Großen Widerstand hatte der Witwer nicht geleistet, als sie begonnen hatten, den Laden von Peter Schätzle in St. Georgen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Eine wirkliche Hilfe war der Mann, der anscheinend immer noch in tiefster Trauerphase steckte, aber auch nicht gewesen.
Er hatte bestätigt, dass es »rückwärtsgewandte Menschen« gegeben habe, die sich an der Tätigkeit seines verstorbenen Mannes gestört hatten. Ein direktes Tatmotiv mochte er daraus aber nicht ableiten. Nicht einmal Namen wusste er beizutragen. Und der Streit seines Pedros mit dem Fürstenhaus schien auch weitgehend an ihm vorbeigegangen zu sein.
Mit acht Personen und einem Durchsuchungsbeschluss war die Kriminalpolizei in der St. Georgener Innenstadt angerückt.
»Das ist aber privat.« Diesen Satz wiederholte Armin Schätzle etwa zehnmal, als sie sich für die Dinge im Verkaufsraum interessierten.
Nach der achten Wortmeldung zeigte Winterhalter Armin Schätzle einfach den Durchsuchungsbeschluss und knurrte: »Bei einem Mord ist gar nix privat.« Er hatte ohnehin einigermaßen schlechte Laune – nicht zuletzt, weil seine Ehe nun wirklich in Trümmern zu liegen schien.
»Übrigens: Hat Ihr Lebensgefährte denn gern Bärlauch gesammelt?«, fragte Winterhalter dann mit Blick auf die Ermittlungen am Wartenberg.
»Bärlauch? Wie kommen Sie denn auf so etwas?«
»Wir haben Hinweise darauf, dass Peter Schätzle sich kurz vor seinem Tod in Bärlauchfeldern aufgehalten hat.«
»Nicht, dass ich wüsste. Peter war ein Trachtenliebhaber aber kein allzu großer Naturfan«, lautete die Antwort des Witwers. »Und gekocht habe im Normalfall ich.«
»Mal was anderes«, meinte Winterhalter. »Wir sind einige Bekannte von Ihrem Pedro durchgegangen, mit denen er sich in Freiburg ab und zu getroffen hat – da ist bislang aber keiner verdächtig. Kannten Sie denn diese Personen? Halten Sie es für möglich, dass Ihr … Pedro sich mit einem von denen gestritten hat?«
»Ich kannte diese Leute nicht«, sagte Armin Schätzle. »Und von einem Streit weiß ich auch nichts. Das war alles bedeutungslos.«
»Sind Sie sicher?«
»Sonst hätte es Pedro mir sicher gesagt.«
»Na ja«, wandte Winterhalter ein – dann winkte er ab.
Marie stand derweil vor dem Foto, von dem sie auch einen Abzug in ihren eigenen Unterlagen gefunden hatte.
»Das ist doch alles Ramsch«, hörte sie Winterhalter fluchen, den weder die Fotografien noch entfernt historisch anmutende Ketten und Leinwände mit verfremdeten Schwarzwald-Motiven künstlerisch ansprachen.
»Da waren viele Menschen aber anderer Ansicht«, widersprach Armin Schätzle.
»Kannten Sie Rüdiger und Elena, die hier abgebildet sind?«, fragte Marie den Witwer, während sie abermals auf die Fotografie deutete.
»Elena kannte ich«, nickte der. »Die hat zwei-, dreimal für uns gemodelt. Lebt inzwischen aber im Ausland.«
»Und Rüdiger?«, fragte Marie nach, während die Beamten weiter alles durchwühlten und damit dem Witwer ob der mangelhaften Rücksichtnahme den ein oder anderen Seufzer entlockten.
»Rüdiger?«
Sie deutete auf das Bild.
»Schwer zu sagen.«
»Warum hing das Foto da?«, forschte sie weiter.
