Schlachtensplitter 20
Nahe der alten Einsiedelei auf der Roten Ebene.
Ein Geräusch lässt mich herumwirbeln. Hat sich komisch angehört, aber ich finde die Quelle nicht. Mir fällt auch nichts ein, mit dem ich es vergleichen könnte. Es ist auch egal. Ich bin alleine. Die Schlacht scheint vorbei. Dabei ist es noch früh am Tag. Das Chaos kam mit einer gigantischen Übermacht. Fast so viele wie gestern, nur dass wir viel weniger waren. Sie haben uns aufgerieben und sind dann weitergezogen nach Süden, in Richtung des gewundenen Turmes. Warum ich überlebt habe?
Eine wirkliche Erklärung habe ich dafür auch nicht. Ich weiß gerade noch nicht einmal, ob ich mich überhaupt darüber freuen soll. Ich bin ziemlich am Ende. Tatsächlich fehlt mir die linke Hand. Ein Todesritter hat sie sich besorgt, hat sie abgeschlagen.
Ich frage mich immer noch, wie diese Dinger je entstehen konnten. Also Todesritter, nicht Hände. Ich habe den Heiltrank zu mir genommen. Der hat ausgereicht, um die Wunde zu schließen, aber nicht, um mir eine neue Hand wachsen zu lassen. Ich muss einen Magier suchen, wenn ich das heute noch erledigt haben will. Nur hier, jetzt, im Moment - jetzt ist niemand zu sehen. Niemand, der noch lebt.
Ich bewege mich langsam über das Schlachtfeld, sammle einen Heiltrank ein und trinke ihn. Dann noch einen. Ich schaue in den Himmel. Es ist merkwürdig, die Wolken kommen mir weniger boshaft vor als sonst.
Ich laufe, ich schaue mir Wolken an, ich laufe, ich schaue mir die Wolken an und so weiter. So geht es eine ganze, ganze Weile, so lange, bis ich sie treffe. Tatsächlich eine Magierin, wer hätte das gedacht? Wo mir die Hand fehlt, fehlt ihr ein Unterschenkel. Sie sitzt leicht aufgerichtet, weil sie an der Leiche eines Wargs lehnt. Ein Speer nagelt sie an das Tier. Ihr Blick ist klar, vielleicht, überlege ich, vielleicht lohnt es sich, sie zu retten. Ich gebe mich ihr zu erkennen.
Zuerst erschreckt sie, aber dann ist sie erfreut, glaube ich. An ihrem Gesicht kann ich das nicht ablesen, aber ich wäre es an ihrer Stelle. Ich erkläre ihr, dass ich ein paar Heiltränke für sie sammeln werde. Das tue ich dann auch und ich beeile mich sogar. Natürlich, da schwingt einiges an Eigennutz mit. Sie will leben. Ich will eine linke Hand. Ich habe Glück, denn als ich zu ihr zurückkehre, sind ihre Augen noch offen. Sie sieht mich erwartungsvoll an. Ich öffne ihr zwei Phiolen mit den Zähnen. Eine drücke ich ihr in die rechte, die andere in die linke Hand. Und dann, ohne es anzukündigen oder zu erklären, da reiße ich den Speer aus ihrem Bauch heraus. Sie schreit, als wäre das für sie das erste Mal.
Fast hätte sie die Heiltränke verschüttet. Was für ein dummes Stück! Ich mache eine Geste. Sie ahmt sie nach und dann endlich begreift sie und schüttet in rascher Folge beide Tränke in sich hinein. Ihre Gesichtszüge entspannen sich. Die Wunde schließt sich. Darmschlingen, die mit herausgekommen sind, wegen der Widerhaken, ziehen sich wieder in die Magengrube. Ich gebe ihr noch einen Heiltrank. Langsam kapiert sie. Dann gebe ich ihr ein Stück Wargschnauze zu essen. Sie verzieht das Gesicht, aber sie gehorcht. Ich setze mich neben sie, betrachte erneut den Himmel. Es sind mehr Wolken geworden, sie wirken jetzt nicht mehr so freundlich. Am Stand der Sonne erkenne ich, dass es weit nach Mittag ist. Ein paar Harpyen sind da, aber sie fliegen hoch, weiter nach Süden. Keine Drachen.
