Schlachtensplitter 16

Vor dem Tore Gaarth, auf der Roten Ebene.

Irrwische, ein ganzer Haufen von ihnen. Wir stehen ihnen gegenüber. Fünfzig Schritt bis zum Gemetzel. Die gefallenen Zauberer sehen so irre aus, wie ihr Name vermuten lässt. Gekleidet in Lumpen, übersät von Geschwüren, löchrige Zahnreihen, dennoch alle gebleckt. Wir stehen vor dem Tore Gaarth, nur zwei oder drei Meilen entfernt. Die böse Aura greifbar, die Umrisse gut zu sehen. Aus irgendeinem Grund das Gefühl von Schicksal, nein, Schicksalhaftigkeit.

Ich weiß, dass es falsch ist. Geschosse und Feuerkugeln fliegen uns entgegen. Unsere Zahl ist endlos, so scheint es, als ich mich nach hinten drehe. Aber ihre? Die der Chaos-Kreaturen, oh, sie strömen noch immer auf die Ebene. Aus dem schwarzen Nichts des Tors heraus. Der Strom reißt nicht ab. Die Irrwische rücken vor, wir ihnen entgegen. Der Herr des Turmes schickt uns Zauberschutz. Keine Sekunde zu früh. Wir machen die Irrwische nieder. Eine Flammenlanze hüllt mich in gleißendes Licht, doch ich brenne nicht.

Fast würde ich mich beim Turmmeister bedanken für seinen Schutz, aber ich weiß, er hat nicht mich geschützt, nicht als Person, Seele oder Wesen. Dennoch bin ich froh, dass ich heute den Schmerz nicht erdulden muss, den heutigen Tag möchte ich so lange wie möglich erleben. Es liegt daran, dass ich glaube, er könnte etwas Besonderes sein. Während ich Irrwische mit meinem Schwert erschlage, denke ich darüber nach, versuche, den Schlachtenlärm auszublenden. Er soll meine Gedanken nicht stören, aber am Ende tut er es doch. Ich spalte Schädel, durchbohre Leiber, Pfeile prallen von meiner Rüstung ab, Klingen fressen sich in meinen Schild. In einer Kampfpause ein Heiltrank. Marakelle von Eisenstein kämpft mit uns. Der kahlgeschorene Kopf mit Blut bespritzt, das Gesicht verzerrt. Ein Trupp Echsler flieht vor uns. Nein, sie fliehen nicht vor uns, sie fliehen vor dem Feuer unserer Katapulte. Großknüppler. Ich stürze mich auf sie, in ihrer Mitte hinein. Einer erkennt mich, fängt an zu weinen. Das gefällt mir, ich ramme ihm eine Klinge den Unterleib. Das Vieh ist eineinhalbmal größer als ich.

Die Keule fällt aus seinen Händen, Blut meiner Kameraden klebt daran, ich reiße die Klinge zurück. Der Magier neben mir zaubert etwas, Orkanenergie rast in den Himmel und ich sehe ihr nach. Drei Harpyen stürzen brennend herab. Sie hält mir ein Stück Wargschnauze hin. Nicht denken, fressen. Ich weiß, ich werde die Energie noch brauchen. Ich nehme es, führe es zum Mund, kauere, schlucke. Während ich das tue, sehe ich Marakelle von Eisenstein beim Kämpfen zu. In Windeseile zertrümmert sie ein Haufen Skelette, Knochen splittern. Orkische Lanzenträger nehmen es mit unseren Speerträgern auf.

Unser Trupp besteht hauptsächlich aus Frauen, aber sie stehen den Orks in nichts nach. Die sind genauso wild, sie kämpfen genauso hart, wenn nicht gar noch härter. Auch sie sind Bestien in gewisser Weise, auch ich bin eine Bestie in gewisser Weise. Seltsam, dass mir der Gedanke hier kommt. Zwei Orks arbeiten zusammen, ihre Speere treffen eine Kriegerin am Hals, am Hals und in der Körpermitte. Die Spitzen beider Waffen kommen am Rücken heraus. Aufgrund der Widerhaken lassen sie sich nicht so leicht herausziehen.