»Es hängen hier auch noch viele andere Bilder, auf denen Leute aus Pedros und meinem Bekanntenkreis zu sehen sind«, antwortete Armin Schätzle. »Sie haben vielleicht auch Fotos Ihrer Freunde an Ihrem Arbeitsplatz.«
Ganz bestimmt nicht, dachte Marie, sagte aber nichts. »Und wer sind die anderen Personen auf dem Bild?«
»Zwei kenne ich noch, aber nur mit Vornamen. Klaus und Charly«, erklärte Armin Schätzle mit einer eher desinteressierten Miene. »Ein-, zweimal hat Pedro sie getroffen.«
»Charly …«, dachte Marie. Plötzlich stand ihr glasklar ein Bild von damals vor Augen. Sie schüttelte den Kopf. Hatte sie während der Jahre in Berlin die Vergangenheit derart verdrängt, dass ihr sogar entfallen war, wie sie damals bei einer Party leidenschaftlich mit ihm herumgeknutscht hatte? Sogar mal richtiggehend für ihn geschwärmt hatte?
War ihr Männerverschleiß so groß, dass ihr so etwas entgangen war?
Wenn das ihre Eltern wüssten …
»Was ist mit Ihnen? Ist Ihnen nicht gut?«, fragte Winterhalter.
»Ach, nichts. Ich hatte nur gerade einen Flashback.«
»Einen was?«
»Ich war mal kurz in der Vergangenheit. In meiner Jugend habe ich die Personen auf dem Foto ja recht gut gekannt«, murmelte Marie. »Aber es hat vermutlich keine Bedeutung, was die Ermittlungen anbelangt«, beeilte sie sich hinzuzufügen.
Winterhalter sah sie mit zusammengekniffenen Augen an, entschied aber offenbar, keine Diskussion lostreten zu wollen, während der Witwer anwesend war.
»Wir würden dann gerne noch einen Blick in Ihren Computer werfen«, verkündete er stattdessen.
Widerstrebend ermöglichte Armin Schätzle das, woraufhin Kommissar Kiefer einen Hocker heranzog und sich die Laufwerke vornahm.
»Geht’s um was Bestimmtes, Kollege?«, fragte er dann Winterhalter.
Der zog die Schultern hoch. »Alles, was irgendwie auffällig ist.«
Das Erste, das auffällig war, war der Bildschirmschoner, auf dem der ermordete Peter Schätzle, ehemals Weißhaar, zu sehen war, wie er einen spärlich bekleideten Armin Schätzle küsste.
»Nicht so was«, meinte Winterhalter.
Marie versuchte sich derweil zu erinnern, wie das Verhältnis der Personen auf dem Bild zueinander gewesen war.
Eigentlich unbeschwert, dachte sie und überlegte, ob jemand der Fotografierten etwas mit dem Mord an Peter Schätzle zu tun haben könnte.
Fünfzehn Minuten später hatte Kiefer seinen Job erledigt, was bedeutete, dass er die Festplatte des Computers ausgebaut hatte, um sie später im Kommissariat zu durchleuchten.
Als Marie sich umdrehte, merkte sie, wie Kiefers Blick auf ihr ruhte. Wobei … Vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet. Denn gleich darauf war der Kollege wieder voll und ganz mit dem Computer beschäftigt.
»War’s das?«, fragte derweil Armin Schätzle, der unruhig mit den Füßen hin- und hergewippt war.
»Die älteste Datei ist drei Jahre alt«, meldete sich nun nochmals Kiefer. »Bräuchten wir auch noch Älteres?«
»Vielleicht schon«, murmelte Winterhalter und wandte sich erstmals am heutigen Tag direkt an Marie: »Haben Sie dazu auch eine Meinung oder wollen Sie weiter vor diesem Bild meditieren?«
»Gibt es hier denn auch noch ältere Fotos und Dateien?«, fragte sie Armin Schätzle.
Der zierte sich.
»Ein wenig Mithilfe Ihrerseits wäre ganz gut. Umso weniger stellen wir Ihnen hier alles auf den Kopf …«
Nach einigem Zögern und Winden erklärte Armin Schätzle schließlich: »Vielleicht im Schuppen hinter dem Haus.«
Zehn Minuten später waren sie so richtig in Aktion. Der Schuppen hatte etwa die dreifache Größe des Ladens – und war dreimal so schmutzig.
Kommissar Kiefer nahm – »wenn Sie nichts dagegen haben« – auch die Festplatte eines alten Rechners zur Begutachtung mit, der in einer Ecke gelegen und von dessen Funktionsfähigkeit er sich überzeugt hatte.
