Schlachtensplitter 24
Am Galgen des Eremor, auf der Roten Ebene
Ein Guhl flieht vor zwei Blauen, er rennt mich fast über den Haufen, streift mich, ich strauchle, dann hab ich mich wieder gefangen, sehe mich um. Dieses Scharmützel haben wir gewonnen. Ich hebe eine Axt vom Boden auf, werfe sie dem Guhl hinterher, Blut spritzt, er geht zu Boden. Ein verirrter Bolzen segelt über meinen Kopf hinweg.
Neben mir eine Kriegerin. Sie trägt einen schweren Hammer mit einer Spitze am oberen Ende. Blut ist darauf zu sehen, sie hat ihren Teil beigetragen. Der Kampf hat dafür gesorgt, dass unsere Schlachtreihe sich auseinandergezogen hat. Wir formieren uns neu, dann geht es weiter Richtung Norden, in Richtung des Tores Gaarth.
Etwas später treffen wir auf die Guhle, die von hier geflohen sind. Sie haben sich mit Skeletten zusammengetan, wir greifen augenblicklich an, Magie liegt in der Luft, unsere und die der Chaos Kreaturen.
Violettes Feuer setzt meinen Schild in Brand. Ich muss ihn wegwerfen. Mit beiden Händen packe ich meine Klinge, stürze mich in die Gegnerhorde hinein, mein Schwert schneidet fauliges Guhlfleisch auf und zertrümmert Knochen. Guhle schreien, Skelette nicht. Ein rostiger Säbel schneidet mir die Stirn auf, die Klinge gräbt sich tief in den Knochen hinein, doch nicht hindurch. Ich kann auch schreien, merke ich. Einmal bin ich vom Heuboden gefallen. Ich glaube zumindest, dass dies eine Erinnerung aus meiner Kindheit ist, vielleicht auch nur die eines seltsamen Traumes. Ich weiß es nicht. Damals hab ich mich auch an der Stirn verletzt.
Mein Blut läuft mir in die Augen, ich ignoriere es, so gut es geht, ich kämpfe weiter, ich öffne die Magengrube eines Guhls, reiße die Klinge zurück, trenne ihm den linken Arm ab. Einen anderen Köpfe ich, einem dritten ramme ich die Klinge in sein grässliches Maul. Sie kommt auf der anderen Seite heraus, hinter mir werden Bolzen und Pfeile abgefeuert. Dieses Geräusch ... es erfüllt mich mit Zuversicht. Ich kämpfe härter. Nacktalben tauchen auf, fast nur Weibchen. Unsere Speerkämpfer werfen sich ihnen entgegen, nackte Leiber auf Lanzen gespießt, so endet es. Wir rücken vor, die Chaos-Kreaturen weichen.
Dann noch mehr Nacktalben, viele Hunderte Nacktalben und Hoffnungszehrer, die kann ich auch entdecken. Sie schwächen die Geister meiner Leute, brechen ihren Willen, damit die Nacktalben ein leichteres Spiel haben. Ich aktiviere meine Hast, die Hoffnungszehrer müssen fallen, sonst haben wir keine Chance!
Alt sehen sie aus in ihren Kutten. Blaue Adern unter pergamentartiger, runzliger Haut. Die Finger zu lang. Ich mache sie nieder, ich mag keine Hoffnungszehrer. Niemand mag Hoffnungszehrer. Sie stinken nach Verfall und altem Staub.
Erneut wendet sich das Schlachtgeschehen zu unseren Gunsten. Die Hoffnungszehrer sind gefallen, zum größten Teil auf jeden Fall. Zwei sehe ich noch. Um die werde ich mich gleich kümmern. Zumindest will ich das, doch dann bebt die Erde, von Norden rollt etwas heran. Der Herr des Tores Gaarth, der große Widersacher, hat gezaubert, der Himmel färbt sich violett. Wolken, Chaosmagie. Ich renne so schnell ich kann, werfe meinen Kopf hin und her, ich suche ein blaues Leuchten, suche eine Schutzkuppel eines unserer Magier. Ich erreiche sie gerade rechtzeitig, bevor die violette Chaosmagie unseren Trupp um die Hälfte reduziert, Männer und Frauen gehen in Flammen auf.
