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Jonathan

Nachricht gelöscht, Nachricht gelöscht, Nachricht gelöscht, Nachricht gelöscht, Nachricht gelöscht, Nachricht gelöscht.

?

Die Messages waren nicht an dich gerichtet, sorry.

Kein Ding, passiert mir auch öfter. Bei so vielen Chats verrutscht man schon mal in der Zeile.

Haha, so war das nicht gemeint!

Ach, gib’s ruhig zu. An jedem deiner Finger hängen zehn Männer, die auf eine Nachricht von dir warten.

Hast du auf eine Nachricht von mir gewartet?

Ja. Du schuldest mir noch eine Antwort auf die Frage, ob du Montagabend mit mir essen gehst.

Alles klar. Wir sehen uns Montag. Chris war das, 18 Uhr in der Cloak Bar, richtig?

Sehr witzig.

;) Wir sehen uns!

Wahrscheinlich sollte ich mich selbst dafür bemitleiden, dass ich mich auf ein Date freue, auf dem ich nie aufkreuzen werde.

Ich rufe den Screenshot ihrer gelöschten Messages auf – sie hat wohl gedacht, dass ich schon schlafe und sie nicht gelesen habe. War mir eh klar, dass sie die hinterher löschen würde. Solche Nachrichten sind bei Tinderbekanntschaften echt ’ne Art Suizid, spätestens bei nüchternem Magen dürfte das sogar Tinderamateuren wie Anne auffallen:

Manchmal frage ich mich echt, was so Typen wie du eigentlich von mir wollen – ich meine, wir leben auf total Unternehmen Planeten, und du könntest übrigens mein Vater sein! Sorry, dass ich gerade so ehrlich bin, aber das spart Zeit, will mich hier ja nicht ewig auf WhatsApp herumschleppen für nichts und wiederholen nichts, und du ja sicher auch nicht.

Sorry, mein autocorrect macht mir gerade einen Strich durch die Rechnung. Ich meinte: unterschiedlichen Planeten, herumschlagen, nichts und wieder nichts.

Also, was willst du eigentlich? Sexy?

Ich meine: Sex?

Ja, ich auch. Also lass uns doch einfach auf einen Drink treffen und diesen ganzen Quatsch mit Essen und allem vergessen, du und ich wissen sicher beide, dass da nicht mehr draus werden wird, ich meine, du könntest mein Vater sein!

Ach, das hab ich ja schon geschrieben, sorry, ich wiederhole mich, ist schon spät. Ach, wäre Cooper nicht gewesen, würde ich das gerade auch gar nicht schreiben, aber du weißt ja, wie das ist, man »verbrennt« sich manchmal und dann ist nichts wie es früher mal war und jetzt stell ich eben lieber direkt sicher, dass man dasselbe will, anstatt jahrelang rumzueiern. Seit Cooper denk ich mir: Manchen Männern muss man eben auf die Sprünge helfen, die denken teilweise, man kann uns Frauen nichts zumuten, wir halten die Wahrheit nicht aus, aber das stimmt nicht!

Grinsend lege ich mein Handy zurück in die Halterung auf dem Laufband, kippe mir Wasser in den Mund und über den Kopf und schalte ein paar Stufen höher. Ich renne so schnell ich kann, den Blick nach vorne auf die Skyline Torontos gerichtet. Noch fünfzehn Minuten, dann ist mein Workout beendet. Ich renne und renne. Der Schweiß läuft mir schon die Schläfen hinunter, gefühlt ist mir mein ganzes Blut in den Kopf gestiegen, als mein Handy vibriert und ich erkenne, dass Anne ein Foto geschickt hat.

Ich will es sofort sehen und klicke darauf. Leider vergesse ich dabei die Geschwindigkeit, mit der das Laufband weiterrast, und werde nach hinten weggefegt.

Montags, hat mir Sally beigebracht, sollte man keine Mandanten anrufen. Denn Montag ist vier Tage entfernt von Freitag, und diese Tatsache tut den meisten weh. Das macht sich nicht nur in der Laune bemerkbar, sondern auch im Geschäft – für wichtige Gespräche und Angelegenheiten sollte man also bis Dienstag warten. Ruft einen montags jemand an, weiß man, dass er einen für unwichtig erachtet. Heute wurde ich insgesamt schon elfmal angerufen, und es ist gerade mal zwölf Uhr.

