Ein albtraumhaftes Heulen riss Sulu aus dem Schlaf und löste einen derartigen Adrenalinstoß aus, dass er aus dem Bett schoss und schon halb zur Tür war, bis er überhaupt begriffen hatte, was geschah. An seinen verzögerten Denkprozessen erkannte er, dass es kaum mehr als drei Stunden her sein konnte, seit Chekov ihn zu seinem Quartier begleitet hatte, und die Angst machte sich in seinen Eingeweiden breit, bevor sein verschlafener Verstand überhaupt begriff, was los war: Der Dekompressionsalarm des Schiffes war ausgelöst worden. Fluchend versuchte er anzuhalten, doch es war schon zu spät – die automatischen Sensoren setzten die Tür bereits in Bewegung. Sulu hielt den Atem an, weil er auf der anderen Seite der Tür luftlose Kälte erwartete.
Die metallenen Platten glitten zur Seite, doch statt Schwärze und Vakuum warteten dort Wärme und Licht und ein Durcheinander besorgter Stimmen. Überall entlang des Flurs kamen andere Mannschaftsmitglieder aus ihren Kabinen, alle in zerknitterten Schlafanzügen und mit aufgeregten Gesichtern. Sulu holte dankbar Luft, bemerkte dann Uhuras amüsierten Blick von der anderen Seite des Korridors und verschwand eilig wieder in seiner Kabine.
»… möglicher Schaden in der Schiffshülle beschränkt sich ausschließlich auf Deck sechs.« Spocks ruhige Stimme hallte durch den Gang, als das Interkom für einen Augenblick den heulenden Alarm übertönte. »Alle Sektoren sind nach dem Standardnotfallplan zu evakuieren, anschließend Meldung an Schadenskontrolle. Ich wiederhole, wir haben möglicherweise ein Leck auf Deck sechs. Alle Besatzungsmitglieder verlassen sofort ihre Quartiere.«
Schritte erklangen draußen, als die ersten Mannschaftsmitglieder zum nächsten Turbolift rannten. Sulu zog seine Jacke über die nackte Haut, warf einen bedauernden Blick auf den noch immer nicht gefüllten Lilienteich und den kleinen Dschungel, der ihn umgab, und lief dann zur Tür.
Als sie sich öffnete, schaute er direkt in Uhuras besorgtes Gesicht. »Alles in Ordnung?«
Sulu nickte, spürte aber, wie er rot wurde. »Bisher ist noch niemand an Verlegenheit gestorben«, meinte er spöttisch. Ein Stück den Gang hinab wartete eine geordnete Reihe von Crewmitgliedern darauf, den Turbolift zu betreten. Sulu sah sich um und empfand plötzliche Besorgnis. Nirgendwo waren Zivilisten zu entdecken, die die gründlich trainierte Evakuierung störten.
»Haben Sie einen der Inspektoren gesehen«, fragte er über das Heulen des Alarms.
»Nein.« Uhuras langes Gewand bewegte sich in einem plötzlichen Luftzug. Sulus Pulsschlag beschleunigte sich vor Schreck, doch dann erkannte er, dass der Sog lediglich von der Kabine des Turbolifts stammte, die sich in Bewegung setzte, ohne zuvor die äußeren Türen zu schließen. Eine andere Kabine glitt an ihren Platz, und die Evakuierung ging praktisch ohne Pause weiter. »Vielleicht sind sie zu einem anderen Lift gegangen.«
»Aber dieser liegt ihren Kabinen am nächsten.«
»Vielleicht wissen sie das nicht«, gab Uhura zu bedenken.
