Schlachtensplitter 12
In den Höhlen des westlichen Gebirges auf der Roten Ebene.
Kein Sonnenlicht, keine Drachen am Himmel. Dunkel ist es dennoch nicht. Die Höhlen sind von Arkansteinen beleuchtet, sie schimmern im Fels und geben violettes Licht ab.
Die Haut der Krieger und Kriegerinnen um mich herum und meine eigene wahrscheinlich auch, wirkt fahl. Aber wir haben auch allen Grund, ein wenig blass zu sein. Über die Hälfte von uns ist bereits gefallen. Was wir hier sollen, außer Chaos-Kreaturen zu bekämpfen, das weiß der Turmmeister allein. Wenn er es weiß, heißt das. Ich zweifle daran immer mehr. Aber gut, das ändert nichts. Die Höllenkammer, in der wir uns gerade befinden, wird im Norden und im Süden von unseren Leuten bewacht. Ein knappes Dutzend jeweils. Der Rest von uns ruht sich aus.
Wir sitzen inmitten erschlagener Chaos-Kreaturen und den Leichen unserer Mitstreiter. Einige halten sich im Arm, andere lieben einander, die meisten aber starren nur vor sich hin. Ich denke, wir werden die Eingänge im Norden und im Süden eine ganze Weile lang halten können. Sie sind eng, was von Vorteil ist. Aber wenn wir uns darauf konzentrieren, werden wir wohl kaum Fortschritte machen können. Wir werden schlicht und einfach einen weiteren Tag überleben. Aber vielleicht ist das ja der einzige Fortschritt, den wir brauchen. Ich weiß es nicht, das große Ganze wird vor uns geheim gehalten. Ja, wir graben uns hier ein, warten bis der Tag vorbei ist. Es erscheint mir sinnlos.
Einer der Krieger neben mir macht Anstalten, sich an Ort und Stelle zu erleichtern. Ich sehe ihn an, bis er weggeht. Was denkt sich dieser Idiot nur? Ich finde es schwer, zu sagen, was Menschen denken. Was sie wirklich denken, meine ich. Sicher, Regungen kann ich von Gesichtern ablesen. Aber wenn man die Zeit ... also wenn man über das Momentane hinaus sieht, was passiert hier mit uns? Nicht hier in den Höhlen. Was hier mit uns passiert, ist relativ klar. Wir werden von Chaos-Kreaturen abgeschlachtet werden. Nein, ich meine auf der Roten Ebene. Was passiert mit uns?
Ich sehe eine Kriegerin. Sie sitzt einfach nur da, starrt und wartet. Was wird sie denken nach tausend weiteren Tagen auf der Roten Ebene? Wie wird sie alles sehen? Ihre Kameraden, Ihre Kameradinnen, die Chaos-Kreaturen, steckt eine Ordnung hinter dem Ganzen, eine führende Kraft? Oder ist alles, was hier passiert, Zufall und Willkür? Der Turmmeister, der Herr des Tores Gaarth ... sie überblicken das große Ganze. Dennoch kommt es mir vor, als handelten sie wie kleine Kinder. Dann und wann zumindest. Sie schicken ihre Truppen wie Schachfiguren. Manchmal geben sie sich Mühe, sie am Leben zu erhalten. Manchmal opfern sie sie. Vielleicht muss man das tun, als Feldherr. Aber ich erkenne nichts, keinen Stil, kein Ziel.
Aber vielleicht liegt es auch an der Ewigkeit. Die Ewigkeit lässt ein Menschen vieles vergessen. Vielleicht wusste ich einmal, was das alles soll. Ich beschließe, dass ich mit dem Denken aufhören will. Es klappt nicht sofort. Ich beschäftige mich damit, drei Pfeile aus meinem Schild herauszuziehen. Sie stecken tief darin. Einer schaut sogar auf der anderen Seite durch. Ich lasse mir Zeit dabei. Im Moment ... ja, im Moment, ich frage mich, wo die Chaos-Kreaturen sind.