Winterhalter fluchte derweil wieder einmal über den »Schund«, der hier mit dem Schwarzwald getrieben wurde: Bunte Kunstwerke mit rosa Schwarzwaldfichten, transsexuell anmutende Models mit Bollenhüten – und eine ganze Kiste mit alten Fotos, die aussahen, als würden sie seit mindestens zwanzig Jahren unangetastet da stehen.
Dann widmete sich der Kommissar einer Kleidertruhe – und entdeckte Dinge, die ihn an die Wohnungsauflösung seiner Mutter erinnerten, die vor wenigen Jahren gestorben war. Auch die hatte alles Mögliche und Unmögliche aufbewahrt. Während Winterhalter damals aber wenigstens eingeleuchtet hatte, dass das Ganze aus dem Familienbesitz stammte und vieles sogar zu bestimmten Festen getragen worden war, lag hier eine Frage nahe: »Und so was verkauft sich?«
»Offensichtlich nicht, sonst würde es ja nicht mehr da liegen«, gab Armin Schätzle zurück.
Winterhalter kramte unverdrossen weiter – und fühlte sich dann plötzlich belohnt: Zwei der Trachten, die ziemlich weit unten in der Kleidertruhe lagen, erinnerten ihn frappierend an diejenige, in der der Tote aufgefunden worden war. »Die nehme mir mit!«, entschied er.
Und als Armin Schätzle Anstalten machte, sich zu regen, fügte er noch hinzu: »Beweismittel.«
»Ich glaube, ich habe hier was«, meldete sich Kiefer im gleichen Moment zu Wort. Der Elsässer Kollege war damit beschäftigt gewesen, zwei größere Stapel mit Unterlagen zu durchforsten. Auf den ersten Blick einfach nur Altpapier und alte Akten.
Kiefer suchte Winterhalters Blick. »Das sollten wir zumindest mal zur Überprüfung mit aufs Kommissariat nehmen.«
»Zeigen Sie mal her«, war Winterhalter sofort zur Stelle, während Marie noch weiter in alten Fotos stöberte.
»Das sind wohl Ausdrucke von Unterhaltungen in irgendeinem Internet-Forum für Schatzsucher. Es ist von einem Wartenberg-Schatz die Rede und davon, wo dieser zu finden sein könnte. War das nicht Thema bei der Befragung des Fürsten?«
Winterhalter war elektrisiert: »Absolut! Der hat das erwähnt. Peter Schätzle war ganz scharf auf den Schatz, nicht wahr?«, bestätigte Winterhalter und betrachtete gleichzeitig fragend Armin Schätze.
Der zog nur die Schultern hoch.
»So richtig Anteil am Leben des Anderen haben Sie und Ihr Partner aber nicht genommen, oder?«, fragte Winterhalter bissig.
Armin Schätzle wirkte daraufhin ein bisschen traurig und fing nun selbst an, in einer alten Kiste mit Krimskrams zu stöbern. Fast hatte es den Eindruck, als wollte er die Vergangenheit und damit seinen Lebensgefährten zurückholen.
Kiefer nutzte die Gelegenheit, nahm einen kleineren Stapel von dem Haufen und bedeutete Marie und Winterhalter, zu ihm zu kommen.
Dann zeigte er auf eine ausgedruckte Chat-Unterhaltung zum Wartenberg-Schatz und auf das Datum.
»Das war drei Tage vor dem Ableben des Herrn Schätzle«, flüsterte Winterhalter. »Jetzt kommt Fleisch an die Knochen.«
»Fleisch?«, merkte die Kaltenbach natürlich prompt an und verzog das Gesicht. Wobei sich Winterhalter fragte, was eigentlich aus dem Proviantpaket seiner Frau geworden war. Das war aus irgendeinem Grund spurlos verschwunden gewesen, als er zum Polizeigebäude zurückgekehrt war.