»Man muss sie doch instruiert haben, nach welchem Plan die Evakuierung im Notfall abläuft!« Sulu drehte sich um und musterte noch einmal den leeren Korridor, während die Spannung in ihm wuchs. Dann traf er eine Entscheidung. »Warten Sie hier – ich bin sofort zurück.«
»He!« Uhura packte seine Arm mit überraschender Kraft und hielt ihn zurück. »Wo wollen Sie denn hin?«
»Ich will die Inspektoren suchen. Wenn sie nicht bald hier herauskommen, schließen sich die Schotten, und sie sitzen in der Falle.« Sulu schüttelte ihre Hand so sanft wie möglich ab. Hinter ihnen verschwand der Turbolift mit den letzten Mannschaftsmitgliedern aus ihrem Sektor und wurde durch eine leere Kabine ersetzt. Sulu widerstand dem Wunsch, einfach hineinzuspringen. »Bleiben Sie hier und halten Sie den Lift für mich fest. Es kann gut sein, dass der Computer keine weitere Kabine mehr schickt.«
Uhuras intelligente dunkle Augen verengten sich argwöhnisch. »Sulu, versuchen Sie, mich in Sicherheit zu bringen?«
»Ja«, gab er offen zu, »denn wenn sich die Schotten schließen, während ich noch auf diesem Deck bin, möchte ich, dass jemand an Bord davon weiß.«
»Oh.« Sie überlegte einen Moment und nickte dann zögernd. »In Ordnung, Sie haben gewonnen. Finden Sie heraus, wo die Inspektoren stecken – ich warte hier auf Sie.«
»Danke.« Sulu holte tief Luft und stieß sich von der Wand ab. Irgendwie kam es ihm so vor, als befände er sich unter Null-Schwerkraft und brauche diesen Anschub. Als er um die Kurve bog, sah er kurz zu Uhura zurück, die ihn, eine Hand über die Liftkontrollen gelegt, im Auge behielt. Sie sah genauso besorgt aus, wie er sich fühlte.
Der leere Korridor wirkte größer als sonst und wurde dort, wo sich die Alarmbaken befanden, von pulsierendem roten Licht erfüllt. Sulu lief auf die Quartiere der Inspektoren zu, ohne sich um die anderen Kabinen zu kümmern, an denen er vorbeikam. Starfleet-Angehörige kannten die Bedeutung eines Dekompressionsalarms und wussten, wie man einen Sektor evakuierte, bevor die entweichende Atmosphäre das für sie übernahm. Die Zivilisten hingegen gönnten sich den Luxus, sich um ihre Sicherheit keine besonderen Gedanken zu machen. »Kümmern Sie sich nicht darum«, hatte einmal ein Stationsverwalter zu ihm gesagt, als ein Dekompressionsalarm ihn und sieben andere Starfleet-Offiziere veranlasste, in Richtung der Notschleusen zu laufen. »Das hat gar nichts zu bedeuten – so etwas passiert hier ständig.«
Und natürlich hatte er damit auch recht gehabt.
Auf der Enterprise verhielten sich die Dinge jedoch etwas anders. Wenn das Schiff das Leck bisher noch nicht eindeutig ausgemacht hatte, so würde das doch sehr bald geschehen, und dann würde nichts verhindern können, dass die Inspektoren von den Notfallschotten eingeschlossen wurden, die den Rest des Schiffes schützten.
Die Schalttafel an der ersten der den Inspektoren zugeteilten Kabinen reagierte nicht auf den raschen Schlag seiner Handfläche; das gelbe Lichtsignal zeigte an, dass die Tür von innen verschlossen war. Sulu trat einen Schritt zurück und betätigte die Sprechanlage. »Miss Chaiken! Wir haben einen Dekompressionsalarm! Sie müssen Ihre Kabine verlassen!«
Es kam keine Antwort. Sulu fluchte und rannte zur nächsten Tür. Die Kabinen der Inspektoren waren durch einen gemeinsamen Waschraum miteinander verbunden – vielleicht hielten sie ja irgendwo eine nächtliche Konferenz ab.
