17. Kapitel
Die Villa Rothmann,
am frühen Abend des 13. August 1936
Viktoria hatte es sich am Tisch im großen Salon gemütlich gemacht und legte ein Panorama-Mosaik . Stück für Stück setzte sie die einzelnen, bemalten Holzteilchen zu einem Bild zusammen, eine Landschaft mit Wiesen, Bäumen, Häusern und einem See. Sie liebte dieses Spiel, auch wenn es beinahe so alt war wie sie selbst. Es erinnerte sie an ihre Kindheit. Zugleich konnte sie dabei ihre Gedanken wandern lassen und die waren gerade bei Luc in Frankreich, von dem sie seit ihrer Abreise nichts mehr gehört hatte. Sie nahm es ihm nicht übel. Auch für sie waren die unbeschwerten Tage von Voiron weit weg. Das Leben brachte jeden Tag neue Herausforderungen, und ihm dürfte es ähnlich ergehen.
Es läutete.
Vermutlich war es Onkel Anton, der sich schon etwas früher einfand als vereinbart – um neunzehn Uhr sollte das Abendessen mit Herrn Miller stattfinden .
»Herrrrrrrrgotttttsss …«, kam es aus dem riesigen Vogelbauer, der auf einem eigenen Tisch an der Wand stand.
»Sei still, Pepe! Du weißt, dass du das nicht sagen darfst!«, schalt Viktoria ihren Graupapagei, den sie von ihrem Onkel Karl vor fast zehn Jahren geschenkt bekommen hatte. »Sprich: Das ist feiiiinn!« Sie betonte die letzten Laute.
»Vickieeeee … dasss issst … Ssswwwwweeeinnn!«
Viktoria schüttelte lachend den Kopf. Wie sehr man sich auch bemühte, diesem Vogel anständige Dinge beizubringen – er verfiel immer wieder in alte Gewohnheiten. Vom ersten Tag an hatte er mit Inbrunst Schimpfwörter vorgetragen, und alle Versuche, ihm dies auszutreiben, waren vergeblich gewesen. Karl hatte immer gelacht und gemeint, das läge daran, dass Pepe die ersten Jahre seines Papageienlebens in einem Pfarrhaushalt verbracht hätte.
Der graue Vogel mit dem auffallend roten Schwanz flatterte aufgeregt in seinem Käfig hin und her.
»Jetzt gib doch Ruhe!«, schimpfte Viktoria und stand auf, um ihren gefiederten Freund zu beruhigen.
Kaum hatte sie den Vogelbauer erreicht, richtete sich Pepe kerzengerade auf: »Heiillll Himmmmmel!«
»Pepe!«
Ein tiefes, warmes Lachen ließ Viktoria herumfahren. »Wer ist … oh, Herr Miller, Sie sind schon da?«
»Wenn es keine Umstände macht?« Andrew Miller trat ein, auf seinem Gesicht lag ein amüsierter Ausdruck. »Ich hatte mich mit dem Weg verschätzt und bin nun einige Minuten zu früh dran. «
Dora folgte ihm auf dem Fuß. »Ich dachte, ich führe ihn in den Salon, bis das Essen serviert wird.« Sie wirkte verlegen. »Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.«
»Es ist alles gut, Dora, ich danke dir«, entgegnete Viktoria. »Holst du uns dann bitte rechtzeitig?«
»Aber natürlich.« Dora nahm die Klinke in die Hand, doch anstatt die Tür zuzuziehen, ließ sie sie ein Stückchen offen, als sie sich auf den Weg in den Küchentrakt machte.
Diese Geste entlockte Andrew Miller ein weiteres Schmunzeln.
»Heiiilll! Hiimmmmmmmel!« Pepe war in seinem Element.
»Was sagt er da eigentlich?«, fragte Miller und kam näher zum Käfig. »Heil Himmel
»Ähm … ja. Das ist …«
»Ah, ich kann es mir denken. So ruft man dem Mann zu, der Führer genannt wird, nicht wahr?«
Viktoria räusperte sich und überlegte fieberhaft, ob sie ihm die Wahrheit sagen sollte. »So ähnlich«, meinte sie dann. »Wir hier vermeiden den direkten … Führergruß
»Amen!«, fügte Pepe an.
