14.


Trrach hatte die ersten Tage überlebt, obwohl der neue Kommandant von Maren´Thar sich alle Mühe gegeben hatte, dies zu verhindern. Der Raumanzug, den er zugeteilt bekommen hatte, war reif für den Müll. Nur mit Mühe und der Hilfe eines anderen Gefangenen war es ihm gelungen, die vielen kleinen Löcher zu flicken und die Luftumwälzung zu reparieren. Trrach hatte nicht gewusst, dass solche Anzüge noch in Gebrauch waren – dass es sie überhaupt noch gab! In der Flotte war es längst üblich, Anzüge aus dünnen, energiestabilisierten Nanofasern oder persönliche Vakuumschilde zu verwenden, die den Körper eng umschlossen und fast nicht spürbar waren. Sie konnten ihren Träger über Tage und Wochen am Leben erhalten. Allerdings waren sie so perfekt gearbeitet, dass ein Gefangener vielleicht auf den Gedanken gekommen wäre, mit einem solchen Anzug die Chance auf eine Flucht zu haben. Einfache Anzüge, wie sie vor Jahrtausenden vielleicht noch benutzt worden waren, konnte man leicht und billig herstellen und sie boten nicht genug Schutz, um damit entfliehen zu können. Die mangelhafte Wartung tat ihr Übriges. Außerdem zählte das Leben eines Gefangenen auf Maren´Thar nichts. Trrach hatte sich über all diese Dinge niemals Gedanken gemacht, wenn er einen Unglücklichen hierher geschickt hatte.

Was ihn am meisten überraschte, war, dass er hier nicht nur Feinde vorgefunden hatte. Nachdem sich herumgesprochen hatte, wer er war und warum man ihn nach Maren´Thar geschafft hatte, gab es einige Gefangene, die sich auf seine Seite stellten. Vor allem ehemalige Offiziere, die den Putsch verurteilen und Zchrochs Verhalten für ehrlos hielten. Natürlich war es hilfreich, dass keiner von ihnen auf Befehl von Trrach nach Maren´Thar gekommen war. Es gab auch viele, die ihn lieber heute als morgen tot sehen wollten, doch glücklicherweise waren es die Wortführer unter den Gefangenen, die auf seiner Seite standen. Wer es wagen sollte, Hand an ihn zu legen, würde es bereuen; das hatten sie sehr schnell klargestellt. Allerdings schützte ihn dies nur bedingt gegen Schikanen von Seiten des Wachpersonals. Unter den Gefangenen gab es eine Hierarchie, wie Trrach schnell festgestellt hatte, aber niemand würde es wagen, sich mit den Aufsehern anzulegen.

Ihm wurde zunehmend bewusst, dass er sich niemals mit den Verhältnissen auf einem Strafplaneten beschäftigt hatte und nichts darüber wusste, was dort vorging. Er musste schnell lernen, wenn er überleben wollte.

»Nicht einschlafen, Alter«, riss ihn die Stimme des Aufsehers aus seinen Gedanken. Er bewegte den Plasmaschneider ein Stück weiter nach rechts und der freigeschnittene Felsbrocken löste sich aus der Wand. Schnell sprang Trrach zurück. Mehr als ein Gefangener war schon unachtsam genug gewesen, um von gerade gelöstem Geröll erschlagen zu werden. Der Brocken blieb knapp vor seinen Füßen liegen.

»Für dein Alter bist du noch ganz schön flott«, sagte der Aufseher und Trrach konnte das Lachen der anderen Wächter auf der Frequenz hören. Antworten konnte er nicht, da das Funkgerät seines Anzugs ebenfalls defekt war und nur noch empfangen konnte. Als er um ein Ersatzteil gebeten hatte, meinte der Ausrüstungswart bloß, niemand wäre daran interessiert, was er zu sagen habe. Die Hauptsache sei, er könne die Befehle empfangen.