Es gibt schon seit einer ganzen Weile keinen Kampf mehr. Ob sie sich tiefer in den Höhlen irgendwo sammeln? Ja, wahrscheinlich tun sie das. Hier unten sind es hauptsächlich Orks und Blutkobolde. Es sind nicht die schrecklichsten Kreaturen, die der Herr des Tores Gaarth uns entgegenwirft. Dafür sind es unzählige. Der Boden ist sandig. Wieder und wieder lasse ich etwas davon zwischen meinen Fingern hindurch rieseln. Trockene Handflächen, besserer Griff. Auch unsere Zauberer und Paladine bereiten sich vor.
Sie prägen sich ihre Sprüche ein, sammeln ihre Kräfte. Irgendwann wird der Angriff kommen, wahrscheinlich am nördlichen Zugang. Bei den Blauröcken, die ihn bewachen, sind zwei Magier. Anzunehmen, dass sie sich abwechseln werden, anzunehmen, dass sie eine Schutzkuppel verwenden werden. Sie errichten eine blau-leuchtende Energiewand, die nichts und niemanden hindurchlässt. Natürlich wird das Chaos mit Magie antworten. Sie werden uns alles entgegenwerfen, was sie haben. Unendlich viele werden sie uns schicken, der Strom ihrer Bestien und Krieger wird nie abreißen. Aber warum kommen sie nicht?
Irgendwo hinter mir bricht ein Streit aus, wir alle sind nervös. Es ist heiß hier unten, kaum ein Windhauch, und wenn doch einer weht, dann bringt er üble Gerüche aus der Tiefe. Meinem Gefühl nach ist bereits der halbe Tag vergangen, aber hier unten in den Höhlen mag das täuschen. Ich meine, es gibt keinen einzigen Ort auf der Roten Ebene, den ich als freundlich oder angenehm bezeichnen werde. Dennoch erinnere ich mich jetzt an den Morgen des heutigen Tages. Wir mussten kämpfen, um überhaupt erst in die Höhlen hinein zu gelangen. Schlachtreihe um Schlachtreihe hinter mir, ich ganz vorn. Eine Kriegerin mit einem Streitkolben und einem Schild an meiner Seite, Drachen und Harpyen in der Luft.
Pfeile, Bolzen und Magie natürlich auch. Wir stürmen. Mein Ziel ist eine Gruppe aus Orkschamanen und Chaos-Priestern. Sie werden von Kriegern beschützt, von Chaos-Streitern. Ihre Zauber verursachen uns hohe Verluste. Das kann ich nicht dulden, das will ich nicht dulden. In sich ist das schon seltsam, denn am Ende ist es völlig belanglos. Alles hier ist belanglos. Von Süden her das Geräusch unserer Katapulte und Ballisten. Die Steine, Ölbomben und die mannsgroßen Speere. Sie schlagen in den Reihen der Chaos-Kreaturen ein. Zermalmen Knochen, durchbohren Leiber. Setzen sie in Brand.
Sie schaffen eine Lücke, durch die ich stürmen kann. Ich aktiviere meine Hast. Die Kriegerin mit dem Streitkolben lasse ich hinter mir zurück. Ich halte auf mein Ziel zu. Ich schlage mich durch die Gehörnten hindurch. Meine Klinge zerteilt Fleisch und Knochen. Chaos-Kreaturen kreischen, schreien. Für kurze Zeit bin ich ihnen überlegen durch meine Geschwindigkeit. Arme, Beine, Hälse, von scharfer Klinge durchtrennt. Eingeweide durchbohrt. Dann bin ich bei den Hexern und den Orkschamanen. Ich weiß, dass meine Hast schon darin begriffen ist nachzulassen. Ich beeile mich.
Keine Extravaganzen, einfach nur simples, schnelles Töten. Ich habe Erfolg, drehe mich um, Blauröcke strömen in die Lücke, die ich geschlagen habe. Die Schlachtreihen der Chaos-Kreaturen sind durchbrochen, die Zauberer ausgeschaltet. Zumindest in diesem Abschnitt und in diesem Moment. Unter meinen Leuten höre sogar ein wenig Enthusiasmus heraus. Aber wir feiern den Sieg nicht, wir nutzen ihn, um weiter zu kämpfen.