Nach einer Weile wende ich mich wieder der Magierin zu. Ich frage, ob sie wieder zaubern kann. Sie zeigt auf ihr Bein. Na klar, keine Frage. Jeder ist sich selbst der Nächste, das verstehe ich. Aber danach frage ich erneut. Zu meinem Glück, oder zu ihren, je nachdem wie man das jetzt sehen will, nickt sie. Sie strengt sich sehr an. Nachdem ich zugesehen habe, wie ihr Fuß und ihr Bein nachwachsen, was ziemlich bizarr aussieht, da muss sie sich erstmal wieder ausruhen. Ich lasse sie die Augen schließen und warte.
Ich lasse meinen Blick übers Schlachtfeld wandern. Leichen, Leichen, überall nur Leichen. Nichts bewegt sich außer, außer dort. Eine Gruppe von Nacktalben. Ich fluche, warum jetzt, so kurz bevor meine Hand an der Reihe wäre. Der Herr des Tores Gaarth, der Herr der Chaoskreaturen hat Humor. Sie sind noch ein Stück weit weg. Ich sehe mich noch einmal genauer um. Außer diesen Nacktalben sind hier keine Chaoskreaturen zu sehen. Ich erhebe mich leise. Die Magierin ist eingeschlafen. Gut, wenn es ihr hilft, ihre Kräfte zu regenerieren, dann soll es so sein. Langsam und vorsichtig, um kein Geräusch zu machen, gehe ich ihnen entgegen.
Sie haben mich schon längst entdeckt, sie fächern aus. Nacktalben sind keine allzu gefährlichen Gegner, aber man sollte sich auch nicht von ihnen einkreisen lassen. Nackte Karikaturen von Männern und Frauen mit übergroßen Geschlechtsmerkmalen. Anders als Sukubi und Inkubi nehmen sie sich mit Gewalt, was sie wollen, nicht mit Magie. Wenn sie können, vergehen sie sich nur an Verletzten. Gesunde Menschen greifen sie nur an, wenn sonst nichts zur Verfügung steht. Albtraumkreaturen, halbe Wesen nur von ihrer Gier getrieben. Ich verhindere, dass sie mich einkreisen, indem ich neben einem gefallenen Bogenschützen stehen bleibe und mir seine Waffe nehme.
Zwei von rechts, zwei von links, vier Pfeile, vier tote Chaos-Kreaturen. Die übrigen fünf sind jetzt natürlich ein wenig sauer. Mit ihren affenartigen Bewegungen, aber schnell, rasen sie auf mich zu. Ich aktiviere meine Steinhaut. Mit Ekel im Gesicht entmanne ich den ersten. Ich lasse ihn bluten und schreien, wende mich dem Nächsten zu, auch ein Männchen. Ihn treibe ich meine Klinge durch die Brust. Ein Weibchen, das mich auf obszöne Weise an irgendjemanden erinnert, vielleicht an die Magierin. Ihr hacke ich die linke Hand ab. Auge um Auge. Das zweite Weibchen will fliehen, stolpert, fällt. Während sie sich wieder hochrappelt, ramme ich ihr die Klinge in den Unterleib, bis zur Lunge. Ich bin zufrieden. Sie sind alle tot, so soll es sein. Ich schaue mich um. Sind neue Chaos-Kreaturen nachgekommen? Nein, sieht nicht so aus. Ich säubere meine Klinge besonders sorgfältig. Dann mache ich mich auf den Weg zurück zur Magierin. Sie schläft noch immer, scheint einen Albtraum zu haben. Ich überlege, ob ich sie wecken soll oder nicht, entscheide mich aber dagegen.
Ich hatte wirkliches Glück, dass es nur Nacktalben waren. Ich denke darüber nach, wie ich meine Zeit weiter nutzen kann. Das Offensichtliche fällt mir ein. Wenn meine linke Hand wieder da ist und das Stück Unterarm, das fehlt, dann kann ich auch wieder einen Schild nutzen. Also stehe ich wieder auf und mache mich auf die Suche. Ich finde auch einen, der noch halbwegs in Schuss ist. Nur drei Bolzen stecken darin. Einer hätte es fast hindurch geschafft. Dann nehme ich mir noch einen Bogen mit. Den anderen habe ich bei den Nacktalben liegen lassen. Den Bogen und zwei Pfeilköcher. Stumm bedanke ich mich bei den beiden Blauröcken, denen ich ihr Besitztümer abgenommen habe. Gerade den Bogenschützen hat es übel erwischt. Irgendeine Chaos-Bestie hat ihm das halbe Gesicht weggebissen, inklusive Knochen. Wenn er Glück gehabt haben sollte, hat ihn der Schock getötet. Und zwar schnell. Wenn nicht, dann, na ja, dann hat es eben etwas länger gedauert.
