor Gaarth sich befindet, kann ich nicht sehen. Ich setze meinen Weg noch weiter fort.
Ich sehe zwei Krieger, die einander lieben, auf einem Haufen von Leichen. Eine Magierin sitzt daneben, sie sieht zu, ohne echtes Interesse, ihr Blick ist leer. Die drei bemerken mich nicht, aber das macht mir nichts aus, das spielt keiner Rolle. Denn nichts spielte wirklich eine Rolle auf der Roten Ebene. Ich töte noch einen Wargreiter, der unter seinem toten Reittier begraben lag. Einem Impuls folgend, lasse ich die Klinge in seinem Hals stecken. Ich nehme mir einen Bogen mit, einen orkischen Bogen und ein paar orkische Pfeile. Bin gespannt, ob ich damit etwas treffen kann. Ein neues Schwert finde ich auch. Ich höre Waffengeklirr von links und sehe genauer hin.
Sinara Finsterblick, die Stute des … es fäät mir nicht ein. Die junge Frau schwingt ihren Zweihänder. Sie wird von einem orkischen Lanzenträger bedrängt. Der Ork ist groß und überraschend schnell. Immer wieder gelingt es ihm, der Kriegerin ein paar kleine Schrammen zuzufügen. Durch ihre Rüstung aus blutverschmierter Bronze ist seine Waffe allerdings noch nicht gedrungen. Ich probiere den Bogen an ihm aus. Der erste Pfeil segelt links an seinem Kopf vorbei. Beinahe hätte ich Sinara getroffen. Was bewegt sie sich auch so hektisch? Der zweite Pfeil dringt dem orkischen Krieger in die Schulter.
Sinara nutzt die Chance, so wie ich es von ihr erwartet habe. Weit holt sie zu einem waagerechten Schlag aus, schlägt den Ork in der Mitte durch. Ich winke ihr, sie winkt zurück. Sie geht nach Westen, ich frage mich, was sie dort will. Ich überlege, ob ich ihr vielleicht folgen sollte. Aber nein, ich gehe weiter nach Norden. Denn von dort kommen die Chaos-Kreaturen aus dem Tore Gaarth. Ich denke über Sinaras Beinamen nach. Er fällt mir wieder ein. Die Stute des Eronomos. Eronomos war ein König. Ein König, den sie mit ihren Liebeskünsten hatte lenken können, so lange ... na ja, so lange, bis seine Berater davon genug hatten. Sie haben irgendein Verbrechen erfunden und sie hinrichten lassen, soweit ich weiß.
So ist sie dann auf der Roten Ebene gelandet, durch ein Henkersschwert, wie wir alle. Irgendwann einmal möchte ich in den Genuss ihrer Künste kommen, überlege ich. Aber das ist nicht wichtig und es hat auch Zeit. Nichts ist wichtig auf der Roten Ebene. Irgendwann werde ich vergessen, dass ich diesen Wunsch einmal hatte. Selbst wenn er sich erfüllen sollte, würde ich irgendwann auch das vergessen. Innerhalb der nächsten Stunde schicke ich sieben weitere Seelen zurück zum Tore Gaarth. Ich kann jede von ihnen spüren. Das ist nicht immer so. Ich treffe auf eine Gruppe von Echslern.
Mit ihren Speeren quälen sie zwei Blauröcke, die sich am Boden winden. Immer wieder stechen sie zu, aber die Spitzen dringen nur ein paar Finger breit in die Leiber der Männer ein. Dabei machen sie ihre zischenden Echsengeräusche. Die Männer natürlich schreien und wimmern. Die Echsler sind sehr mit ihrem Spiel befangen. Ich lösche die halbe Gruppe aus, bevor sie überhaupt merken, dass ich da bin. Im folgenden Kampf trage ich nur ein paar Kratzer davon. Als ich mit den Echslern fertig bin, schaue ich auf die beiden Männer herab. Ihre Blicke sind glasig, im Geiste sind sie ganz weit weg. Ich schicke ihre Seelen zurück zum gewundenen Turm im Süden. Dann höre ich ein erneutes Zischen.