Ganz bestimmt, dachte er, ich kann direkt sehen, wie sie sich ihre Effizienzeinschätzungen über den Lärm der Alarmsirenen hinweg zuschreien …
Die zweite Tür erschreckte ihn fast, als sie gehorsam aufglitt, sobald er den Sensor berührte. Sulu runzelte die Stirn und machte einen vorsichtigen Schritt ins schwach erleuchtete Innere der Kabine. Die Luft hier drinnen roch schwach metallisch und schal.
»Mr. Taylor? Mr. Taylor, sind Sie hier?« Als sich in der Dunkelheit nichts regte, streckte Sulu den Arm aus, um das Licht einzuschalten. Der männliche Körper auf dem Boden schien in der plötzlichen Helligkeit geradezu in sein Blickfeld zu springen, so scharf hoben sich das dunkle Haar und der zerknitterte Anzug von dem hellbraunen Teppich ab. Der unnatürliche Winkel, in dem der Kopf neben der Schulter ruhte, zeigte Sulu deutlich, dass es keinen Sinn hatte, die Krankenstation anzurufen. John Taylor war tot.
»Oh, mein Gott …« Sulu näherte sich dem Körper des Inspektors. Er wusste selbst nicht so recht, wonach er eigentlich Ausschau halten sollte, hatte aber das vage Gefühl, jemand müsse die Leiche untersuchen. Im Zimmer waren nirgendwo Anzeichen eines Kampfes zu sehen – Aufzeichnungsgerät und Unterlagen, die neben Taylor am Boden lagen, wirkten eher so, als hätte er sie selbst fallenlassen, als er zusammenbrach. Auf seiner Haut waren weder Blutergüsse noch Abschürfungen zu erkennen, und selbst sein Gesicht zeigte lediglich den Ausdruck leichter Überraschung.
Sulu ging gerade weit genug an der Leiche vorbei, um einen Blick durch die geöffnete Badezimmertür zu werfen. Eine zweite, reglose Gestalt lag dort auf den polierten Kacheln. Langes Haar fiel über die eingedrückte Stirn herab in den klebrig-roten Kreis, der sich um den Kopf gebildet hatte.
Übelkeit stieg säuerlich in Sulus Kehle hoch. Er fuhr herum und eilte auf den Korridor hinaus, um dem metallischen Blutrausch zu entkommen.
Ein kurzes, eindringliches Signal bohrte sich in Chekovs Schlaf, weckte ihn schlagartig auf und brachte ihn dazu, kerzengerade im Bett zu sitzen, bevor sein Bewusstsein den Ton überhaupt identifiziert hatte. Ein in der Dunkelheit pulsierendes bernsteinfarbenes Licht zog seine Aufmerksamkeit auf sich, und er konzentrierte sich auf das Display neben seinem Arbeitsplatz. Seine persönliche Alarmanlage teilte ihm mit, dass jemand versuchte, das Sicherheitsbüro zu betreten, ohne zuerst ihn aufzusuchen. Er schlug die Decken beiseite, krabbelte aus dem Bett und schnappte sich Hose und Jacke von der Ankleidekommode. Sulus Eidechsen zirpten fröhlich im Badezimmer und reagierten auf das schrille Alarmsignal mit ihrem eigenen Piepsen.
Chekov schaute rasch zur Uhr auf seinem Schreibtisch hinüber, während er in die Hose stieg, zog sich auf dem Weg zur Tür das Hemd über den Kopf und verließ seine Kabine, ohne erst nach seinen Stiefeln zu suchen. 0300 bedeutete, dass Davidson und Tate Bereitschaftsdienst hatten, und beide würden sein Büro nicht betreten, ohne ihm vorher Bescheid zu geben – ebenso wenig wie alle anderen Wachen. Was bedeutete, der Eindringling gehörte nicht dem Sicherheitsdienst an und wahrscheinlich nicht einmal zur Besatzung der Enterprise. Chekov dachte kurz an Kelly und den von ihm ausgelösten falschen Alarm, verwarf den Gedanken aber sofort wieder – eine derartige Aktion traute er nicht einmal den Inspektoren zu. Dann fiel ihm Scottys Vermutung ein, Sweeney, Gendron und Purviance wären durch die vorsätzliche Handlung eines Unbekannten getötet worden, und diesen Gedankengang konnte er nicht mehr so einfach abschütteln.