»Ja, das ist wirklich interessant«, holte ihn Kiefer ins Hier und Jetzt zurück. »Da hat sich ein ›Pedroschatz‹ im Internet mit zwei weiteren Personen intensiv zu einen Schmuckgegenstand ausgetauscht, der angeblich zum Wartenberg-Schatz gehörte. Eine Person – mit dem Namen Konrad von Wartenberg – hat den beiden anderen ein Amulett zum Verkauf angeboten. Die anderen beiden heißen Heinrich von Fürstenberg und, wie gesagt, Pedroschatz. Letzterer dürfte ja vermutlich der Verstorbene gewesen sein. Oder hat sich jemand als solcher ausgegeben? Nicht auszuschließen jedenfalls, dass das Tatrelevanz haben könnte.«
»Sehr gute Arbeit, Kollege«, lobte Winterhalter die Spürnase Kiefers. »Da sollten wir uns die Festplatten der Computer in der Dienststelle gleich genauer anschauen und nachforschen, ob wir diese Unterhaltung dort ausführlicher vorfinden.«
»Können Sie sich vorstellen, dass ein Wartenhof-Schatz etwas mit der Ermordung Ihres Lebensgefährten zu tun haben könnte?«, fragte Marie Armin Schätzle, der immer noch gedankenverloren über einer verstaubten Kiste mit alten Sachen kauerte.
»Wartenberg«, korrigierte derweil Winterhalter. »Die werte Kollegin meint den Wartenberg-Schatz. Immerhin waren wir ja dort. Schon wieder vergessen?«
»Pedro hatte ihn mal erwähnt. Ich hab mich aber nicht näher damit beschäftigt. Ich weiß nur, dass er schon nach diesem Schatz geforscht hat, als wir noch nicht zusammen waren«, wurde Armin Schätzle dann doch etwas redseliger. »Viel mehr kann ich darüber aber nicht sagen. Pedro hat aus seinen Schätzen, die er hier und da auf Dachböden aufstöberte, gerne ein Geheimnis gemacht.«
»Interessant … Gut, das war’s. Bitte halten Sie sich weiter zu unserer Verfügung«, gab Winterhalter das Signal zum Aufbruch. Die zum Einsatz abgeordneten Streifenbeamten hatten jetzt im doppelten Sinne alle Hände voll zu tun. Unter leisem Gefluche schleppten sie allerhand Kisten in den Lieferwagen, der diese zur weiteren Untersuchung ins Kommissariat befördern sollte.
Eine Stunde später saß Marie wieder an ihrem Arbeitsplatz im Kommissariat. »Und?«, hörte sie Winterhalter fragen. Der Schwarzwaldkommissar spähte neugierig über Kiefers Schulter, der gerade damit beschäftigt war, am Computer den geheimen Chat »Wartenberg-Schatz« querzulesen. »Gibt’s schon was, das uns weiterhilft?«
»Geduld, Geduld. Die Herrschaften haben sich nicht gerade kurz gefasst. Da sind ja geradezu historische Romane über den Schatz, die Wartenberger und die Fürstenberger«, bremste Kiefer. »Ich glaube, da kann ich noch die ganze Nacht mit Auswertungen zubringen.«
Marie verfolgte das Gespräch mit halbem Ohr, während sie alte Privatfotos von Pedro sichtete, die sie ebenfalls konfisziert hatten.
Sie selbst war auf keinem der anderen Fotos zu sehen, Teile der damaligen Clique hingegen schon. Offenbar hatten sie sich noch ein paar Jahre weiter getroffen, als sie bereits in Berlin gewesen war.
Sie betrachtete immer wieder Charly, mit dem sie nach dieser einen Party Zärtlichkeiten ausgetauscht hatte. Er war noch auf drei weiteren Bildern zu sehen.
Was war er eigentlich für ein Typ gewesen?
Er fuhr damals ein altes Motorrad, mochte antike Dinge und zog immer sein eigenes Ding durch. Er war ihr als sympathisches Schlitzohr in Erinnerung – so ein Typ wie Depardieu in einigen seiner frühen Filme.
Sie musste unbedingt herausfinden, wo Charly abgeblieben war.
»Frau Kaltenbach?«, holte Winterhalter sie aus ihren Überlegungen. »Sind Sie noch bei uns? Oder soll ich Ihnen ein Poesiealbum holen, damit Sie die Bildle einkleben können?«
Marie war noch so von Charly, Pedro und der alten Clique gefangen, dass sie die Stichelei des Kollegen nicht mal schlagfertig parieren konnte.
»Ja, ich bin bei Ihnen«, sagte sie nur.