Ich habe mal ausgerechnet, wie viele Stunden ich hier bei Donwell & Cron noch fristen muss, bis ich meinen Studienkredit abgezahlt habe: 28.880. In Minuten: 1.728.000. Wenn ich in zwei Jahren keine Beförderung und Gehaltserhöhung bekomme, sind es sogar 38.120 Stunden bzw. 2.287.200 Minuten.

Ich tu ja immer so, als wäre mir das Tindern für meinen Chef eine Last, aber ganz ehrlich: Wenn man es genau nimmt, ist es ein super Ausgleich zu den fehlenden Softskills in diesem Anwaltshaifischbecken, in dem die durchschnittliche emotionale Intelligenz ungefähr auf dem Level eines Einzellers liegt. Bestes Beispiel wäre mal wieder Hunter, der Sally am Freitag darum gebeten hat, für Samstag ein Kinoticket für einen jugendgerechten Film in einem New Yorker Kino zu kaufen. Heißt übersetzt: Er hatte vor, seinen Sohn allein ins Kino zu schicken.

Seit gestern Abend ist er wieder zurück aus New York, und heute Morgen hatte ich schon zwei Mails von ihm in meinem Postfach, gesendet gegen zwei Uhr morgens. Menasto, der neue Großkunde der Firma, ist ihm wichtig und macht ihn nervös, aber die Telko heute Morgen um neun – den Termin hat sich der Mandant so gewünscht – ist zum Glück gut gelaufen, seine Erinnerungsmails brauchte ich gar nicht, ich war auch ohne sie sehr gut vorbereitet. Er hat zwar kein Wort dazu gesagt, aber eben hat mir Sally einen neuen Termin für morgen in meinen Kalender gesetzt und mir ein Flugticket gemailt: Ich darf mit nach Boston. Das ist ein guter Aspekt an diesem Job – das Reisen. Davon abgesehen werde ich dann auch gleich bei Hunter nachfühlen können, wie sein Date mit Anne gelaufen ist. Zum ersten Mal wünsche ich mir, dass es danebengeht, auch wenn dadurch die schlechte Laune in Boston vorprogrammiert wäre.

»… Watson!«

Hunter erscheint im Türrahmen meines Bürozimmers. Er fängt immer schon an zu reden, bevor er überhaupt durch die Tür gekommen ist. Leider habe ich auch diesmal nur meinen Namen verstanden, denn die Lauschkraft meiner Ohren reicht leider nicht aus, um durch abhörsichere Bürowände zu hören.

»Watson, ich rede mit Ihnen!«

Ich schließe schnell den Browser, in dem mehrere Tabs mit den nicht gerade zielführenden Ergebnissen meiner Internet-Recherche zu den Schlagworten »Anne H. Ahornsirup Start-ups Toronto Gründerszene« leuchten.

»Hunter, was gibt’s?«

Er hält eine Papiertüte hoch. Diese enthält, vermute ich, ein Sandwich.

Wenn Hunter auf sein Lunch im Matisse verzichtet, will das was heißen. Brötchenessen vor dem Bildschirm tut er sich nur an, wenn ihm ein Klient wirklich wichtig ist und er sich ernsthaft vorbereiten muss.

»Watson!«

»Ja?«

»Na, was ist denn jetzt?«

»Was gibt’s, Hunter?«

»Also …?«

Ganz ehrlich: Laut Archäologie ist die Verwendung von Hieroglyphen schon 1.600 Jahre her, aber wenn man mit Hunter interagiert, könnte man meinen, dass so manch ein Homo Sapiens darauf hängen geblieben ist und die Zeichensprache sogar ins Mündliche übertragen hat – in emotionaler Hinsicht allemal. Hunters kryptische Sprache soll einer mal verstehen. Plötzlich geht mir ein Licht auf, wenn ich daran denke, wie viele Frauen sich darüber beschweren, dass sie oft die ganze »emotionale Arbeit« leisten. So zurückgeblieben, wie manche Männer sind, ist das kein Wunder. Ich bin natürlich die Ausnahme.