Chekovs Büro befand sich hinter der ersten Tür nach dem Eingang der Sicherheitsabteilung. Das Vorzimmer lag leer und dunkel da, doch Chekov bemerkte einen schwachen Lichtschimmer, der durch die geöffnete Tür zum Büro drang. Er schlich sich auf Zehenspitzen bis zur Tür und spähte hinein. Das eingeschaltete Terminal warf sein kaltes Licht auf den Ausrüstungsschrank hinter dem Schreibtisch, doch niemand wartete im Innern des kleinen Raums auf ihn, und es schien auch nichts zu fehlen oder durcheinandergebracht zu sein. Leise vor sich hinknurrend, weil ihn irgend jemand unnützerweise aus dem Bett geholt hatte, beugte er sich über den Tisch, um den Monitor auszuschalten.
Und hielt inne, als er die Darstellung auf dem Bildschirm sah.
Das kreisförmige Spinnennetz aus blauen Linien war eine schematische Darstellung von Deck sechs der Untertassensektion der Enterprise. Ein dickes weißes X verdeckte einen Teil von Sektor neununddreißig, und neben diesem Zeichen stand lapidar das Wort: »BOMBE.« Und darunter: »BEEILT EUCH BESSER.«
Chekov spürte, wie seine Hände kalt wurden. Er stieß sich vom Schreibtisch ab, rannte den Flur der Abteilung entlang zum Gemeinschaftsraum mit seinen Schränken voller Ausrüstungsgegenstände. Die Lichter gingen an, als er an der Tür auf den Schalter schlug, doch da er keine Stiefel anhatte, rutschte er ein paar Meter weit in den Raum hinein. Als er gegen den Ausrüstungsschrank krachte und dessen Tür aufriss, lief einer der beiden Wachhabenden auf den Flur hinaus. »Wer ist da?«
»Davidson!«, rief Chekov, während er das Bombenentschärfungsset aus dem Schrank zog. »Lösen Sie Alarm für die Abteilung aus!«
»Lieutenant Chekov?« Davidson war im Begriff, den Raum zu betreten, zog sich aber sofort auf den Flur zurück, als Chekov an ihr vorbeilief. »Was ist passiert?«
Chekov blieb nicht stehen, um die Sachlage zu erklären. »Sie und Tate bleiben hier für den Fall, dass der Captain Sie braucht! Ich bin auf Deck sechs.«
»Aye, aye.«
Chekov stieg über eine Wartungsleiter zum nächsten Deck hinauf, weil er befürchtete, er könnte im Liftschacht steckenbleiben, falls es wirklich eine Bombe gab und sie detonierte, bevor er sie erreichen konnte. Sobald er die obere Luke öffnete, schlug ihm das Heulen des Dekompressionsalarms entgegen. Fast automatisch verspürte er die Verpflichtung, jede einzelne Kabine auf diesem Deck zu durchsuchen, doch er kämpfte diesen Drang nieder. Solange auch nur die leiseste Möglichkeit bestand, dass die Warnung auf seinem Schreibtisch ernst gemeint war, musste er sich zunächst darum kümmern. Sektor neununddreißig, erinnerte er sich. Sulus Unterkunft. Uhuras Unterkunft. Die Kabinen von mehr als fünfzig Mannschaftsmitgliedern.
Das gesamte Deck war schon evakuiert. Chekov fragte sich mit einem flauen Gefühl im Magen, wie lange der Alarm schon andauerte und wie wenig Zeit ihm noch bleiben mochte, um eine Bombe zu finden und zu entschärfen. Er packte seinen Werkzeugkoffer fester und wünschte sich dabei, er hätte sich die Zeit genommen, seine Stiefel anzuziehen, weil er dann schneller laufen könnte.
