Er blickte in den rosafarbenen Himmel und beobachtete die langsam dahinziehenden Wolken. Er hatte diesen Ort ausgesucht, um ungestört nachdenken zu können. Es war das Einzige, das ihm noch blieb. Seine Gedanken gehörten ihm weiterhin, auch wenn man ihm sein Leben genommen hatte.
Die kleine Insel war unbewohnt, wie auch der Rest des Planeten. Obwohl es hier ideale Bedingungen für eine Besiedlung gab, hatte bisher keine Spezies Anspruch auf ihn erhoben. Seine Sonne stand kurz davor, zur Nova zu werden, und es lohnte für die wenigen verbleibenden Jahrhunderte schlichtweg nicht, hier Ressourcen zu verschwenden. Der paradiesische Planet war zum Sterben verurteilt, genau wie er selbst.
Er wollte nicht sterben und wünschte sich doch nichts sehnlicher. Aber Selbstmord war unmöglich. Er hatte alles versucht, doch jegliches Aufbegehren gegen die posthypnotischen Befehle war ausgeschlossen. Seine Gedanken waren frei, doch sobald er sie verbal formulieren oder eine unerlaubte Handlung begehen wollte, kam es ihm vor, als sei er nur ein hilfloser Gast im eigenen Körper. Als gäbe es eine übergeordnete Wesenheit in seinem Kopf, die alles, was er sagte und tat, vorher überprüfte, zensierte und gegebenenfalls unterband.
Er ließ etwas von dem weißen Sand durch seine Finger rinnen, lehnte sich an das palmenähnliche Gewächs und blickte auf den Ozean. Das Wasser lag völlig ruhig vor ihm. Nicht die kleinste Welle brach sich am Strand. Ein Paradies, das vor einem feurigen Untergang stand. So wie sein bisheriges, langes Leben ebenfalls im Feuer enden sollte. Einem Feuer, das er selbst entfachen würde.
Am schlimmsten litt er unter dem klaren Bewusstsein, dass er unter der Beeinflussung der Ra´hul und ihrer Suggestoren stand und nicht das Geringste dagegen tun konnte. Man hatte sein Denken nicht ausgeschaltet – er war keine willenlose Marionette – und doch konnte er sich gegen diesen Einfluss nicht zur Wehr setzen. Er besaß nach wie vor seinen eigenen Willen, aber es war ihm nicht möglich, danach zu handeln. Ihm wäre es fast lieber gewesen, die Ra´hul hätten seinen Geist komplett übernommen, ihn ausgelöscht und ihn zu einem willfährigen Werkzeug ihrer Pläne gemacht. Zu wissen, dass man ihn benutzte, und nichts dagegen unternehmen zu können, diese geistige Vergewaltigung war die fürchterlichste Folter, die er sich vorstellen konnte.
Am Horizont glaubte er die Fontäne eines großen Meeressäugers ausmachen zu können, der zum Atmen an die Oberfläche gekommen war. Er fragte sich, ob die Kreatur wohl lange genug leben würde, um im Feuersturm der Nova zu verglühen, oder ob ein gnädiges Schicksal sie vorher an Altersschwäche sterben lassen würde. Mit ihm würde das Schicksal nicht so gnädig sein. Er war unsterblich und würde im eigenhändig entfesselten Feuersturm vergehen. So hatten sie es ihm aufgetragen.
Was man von ihm verlangte, war nichts Geringeres als die vollständige Vernichtung der Liga der Unsterblichen. Sie war das größte Hindernis für die Invasoren bei ihrem Vorhaben, die Milchstraße zu unterjochen. Die Möglichkeiten der Liga, den Ra´hul Einhalt zu gebieten, und seien sie noch so begrenzt, sollten im Keim erstickt werden. Er war die Waffe dazu!
Er wünschte sich, einfach hier sitzen bleiben zu können und nichts zu tun. Doch seine mentale Programmierung ließ dies nicht zu. Schon jetzt spürte er, wie der Drang, sich zu erheben, immer mächtiger wurde. Er wusste, dass er ihm früher oder später nachgeben musste, wie er es schon mehrfach erfahren hatte. Es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Wie ein Drogensüchtiger, der trotz des Wissens, dass er sich damit umbrachte, immer wieder die nächste Dosis einnahm. Nur dass dieser Drang tausendmal zwingender und drängender war!
Er stand auf, strich den Sand von der Kleidung und ging zu seinem kleinen Schiff. Es spürte seine Nähe und öffnete sich bereitwillig, als sei er immer noch derselbe wie in all den Jahren, die es ihm bereits diente. Doch er war nun ein anderer. Er war derjenige, der die Unsterblichen töten würde.
Das kleine Schiff schwebte auf einem Gravkissen in den rosafarbenen Himmel und entschwand im All. Am Horizont glitt der große Meeressäuger unter die glatte Wasseroberfläche und tauchte in die Tiefe.