Von meinem Bürosessel aus nehme ich die Papiertüte in Hunters Hand genauer unter die Lupe: Stecken da etwa zwei Sandwiches drin, und heißt das, dass eins davon für mich gedacht ist?

Mit seinen graumelierten Haaren und seinem dunkelgrauen Designer-Anzug könnte mein Chef tatsächlich respekteinflößend wirken. Allerdings sieht er gerade echt verloren aus. Er räuspert sich und baumelt wortlos mit der Tüte.

Und da fällt es mir glühend heiß ein: Das Lunchdate. Mit Cassy. Gelöscht. Der jämmerliche Ersatz: Ich!

»Kommen Sie doch rein«, sage ich und wundere mich, dass er das nicht schon von selbst gemacht hat. Was ist heute nur los?

Anstatt auf den freien Stuhl setzt er sich mit der halben Pobacke auf meinen Schreibtisch, greift in die Tüte und reicht mir ein Pastrami-Sandwich.

Ich lehne mich in meinem flexiblen Schreibtischstuhl genügend zurück, um etwas Distanz zwischen uns zu bringen, aber nicht so weit, dass ich sein Misstrauen erregen könnte.

Hunter beißt hungrig in sein Sandwich, wobei eine Pastramischeibe halb herausflutscht und auf meine Tastatur zu fallen droht. Stumm kaut er auf seinem Essen herum. Ich mache es ihm gleich, so dass eine ziemlich lange Zeit nur unsere Kaugeräusche den Raum erfüllen.

Nachdem ich ein paar Bissen hinuntergeschluckt habe, will ich mich kurz dafür entschuldigen, dass ich es vollkommen versäumt habe, ein Ersatzdate für heute Mittag zu organisieren. Dann aber fällt mir ein, dass Entschuldigungen bei Alpha-Männchen wie meinem Chef grundsätzlich als Schwäche gedeutet werden.

»Lecker«, sage ich also nur. »Danke.«

»Vom Italiener um die Ecke.«

»Dolcini?«

»Korrekt.«

»Und wodurch habe ich die Ehre?«

»Na ja …« Er wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich hab Sie ja vorgewarnt.«

»Richtig.«

»Außerdem – wollen Sie mir nicht langsam mal ein Update geben?«

»Wegen Menasto?«

Er lockert seine Krawatte und schaut mich mit einem ironischen Ausdruck in den Augen an. »Watson, sieht mein spontaner Besuch in Ihrem Büro wirklich danach aus, als wollte ich übers Geschäft sprechen?«

Ähm …

»Ich bin hier, weil Sie mir für heute Abend ein Rendezvous arrangiert haben, mit einer gewissen Anne«, fährt er fort. »Gibt es da etwas, das ich wissen sollte? Haben Sie vielleicht ein paar Stichpunkte für mich?«

»Stichpunkte?«

»Ja, ich meine …« – er gestikuliert mit seiner kräftigen Hand, um dessen Gelenk das Weißgold seiner Rolex das Deckenlicht reflektiert –, »ein Update, Informationen, etwas, was mir hilft, bei ihr zu landen.«

Mit meinem letzten Bissen lasse ich mir ausgesprochen viel Zeit. Etwas in mir wehrt sich nämlich dagegen, Anne auf einer Stichpunktliste zusammenzufassen. »Sie ist achtundzwanzig, und Unternehmerin«, sage ich schließlich vage. Sollte ich Hunter vielleicht in die Irre leiten, damit aus dem Date nichts wird? Oder wäre das zu fies Anne gegenüber?

»Und weiter?«

»Viel gechattet haben wir nicht. Wie Sie wissen, komme ich immer relativ schnell zur Sache.«

»Schnell zur Sache?« Er grinst. »Der Termin steht seit letzter Woche als ›tbc‹ in meinem Kalender. Was hat da so lange gedauert?«

»Sie hat morgen einen Termin, den sie vorbereiten musste, und wollte schauen, ob sie rechtzeitig damit durchkommt. Deshalb konnte sie das Date nicht direkt bestätigen.«