Werden getroffen von chaosmagischen Blitzen aus dem Himmel, Fleisch brennt, manche sterben stumm, manche kreischend und schreiend. In all diesem Chaos sehe ich zwei Schwertkämpfer in sie machen meine Arbeit. Sie arbeiten zusammen, nutzen ihre Klingen, um die letzten Hoffnungszehrer zu erlegen. Gut, aber was ist das? Dort ist Lady Winterkalt in ihrer blutroten Rüstung. Ihr Umhang weht in dem Sturm, den der Herr des Tores Gaarth entfesselt hat, steht umringt von zwei Dutzend Guhlen und schlägt um sich mit Schwert und Parierdolch. Guhle fallen überall rings um sie herum, doch dann trifft sie ein violetter Blitz.
Dann ein weiterer und noch einer. Fast ist es, als hätte der Herr des Tores Gaarth es alleine auf sie abgesehen, in dieser Sekunde. Violette Flammen, Qualm, sie stirbt für heute, obwohl sie noch brennt, fallen die Guhle schon mit Klauen und Zähnen über sie her. Einen seh ich weg mit ihrem Arm im Maul, dann ist der magische Angriff vorbei. Ich verlasse die Kuppel des Magiers. Zusammen mit den anderen Kriegern rücke ich vor, ich greife mir noch ein kurzstieliges Beil vom Boden. Die Kriegerin, der ich es abnehme, brennt noch.
Ich suche mir weitere Guhle, die ich töten kann. Mit Beil und Schwert komme ich über sie. Schädel brechen auf, Leiber werden durchstoßen, Krallen scharren über meine Rüstung. Erst jetzt bemerke ich, dass ich nicht mehr blute, dass der Magier meine Wunde geheilt haben muss. Ich hab es nicht bemerkt. Schlagen, Schlitzen, Stechen, Köpfe abtrennen. Dazu bin ich heute hier, das ist, was man von mir verlangt. Auch wenn man einem Menschen den Rahmen sehr eng steckt, kann er Ambitionen entwickeln.
Heute, heute will ich gut sein, das macht mich unachtsam.
Das erlaubt einem Würgeschatten, mich von hinten zu packen. Ich fühle seine halbstofflichen Hände an meinen Hals, ich bekomme keine Luft mehr, muss gegen die Panik ankämpfen, dann ist es vorbei. Der Magier hat es gesehen, hat meinen Kampf beobachtet, hat eine Flammenlanze geschickt. Der Würgeschatten ist nicht mehr. Meine Kampfeslust ist nun etwas gebremst. Ich stehe da und atme einfach nur. Rings um mich herum, da geht die Schlacht weiter. Meine Rüstung ist ganz zerschrammt, zerdrückt ist sie auch. Ich ärgere mich in diesem Moment darüber.
Poliertes Metall. Perfektion. Manchmal beruhigt mich das, ich lasse das Beil fallen, versuche mit der Hand, ein wenig Dreck und Blut abzureiben. Ich will nur eine Stelle an meiner Brustplatte sehen, die perfekt ist. Es gelingt nicht, dann zieht mich irgendetwas an. Ich hinterfrage den Impuls nicht. Ich folge ihm einfach. Ich bewege mich über das Schlachtfeld. Hier und da erschlage ich noch einen Guhl oder zertrümmere ein Skelett, es riecht nach fauler Magie. Ein Schock durchfährt mich. So, als würde mir gerade klar werden, dass ich etwas unendlich Dummes getan habe, als hätte ich einen Fehler von riesiger Tragweite begangen.
Ich sehe mich um, ich sehe ein Schimmern im Nordosten ein, Flimmern und Flirren. Dort will ich hin, in meinem Geist suche ich nach dem Grund dafür. Ich kann keinen finden, aber im Kampf sollte man auf seine Instinkte vertrauen. Das tue ich jetzt, zumindest will ich das. Ein paar Irrwische wollen nicht, dass ich das tue, es sind sogar mehr als ein paar. Ich frage mich, wo sie herkommen und was sie von mir wollen. Ihre Bewegungen sind eindeutig, sie haben es auf mich abgesehen.
Auf mich, aber ich bin doch nur einer von Tausenden, vielleicht von Millionen, ich weiß es nicht. Die wahnsinnigen Gesichter verzerren sich zu einem geifernden Schrei, alle zur gleichen Zeit. Vielstimmig, laut, schrecklich. Ich kann gerade so meine Steinhaut aktivieren, bevor sie über mich kommen. Mit Dolchen und Messern und Runenstäben dringen sie auf mich ein. Die Steinhaut rettet mich mindestens ein Dutzend Mal. Meine Rüstung ist in Fetzen geschlagen, ich kämpfe, steche durch die Augenhöhlen, an Köpfen trenne ich die Schädeldecken horizontal auf.