Seite an Seite fechten wir, schlagen um uns, rücken vor, bis nah an den Höhleneingang heran. Dort die letzte Chaos-Bastion. Oger und Trolle, sie werden von einem Dutzend Schwerthexer kommandiert. Ich hoffe, dass unsere Katapulte und Ballisten das meiste dieses Widerstandsnestes auslöschen werden. Aber nichts passiert, bis wir dort ankommen. Wir müssen die Arbeit selbst erledigen. Mit meiner Stoßwelle reiße ich ein paar Schwerthexer von den Füßen. Wie meisten von ihnen kann ich erledigen, bevor sie es wieder auf die Füße schaffen. Zwei nicht. Schwerthexer sind gefährliche Gegner. Ich aktiviere meine Steinhaut. Wir tauschen schnelle, starke Hiebe aus.
Ich greife an und wehre Angriffe ab. Eine Keule trifft mich mit Wucht, schleudert mich gegen die Felswand. Muss sein Oger gewesen sein. Mir wird schwarz vor Augen. Als ich wieder zu mir komme, kniet eine junge Magierin neben mir. Hat sich um mich gekümmert. Sie überzeugt sich, dass ich weiter kämpfen kann. Dann geht sie, kümmert sich um den nächsten Verletzten. Der Höhleneingang befindet sich jetzt in unserer Hand. Zusammen mit ein paar anderen sichere ich eine der Flanken. Blauröcke strömen an uns vorbei in die Höhle hinein. Es sind viele. Ich zähle nicht.
Im Süden, wo der gewundene Turm steht. Ja, dort brennt der Himmel zwischen den Drachen des Turmmeisters und denen des Herrn des Tores Gaarth. Ja, auch dort muss eine richtige Schlacht toben. Aus der Ferne gesehen könnte es ein Gewitter sein, aber die Farben sind falsch, die Schatten in den Wolken bewegen sich zu schnell.
In der weiteren Umgebung wird noch gekämpft. Ich frage mich, ob ich dort nicht besser aufgehoben wäre als hier. Hier stehe ich einfach nur und beobachte wie Männer und Frauen. Schwertkämpfer, Speerträger, Magier, Paladine. Fast alle in ihren blauen Wappenröcken. Auch von drinnen dringen Kampfgeräusche an mein Ohr. In Zehnerreihen marschieren sie hinein. Herauskommen, das weiß ich schon in diesem Moment, werden die wenigsten wieder. Ich löse mich von meiner Erinnerung des Vormittags.
Erneut sehe ich mich um. Noch immer keine Zeichen eines Angriffs. Ich frage mich, ob das nicht ein guter Zeitpunkt ist, die Höhlen wieder zu verlassen. Was gab es hier zu erreichen? Kein militärisches Ziel, möchte ich meinen. Mit einem Mal kann ich hier nicht mehr sitzen. Ich stehe auf, gehe zum südlichen Ausgang der Höhle. Es hält mich niemand auf. Ich schleiche mich nicht hinaus. Ich fliehe nicht in Hast. Ich gehe einfach. Die Krieger und Kriegerinnen, die den südlichen Eingang bewachen, sehen mir nach. Ich spüre ihre Blicke im Rücken. Fast schon bin ich etwas enttäuscht, dass keiner mitkommen möchte.
Auch in den Gängen sind Arkansteine in den Felswänden, leuchten chaosmagisch violett. Ich komme an einer Ansammlung von Leichen vorbei. Orks hauptsächlich, und fünf oder sechs von unseren Leuten. Eine der Leichen, eine Frau. Ihr Körper ist in einer Stellung in sich zusammengefallen, die mich an Liebe denken lässt. Begehren regt sich schwach in mir. Unpersönlich, fragt nicht nach dem Wem oder dem Warum. Ich ignoriere es und gehe weiter. Höhlengang um Höhlengang. Anhand der Toten kann ich unsere Spur leicht zurückverfolgen. Ich habe keine Angst mich zu verirren. Die Luft riecht nach Moder und den Ausscheidungen von Chaos-Kreaturen, nach Blut und aufgeschlitzten Gedärmen. Ich komme an weiteren Toten vorbei. Nichts an dem Anblick, den sie mir bieten, scheint bemerkenswert. Trotzdem überkommt mich ein Gefühl. Mein Blick bleibt an der Leiche eines Blaurocks hängen. Ein silberbärtiger Krieger. Er starb mit dem Schwert in der Hand.