Ein Lastenbot näherte sich und hob den gerade aus der Kraterwand geschnittenen Geröllbrocken mit einem Gravitravstrahl an. Zwei andere Gefangene schoben den nun gewichtslosen Brocken zur Abtransportstelle. Obwohl nun ohne Gewicht, besaß er doch noch eine nicht unerhebliche Masse, die es zu bewegen galt. Die beiden drückten und zogen mit aller Kraft, bis sich der mehr als mannsgroße Brocken langsam in Bewegung setzte. Ein paar Hundert Meter entfernt verlud eine weitere Maschine ihn auf einen dort geparkten kleinen Intersystemfrachter. Das erzreiche Material wurde zu einem am Systemrand stationierten Extraktionskonverter gebracht, der die wertvollen Bestandteile aus dem Gestein löste und weiterverarbeitete. Die Kette aus 'Brennern', wie Trrach einer war, 'Schiebern' wie seinen beiden Mitgefangenen und den ständig landenden und startenden Frachtern sorgte dafür, dass der Nachschub für die Rettungsflotte nie abriss.

»Los, los, Alter«, ertönte erneut die Stimme des Aufsehers in seinem Helm. »Weitermachen!«

Trrach ging zurück zur Kraterwand und setzte den Plasmaschneider wieder an. Rechts und links von ihm waren Dutzende von in altertümliche Raumanzüge gekleideten Gefangenen mit der gleichen Arbeit beschäftigt. Über ihnen hing der Gasriese und bedeckte fast den gesamten Himmel. Ockerfarbene, gelbe und weiße Wolkenbänder umschlangen ihn und zwei rötliche Flecke markierten die Stellen, wo heftige Stürme auf seiner Oberfläche tobten. Er reflektierte genügend Licht der Sonne, sodass es auf Maren´Thar selbst dann hell war, wenn das Zentralgestirn hinter dem Horizont des Mondes verschwunden war. Trotz seiner Größe besaß der Mond praktisch keine Atmosphäre und somit schwankten die Temperaturen zwischen extremer Kälte und sengender Hitze, je nachdem, ob man sich im direkten Sonnenlicht oder im Schatten eines Kraterrandes aufhielt.

Trrach regelte den Thermostat seines Anzugs ein paar Grade höher. Glücklicherweise funktionierte wenigsten die Heizung ordentlich. Er setzte seinen Plasmaschneider an und begann, einen weiteren Felsbrocken in dem ihm zugeteilten Abschnitt aus der Wand herauszulösen.

Seine Schicht war erst zur Hälfte vorüber, als er bemerkte, dass ihm das Atmen schwerfiel. Ein Blick auf die Anzeige des Sauerstoffvorrats am unteren Rand des Visiers zeigte, dass noch ausreichend Sauerstoff vorhanden sein sollte. Trotzdem hatte er das Gefühl, mit jedem Atemzug weniger Luft zu bekommen. Außerdem setzten allmählich leichte Kopfschmerzen ein, das untrüglich erste Anzeichen für einen zu hohen Gehalt von Kohlendioxid in der Luft. Es gab nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder stimmte die Anzeige nicht oder der CO2 -Extraktor funktionierte nicht richtig. In beiden Fällen war sein Leben in Gefahr. Da sein Funkgerät nicht senden konnte, gab es keine Möglichkeit, um Hilfe zu rufen. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen.