»Amen?!« Millers Belustigung nahm sichtlich zu. »Er kann beten! Good Lord !«
Nun musste auch Viktoria lachen. »Pepe hat einige Begriffe im Repertoire, die er gerne verwendet. Darunter sind ein paar fromme Worte, wenn Sie so wollen.«
»Ah, Pepe heißt er. Das passt zu ihm!«
»Pepe, Vickieeeee! Herrrrrrrrgotttttss … «
»Pepe!« Viktoria klopfte leicht an die Gitterstäbe.
Der Papagei wechselte beleidigt die Stange und begann, sein Lieblingslied zu pfeifen: Kommt ein Vogel geflogen . Viktoria hatte es ihm beigebracht, als sie selbst noch ein Kind gewesen war. »Nun«, meinte sie entschuldigend, »er hat seinen eigenen Kopf, unser Pepe.«
»Ein Graupapagei, nicht wahr?«, fragte Miller. »Ich weiß, dass diese Tiere gut sprechen lernen, wenn man mit ihnen übt.«
»So ist es«, seufzte Viktoria. »Nur abgewöhnen lässt er sich leider nichts.«
»Niccchhhhts … Schwaachhhhhh … koppffffff!«, gurrte Pepe allerliebst, als wolle er Viktorias Worte unterstreichen.
»Er hat gewiss schon für lustige Situationen gesorgt«, entgegnete Miller.
»Für lustige und für … weniger lustige.« Sie wandte sich zu ihm um. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Herr Miller? Um die Wartezeit zu überbrücken?«
»Eine gute Idee.«
Viktoria ging zu einer Kommode, auf der einige Alkoholika standen.
»Einen Schnaps? Weinbrand? Oder lieber einen Whisky?«
»Gerne einen Whisky.«
Viktoria schenkte ein Glas ein und reichte es ihm. Als er es nahm, strich er ihr versehentlich mit zwei Fingern über den Handrücken. Sie sah zu ihm auf. Ein nachdenklicher Ausdruck lag auf seinem Gesicht.
»Sollen … möchten Sie sich setzen?« Sie deutete auf einen de r Stühle am Tisch und bemerkte, dass ihre Hand leicht zitterte. Was war nur mit ihr los?
Er ging zum Tisch. Als er sich setzte, fiel sein Blick auf ihr Mosaik. »Ah, ein Puzzle!«
Viktoria war dankbar, dass er unbefangen weitersprach. »Hin und wieder lege ich die Bilder recht gern. Zum einen erinnern sie mich an meine Kindheit, zum anderen kommt man dabei zur Ruhe.«
»Puzzles sind etwas Großartiges!« Miller besah sich interessiert das halb fertige Mosaik. »In den Staaten werden sie inzwischen aus Pappe gestanzt.«
»Wirklich?«
»Es grassiert ein richtiges Puzzlefieber mit unzähligen Motiven. In New York bekommt man sie an jeder Straßenecke.«
Viktoria kam eine Idee. »Aus Pappe dürften sie nicht allzu teuer in der Herstellung sein.«
»Nein. Die Produktionskosten sind gering. Sie werden gestanzt.«
»Dann wären sie doch ein gutes Werbemittel, meinen Sie nicht? Eine Schokoladentafel als Motiv, vielleicht mit Früchten oder dem Emblem des Herstellers …«
»Das wird tatsächlich gemacht, Fräulein Rheinberger! Ich würde sogar sagen, dass der Hauptteil der hergestellten Puzzles Werbezwecken dient. Über alle Branchen hinweg.«
Viktoria war begeistert. »Man könnte solche Puzzlespiele den Pralinenpackungen beilegen. Den hochwertigen natürlich, als zusätzlichen Anreiz, sie zu kaufen. Oder Punkte auf Schokoladentafeln aufdrucken. Wenn genügend zusammengekommen sind, meinetwegen zehn oder fünfzehn, kann man sie gegen ein Puzzle eintauschen. Oder … ein richtiges Puzzle aus Schokolade … ach, mir fallen sofort hunderttausend Dinge ein …«
»Vicky, ähm … Fräulein Rheinberger, Herr Miller?« Dora steckte den Kopf zur Tür herein. Sie mussten ihr Klopfen überhört haben.
»Ist es so weit, Dora?«, fragte Viktoria.
»Ja. Frau Rheinberger und Herr Rothmann warten im Speisezimmer.«
Judith und Anton begrüßten Herrn Miller zuvorkommend, aber distanziert, was Viktoria sofort auffiel. Sie wunderte sich darüber, denn bei der letzten Vorbesprechung am gestrigen Nachmittag hatten Judith und Anton beschlossen, den Kredit in Millers Sinne zu verlängern. Eigentlich sollten keine größeren Unstimmigkeiten zu erwarten sein.