Marakelle von Eisenstein ist mit ihren Skeletten fertig. Mit den beiden Orks macht sie ein schnelles Ende. Orks, ich kann ihren Dung riechen. Auch ich stürze mich jetzt in die Gruppe der Lanzenträger hinein. Ich sehe mir dabei zu, wie ich viele erschlage, wie ich um mich hacke. Orks zu töten, eine Freude, immer. Es ist seltsam. Ich sehe eine unserer Kriegerinnen starr auf der Stelle stehen, ihre Augen und ihr Mund weit aufgerissen in Entsetzen. Ihr Hals verformt sich, das Fleisch dort bewegt sich. Ich weiß, ein Würgeschatten hat sie fest im Griff.

Jetzt, wo ich es weiß, kann ich ihn schemenhaft erkennen. Ich will hin, aber ich bin zu langsam. Ihr Gesicht ist blau angelaufen, ihr Genick bricht. Ich kann das Knacken nicht hören, aber den Moment des Brechens in ihren Augen sehen. Violette Chaosmagie trifft mich. Mein rechtes Bein besteht nur noch aus Schmerzen, von jetzt auf nachher. Der Zauber hat eine Axtkämpferin neben mir zur Gänze getroffen. Nicht viel von ihr übrig, ich habe nur die überschüssige Magie abbekommen. Ein Glück möchte man sagen. Von meinem Bein steigt Qualm auf.

Ich weiß, dass ich schreie. Aber das tun hier alle, im Schlachtenlärm, nehme es nicht separat wahr, es fügt sich ein in mein Geschrei. Das ist im Vergleich nicht besonders hoch, nicht besonders laut, nicht besonders schrill, nicht einmal besonders qualvoll, obwohl ich diese Art von Schmerzen hasse. Einer doch, einer ist da, der meinen Schmerz wahrnimmt, der Chaos-Magier, der ihn ausgelöst hat. Er steht still inmitten der tobenden Schlacht, starrt mich an, grinst hämisch. Ich reiße einen Speer vom Boden, einen orkischen. Ich ziele nicht, aber ich lege alle meine Kraft in den Wurf.

Er grinst noch immer, aber je näher der Speer ihm kommt, desto klarer wird ihm, dass er treffen wird. Das Grinsen vergeht, die Augen werden groß, die Spitze dringt in seine Stirn ein. Ein schales Vergnügen - aber ein Vergnügen nichtsdestotrotz. Eine Kriegerin hockt da, erleichtert sich, hockt neben einer anderen, der die Eingeweide aus dem Bauch quellen. Drachen fauchen, aus dieser Nähe habe ich es noch nie gehört, aber vielleicht täuscht mich meine Erinnerung auch. Magie aus dem Norden oder aus dem Süden. Ich weiß nicht, wer der beiden es gezaubert hat, aber der Boden bricht auf und verschlingt Monster und Krieger gleichermaßen.

Das Maul schließt sich wieder, Körper von Erde und Gestein der Roten Ebene zermalmt. Die Kräfte eines Sukubus greifen nach mir. Mit Entsetzen spüre ich die Wirkung auf mich. Meist bin ich dagegen immun. Heute nicht. Ich kann nicht verhindern, dass ich zu dem Wesen hingehe. Es ist wunderschön, ich will es haben. Ein Teil meines Geistes kann gerade noch verhindern, dass ich Schwert und Schild fallen lasse. Ich stelle mir vor, wie es sein wird, sie zu nehmen. Sie überall zu berühren, so wie früher. Eine Pfeilsalve rettet mich. Es gelingt mir, den Bann abzuschütteln.

Vom Norden her, vom Tore Gaarth fliegen Feuerbälle heran. Ich werfe mich zu Boden. Irgendwo schlagen sie in unsere Reihen ein. Die meisten etwas weiter weg von mir, außer einer. Ich kann die Hitze spüren. Der Anteil von Blauröcken in Qual erhöht sich kurz. Ich kann es hören. Ich bleibe verschont. Als ich mich erhebe, sehe ich einen großen Trupp von Chaos-Elementaren. Sie haben den Kern der Schlacht noch nicht erreicht. Ich beschwöre mein Himmelszorn, lösche den Trupp fast vollständig aus. Große und schwere Bolzen surren an mir vorbei, eher Hummeln als Wespen. Hinter mir durchschlagen sie die Rüstungen von Männern und Frauen. Ein Reißerweibchen hüllt sich in Chaos-Magie, bevor es angreift, versetzt sich in magisch verstärkte Raserei. Ich sehe, wie sie Körperteile meiner Kameraden entfernt, abreißt, fallen lässt. Es tötet nicht, es verstümmelt so viele, wie es kann.