Chekov bog schlitternd um die letzte Sektion des Korridors, streifte die gegenüberliegende Wand und hatte gerade noch genug Zeit, um zu erkennen, dass jemand aus dem Durchgang vor ihm herausrannte, dann stießen beide zusammen und landeten auf dem Boden.
Kirk fuhr im Bett hoch und streckte die Hand aus, um das Pfeifen des Interkoms zu beantworten, noch bevor er wach genug war, um diese Bewegung bewusst zu steuern. »Kirk hier.«
»Brücke – Spock hier.« Die tiefe Stimme des Vulkaniers erfüllte die Kabine und weckte Kirk endgültig auf. »Die internen Systeme melden ein Leck auf Deck sechs. Der Maschinenraum hat schon ein Reparaturteam mobilisiert, und auf Deck drei sammeln sich derzeit die Suchtrupps.«
Kirk schlug die Laken beiseite und holte seine Hose, während sich die Beleuchtung in seiner Kabine langsam einschaltete. Der letzte Rest von Schläfrigkeit wurde durch das Adrenalin vertrieben, das jetzt in seinen Adern kreiste. »Aber?«, fragte er, weil er spürte, dass die Meldung seines Ersten Offiziers noch nicht vollständig war.
»Zumindest bis jetzt gibt es noch keinen greifbaren Beweis für ein Leck. Weder auf Deck sechs noch anderswo. Nur den Alarm.«
»Merkwürdig.« Kirk stieg in die Stiefel und zog sich dann den Pulli über den Kopf. »Wenn wir Glück haben, Mr. Spock, bleibt es auch dabei.« Auf dem Weg zur Tür schlüpfte er in seine Jacke. »Rufen Sie Scotty auf Deck drei an – sagen Sie ihm, ich bin schon unterwegs.«
»Er ist bereits informiert.« Die sich schließende Kabinentür schnitt den Rest des Satzes ab, doch Kirk hatte genug gehört, um sich den Rest denken zu können: »Er wartet auf Ihr Eintreffen. Spock Ende.«
Sulu befreite sich von dem Gewicht, das ihn zu Boden drückte, rollte sich auf die Füße und wirbelte zu seinem Angreifer herum. Zuerst sah er nur dunkelgelbe Kleidung. Kein Mannschaftsmitglied, warnten ihn seine Instinkte. Er hob schon die Hand zum Schlag, da erkannte er das Gesicht über der Jacke und seufzte erleichtert auf: »Oh, du bist es.«
Chekov sah mit angespannter Miene zu ihm hoch. Seine in Strümpfen steckenden Füße rutschten über das Deck, als sich der Sicherheitsoffizier bückte, um die Werkzeugtasche wieder an sich zu nehmen. »Was machst du hier?«, fragte er.
Bevor Sulu antworten konnte, brach der Dekompressionsalarm urplötzlich ab. Doch statt der üblichen Entwarnung über das Interkom folgte auf das Heulen nur eine beunruhigende Stille. Sulu fühlte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Irgend etwas stimmte da nicht – so durfte ein Fehlalarm eigentlich nicht beendet werden.
»Sulu, was machst du hier?«, wiederholte Chekov seine Frage in drängendem Ton.
»Ich bin hergekommen, um die Inspektoren zu suchen.« Sulu unterdrückte den Impuls, zu dem Raum hinter ihm zurückzusehen, dessen Türen weiterhin geöffnet blieben, weil sie so dicht vor dem Eingang standen. »Jemand hat sie getötet.«
»Verdammt.« Der Sicherheitsoffizier warf einen kurzen Blick auf Taylors am Boden liegenden Körper und lief dann auf die nächste Kabinentür zu. Sulu folgte ihm verblüfft.