Ich setze mich neben die Magierin. Als ich mir den Bogen quer auf die Knie legen will, da muss ich lachen. Meine Hand ist bereits wieder da. Ich meine, natürlich, wie hätte ich sonst den Bogen benutzen können? Wieso habe ich das nicht bemerkt? Sie öffnet die Augen und lächelt.
Eine Illusion, sagt sie. Ich frage, warum. Ich musste ausruhen und ich musste beschützt werden, sagt sie. Ich ... ich lache und ich verstehe. Ich sage ihr, dass ich sie auch so beschützen werde und sie schläft wieder ein. Sie muss ihren Zauber im selben Augenblick gewirkt haben, indem sie auch ihr eigenes Bein geheilt hat. Von dem Anblick war ich sowieso abgelenkt. Der zusätzliche Illusionszauber kann nicht so schwer gewesen sein. Cleveres Mädchen. Nach einer Weile fragt sie mich, ob ich bei ihr liegen will. Natürlich will ich. Es ist für uns beide zufriedenstellend. Für mich persönlich aber zu schnell vorbei, zu mechanisch. Einen Hauch zu verzweifelt.
Nachdem wir fertig sind, ziehen wir uns rasch wieder an. Auf der Roten Ebene ist niemand gerne für längere Zeit ohne Rüstung. Von daher verstehe ich sie. Sie schaut mich an und fragt, was nun. Ich stehe auf, sehe mich um. Noch immer sind nirgends Kreaturen des Herrn des Tores Gaarth in Sicht. Aber ... aber da ist doch etwas. Der Boden beginnt zu vibrieren. Schutzkuppel, sage ich. Denn ich spüre die mächtige Energie des Turmmeisters. Natürlich, er hat keinen Grund, seine Aufmerksamkeit hierher zu lenken. Aber, naja, er handelt nicht immer logisch. Seine mächtigen Zauber sind gemacht, um ganze Gebiete zu verheeren.
Vielleicht befinden wir uns gerade noch am Rand eines dieser Gebiete. Ich teile meine Gedanken mit ihr und sie nickt. Sie hüllt uns in eine blau-schimmernde, magische Schutzkugel. War eine gute Idee, stellt sich bald heraus. Von Süden her, aus Richtung des gewundenen Turms, der sich unendlich weit in den Himmel erstreckt, braust eine Feuerwalze heran. Sie ist nicht auf uns gezielt, ist unterwegs, vielleicht zur alten Einsiedelei. Die Gebäude kann ich aus der Ferne erahnen. Dennoch verbrennt sie alles, was sie berührt, die Feuerwalze. Sie wird ihre komplette Macht erst an ihrem Ziel entladen. Dennoch, ohne die Schutzkugel wären wir verloren gewesen. Es ist wunderschön, wie die Flammen sich an der magischen Barriere verhalten.
Fast wie eine Flüssigkeit. Ich frage sie, wie lange sie die Kuppel aufrechterhalten kann und zwinkere. Sie versteht und lächelt. Wir lieben uns noch einmal. Dann, als alles vorbei ist, fragt sie erneut, was nun gemacht werden soll. Jede Leiche, die schon vorher um uns herum lag, ist nun zusätzlich noch verbrannt worden. Es stinkt schrecklich. Auch sie rümpft die Nase. Ich frage, ob sie den Wind beschwören kann. Erneut lächelt sie auf ihre Weise. Aber dann schüttelt sie den Kopf.
Dann ist klar, was wir tun müssen, sage ich, wir müssen weg von hier. Sie läuft links von mir, manchmal sieht sie zu mir hin, ein anderes Mal ich zu ihr. Aber die meiste Zeit über behält jeder seine Seite im Blick, hält Ausschau nach Gefahren. Die Flammenwalze des Turmmeisters war mehrere Meilen breit. Entsprechend lange brauchen wir, um den Bereich des Gestanks zu verlassen. Bald schon wird es Abend sein, und dann wird die Nacht uns holen. Und dann werden wir wieder kämpfen auf der Roten Ebene, aber noch nicht.