Es ist auch das Zischen einer Chaos-Kreatur, aber das einer gänzlich anderen. Eine Sulphurspinne, eine große auch noch. Sie spuckt. Ihr Säurestrahl trifft auf meinen Schild. Dampf steigt auf, Hitze und Gestank. Ich werfe den Schild weg. Dann aktiviere ich meine Hast und sehe zu, dass ich wegkomme. Ich habe keine Lust, heute verätzt zu werden. Ich habe einen Bogen nach Westen gemacht. Dabei habe ich Sinara Finsterblick überholt. Aber sie ist auch wirklich sehr, sehr langsam gelaufen. Ich glaube nicht, dass sie im Westen wirklich irgendetwas sucht. Sie hat mich noch nicht einmal bemerkt. Sie ist ganz in ihren Gedanken versunken. Dann habe ich meinen Weg nach Norden fortgesetzt und mir einen neuen Schild besorgt.
An Waffen und Rüstungsteilen herrscht nie ein Mangel auf der Roten Ebene. Etwas später schaue ich aus der Ferne einem Kampf zu. Drei Blutsirenen vernichten ein Dutzend unserer Speerkämpfer. Kein schöner Tod. Ich habe alle meine Orkpfeile auf sie abgeschossen. Konnte aber nur eine töten. Die anderen beiden schweben jetzt auf mich zu. Sie sehen fast identisch aus. Nackt, identische Pose, die Pose, die Blutsirenen beim Schweben nun einmal einnehmen.
Das Rückrad durchgedrückt. Kerzengerade schweben sie übers Schlachtfeld. Sie strecken ihre krallenbewehrten Hände nach mir aus. Bevor eines der Biester seinen Mund öffnen kann, schicke ich ihnen eine Stoßwelle entgegen. Jetzt schweben sie nicht mehr. Jetzt liegen sie im Dreck. Ich mache kurzen Prozess mit ihnen. Der Anblick ihrer Körper weckt ein wenig Begehren in mir, den Abglanz des echten Gefühls. Ich gehe weiter. Vorher allerdings studiere ich die Gesichter derjenigen, die die Blutsirenen gerade getötet haben. Ja, die meisten von ihnen sind durch die Schreie der Sirenen zur Tode gekommen.
Ihr Hirn läuft flüssig aus den Ohren, in ihre Gesichter hat sich ein solches Entsetzen gegraben, dass ich es mir nicht vorstellen kann. Dabei bin auch ich sicher einmal von einer Blutsirene getötet worden, aber ich scheine die Erinnerung verdrängt zu haben. Zu schrecklich vielleicht. Wer weiß, fast werde ich etwas neugierig. Sollte ich heute noch einer Blutsirene begegnen, probiere ich es vielleicht aus, beschließe ich.
Etwas später seufze ich. Es ist vorbei mit meiner Einsamkeit. Ich treffe auf zwei Hundertschaften von Blauröcken. Heute waren sie nicht von Anfang an dabei, bei Ruhn. Ursprünglich haben sie etwas weiter nördlich gekämpft. Dort haben wir haushoch über die Chaos-Kreaturen gesiegt.
Deswegen sind es so viele. Sie sind dann zu uns gekommen, um zu helfen. Das ist nett von Ihnen, denke ich. Deshalb schließe ich mich ihnen an. Jetzt bin ich Teil einer großen Gruppe. Bald schon haben wir die Aufmerksamkeit des Herrn des Torres Gaarth erregt. Das glaube ich zumindest. Aber egal, ob er sie geschickt hat, oder ob sie aus anderen Gründen plötzlich aufgetaucht sind, eine Weile später sehen wir uns vielen hunderten Orks gegenüber. Pfeile schlagen in meinen Schild ein. Rechts, links und hinter mir werden Krieger von ihnen getroffen. Wir stürmen los. Die Orks stürmen uns entgegen. So ist es immer. Der natürliche Lauf der Dinge auf der Roten Ebene. Für das erste Aufeinandertreffen aktiviere ich meine Steinhaut.
Pfeile, Feuerbälle, Flammenlanzen, magische Energie überall um mich herum. Ich werfe mich gegen die erste Reihe der Orks, von hinten drängen weitere Krieger nach. Der Kampfschrei einer Kriegerin. Fast will ich mich nach der Frau umdrehen, aber dann muss ich den Hieb eines schartigen Säbels parieren. Ich lasse mich in meine Trance fallen. Ich verbleibe lange in dem Schwebezustand, in dem ich um mich schlage und Orks töte. Es ist merkwürdig, an so einem ewigen Ort wie der Roten Ebene das Zeitgefühl zu verlieren. Es fühlt sich fast an, als würde es Zeit innerhalb der Zeit geben.