»Es ist abgeschlossen«, erklärte er, als Sulu schlitternd von Chaikens Tür zum Stehen kam. »Außerdem ist sie sowieso nicht dort drin.« Der Russe grunzte nur, öffnete das Sicherheitspaneel und drückte den Schalter, der die Verriegelung aufhob. »Chekov, was hast du vor?«
»Eine Bombe suchen.«
Sulu kam es so vor, als hätte ihm gerade jemand in den Magen geschlagen. »Jemand hat eine Bombe auf Deck sechs deponiert? Wer?«
»Ich weiß nicht.« Die Tür öffnete sich zischend. Dahinter lauerte nichts als Dunkelheit. Sulu und Chekov reagierten reflexmäßig und suchten rechts und links vom Eingang Deckung. Doch nichts rührte sich drinnen. Sulu reagierte auf ein stummes Kopfnicken seines Gefährten und schob eine Hand um den Türrahmen, um das Licht einzuschalten. Im gleichen Moment warf sich Chekov durch die Öffnung. Der Steuermann fluchte und folgte seinem Freund.
»Bist du verrückt?«, zischte Sulu. Der Raum war leer, nur der Geruch von Blut hing in der Luft. Chekov suchte das Zimmer rasch ab und schaute auch unter dem Bett und dem Schreibtisch nach. »Der Mörder hätte noch hier drin sein können!«
»Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt, bis die Bombe hochgeht.« Der Sicherheitsoffizier riss die Klappe des Müllschluckers auf und sah hinein. »Die Warnung auf meinem Computer besagte, wir sollten uns beeilen.«
»Jemand hat dir eine Warnung hinterlassen?« Sulu fand den Öffner für den eingebauten Wandschrank und betätigte ihn. Drinnen hingen nur ein paar Zivilkleider und einige Blusen, und darunter stand ein kleiner Karton mit der Aufschrift »Gendron«. Er musste sich zwingen, die Kleidungsstücke zu durchsuchen, und kam sich dabei wie ein Grabräuber vor. »Wer?«
»Ich weiß nicht.« Sulu hob die Klappe des Nahrungsmittelsynthetisierers hoch, schaute prüfend in den Innenraum, schlug sie wieder zu und sah sich noch einmal forschend im ganzen Zimmer um. »Verdammt! Sie muss hier irgendwo sein!« Sein Blick fiel auf den Karton mit Gendrons Habseligkeiten. »Hast du da auch hineingesehen?« Er durchquerte den Raum mit drei großen Schritten.
»Nein.« Sulu ging in die Hocke und griff nach dem Karton, doch Chekov hielt ihn zurück. Er ließ sich auf die Fersen sinken, während sich der Sicherheitsoffizier neben ihn hockte und seinen Bombenkoffer durchwühlte. »Glaubst du, die Bombe wird ausgelöst, wenn wir den Karton öffnen?«
»Das würde zumindest erklären, weshalb man mich vorgewarnt hat.« Chekov holte einen kleinen Sensor aus dem Koffer und führte ihn über die Oberfläche des Kartons. Einen Moment später ertönte pfeifend ein so vertrauter Alarmton, dass selbst Sulu ihn wiedererkannte: Explosion steht bevor.
»Raus!« Chekov zerrte Sulu auf die Beine und schob ihn zur Tür. »Verschwinde hier!«
»Aber …«
»Sulu, streite jetzt nicht mit mir! Selbst wenn ich es schaffe, die Explosion einzudämmen, wird sie den Korridor aufreißen.« Chekov holte den Plastikschaumzerstäuber aus seinem Koffer. Der durchdringende Geruch von Plastik, das sich unter dem Einfluss von Sauerstoff erhärtete, erfüllte die Luft, als er anfing, eine Abschirmung rings um den Karton zu sprühen. »Du bist der einzige an Bord, der weiß, was den Inspektoren zugestoßen ist. Wenn alle Beweise durch die Explosion vernichtet werden, braucht der Captain deine Aussage, um den Mörder zu finden. Also geh jetzt!«
In Sulu kämpfte die Logik gegen die Loyalität und gewann. Er fluchte und wandte sich von der Kabine der Inspektoren ab, so sehr ihn das auch schmerzte. Ein letzter Blick zeigte ihm Chekovs konzentriertes Gesicht, während er eine zweite Lage des Plastikschaums über den kleinen weißen Karton sprühte.