Wenn er die Arbeit einstellte, um so schnell wie möglich das Shuttle zu erreichen, das ein paar Hundert Meter entfernt stand, bestand die Gefahr, dass man dies als Fluchtversuch deuten und auf ihn schießen würde. Im Shuttle, mit dem man die Gefangenen vom Zellentrakt zu den Einsatzorten brachte, wäre er zwar in Sicherheit, aber er musste damit rechnen, dass man auf einen davonlaufenden Gefangenen zuerst schoss und später Fragen stellte. Es war auch unmöglich, sich an einen seiner Mitgefangenen zu wenden, die nur wenige Schritt entfernt arbeiteten. Erstens konnte er ihnen nicht ohne Weiteres erklären, was er von ihnen wollte, zweitens waren die Anzüge unterschiedlicher Bauart, sodass es keine Möglichkeit gab, sich an die Sauerstoffversorgung eines anderen anzukoppeln. Ihm blieben nur noch zwei oder drei Minuten, bis er handlungsunfähig sein würde. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Womöglich hatte der Kommandant all das genau so geplant, um seinen Tod als Unfall hinzustellen und keinen Ärger mit seinen Mitgefangenen zu riskieren. Unfälle gab es ständig und niemand würde sich wundern, wenn es nun ihn erwischte. Es war nicht schwierig, einen Anzug zwischen zwei Schichten so zu manipulieren, dass der Gefangene beim Routinecheck vor dem Anlegen keinen Verdacht schöpfte. Auch die defekte Sendeeinheit ergab nun einen Sinn.

Dann hatte Trrach eine Idee: Wenn es wie ein Unfall aussehen sollte, würde er eben einen Unfall erleiden – allerdings einen anderen als den, den man für ihn vorgesehen hatte. Er blickte sich schnell um. Niemand achtete im Moment auf ihn. Trrach biss die Zähne zusammen, richtete seinen Plasmaschneider auf den Unterschenkel seines rechten Laufbeines und drückte ab. Er hatte so gezielt, dass der Schuss ihn lediglich streifte, trotzdem war der Schmerz fast unerträglich. Der dünne Plasmastrahl schnitt durch den Anzug und brannte eine lange Furche in sein Bein. Es blutete nicht sehr stark, da die Blutgefäße sofort verschmort waren, aber es fühlte sich an, als habe sein ganzes Bein Feuer gefangen. Mit einem Aufschrei, den außer ihm niemand hören konnte, sank er zu Boden und wälzte sich dort vor Schmerzen, wobei er noch etwas übertrieb. Sofort richteten sich alle Blicke auf ihn. Aus dem Loch in seinem Anzug entwich die kostbare Luft und kondensierte augenblicklich in einen deutlich sichtbaren Nebel. Keiner begriff, was geschehen war, aber es war offensichtlich, dass Trrachs Anzug eine undichte Stelle hatte. Ein Todesurteil, wenn er nicht sofort abgedichtet werden würde. Noch bevor der Aufseher reagieren konnte, sprang einer der Mitgefangenen auf Trrach zu und zog einen Dichtungspatch hervor, den jeder in einer Außentasche des Anzugs mit sich führte. Er presste ihn auf das Loch im Bein des Anzugs und erkannte in diesem Moment, dass es sich um eine Verbrennung durch den unachtsamen Umgang mit dem Plasmaschneider handelte. Genau wie Trrach es geplant hatte.

»Er hat sich mit dem Plasmastrahl verletzt und der Anzug ist undicht«, rief sein Retter dem Aufseher zu, was Trrach auf der allgemeinen Frequenz mithören konnte.

»So ein Idiot!«, schimpfte der Wächter. »Der Alte ist zu blöd, mit einem Plasmaschneider umzugehen. Schaff ihn ins Shuttle und dann sieh zu, dass du wieder an deine Arbeit gehst.«

Selbst wenn der Aufseher in den Anschlag eingeweiht sein sollte, konnte er Trrach nicht einfach sterben lassen. Dies wäre zu offensichtlich gewesen. Der Kommandant wollte sicher keinen Ärger mit den anderen Gefangenen riskieren und legte Wert auf ein diskretes Vorgehen.

Die Kopfschmerzen waren inzwischen unerträglich geworden, sein Bein schien in Flammen zu stehen. Trrach bekam nur noch halb mit, wie man ihn in das Shuttle brachte. Als man ihm dort den Helm abnahm und er den ersten Zug kühler, frischer Luft einsog, schwanden ihm die Sinne.