»Was für einen Termin?«

Ich zucke mit den Schultern. »Hab ich versäumt zu erfragen.«

»Und was für ein Unternehmen ist das, für das sie arbeitet?«

»Ähm … sie hat es gegründet … und … ähm, leitet es zusammen mit ihrer Freundin.«

»In welchem Bereich?«

»Ähm, Ahornsirup.«

»Ahornsirup?« Er sieht enttäuscht aus. Ist ihm wahrscheinlich ein bisschen zu öko. »Ha!«

»Ja, weil nämlich, also …« Soll ich ihm sagen, dass Ahornsirup die bessere Alternative zu Honig ist? Und vielleicht sollte ich ihn wegen des Menüs heute Abend darauf vorbereiten, dass Anne, wie ich stark vermute, höchstwahrscheinlich Vegetarierin, wenn nicht sogar Veganerin ist. Wenn sich Hunter heute Abend ein Riesensteak reinhaut, kommt das vielleicht … ja, genau, überhaupt nicht gut an. Und exakt aus diesem Grund halte ich lieber den Mund. Das fällt auch gar nicht weiter auf, denn Hunter monologisiert ganz gerne.

»Hat sie noch mehr Fotos rausgerückt? Wussten Sie, dass mir die Letzte ohne High Heels ungefähr bis hierhin gereicht ist?« Er deutet auf die Höhe seines Bauchnabels. »Aber als ich das realisiert habe, war es für einen Gentleman wie mich natürlich schon zu spät. Ich hätte ihr natürlich sofort ein Taxi nach Hause bestellen können, aber was ein Mann anfängt, bringt er auch zu Ende, hab ich recht oder hab ich recht, Watson?«

Bei so viel Blödheit habe ich schon keine Lust mehr zu antworten.

»Watson?«

»Alles eine Frage der Perspektive, Hunter. Sie scheinen zu implizieren, dass die Dame zu klein war, aber relativ besehen könnte man auch argumentieren, dass Sie zu … groß sind.«

Er lächelt geschmeichelt. Wahrscheinlich ist dieses Gespräch seine Version eines guten Locker-Room-Talks. »Aber eins muss ich Ihnen lassen: Schöne Haut, gesunde Haare. Roch auch sehr gut. Hatte Stil, die Frau.«

»Freut mich zu hören, dass Sie auf Ihre Kosten gekommen sind.«

Er streicht an seiner Krawatte entlang. »Und die Neue?«

»Was soll mit ihr sein?«

»Wie sieht sie aus?«

»Ich hab sie Ihnen doch letzte Woche schon gezeigt«, höre ich mich antworten. Aber während ich das noch sage, schäme ich mich schon.

Ich stehe auf, wende mich der Nespresso-Maschine auf meinem Regal zu. »Schwarz?«

»Was?«, fragt Hunter. Er klingt genervt.

»Espresso?«

»Ah. Ja, schwarz.«

Während sich der Espresso in die Tassen ergießt und seinen aromatischen Duft ausbreitet, denke ich nach. Wenn mein Chef ein echtes Arschloch ist, was bin dann ich?

»Zucker?«

»Nein«, ertönt die tiefe Stimme hinter mir.

Mit den Tassen in der Hand kehre ich an den Schreibtisch zurück.

»Kommen Sie schon, Watson!« Anstatt die Tasse entgegenzunehmen, schnipst er und winkt seine Finger dann zu seinem eigenen Körper hin. »Rücken Sie Ihr Handy raus und lassen Sie mich mal einen Blick drauf werfen.«

In sicherem Abstand zur Tastatur stelle ich schnell die Tassen ab und schnappe mir mein Handy. Mein erster Impuls ist, den Chat mit Anne zu löschen.

»Klar, einen Moment«, sage ich, während ich WhatsApp öffne und so tue, als würde ich durch die Chats scrollen, um nach ihr zu suchen. Tatsächlich aber archiviere ich den Chat mit Anne schnell, gehe in meine Fotogalerie, klicke auf ihr zuletzt gesendetes Bild und halte es Hunter vor die Nase.

Seine Augen weiten sich interessiert; er nimmt mir das Handy aus der Hand und betrachtet das Bild, wenn man mich fragt, viel zu lange. Zu lange für jemanden wie Hunter, für den Anne nur eine Nummer ist.