Ich weiß nicht, wie lange der Kampf dauert. Ich gehe in ihm auf, bin eins mit dem Blutvergießen. Aber mein Ziel, mein Ziel hab ich noch im Hinterkopf, dieses sehnsuchtsvolle, dass ich mir nicht erklären kann. Mein Körper zwingt mich dazu, noch einen Moment zwischen all den erschlagenen Irrwischen zu verharren. Ich drehe mich im Kreis, ein paar Blauröcke haben sich den Kampf angesehen, sie winken mir zu. Ich winke zurück, dann sehe ich etwas. Ein Buch. Ich bekomme eine Gänsehaut, als ich es aufhebe. Es lag auf dem Brustkorb eines geköpften Irrwisches. Irgendwie ... irgendwie muss es einem von ihnen aus der Tasche gefallen sein oder so etwas.
Es ist auch egal, wie es hierher gekommen ist. Ich kann dem Drang, es zu berühren nicht widerstehen. Fast erwarte ich, dass es sich bei dem Buch um eine Illusion handelt oder dass es unter meiner Berührung zu Staub zerfallen wird, aber das passiert nicht, zumindest nicht sofort. Ich schlage es auf, ich schlage es auf … und bin enttäuscht.
Es ist leer, jede einzelne Seite leer. Das Buch ist dick, weil die Seiten es sind, es sind nicht allzu viele. Ich habe sie schnell durchgesehen, fieberhaft.
Ja, fieberhaft habe ich jede Seite betrachtet, ein leeres Buch. Eigentlich hab ich keinen Grund es mitzunehmen, ich tue es aber trotzdem. Es wächst in mir die Ahnung, die Ahnung von etwas Großem. Es ist in Leder gebunden, vielleicht auch in Haut. Auch außen sind keine Worte aufgeschrieben, auf das Buch. Aber vielleicht ... vielleicht soll ja ich etwas hineinschreiben. Aber ich habe weder Feder noch Tinte, ich sehe mich um. Blut.
Blut gibt es hier genug, damit kann man schreiben. Ich suche mir die nächstbeste Leiche, aus der noch roter Saft fließt. Ich benetze meinen Finger. Dazu knie ich mich hin, ich schlage das Buch auf.
Auf der ersten leeren Seite. Ich überlege, was ich schreiben soll. Soll ich von mir erzählen, meinen Namen vielleicht? Aber den kenne ich nicht mehr. Außerdem zittert meine Hand mit einem Mal. Mir schwindelt. Alles verschwimmt vor meinen Augen. Die Schlachtgeräusche um mich herum werden leiser, die einzelnen Laute gehen ineinander über, werden zu einem Rauschen und Dröhnen, mein Kopf schmerzt, schmerzt schrecklich. Ich klappe das Buch zu, meine Wahrnehmung normalisiert sich wieder, ich schüttle den Kopf. Schüttle die seltsamen Wahrnehmungen ab, die fremden Gefühle.
Ich sehe, dass Skelette mich eingekreist haben. Langsam kommen sie näher, von allen Seiten. Sie bewegen sich ruckhaft, manche von ihnen flimmern vor meinem Auge. Ich schiebe das Buch unter meine zerfetzte Brustplatte, packe mein Schwert wieder, verbanne alle Fragen aus meinen Gedanken, versuche es zumindest.
Es klappt nicht ganz, aber gut genug, um diesen Kampf zu überstehen. Als ich mit den Skeletten fertig bin, blute ich aus drei Wunden. Oberflächliche Schnitte nur. Zwei an meinem linken Arm, einer an meinem Bauch. Noch immer verspüre ich diesen Sog, der mich an den Ort zieht, an den Ort im Nordosten,
Aber vorher, vorher brauche ich einen Magier oder einen Heiltrank. Da kommt ein Silberskelett. Es hat es auf mich abgesehen, so zielstrebig, wie es auf mich zuläuft. Es ist doppelt so groß wie ich, trägt einen riesigen Krummsäbel, die Runen auf den dicken Knochen leuchten, die Augen sind Rubine.
Ich beschließe zu fliehen. Ich suche die Nähe eines Magiers. Soll er sich um das Skelett kümmern. Ich will nicht zu früh sterben, nicht, bevor ich an diesem Ort war und weiß, warum ich dort hin will.