Die Schlacht trägt mich fort von diesem Bild. Ich spüre etwas um meinen Hals. Nun ist ein Würgeschatten auch zu mir gekommen, und ja, er würgt. Die Blutzufuhr zu meinem Kopf wird abgedrückt, unterbrochen. Abgeklemmt wäre vielleicht das richtige Wort. Ich lasse mein Schwert fallen, ziehe einen Dolch, hacke und steche hinter mich. Irgendwann wird die halbstoffliche Kraft schwächer. Ich kann wieder atmen. Dann hebe ich mein Schwert wieder auf. Ich verliere mich im Schlachtenrausch. Als ich wieder bewusst denke, finde ich mich neben dem Kadaver eines riesigen Landkraken wieder. Viele von uns sind ringsum gefallen. Meine Muskeln schmerzen, ich bin über und über mit Blut besudelt und zittere.

Ich will weggehen, irgendwo anders weiter kämpfen. Etwas reißt mich von den Füßen. Panik durchzuckt mich, dann muss ich lachen. Nur ein Muskelzucken eines der Tentakelarme. Inmitten des Chaos, das uns umgibt, steht ein Armburstschütze still. Er hat es gesehen.

Ein verirrter Pfeil trifft meine Brustplatte. Er gleitet ab, nach oben, die Spitze ritzt mein Kinn. Das Lachen vergeht mir, auch weil ein Warg in meiner Nähe seine Schnauze im Bauch einer Kriegerin vergraben hat, die noch am Leben ist. Ich töte beide. Dann stehe ich kurz still, mit dem Finger betaste ich die Schramme meiner Brustplatte. Eine gute Spitze. War das ein starker Bogen?

Plötzlich will ich mehr sehen. Ich finde einen toten Oger, nutze seinen Brustkorb als Podest.

Ich kann nicht erkennen, ob wir siegen oder unterlegen. Ich sehe Getümmel ohne Sinn und ohne Ziel. Ich meine, natürlich, wir sollen das Tor Gaarth erreichen. Aber was dann? Na ja, den Herren des Tores Gaarth vernichten.

Wird die Ewigkeit auf der Roten Ebene danach enden? Ich glaube es nicht. Allerdings glaube ich auch nicht, dass es uns gelingen wird. Ich erkenne keine Taktik und schon gar keine Strategie in den Truppenbewegungen. Weder in den unseren, noch in denen der Chaos-Kreaturen. Ich finde einen Heiltrank. Nehme ihn zu mir. Als ich die Phiole ansetze, sehe ich die Materialchen von Loom.

Auch sie setzt gerade eine Phiole an. Unsere Blicke treffen sich, prosten uns zu. Mit dem letzten Schluck atme ich den Geruch aufgerissener Därme ein, und den von Blut. Neue Energie durchflutet mich. Ich werde noch ein wenig an der Schlacht teilnehmen, denke ich. Bilder verschwimmen, Orks, Meuchelkatzen. Ich besiege sogar einen Troll. Um mich herum fallen Krieger, fallen Chaos-Kreaturen.

Es werden Leiber zerhackt. Adern durchtrennt, Organe durchstoßen, ich mittendrin. Auch ich zerhacke und durchstoße. Als ich wieder zu mir komme, trinke ich einen weiteren Heiltrank. Ich habe keine Erinnerung mehr daran, wo ich ihn gefunden habe. Auch an die Verletzungen, die sich jetzt schließen, kann ich mich nicht erinnern. Zwei Chaos-Streiter in schwerer Rüstung zerhacken einen Axtmann mit seiner eigenen Waffe. Also einer von ihnen hat die. All das Schlachten, all das Leid.