Etwas an dem Bild stimmt nicht. Irgendetwas ist anders. Für einen Moment verschwimmt mein Blick. Es ist fast so, als sollte ich irgendetwas nicht sehen. Ich wehre mich gegen diese Kraft. Ich konzentriere mich. Dann entdecke ich es. Ein Buch. Es ragt unter der Brustplatte des toten Kriegers hervor, an der Seite. Es ist nicht groß. Ich greife danach. Ich nehme es. Schlage es auf. Die Seiten sind leer. Ich bin verwirrt.
Warum sollte ein Krieger ein leeres Buch am Herzen tragen? Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Wieder und wieder blättere ich es durch. Ich halte es schräg ins magische Licht, aber es bringt alles nichts. Das Buch ist und bleibt leer. Auch ich schiebe es unter meine Brustplatte, so wie er es getragen hat. Ich horche in mich hinein. Nein, nichts an meinem Befinden oder an meinem Empfinden ändert sich. Ich gehe weiter. Bevor ich die Höhlen endgültig verlasse, muss ich mich noch mit vier Orks herumschlagen.
Irgendwie scheinen sie die früheren Kämpfe überlebt zu haben, wahrscheinlich indem sie sich totgestellt haben. Sie stellen kein Problem für mich dar. Ich erledige sie schnell und routiniert. Manche ihre Gesichter erinnern mich an Affen, andere an Hunde, Perversionen eines Menschen. Wer erschafft solche Kreaturen, frage ich mich. Ich denke darüber nach, bis ich Tageslicht sehe. Es ist seltsam. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so empfinden würde, aber als ich nach draußen trete, bin ich froh, auf der Roten Ebene zu sein. Froh den Himmel zu sehen. Momentan gibt es dort nur die Wolken. Sie wirken missgünstig auf mich. Ihnen passt nicht, dass ich hier bin. Das kann ich fühlen. Eine seltsame Sache, das mit den Gefühlen. Wieso habe ich diese Gewissheit? Schwer zu sagen.
Das Schlachtfeld des Vormittags liegt vor mir. Still. Nichts regt sich. Nichts und niemand lebt mehr hier. Ich durchsuche ein paar der toten Blauröcke nach Heiltränken. Ich nehme so viele mit, wie ich in meinen Taschen unterbringen kann. Eine alte Gewohnheit. Naja, irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich heute nicht mehr kämpfen werde. Aber man kann nie wissen. Manchmal ist ein Gefühl eine Gewissheit.
Es ist nicht richtig. Einige Zeit später treffen mich fast in derselben Sekunde drei Pfeile. Einer schlägt in meinen Schild ein, ein anderer prallt von meiner Brustplatte ab und der dritte durchschlägt sie. Ich lasse mich sofort fallen. Auf dem Rücken liegend reiße ich ihn aus mir heraus. Mit der rechten Hand entkorke ich eine der Phiolen und kippe mir den Halt rein. Erst nachdem die Wirkung sich entfaltet hat, bewege ich mich wieder. Vorsichtig drehe ich mich um, hebe den Kopf, suche nach den Schützen. Ah, ein Dutzend Orks, sie kommen in meine Richtung. Sie wollen wohl sehen, ob ihre Pfeile auch wirklich einen Zweck erfüllt haben.
Für einen Augenblick nur taste ich nach dem Loch, das der Pfeil in meiner Brustplatte hinterlassen hat. Ich seufze, dann aktiviere ich meine Hast und meine Steinhaut. Wie fast immer, wenn ich große Gruppen angreife, leitet meine Stoßwelle den Angriff ein. Auch diese Orks töte ich schnell und mechanisch. Ich verspüre kein Vergnügen, kein Adrenalin, gerade nicht in einen Schlachtenrausch. Ich frage mich nur, was das alles soll. Für eine Weile setze ich mich auf den Boden. Ich säubere die Klinge meines Schwertes, bevor das Blut der Orks antrocknen kann. Hier und da züngeln noch Flammen hoch. Brandgeruch, Rauch steigt auf.