»Wir sind hier, glaube ich, gerade an einer interessanten Geschichte dran. Ob Ihre alten Fotos uns weiterhelfen, lasse ich mal dahingestellt sein«, hatte Winterhalter weiter Oberwasser und streckte erneut seinen Kopf über die Schulter von Kiefer – als wolle er damit erreichen, dass es vielleicht schneller mit der Auswertung der Schatz-Konversationen ging.
»Also der Wartenberg-Schatz, von dem die drei da reden, gehörte ursprünglich den Freiherren von Wartenberg. Sie hatten ihre Stammburg auf dem Wartenberg bei Geisingen. Das liegt südlich von Donaueschingen«, berichtete Kiefer.
»Ja, weiter, das wissen wir doch schon. Wir haben den Ort ja schließlich untersucht und als möglichen Tatort ermittelt«, drängte Winterhalter.
»1273 gab es wohl einen Konrad von Wartenberg, der sich Landgraf der Baar nannte.«
»Wissen wir doch, weiter, weiter«, drückte Winterhalter erneut aufs Tempo.
»Also, ich wusste das nicht. Ich bin ja kein wandelndes Lokalgeschichts-Lexikon«, kam Marie so langsam wieder in der Gegenwart an.
»Sie müssen sich halt ein wenig mehr mit Ihrer Heimat beschäftigen«, konterte Winterhalter. »Weiter, Kiefer. Was schreiben sie noch?«
»Das Geschlecht war wohl den Fürstenbergern nicht untergeordnet, also keine Vasallen, sondern eine Konkurrenz. Warum die Linie der Wartenberger 1302 erlosch, ist bis heute unklar. Zum einen könnte eine Rolle dabei gespielt haben, dass ein Fürstenberger in die Familie der Wartenberg einheiratete. Zum anderen ist hier von einem Jagdunfall die Rede, bei dem der männliche Abkomme zu Tode gekommen ist«, setzte Kiefer seinen geschichtlichen Exkurs fort.
»Genau: Jagdunfall«, schmunzelte Winterhalter. »Das kam damals ja gerne vor, wenn man jemanden loswerden wollte.«
»Gut – jetzt aber wieder direkt zum Fall«, drängte nun auch Marie.
»Also«, referierte Kiefer. »Es geht um den Wartenberg-Schatz, der wohl laut Überlieferung sehr wertvoll gewesen sein soll – oder es noch ist. Er blieb nach dem 13.Jahrhundert verschollen. Einzig und allein ein Amulett tauchte später auf. Ein Amulett der Anna von Wartenberg, die einen der Fürstenberger heiratete. Auf dem Schmuckstück sollen sich die Initialen der Gräfin und das Wappen der Wartenberger befinden. Und dieses Amulett bietet der Forumsteilnehmer mit dem Decknamen Konrad von Wartenberg den anderen beiden zum Verkauf an. Es geht zu wie bei einer Versteigerung. Die anderen beiden, also Pedroschatz und dieser Heinrich, haben sich gegenseitig hochgeboten. Jetzt sind sie in der Chatunterhaltung schon bei einem Gebot von 100000 Euro angelangt«, berichtete Kiefer.
»Und wie sieht das Amulett mit dem Wappen genau aus?«
»Dieser sogenannte Konrad von Wartenberg hat hier ein Foto eingescannt. Lateinische Inschrift, Initialen der Anna von Wartenberg plus ein etwas verblichener roter Löwe auf dem Wappen mit einem Ritterhelm auf dem Kopf. Und auf dem Helm prangt noch einmal der gleiche angriffslustige Löwe.« Kiefer zeigte auf den Bildschirm. »Sieht wirklich sehr schön aus.«
»Ja. Und wie geht der Verkauf aus?«
»Moment. Ah ja, hier ist es. Der andere Bieter mit dem Decknamen Heinrich scheint am Ende den Kürzeren zu ziehen. Pedro erhöhte sein Gebot um satte 20000 Euro und hat von diesem Konrad für 120000 Euro den Zuschlag bekommen«, berichtete Kiefer weiter.
»Aber ist dieses Amulett wirklich so wertvoll?«, fragte Marie verwundert.