Es gelingt mir nicht, einen Magier zu finden, aber vier unserer Paladine haben sich zu einer Kampfgruppe zusammengefunden.
Die drei erledigen das Skelett, einer kümmert sich um meine Wunden, es geht mir besser, ich fühle mich kräftiger. Reste von Magie blitzen zwischen meinen Fingerspitzen. Es ist nicht meine Magie, es ist die des Paladins.
Ich gehe nach Nordosten, lange Zeit unbehelligt. Dann sind da Echsler, Echsler und vom Chaos korrumpierte Menschen, eine ganze Horde. Ich vermeide den Zusammenstoß, indem ich meine Hast aktiviere und einfach nur renne. Dieser Ort ... ich erklimme ihn. Als ich es geschafft habe, ist meine Hast verflogen, ich fühle mich schwach und ausgelaugt.
Aber ich habe es geschafft.
Eine Hütte, das Holz ist versteinert, die Tür steht einen Spalt breit offen, das Buch. Ich ziehe es hervor, der Sog wird stärker. Ich muss die Hütte betreten, es sind nur noch ein Dutzend Schritte, die mich von ihr trennen, dann noch zehn, nach acht, noch sechs, und dann … dann verschwimmt sie vor meinen Augen.
Ein Flirren, ein Flimmern, ein dröhnendes Geräusch. Sie ... nein ... die Hütte löst sich auf. Ich begreife es nicht, ich will nicht, dass sie weg ist. Ich will wissen, was sich in ihr verbirgt.
Aber ich habe meine Hast schon verbraucht. Ich renne, ich springe, aber als ich lande, ist da nichts, sie ist weg. Ich weiß, dass ich eine Chance verpasst habe, dass ich etwas falsch gemacht habe.
Vage Erinnerung, ganz schwach, ganz weit weg. Der ... warum der Totbaumwald? Was ist passiert? Einem Impuls folgend schlage ich das Buch auf. Die Seiten sind noch immer leer, nichts hat sich verändert. Ich knie im Dreck der Roten Ebene und blättere das Buch noch einmal Seite für Seite durch. Nichts ... nichts, dann ein mächtiger Flügelschlag.
Ein Kreischen am Himmel, ein roter Drache stößt auf mich herab.
Das ist noch nie passiert. Ein großer Schwarm Harpyen folgte ihm. Instinktiv rufe ich meinen Himmelszorn. Magie sammelt sich in den Wolken, Blitze und Speere aus Eis, Harpyen en kreischen, als sie getroffen werden, Eisspeere zerfetzen die Flügel des roten Drachen, er stürzt. Aus der Nähe ein unbeschreiblicher Anblick. Der Drache flimmert vor meinen Augen. Es regnet tote Harpyen.
Der Drache schlägt auf dem Boden auf, die Erde bebt.
Ich stehe einfach nur da, das Schwert in der Hand. Angesichts der Bestie völlig nutzlos. Habe ich gerade wirklich einen roten Drachen getötet? Ich muss lachen. Der Gedanke ist absurd und falsch ist er auch. Die schreckliche Kreatur ist nicht tot. Die Augen haben mich fixiert. Eine schreckliche, fremde Intelligenz wohnt ihnen inne.
Dieser Blick lähmt mich, nagelt mich mit den Füßen am Boden der Roten Ebene fest. Oh ja, der Drache ist verletzt, aber trotzdem kriecht er auf mich zu, während es noch immer Harpyen vom Himmel regnet.
Das Tier, das Wesen - es ist riesig, der Kopf allein so groß wie drei Oger oder mehr. Ich kann die infernalische Hitze spüren, die von der Bestie ausgeht. Ich weiß, ich werde sterben, aber ich weiß noch etwas.
Ich weiß, dass es auf der Roten Ebene ein Geheimnis gibt, einen Ausweg von hier. Es muss einen geben, der Drache ist jetzt ganz nah. Und während er langsam sein Maul öffnet, entweder um mich zu fressen oder mich zu verbrennen - während er das tut und ich es beobachten kann, sage ich mir immer wieder die Worte Buch, Hütte, Buch, Hütte, Buch, Hütte.
Und ich hoffe, dass ich sie morgen, wenn ich wieder kämpfe ... dass ich sie morgen noch weiß. Denn egal was jetzt passiert, was der Drache mit mir tut - eines ist sicher.
Morgen werde ich wieder kämpfen auf der Roten Ebene. Neue Verdammnis wartet auf mich - aber vielleicht auch eine neue Chance.