Sie sah zu Andrew Miller, der aufmerksam war, ansonsten aber keine Regung erkennen ließ. Mit einem leisen Dankeschön nahm er den gekühlten Champagner entgegen, den Anton ihnen ausschenkte. Sie stießen an und wechselten ein paar höfliche Floskeln, ehe sie sich zu Tisch begaben. Viktoria nahm an der Seite ihrer Mutter, Andrew Miller neben Anton Platz.
Tine servierte den ersten Gang, eine kräftige Brühe mit Maultaschen darin. Miller schien diese Spezialität während seines Aufenthaltes in Stuttgart bereits kennengelernt zu haben, denn er zeigte keinerlei Überraschung, als die durch den Spinatanteil grünlich gefärbte Fleischfüllung zum Vorschein kam.
Man unterhielt sich über das Wetter und die Olympischen Spiele. Miller erzählte davon, dass er ein paar Tage in Berlin verbracht hatte, um einige Wettbewerbe im Olympiastadion zu sehen.
»Da wäre ich wirklich gern dabei gewesen«, meinte Anton. »Allein wegen der vielen Technik.«
»Es war in der Tat beeindruckend«, erwiderte Andrew. »Ich hätte nicht erwartet, dass alles so perfekt gemacht ist. Allein die Fernsehübertragung ist ein Wunderwerk. Die Organisatoren haben wirklich nichts dem Zufall überlassen.« Er sah Viktoria an. »Berlin hätte Ihnen ganz gewiss gefallen!«
»Oh ja«, erwiderte Viktoria. »Nicht nur wegen der Olympischen Spiele. Ich mag die Stadt. Auch wenn ich noch nicht oft dort war.«
Der Hauptgang wurde serviert, und Andrew lobte den fein gewürzten Hackbraten mit Spätzle und Rahmsoße. Gertis Spätzle waren schon immer Viktorias Leibspeise und nur schweren Herzens verzichtete sie auf die zweite Portion, die sie sich im trauten Familienkreis niemals entgehen lassen würde.
Hin und wieder spürte Viktoria Andrews Augen auf sich ruhen. Als sie seinen Blick nach einer Weile erwiderte, las sie eine interessierte Nachdenklichkeit darin.
Der Nachtisch kam in vier tassenartigen Steingutförmchen – kleine, locker gebackene, nicht zu süße Kuchen. Gerti servierte sie persönlich. Tine reichte das Kirschkompott dazu.
»Ein interessantes Gebäck«, bemerkte Miller. »Wie nennt es sich?«
»Das sind Pfitzauf
Miller sah Viktoria fragend an.
»Eine Spezialität von hier«, erklärte sie ihm schmunzelnd. »Allerdings schmecken sie besser mit einer Schokoladensoße. Finde ich jedenfalls.«
Er nickte. »Schokoladensoße könnte ich mir durchaus dazu vorstellen. Aber auch das Kompott ist ausgezeichnet, nicht zu säuerlich und nicht zu süß. Und der Orangenlikör darin macht es besonders.« Sein Lächeln verursachte Viktoria ein Gefühl im Magen, als habe sie zu ihrem Pfitzauf einen Schwarm Schmetterlinge verspeist. Sie versuchte, diese Regung zu unterdrücken, und konnte doch nicht anders, als sein Lächeln ehrlich zu erwidern.
Eine halbe Stunde später wechselten sie vom Speisezimmer ins Arbeitszimmer. Nachdem sie um einen kleinen Besprechungstisch Platz genommen hatten, reichte Anton Rothmann einen fruchtigen Mirabellenschnaps als Digestif. »Ein Eigendestillat, Herr Miller. Möge er wohl bekommen!«
Andrew kostete. Die Schärfe des Alkohols wich rasch einem angenehmen Obstaroma. »Er schmeckt ausgezeichnet! «
Ein zweites Glas lehnte Andrew dennoch ab. Heute brauchte er einen klaren Kopf, denn er war sich nicht sicher, was ihn nun erwartete. Sowohl Frau Rheinberger als auch Anton Rothmann hatten sich während des Essens freundlich, aber recht kühl gegeben. War es ihnen peinlich, dass er von den Drohungen wusste, die über der Schokoladenfabrik schwebten?
»Zigarre?«
»Nein, danke.« Andrew rauchte nur äußerst selten, nachdem er vor Jahren eine schwere Atemwegserkrankung durchgestanden hatte.