Als sich die Türen des Turbolifts auf Deck drei langsam öffneten, schob Kirk die Hände dazwischen und quetschte sich hindurch. Arbeitstrupps und Techniker eilten bereits auf dem Deck hin und her und sammelten sich zu geschäftigen Gruppen, um den Einsatz durchzusprechen oder ihre Ausrüstung zu überprüfen. Verwirrte, halb angekleidete Crew-Mitglieder von Deck sechs drängten sich in mehreren Nischen zusammen, und Kirk unterdrückte den Impuls, sie zu zählen. Dafür würde auch später noch genug Zeit sein. Er schob sich zwischen zwei Ingenieurteams durch und schlug den Weg zum Konferenzraum ein, wo Scott damit beschäftigt sein musste, die zentrale Koordinationsstelle einzurichten. Die Teams waren verständig genug, ihre Arbeit nicht zu unterbrechen, nur um ihm ihren Respekt zu bezeugen; sie rückten einfach ein wenig beiseite, um ihn durchzulassen, konzentrierten sich dabei aber weiterhin auf ihre Arbeit. Kirk war stolz darauf, eine so fähige, effiziente Crew zu haben.
Scott und seine Assistenten waren leicht zu finden. Die Stimme des Chefingenieurs trug über die Länge des gesamten Korridors, und sein in Schutzanzüge gekleideter Einsatztrupp wirkte wie eine Reihe von ungeschlachten Warnbaken inmitten des Durcheinanders. Kirk eilte zu Scott hinüber und blieb neben ihm stehen, um abzuwarten, bis der Ingenieur seine Anweisungen erteilt hatte. Dann fragte er: »Was wissen wir bis jetzt?«
Scott drehte sich zu ihm um und bedeutete ihm dann mit einer Handbewegung, ihm in den Konferenzraum zu folgen. »Wir wissen, dass es kein Leck gibt«, erklärte er in dem für ihn typischen dröhnenden Singsang. »Zumindest nicht an einer Stelle, die von unseren Sensoren überwacht wird. Sehen Sie her.« Er tippte auf einen Monitor, der eine schematische Darstellung des Schiffes zeigte, und folgte mit dem Finger der bernsteinfarben schimmernden Linie der äußeren Hülle. »Selbst wenn der Schaden so groß wäre, dass auch die Sensoren dadurch ausgefallen wären, würden wir überall dort, wo die Hülle beschädigt ist, einen Spannungsabfall in den Schirmen registrieren.«
Kirk nickte und beugte sich vor, um die Daten abzulesen. »Und davon ist nichts zu sehen.«
»Nicht einmal eine Delle«, stimmte Scott zu. »Ich habe trotzdem ein paar Burschen darauf angesetzt, das Schiff mit Hilfe der Kommunikationsanlagen zu durchforschen und auf Stellen zu achten, an denen absolute Stille möglicherweise auf das Vorhandensein eines Vakuums hindeutet.« Er zuckte die Achseln und richtete sich auf. »Besonders viel erwarte ich mir davon allerdings nicht.«
Kirk richtete sich ebenfalls wieder auf. »Wenn es also weder ein Leck noch einen Druckabfall gibt, was hat dann den Alarm ausgelöst?«
Scott rieb sich nachdenklich das Kinn. »Vielleicht kein ›Was‹, sondern ein ›Wer‹.«
»Die Inspektoren?« Das schien nicht sehr wahrscheinlich, jedenfalls nicht, solange Kelly noch wegen des letzten Tests in der Arrestzelle hockte und die anderen ihre Quartiere nicht verlassen durften.