Auch sie scheint es nicht eilig zu haben. Nachdem wir den nach verbranntem Fleisch riechenden Bereich hinter uns gelassen haben, gehen wir noch ein paar Meilen weiter. Wir gehen nach Westen. In diesem Bereich zwischen der alten Einsiedelei und der Kluft der Seelen gibt es schlicht und einfach gar nichts. Nur die rote Ebene und den Himmel über ihr. Ein Schwarm Harpyen wird auf uns aufmerksam. Sie kreischen und schnattern. Wir hören sie gleichzeitig. Für ihre Zaubersprüche sind die Harpyen leichte Beute. Sie erledigt die meisten, aber auch ich trage mit dem Bogen meinen Teil bei. Sie acht, ich drei. Tote Vogelweiber liegen rings um uns verteilt. Ich frage, ob wir uns aus den Leibern ein Versteck bauen sollen.
Wir könnten uns unter ihnen begraben und einfach warten, bis die Sonne untergeht. Nein, das will sie nicht, sagt sie. Mir wär's egal, aber irgendwie kann ich sie verstehen. Warum wir in diese Richtung gehen, frage ich, aber sie zuckt nur mit den Schultern. Offenbar will sie nicht reden, auch dafür hab ich Verständnis. Wir gehen also weiter, einen Fuß vor den anderen, einen Fuß vor den anderen. Die Toten liegen hier dünner. In Gedanken erinnere ich mich an unser Liebesspiel. Ich muss grinsen. Ein toter Warg gibt gar kein schlechtes Bett ab. Sie beginnt von ihrer Kindheit zu erzählen. Wie schlimm es war, für sie zumindest, als sie ihre Kräfte entdeckt hat.
Anfangs hatte sie sich nicht so gut im Griff. Zwei ihrer Geschwister hat sie auf dem Gewissen. Die Eltern haben sie dann verstoßen. Wie alt sie damals war, frage ich. Acht Jahre, sagt sie. Ich habe diese Geschichte schon tausendfach gehört. Für Magier kein unübliches Schicksal. Jetzt ist sie eindeutig älter als acht. Natürlich würdige ich die Tragik, die der Geschichte innewohnt. Denn tragisch ist sie, das steht nicht zur Debatte. Aber der Tod ihrer Geschwister hat sie nicht hierher gebracht. Hat sie nicht zum Richtblock oder an den Galgen geführt.
Ihr Verbrechen muss ein anderes sein. Im Anschluss erzählt sie Details aus ihrem Leben in den Straßen einer Hafenstadt, deren Namen ich vergesse. Ich beschließe nicht nach dem Grund, ihres Hierseins zu fragen, höre einfach nur weiter zu. Ich mag es, wenn sie redet. Sie hat eine angenehme Art zu erzählen, sie beschönigt nichts, lässt sich nicht besser aussehen, als sie ist. Das gefällt mir. Ich erinnere mich an die Geschwister. Ich frage sie, ob sie einen Weg kennt, der es uns erlaubt, uns morgen wiederzusehen.
Sie kennt keinen, sagt sie. Dann frag ich sie, ob sie es schön fände. Das weiß sie nicht, antwortet sie. Sie sieht mich dabei nicht an, aber ich kann sehen, dass sie lächelt. Dann Pferdehufe. Erst nur ein dumpfes Grollen, das dann lauter und heller wird. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn uns mehr Zeit geblieben wäre. Es sind Todesritter, ein riesiger Trupp. Dass sie zu uns wollen, das kann man nicht bezweifeln. Untote in schwerer Rüstung. Lanzen, Schwerter, Streitäxte. Jedes der Biester mit dem Pferd verwachsen. Verschmolzen, wie angenäht. Ein widerlicher und grausiger Anblick.
Schutzkuppel, rufe ich ihr zu, sie nickt und wirkt den Zauber. Aus dem Schutze der blau schimmenden, kuppelartigen Barriere heraus nutze ich den Bogen und sie, sie nutzt magische Geschosse und ihre Flammenlanzen. Solange die Kuppel hält und wir noch nicht in den Nahkampf gehen müssen, nehmen wir uns die Pferde vor. An den Todesrittern ist kein Fleisch dran, das bluten oder verbrennen könnte. Ich sehe, wie sie sich anstrengt, wie jedes Mal, wenn sie ein magisches Geschoss auf seinen Weg schickt, die Kuppel etwas schwächer wird. Wenn wir das überleben wollen, muss die Kuppel so lange halten wie möglich. Obwohl sie keine Wunde hat, nicht verletzt ist, genau wie ich, gebe ich ihr meine letzten beiden Heiltränke. Ich hoffe einfach, was sie auch die mentale Energie eines Magiers regenerieren können.