Der Wind weht sachte über die rote Ebene, er spielt mit den Rauchfahnen, lässt sie hier hin und dorthin wabern. Ich hole das Buch wieder hervor, blättere es noch einmal durch, die Seiten sind noch immer leer. In den Taschen einer toten Kriegerin finde ich ein wenig Essen. Wargschnauze, was sonst? Ich kaue mechanisch, Schlucke mit Widerwillen.
Überhaupt ist heute Widerwillen das Hauptgefühl, das Gefühl, das in mir am dominantesten vorherrscht. Mein Körper und mein Geist sind angefüllt mit Widerwillen. Allerdings ist es eben so, dass Widerwillen einfach nichts nützt. Es gibt kein Entkommen aus dem ewigen Kreislauf der Roten Ebene. Irgendwoher höre ich ein Knacken. Ich drehe mich um nach dem Geräusch. Ich sehe nichts. Niemanden. Keine Kreatur, kein Monster, keinen unserer Krieger. Nur Leichen verstreut über viele, viele Meilen. Ich höre das Geräusch noch einmal. Ich stehe auf.
Sehe mich genauer um. Dann entdecke ich die Quelle des Geräusches. Ein Warg, er frisst seinen Reiter. Das grässliche Tier ist am Bein verletzt. Erneut schließen sich die Kiefer. Der Arm des Orks bricht. Der Warg schüttelt seinen mächtigen Kopf hin und her, reißt ihn ab, schlingt Hand und Unterarm hinunter. Ich mache ein paar Schritte, hebe einen Speer auf, einen von unseren. Mit einer Spitze aus Gunderstahl. Ich werfe und treffe. Der Warg stirbt.
Ich strecke mich, versuche, die verspannten Muskeln zu lockern. Dann gehe ich nach Süden. Ich laufe und laufe und laufe. Irgendwann sind keine Leichen mehr um mich herum. Ich bin für den Moment alleine. Nicht, dass ich das noch nie erlebt hätte, aber dennoch ist es selten. Ein kostbarer Augenblick. Erneut schaue ich in den Himmel. Es gefällt den Wolken noch immer nicht, was ich tue. Nun ja, scheiß auf die Wolken, oder? Dann passiert etwas. Ich kann es fühlen. Es kommt von außen. Ich drehe mich um und gehe zurück nach Norden. Das fühlt sich falsch an, ich weiß nicht, warum ich das tue. Obwohl es sich falsch anfühlt, will ich es, aber ich sollte es nicht wollen. Ich gehe schneller und schneller und schneller, bald renne ich. Dann aktiviere ich meine Hast, um noch schneller zu sein. Ich fliege quasi über die rote Ebene, durch flache Senken hindurch und über Hügel. Mein Zeitgefühl stimmt nicht mehr. Alles verschwimmt und plötzlich befinde ich mich mitten in einer anderen Schlacht, an einem anderen Ort der Ebene.
Ich fühle wieder Kampfeslust. Stürme vor! Meine Stoßwelle reißt Chaos-Kreaturen um. Vorne rechts explodiert ein magischer Feuerball, setzt Orks in Brand. Ich töte einen Schwerthexer mit sieben Schlägen. Pfeile und Bolzen zischen durch die Luft, Schreie überall um mich herum, Schreie wie Musik. Sie peitschen mich an, mein Herz schlägt schnell, pumpt Blut durch meine Adern. Auf meiner Seite kämpft Lady Winterkalt in ihrer blutroten Vollrüstung und ihrem roten Umhang. Mit Schwert und Parierdolch macht sie eine Horde Guhle nieder.
Dann sind zwei Krieger an meiner Seite. Wir attackieren ein widerliches Flederbiest. Die gigantische Bestie hüpft übers Schlachtfeld, tötet unsere Krieger rechts und links. Fliegen kann sie nicht, aber die Sprünge sind schrecklich anzusehen. Sie wirken einfach falsch. So, als dürften sie nicht möglich sein. Aber sie sind es. Ich opfere meine Begleiter, lasse sie von vorne angreifen, was ihren Tod bedeutet. Das ist aber nicht schlimm, denn morgen werden sie wieder kämpfen, auf der Roten Ebene. Ich nähere mich dem Flederbiest von der Seite. Im richtigen Moment renne ich über einen ledrigen Flügel hinauf auf seinen Rücken.