Waren die Verbrechen, die uns auf die rote Ebene gebracht haben, tatsächlich so schlimm, dass wir das verdienen? Ich weiß es nicht, erinnere mich nicht mehr in diesem Moment. Aber ich kenne mich. Ich weiß, ich hatte meine Gründe. Ich kann nicht glauben, dass ich keine Gründe dafür gehabt haben sollte.

Haben wir alle nicht genug gebüßt, gesühnt, gelitten? Erneut treffe ich auf die Matriarchin von Loom. Sie steht neben den Leichen einiger Minotauren, stolz mit ihrer Kriegskrone. Sie scheint solche Gedanken nicht zu kennen. Um mich herum schlagen erneut Zaubergeschosse ein. Explosionen, Splitter, Schreie, Krater im Boden. Eine dunkle Schlachtenpriesterin mit einem riesigen Streitkolben. Ich habe Glück, ihre Rüstung hängt bereits in Fetzen. Sie kann sich gerade ebenso noch auf den Beinen halten. Ihr Kopf rollt durch meine Klinge.

Ist es der bloße Instinkt, der mich immer weiter kämpfen lässt? Ich kann es nicht sagen. Vielleicht schlummert da auch noch ein wenig Hoffnung. Oder so etwas Ähnliches.

Dann Drakos. Zwei haben sich in einen Speerkämpfer verbissen. Als ich mit ihnen fertig bin, lebt er noch. Ich sehe ihn fragend an. Er nickt. Ich tue es, gehe weiter. Weiche kämpfen aus, so gut ich kann. Ein Großknüppler, bereits verletzt. Er trägt einen lächerlich traurigen Gesichtsausdruck zur Schau. Ein Gesichtsausdruck, der einfach nicht zu so einer riesigen, grässlichen Kreatur passt.

Er wehrt sich nicht einmal, er schaut genauso wie der junge Mann dem drei Orkspeere aus dem Leib tagen. Ich will weiter nach Norden, beschließe ich. Ich will das Tor Gaarth aus der Nähe sehen. Ich aktiviere Hast und Steinhaut. Für die anderen bin ich nun fast unsichtbar, für die Allermeisten von ihnen. Ich bewege mich durch Chaosmonster, durch Gruppen von ihnen, zwischen Gruppen von Chaosmonstern hindurch. Ich hätte viele töten können, tue es nicht.

Einige verirrte Pfeile prallen von mir ab. Als meine Kräfte abflauen, bin ich näher dran. Näher am Tore Gaarth. Ich stehe auf einem Hügel, er ist von Leichen übersät. Also bin ich nicht der Erste von uns, der es hierher geschafft hat. Aber ich bin alleine unter Monstern. Noch haben sie mich nicht bemerkt, aber früher oder später wird das passieren. Eher früher, schätze ich, ich setze mich hin. So bin ich vielleicht nicht ganz so leicht zu erkennen. Ich starre hinunter auf das Tor Gaarth.

Noch immer scheint es unendlich weit weg, ungreifbar. Der direkte Bereich vor ihm knistert vor violetter Chaosmagie. Blitze zucken ohne Ziel. Monster materialisieren sich, strömen nach Süden. So viele, so unendlich viele. Ich kann sie nicht zählen, natürlich nicht. Nicht einmal die Gruppen kann ich zählen. Da sind auch welche, die ich noch nie gesehen habe.

Tierartige, menschenartige, unförmige. Kreaturen schlimmer als jeder Albtraum. Wo kommen sie her? Ich meine, bevor sie hier aus dem Tor kommen, müssen sie doch schon irgendwo gewesen sein, irgendwo existiert haben. In unserer Welt, in anderen Welten, im Hirn eines Wahnsinnigen.

Hinter dem Tor erhebt sich ein Gebirge, hoch drohend, düster, schwarzer Stein. Ich hebe den Kopf, der Himmel über dem Gebirge brennt.

Sie haben mich jetzt entdeckt. Sie kommen zu mir, gleich sind sie da. Ich frage mich, ob ich jemals noch näher ans Tore Gaarth herankommen werde.

Die Antwort lautet Ja.

Ja, natürlich, denn morgen, morgen und an jedem anderen Tag werde ich wieder kämpfen, auf der Roten Ebene. Es ist also nur eine Frage der Zeit.