Zu seiner Verwunderung verzichtete auch Anton Rothmann auf die obligatorische Zigarre, klappte die Zigarrenkiste zu und stellte sie zur Seite. Dann schien er seine Gedanken zu sammeln.
»Herr Miller«, sagte er schließlich. »Uns erreichte heute am späten Nachmittag der Anruf eines New Yorker Bankhauses. Wir wurden vor einem weiteren Engagement in Ihrem Unternehmen gewarnt.«
»Wie bitte?« Ein Moment lang rang Andrew irritiert um Fassung. Zugleich bemerkte er die Überraschung, mit der Viktoria erst ihren Onkel, dann ihre Mutter ansah. Für sie schien diese Information genauso plötzlich zu kommen wie für ihn. Judith Rheinberger warf einen Blick zu ihrer Tochter hin und schüttelte leicht den Kopf, während Anton Rothmann seine Aufmerksamkeit weiter auf Andrew gerichtet hielt.
»Darf ich fragen, um welches Bankhaus es sich handelt?«, hakte Andrew nach. »Die Hudson Bank? «
»In der Tat.«
»Und mit wem haben Sie dort gesprochen?«
»Mit dem Leiter der Kreditabteilung«, entgegnete Anton.
»Und welche Begründung fand dieser Herr für seine Warnung?«
Andrew mochte kaum glauben, dass das renommierte Bankhaus eine solche Aktion initiierte.
»Der Anrufer teilte uns mit, dass die SweetCandy keinen Cent mehr wert sei. Und dass Gelder – sollten wir weiter investieren – in Ihr Privatvermögen wandern.«
»Das sind massive Anschuldigungen.« Andrew versuchte, sich seine Unruhe nicht anmerken zu lassen. »Sollte dies der Wahrheit entsprechen, dann wäre ich ein Betrüger.« Er sah Anton Rothmann offen an. »Konnte dieser Mann seine Aussage belegen? Oder stellte er Beweise in Aussicht?«
»Ich arbeite schon seit einigen Jahren mit einem Rechtsanwalt in New York zusammen, der unter anderem auf internationale Wirtschaftsangelegenheiten spezialisiert ist – John Carollo. Ich habe ihn sofort kontaktiert. Er wird die Hintergründe ermitteln.«
»John Carollo ist mir bestens bekannt. Er genießt schon lange auch unser Vertrauen in wirtschaftsrechtlichen Fragestellungen. Deshalb hatten wir ihm unter anderem die Ausarbeitung des Darlehensvertrages zwischen Victor Rheinberger und mir übertragen.«
»Ganz genau. Er arbeitet hin und wieder für die ICC , die Internationale Handelskammer, in New York. Ich konnte meinen Schwager damals nur darin bestärken, Herrn Carollo mit dieser Angelegenheit zu betrauen«, sagte Anton.
»Sehen Sie, Herr Rothmann. Und John Carollo hätte Ihren Schwager mit Sicherheit gewarnt, wenn er die SweetCandy als Risikogeschäft oder gar als unseriös eingestuft hätte. Somit haben wir einen gemeinsamen Vertrauensmann.«
Einen Moment lang herrschte angespannte Stille im Raum, die nur vom regelmäßigen Ticken einer großen Standuhr durchbrochen wurde.
»Der Mitarbeiter der Hudson Bank hatte zudem angeboten«, fuhr Anton Rothmann schließlich fort, ohne näher auf Andrews Antwort einzugehen, »uns den gegebenen Kredit samt sämtlicher aufgelaufener Zinsen sofort zurückzuzahlen – wenn wir im Gegenzug die Beteiligung an der SweetCandy Ltd. an die Hudson Bank in New York City übertragen.«
»Tatsächlich?« Andrew mochte kaum glauben, was er da hörte. »Ein solches … Geschäftsgebaren ist reichlich ungewöhnlich. Sind Sie sich sicher, dass es sich um die Hudson Bank handelte?«
»Selbstverständlich bin ich mir sicher, Herr Miller.«
»Ich wundere mich nur, dass sie mit Ihnen Kontakt aufgenommen hat und nicht mit Frau Rheinberger selbst.«
»Die Bank hat mit uns Kontakt aufgenommen.« Anton Rothmann blieb vage.
Andrew überlegte fieberhaft, wie er weiter vorgehen sollte. »Wenn ich darf«, sagte er schließlich, »lege ich Ihnen ausdrücklich dar, in welcher Situation sich die SweetCandy Ltd. augenblicklich befindet.«
Anton lehnte sich zurück. »Nur zu!«
Judith Rheinberger und Viktoria dagegen setzten sich aufrechter hin. Vor allem in Viktorias Zügen spiegelten sich Ungläubigkeit und Neugier, zugleich wirkte sie angespannt und erwartungsvoll.