Ich kralle mich in das widerliche Fell, halte mich ganz fest, damit es mich nicht abwerfen kann. Dann ziehe ich mich ein Stück weit nach oben in Richtung Kopf, anschließend zersteche und zerhacke ich das Genick der Bestie. In seinem Todeskampf wirft sie mich ab. Ich fliege weit durch die Luft, pralle hart auf den Boden. Knochen brechen, ich schreie, aber es gelingt mir noch, einen Heiltrank in mich hineinzuschütten, bevor ich sterbe. Der macht mich wieder stark genug, um noch zwei zu trinken. Ich stehe auf, sehe mich um, die Schlacht ist noch immer im vollen Gange. Ein Orkpfeil streift mich an der Wange. Weitere zischen über meinen Kopf hinweg und an mir vorbei. Ich entdecke die Schützen. Wenn ich sie mit einem Akt des Willens auslöschen könnte, wären sie in dieser Sekunde schon tot. So muss ich hingehen und es selbst erledigen. Ich werde von sieben Guhlen aufgehalten, bevor ich es schaffe, dorthin zu gelangen. Die Untoten ... ja, die Untoten greifen furchtlos an. Sie kennen keine Angst. Sie kennen nur ihren Hunger. Ich erschlage fünf von ihnen. Einer krallt sich an meiner Brustplatte fest, will mich nach unten ziehen. Der andere nutzt die Chance, beißt Fleisch aus meinem Gesicht heraus.
Es ist ein widerlicher, grässlicher, greller Schmerz. Beide Guhle kleben jetzt geradezu an mir. Sie sind zu nah dran, um das Schwert effektiv einsetzen zu können. Ich lasse es fallen, versuche, mit dem Schild zuzuschlagen. Auch das funktioniert nicht. Dann mit der Faust. Das geht besser, hat aber kaum einen Effekt. Ich bohre einem Guhle einen Finger tief ins Auge. Er reagiert darauf, aber er zuckt und schreit nicht, wie ein Mensch es tun würde. Ein anderer beißt in meinen Hals.
Es gibt nicht mehr viel, was ich jetzt noch tun könnte. Es bringt nichts, sich dagegen aufzulehnen. Das Schicksal, das mich heute auf der Roten Ebene ereilt, ich sollte es annehmen, beschließe ich. Ich bleibe noch eine Weile am Leben, während die Guhle von mir fressen. Mein Körper zuckt. Ich analysiere die Schmerzen mit abgetrenntem, wissenschaftlichen Interesse, wenn man so will. Es ist gar nicht mal so uninteressant, wenn man sich erst einmal von sich selbst abgetrennt hat.
Der menschliche Geist ist zu vielem fähig, aber die Geräusche, wenn sie kauen und schmatzen und Fleisch abreißen und in meinen Eingeweiden herumwühlen, die Geräusche sind schrecklich. Aber das Durchhalten, das hat sich gelohnt.
So kann ich wenigstens noch mit erleben, wie zwei Krieger auf mich und die Guhle aufmerksam werden. Einer von ihnen holt weit mit dem Schwert aus. Ein Guhlkopf, der zweite wird von mir heruntergerissen. In seiner Hand hat der Guhl dabei noch irgendeines meiner Organe. Adern hängen noch daran, reißen ab. Die beiden Krieger töten auch diesen Guhl. So soll es sein. Gut so, widerliche Mistviecher. Dann stehen die beiden Krieger um mich herum. Einer sieht mich voller Ekel und Abscheu an. Der andere voller Mitleid.
Ich versuche, ihm zuzunicken, es geht nicht, also blinzle ich. Vielleicht versteht er mich, vielleicht hätte er es sowieso getan. So oder so, ich sehe den Mann ausholen. Er schlägt mir seine Klinge in den Schädel, ich bin tot. Aber ihr wisst ja, es ist nicht schlimm, denn morgen werde ich wieder kämpfen.