Und darin vielleicht noch einmal eine ganz Eigene. An einem Punkt bekomme ich mein Schwert nicht mehr aus einem orkischen Schädel heraus. Ich lasse es stecken, greife mir einen Speer. Will weiter kämpfen, will noch nicht aufhören. Dann trifft mich ein Orkbolzen in die Brust. Ein guter Schuss mit einer starken Armbrust. Die Brustplatte wird durchschlagen. Ich fühle, wie mir Blut in die Lunge läuft. Sauer. Ich aktiviere meine Hast. Eine ganze Gruppe Orks reiße ich mit einer Stoßwelle von den Füßen. Schnell, wie ich jetzt bin, steche ich sie alle ab.
Der Armbrustschütze war nicht dabei. Ich sehe mich um, überall wird noch gekämpft. Es liegen mehr Orks tot im Dreck als Blaumäntel. Trotzdem sehe ich nur vier oder fünf Dutzend von uns. Ich beschließe meine Hast voll auszunutzen, töte weiter so viele Orks, wie ich kann. Noch immer kein Armbrustschütze. Dafür aber habe ich immerhin drei Schamanen erledigt. Bald ist meine Hast aufgebraucht. Ich habe nicht mehr die Kraft weiterzukämpfen. Das Atmen fällt mir schwer. Bei jedem Atemzug blubbert und rasselt es in mir. Ich lege mich hin. Zuerst auf die Seite, dann reiße ich den Bolzen aus mir heraus.
Die kleinen Widerhaken zerreißen mein Fleisch. Ich weiß nicht, ob ich schreie, aber ich glaube nicht. Dann lege ich mich auf den Bauch. Ich hoffe, dass das Blut aus mir herauslaufen wird, damit ich noch ein wenig weiteratmen kann. Ich will jetzt noch nicht aufhören. Sicher, der Tag war lang. In einer oder zwei Stunden wird es ohnehin Nacht werden. Und sobald die Sonne untergegangen ist, wird wieder alles auf Anfang gesetzt, auf der Roten Ebene. Derselbe Krieg an einem anderen Ort. Zwei Schwertkämpferinnen rennen an mir vorbei. Sie fliehen. Zuerst denke ich, dass wir verloren haben. Dann zischt violett leuchtende Orkmagie über meinen Kopf hinweg. Zuerst eine, dann die andere werden von dem Energiestahl verbrannt.
Ich hab wohl einen Schamanen übersehen. Zwei andere Blauröcke tauchen auf, ein Mann und eine Frau. Der Mann trägt eine Armbrust, die Frau einen Bogen. Mit ihren Waffen antworten sie auf die Orks, ich fühle Blut aus mir herauslaufen und bin froh, dass es funktioniert. Aber natürlich schwächt mich der Blutverlust. Immer wieder wird mir schwarz vor Augen. Ich brauche einen Magier oder ein Heiltrank. Ich beginne zu kriechen. Der Boden ist schlammig vom Blut. Er stinkt nach Verwesung. Aber ich krieche weiter, krieche über viele tote Orks hinweg, so lange bis ich ein Blaurock finde. Ich durchsuche ihn, es fällt mir schwer, es geht langsam, aber ich habe Glück, der Heiltrank ändert alles. Gierig schlucke ich die bittere Flüssigkeit hinunter, ich rolle mich auf den Rücken und schaue in den Himmel, ich fühle, wie sich meine Wunder schließt. Dann, gerade als ich aufstehen will, fühle ich noch etwas anderes, wie mächtige Chaosmagie des Herren des Tors Gaarth. Wie eine Woge rollt sie heran, fern vom Norden her, eine große mächtige Woge, unglaublich schnell, der Himmel schwarz-violett.
Der erste Eisspeer schlägt dicht neben mir ein, dick wie ein Ogerbein und hoch wie zwei Mann. Ich rolle mich unter meinem Schild zusammen. Nicht, dass es gegen ein solches Geschoss helfen würde, aber ich fühle mich dennoch besser. Die Eisspeere sind aber nur die Vorboten. Ich spüre, wie es zuerst wärmer wird und dann heiß. Eine violett brennende Feuerwalze aus Chaosmagie. Ich schreie, meine Haut beginnt blasen zu schlagen, mein Blut beginnt zu kochen. Aber das macht nichts, denn morgen ich werden wir wieder kämpfen, in Ebene.