Wie sich herausstellt, können sie das. Nicht so effektiv wie bei Verletzungen des Körpers, aber sie helfen. Wir sind kein schlechtes Team. Wir töten viele der Todesritter, aber viele sind noch übrig. Ich sage ihr, dass sie mir ein Zeichen geben soll, wenn sie die Barriere nicht mehr aufrechterhalten kann. Passenderweise in dem Moment, in dem ich den letzten Pfeil verschossen habe, tut sie das. Sofort aktiviere ich meine Hast und meine Steinhaut. Den Himmelszorn hebe ich mir für den Schluss auf.
Ich nehme mir die Todesritter zuerst vor, die es auf sie abgesehen haben. Einem Pferd nehme ich das linke Vorderbein. Einem anderen Todesritter schneidet meine Klinge diagonal von unten durch den Brustkorb. Ein anderes heranpreschendes Pferd erwische ich am Kopf. Eine Flammenlanze zuckt an mir vorbei. Ein weiterer Todesritter erledigt. Brennend galoppiert er weiter. In meiner Hast folge ich einem Impuls. Ich küsse sie auf den Mund, töte dann weiter. Sie wird es nicht einmal bemerken. Aber von da an töte ich mit einem Lächeln. Ich lasse einen von ihnen an mir vorbei stürmen. An meinem Schwert schneidet er sich die komplette Seite quasi selbst auf.
Verdorrte und vertrocknete Eingeweide. Sie fallen aus dem Tier heraus, bevor das Tier selbst fällt, zusammen mit der Kreatur, die auf ihm festgewachsen ist. Meiner Begleiterin sind die Zauberkräfte inzwischen ausgegangen. Sie hat sich eine Axt gegriffen, aber sie führt sie ungeschickt, schwach. Zur selben Zeit neigen sich auch meine Hast und meine Steinhaut dem Ende zu. Ich beeile mich, noch drei weitere Todesritter zu erledigen. Fünf sind jetzt noch da. Drei davon haben es auf sie abgesehen. Zwei sind gerade von uns weggaloppiert, haben verfehlt, befinden sich im Begriff zu wenden. Ist so eine Sache mit dem Schwung. Ich ziele meinen Himmelszorn sorgfältig.
Es wird funktionieren, aber sie darf sich nicht bewegen. Auf keinen Fall darf sie sich bewegen. Dann kann ich die drei, die auf sie zu preschen, erledigen. Ich rufe, sie soll stillstehen. Dann rufe ich den Hagel. Ich hoffe, dass sie mich gehört hat. Aber es klappt, und es ist ein großartiges Schauspiel. Speere aus Eis schlagen ein. Noch einem Schritt von ihr entfernt. In einem Bereich von zehn mal zehn Schritten. Jeder der Todesritter wird mehrfach durchbohrt. Einer überschlägt sich, taumelt, fällt an ihr vorbei, an ihrer rechten Seite.
Sie steht still, ungerührt, hält ihre Axt tapfer. Ein zweiter Todesritter wird von den mannlangen Eiszapfen, die ihn treffen, quasi an die rote Ebene genagelt. Auch der dritte stürzt an ihr vorbei, überschlägt sich nicht, sein Tod ist weniger spektakulär, aber dennoch befriedigend. Ich bin froh, dass ich so gut gezielt habe. Aber es reicht nicht. Ich habe irgendwie gewusst, dass es so kommen würde.
Die anderen beiden -, sie erreichen sie fast gleichzeitig. Der Erste erwischt sie nicht mit der Waffe. Er streift sie aus vollem Galopp an der Schulter, sie wird herumgewirbelt, fällt. Oh ja, sie fällt, sie fällt exakt in die vorherbestimmte Bahn eines Breitsäbels.
Dann ist auch der zweite Todesritter an ihr vorbeigaloppiert, und sie ... sie hat keinen Kopf mehr. Ihr Leib liegt dort, verkrümmt, der Kopf ein wenig daneben, eben der, den ich gerade noch geküsst habe, vor Schrecken verzerrt die Augen, weit aufgerissen. Ich brauche fast zu lang, um mich von dem Anblick losreißen zu können. Sie haben gewendet, galoppieren jetzt auf mich zu, die letzten beiden. Ich habe meine Kräfte verbraucht. Ich bin nicht sicher, ob ich sie besiegen kann. Ich bin nicht sicher, ob ich sie besiegen will.