Andrew blieb angesichts der veränderten Bedingungen keine andere Wahl, als sich weitestgehend zu erklären in der Hoffnung, dass ihm geglaubt wurde.
»Es begann vor etwa einem Jahr«, begann er, »als aus nicht nachvollziehbaren Gründen große Aufträge storniert wurden. Meistens wurde die Qualität bemängelt. Manchmal führte man auch ein angeblich nachteilig verändertes Sortiment an, in einigen Fällen fehlte jede Stellungnahme. Zeitgleich hatten wir viel Geld in einen modernen Maschinenpark investiert. Ein Teil der dafür benötigten Finanzmittel stammte aus dem Privatvermögen meines Großvaters Robert Miller. Der Rest wurde über Bankkredite finanziert. Gewährt von der Hudson Bank.«
»Das gibt es ja nicht …«, rief Viktoria, woraufhin ihre Mutter einen Finger an die Lippen legte.
»Mir erscheint es ebenfalls eigenartig zu hören, dass ebendieses Bankhaus darum bemüht ist, den Kreditvertrag zu übernehmen, der zwischen Victor Rheinberger und der SweetCandy besteht. Damit bestünde die Möglichkeit, uns aus der Inhaberschaft zu drängen«, sagte Andrew.
»Ich verstehe. Da es zu starken Umsatzrückgängen gekommen ist, können die Kredite nun nicht mehr bedient werden«, folgerte Judith.
»Und das Bankhaus versucht, sich irgendwie abzusichern. Würde die Option zur Beteiligung auf die Hudson Bank übergehen, hätte sie im Falle einer Insolvenz von SweetCandy bessere Zugriffsmöglichkeiten auf das Unternehmen«, fügte Anton an.
»Oder es bestehen andere Gründe, von denen wir nichts ahnen.« Andrew sah nacheinander von Viktoria zu Anton Rothmann und schließlich zu Judith Rheinberger. »Ich kann Sie nur bitten, mir Ihr Vertrauen zu schenken. Das mag sich zunächst wenig überzeugend anhören, doch wie Sie bereits wissen, waren mein Großvater und Victor Rheinbergers Vater enge Freunde. Ohne diese Verbindung bestünde das Wandeldarlehen nicht«, betonte Andrew. »Geben Sie mir die Chance, das Unternehmen in der Hand der Familie Miller zu halten und nicht den Interessen eines Bankhauses auszusetzen, das keinerlei ideellen Werte damit verbindet.«
Anton Rothmann sah seine Schwester an, die sichtlich hin- und hergerissen war. »Judith, wir …«
»Victor hat ihm vertraut«, sagte Judith entschlossen. »Herr Miller – Ihre Firma befindet sich in akuten Schwierigkeiten. Was können Sie denn als Sicherheiten anbieten, wenn wir auf das Angebot der Hudson Bank verzichten und stattdessen den Kredit verlängern?«
»Die SweetCandy wird bald wieder in die Gewinnzone kommen. Nicht nur, weil wir eine lange Tradition haben. Wir besitzen modernste Herstellungsverfahren und eine große Auswahl feinster Rezepturen für Confiserie-Produkte. Diesen Unternehmenszweig bauen wir im Übrigen gerade aus.«
»Eine eher vage Basis für die Bewertung eines Unternehmens«, stellte Anton fest.
»Das sehe ich allerdings genauso«, bestätigte Judith. »Sie verstehen sicher, Herr Miller, dass wir allein auf diese Aussage hin keine Finanzentscheidungen von solch enormer Tragweite fällen können.«
»Ich appelliere nochmals an das Vertrauen, auf dem unsere Geschäftsbeziehungen seit jeher beruhen und das unsere Unternehmen schon so lange verbindet«, erwiderte Andrew. »Und biete Ihnen die Exklusivrechte an unseren neuen Rezepten und Verfahren als Sicherheit. Mehr kann ich nicht tun.«
»Mutter, Onkel Anton«, sagte Viktoria und ihr Ton klang entschlossen. »Es gibt kaum Möglichkeiten, von diesem Arbeitszimmer aus festzustellen, wie es um die SweetCandy tatsächlich bestellt ist. Was haltet ihr davon, wenn ich nach New York reise?«