Das Foto ist aber auch wirklich süß. Es ist ein Selfie und zeigt sie irgendwo draußen auf der Straße, dem Hintergrund nach zu urteilen könnte das die Spadina Avenue sein. Sie hat einen Rucksack auf dem Rücken, und sie lächelt. Weil sie die Kamera auf dem Foto so nah an ihr Gesicht hält, sieht man sehr gut, dass ihre Augen bernsteinfarben sind. Spätestens seit ich das gesehen habe, weiß ich zu hundert Prozent, dass sie sich selten auf Tinder herumtreibt, sie ist wahrscheinlich ein totaler Tinderneuling, sonst hätte sie schon tausende Komplimente für ihre Augen bekommen und würde die in ihrer Intro stärker in den Fokus rücken. Dieser Cooper, von dem sie neulich geschrieben hat, hat hundertpro was damit zu tun. Sie ist mit Sicherheit frisch getrennt, oder vielleicht sogar geschieden. Früh zu heiraten ist schließlich wieder im Trend.

»So, gesendet.« Hunters Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. »Und ihre Nummer? In Ihrem Telefonbuch stehen zwei Annes. Anne H. und Anne Davis.«

»Gesendet? Was haben Sie gesendet?«

»Na, ich hab mir das Foto geschickt. Ich muss heute Abend ja schließlich wissen, nach wem ich Ausschau halte.«

Ah. Ich überlege. Anne Davis hab ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Sie ist eine ehemalige Kommilitonin, die sich, anders als ich, für die richtige Karriere entschieden hat und jetzt auf dem besten Weg ist, Strafanwältin zu werden. Vielleicht hätte sie ein Nachsehen mit mir, wenn ich Hunter ihre Nummer gebe? Dann hat das mit Anne H. und Hunter immerhin schnell ein Ende. Auch wenn ich nach wie vor überzeugt bin, dass er das schon ganz allein vergeigen wird.

Auf der anderen Seite: Wenn Anne ihn nach dem Date tatsächlich mal anschreibt, sieht er, dass ich ihm die falsche Nummer gegeben habe.

»Anne H.«, sage ich also wahrheitsgetreu.

Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck tippt Hunter auf meinem Screen herum. Anschließend legt er das Handy weg, blickt auf seine Armbanduhr und schaut auf. »Prima. Dann wollen wir mal hoffen, dass das Foto hält, was es verspricht.« Er hebt die Tasse an seine Lippen. Bevor er seinen Espresso mit einem Schluck austrinkt, fragt er: »Gibt es sonst noch was, das ich wissen sollte?«

Sie interessiert sich für das Wohl der Tiere, denke ich, und das Thema Klimawandel. Ihr Lieblingscafé ist das Black Sheep. Sie hat einige Jahre lang für verschiedene NGOs gearbeitet und ist lustig, eigensinnig, seltsam, schnell betrunken, hübsch und …

»Watson!«

»Ja?« Oh, vielleicht hab ich ein bisschen zu lange nichts gesagt. »Ähm … nein, das wär’s. Viel Spaß beim Date!« Ich schlage ihm kumpelhaft mit der flachen Hand auf den Oberschenkel, denn Hunter scheint es sich auf meinem Schreibtisch ganz besonders bequem gemacht zu haben und sitzt immer noch da. Aber was eigentlich nur als lockere – ähm – »Locker-Room«-Geste unter Männern gedacht war, löst ein peinlich berührtes Räuspern in ihm aus. Er belegt mich mit einem halb erschrockenen, halb entsetzten Gesichtsausdruck und schweigt. Auch ich schweige. Im Raum ist es so still, dass ich sogar den leise tickenden Sekundenzeiger seiner Uhr hören kann.

Hunter schiebt den Ärmel seines Anzugs zurück, blickt auf seine Rolex und erhebt sich vom Schreibtisch. Bevor er mein Büro verlässt, dreht er sich noch mal um.

»Watson.«

Mehr sagt er nicht.

»Hunter«, antworte ich also im gleichen Tonfall. Immer nachmachen, dann kann man nichts falsch machen.

Er zieht die Tür hinter sich zu, doch das hektische Ticken seiner Armbanduhr scheint er zurückgelassen zu haben.

Tickticktickticktick… Noch 27.000 Sekunden bis zum Date mit Anne.