»Nein«, sagte Scott und schüttelte den Kopf. »Sie sind zwar ein lästiger Haufen, aber sie gehen ziemlich geradlinig vor. Um einen Dekompressionsalarm auszulösen, ohne im gleichen Moment Chekov an der Kehle zu haben, müssten sie eine gesicherte Computerleitung benutzen. Ich glaube nicht, dass einer von ihnen in der Lage wäre, sich darauf Zugriff zu verschaffen, und noch viel weniger könnten sie den Alarm auslösen und auf dem Rückweg auch noch alle Spuren ihres Eindringens verwischen.«
Kirk warf einen Blick nach draußen auf den Gang, wo sich die Menschen in immer größeren Gruppen sammelten. »Das heißt, wir werden entweder von einem gut vorbereiteten Saboteur in Atem gehalten«, meinte er grimmig, »oder wir suchen nach einem sehr schüchternen guten Samariter.«
Scotty stieß ein kurzes, nicht sehr fröhliches Lachen aus. »Ich weiß, was mir lieber wäre.«
»Brücke an Captain.« Spocks Stimme hallte durch die menschenerfüllten Korridore. »Dringende Mitteilung auf Kanal eins.«
Kirk unterdrückte die plötzlich aufkeimende Furcht, beugte sich über den Tisch des Konferenzzimmers und schaltete das Interkom ein. »Kirk hier. Ich höre.«
»Captain!« Sulus Stimme klang gepresst und atemlos. Im Hintergrund war das leise Heulen eines Turbolifts zu hören. »Sir, es gibt eine dicht vor der Explosion stehende Bombe auf Deck sechs, Sektor neununddreißig. Lieutenant Chekov versucht eine Abschirmung darum zu errichten – wir hatten keine Zeit mehr, um sie zu entschärfen.« Der Steuermann zögerte, und Kirk hörte, wie sich jemand anderer dem Interkom näherte. »Ich habe die Inspektoren Taylor und Chaiken ermordet in ihren Unterkünften gefunden«, fuhr Sulu fort. »Offensichtlich wurden sie umgebracht, damit man die Bombe dort verstecken konnte. Beide wurden ohne Waffen getötet, Hinweise auf einen Kampf waren nicht zu entdecken.«
Kirk hielt sich nicht damit auf, Sulus Mitteilung zu bestätigen. Er öffnete einen anderen Kanal und rief: »Spock! Lösen Sie Alarmstufe Rot aus und bringen Sie das Schiff zum Stillstand!«
Die Sirenen heulten los, noch bevor er den Satz beendet hatte, und die Alarmlampen erfüllten den Raum mit scharlachrotem Licht. »Alle Einsatzkräfte bereiten sich auf explosive Dekompression auf Deck sechs vor.« Das war Spock, in dessen Stimme trotz der üblichen vulkanischen Ruhe jetzt eine gewisse Schärfe mitschwang. »Ich wiederhole, alle Einsatzkräfte bereiten sich auf explosive Dekompression vor.«
Kirk spürte, wie das leise Vibrieren des Warpantriebs nachließ und durch ein kurzes Grollen der Impulstriebwerke abgelöst wurde, die den Gegenschub lieferten, um dem Schiff die Fahrt zu nehmen. Dann wurden auch die Impulstriebwerke abgeschaltet, und die Enterprise lag bewegungslos im All.
»Ich gebe meinen Jungs Bescheid«, sagte Scott und verschwand durch die Tür, ohne Kirks Antwort abzuwarten. Trotzdem nickte der Captain zustimmend und folgte dem Ingenieur hinaus auf den Flur.
Ohne Vorwarnung erbebte das Deck so heftig, dass der Captain zu Boden geschleudert wurde. Kirk hatte kaum Zeit, das Durcheinander erschreckter Stimmen wahrzunehmen, als der Lärm der Explosion der Schockwelle folgte: Erst das Kreischen zerfetzten Metalls, dann das unverkennbare ferne Heulen von Luft, die ins Vakuum entweicht.