»Das weiß ich nicht. Aber die beiden scheinen enorm an dem Schmuckstück interessiert gewesen zu sein. Nachfrage und Angebot bestimmen halt den Preis. Und wenn zwei Fanatiker sich so hochschaukeln …«
»Erstaunt mich ja schon, dass das Mordopfer so viel Geld hatte«, meinte nun Winterhalter. »Eigentlich kann man im Internet ja viel ankündigen … Aber der hat das Amulett wirklich gekauft?«
Kiefer nickte. »Davon gehe ich nach Durchsicht des Protokolls eigentlich aus. Außerdem vermute ich, dass Peter Schätzle auch deshalb so wild auf das Schmuckstück war, weil es einen Hinweis auf den Wartenberg-Schatz gibt. Das behauptet jedenfalls dieser Konrad von Wartenberg.«
»Und warum verkauft er das Amulett dann und holt sich nicht selbst den Schatz?«, wollte Marie wissen.
Kiefer zog die Schultern hoch.
»Und wie und wo lief dann die Geld- und Amulettübergabe ab? Womöglich am Wartenberg, wo der Pedroschatz auch umgebracht wurde?«
»Das steht hier nicht. Die beiden wollten sich inkognito in einem geheimen Chat austauschen, was diesen Heinrich erst recht auf die Palme brachte. Um an diesen geheimen Chat heranzukommen, müsste ich möglicherweise die Festplatte weiter unter die Lupe nehmen. Vielleicht erfahren wir dann auch mehr über den angeblichen Schatz.«
»Komm schon, Kiefer!« Winterhalter konnte seine Ungeduld kaum noch zügeln. »Für dich ist das doch ein Kinderspiel.«
»Du hast gut reden … Du kannst ja nicht mal dein eigenes Handy richtig bedienen. Und dann stell dir mal vor, du müsstet das Ganze auf Französisch analysieren«, sagte Kiefer in einer Mischung aus Frotzelei und leichtem Ärger. Als Marie ihn ansah, lächelte er ihr verschwörerisch zu.
Sie erwiderte das Lächeln und wandte sich dann wieder der Fotokiste Schätzles zu. Diese Bilder ließen sie einfach nicht los. Sie nahm eines der Gruppenfotos zur Hand, betrachtete noch mal alle alten Freunde.
»Natürlich!«, rief sie plötzlich laut. »Dass mir das nicht gleich aufgefallen ist!«
»Ganz ruhig. Nicht gleich hysterisch werden. Was ist denn?« Sie ignorierte die letzte Bemerkung Winterhalters.
»Das Amulett. Da ist es! Auf einem der späteren Fotos.« Marie merkte selbst, dass sie vor Aufregung fast schrie.
Jetzt sprangen Winterhalter und Kiefer gemeinsam auf.
»Tatsächlich. Das scheint das Amulett zu sein«, bestätigte Kiefer, nachdem er eine Lupe gezückt und diese auf das Foto gehalten hatte, auf dem drei alte Freunde von ihr abgebildet waren. Sie selbst fehlte allerdings.
»Was macht denn ein Schüler mit einem Amulett aus dem Mittelalter? Das ist doch ganz schön wertvoll«, wunderte sich Kiefer.
»Und wer von den drei Herren trägt das Amulett denn überhaupt?«, fragte Winterhalter, als wäre sie hierfür die Expertin. Was sie – gewissermaßen – auch war.
»Rüdiger ist der, der das Amulett umhat.«
»Moment mal.« Winterhalter schnappte sich die Lupe von Kiefer, um das Amulett auf dem Foto zu studieren. Dann ging er rüber zum Computer, betrachtete noch mal das Foto.
»Dann ist nur die Frage«, meldete sich Kiefer zu Wort, »ob es dasselbe oder das gleiche Amulett ist.«
»Was?« Konsterniert sah ihn Winterhalter an.
»Stimmt«, murmelte Marie nachdenklich. »Es könnte natürlich auch ein nachgemachtes Schmuckstück sein, das dem Original gleicht.«
»Wir müssen auf jeden Fall Armin Schätzle noch mal zu dem Amulett befragen. Vielleicht kann der aufklären, was es damit auf sich hat«, schlug der Schwarzwälder Kommissar vor.
Marie schaute noch einmal auf das Foto mit Rüdiger und dem Amulett. Sie dachte an das Klassentreffen, zu dem sie sich angemeldet hatte.
Zwanzig Jahre Abitur.
Vielleicht würde sie da weiterkommen.
Hoffentlich tauchte Rüdiger auch auf. Und Charly.