Würde es mir vielleicht gefallen auf einer seltsamen, romantischen Ebene, wenn mein zerschlagener Leib neben ihrem zerschlagenen Leib enden würde, heute auf der Roten Ebene?
Ich mache ein paar Schritte, während sie schon weiter auf mich zurasen. Ein paar Schritte in ihrer Richtung. Ich stehe jetzt zwischen ihrem Körper und ihrem Kopf. Das erhöht die Chancen, dass wir uns berühren würden, sollte ich nun fallen. Aber die Reflexe in mir sind auch noch da. Ich hebe meinen Schild, packe mein Schwert fester. Es mögen zwei, vielleicht drei Sekunden sein, bis die Entscheidung gefällt wird. Bis sich herausstellt, ob ich heute bis zur Nacht leben oder jetzt sterben werde.
Ich nutze die Zeit, um mich zu erinnern, an ihre feuchten Lippen, an ihre Haut, daran, wie sich ihre Hände auf meine angefühlt haben, wie sie sich bewegt hat, als ich in ihr war, wie ihr Atem schneller wurde. Ich rufe mir auch ihre Lustlaute in Erinnerung, die Farbe ihrer Brustwarzen, das kleine Muttermal über ihrem linken Schlüsselbein. Die Todesritter sind jetzt ganz nah. Die Zeit läuft seltsam langsam ab.
Ich habe beschlossen, dass ich nicht kampflos aufgeben werde, aber ich habe auch beschlossen, dass es am Ende keine Rolle spielt.
Eine Trauer erfasst mich. Sicher, es lag Verzweiflung in unserer kurzlebigen Liebschaft. Verzweiflung und Notwendigkeit, keine Frage. Trauer überkommt mich. Natürlich, wären wir in der echten Welt, dann hätte ich sie für immer verloren heute.
Aber hier, hier besteht noch Hoffnung. Und Hoffnung kann schrecklich sein. Vielleicht sehen wir uns morgen wieder. Vielleicht in tausend Tagen. Oder vielleicht in einer Million Tagen. Vielleicht laufen wir aneinander vorbei. Erinnern uns nicht mehr, was heute passiert ist zwischen uns.
Ich überlege, ob das schlimmer ist, schlimmer als ein endgültiger Tod. Dann muss ich mich kurz konzentrieren, werfe mich zur Seite. Dabei hole ich weit aus, schlage zu.
Mein Sprung lässt mich hart aufschlagen. Aber am Geräusch, das der Todesritter macht, weiß ich, dass der Schlag ein Erfolg war. Irgendwo hinter mir wird er zusammenbrechen und verenden. Ich bewege mich wieder zurück zu der Stelle, an der ich vorher stand, zwischen Torso und Kopf. Ich sehe mich nach dem letzten Todesritter um. Ich sehe ihm lange nach, wie er vor mir davonreitet.
Ich frage mich, warum er das tut.
Hat er meine Gedanken gelesen? Hat er begriffen, dass es für mich eventuell schlimmer ist, hier zu stehen? Hier zu stehen und zu begreifen, was ich heute verloren habe? Was ich, sollte ich es erneut finden, immer wieder verlieren werde?
Ja, vielleicht ist das der Grund, aus dem er nicht versucht mich zu töten. Gut möglich. Ich ramme mein Schwert in den Boden, knie mich hin, umfasse ihren Kopf mit beiden Händen, drehe das Gesicht zu mir. Den vor Schrecken geöffneten Mund schließe ich vorsichtig, schließe ihr auch die Augen.
Ein letzter Kuss, sanft nur, kaum eine Berührung. Ich drapiere Kopf und Körper so, wie sie zusammengehören. Ich kreuze die Arme über ihrer Brust, lege ihre Streitaxt neben sie. Ich verharre noch eine Weile.
Bald wird die Sonne untergehen. Bevor es soweit ist, nehme ich mir mein Schwert wieder. Ich gehe noch Norden in Richtung des Tores Gaarth. Ich werde es heute nicht erreichen. Aber das ist so egal, wie die Richtung, in die ich mich bewege. Denn morgen, morgen werde ich wieder kämpfen. Auf der Roten Ebene.