34.


Als er erwachte, war Brolon von vier Dämonendienern umgeben. Abgesehen von demjenigen, den er getötet hatte, war er den unheimlichen Fremden noch nie so nahe gekommen.

Er lag auf einer Pritsche und konnte sich nicht bewegen. Ein Blick an seinem Körper entlang zeigte ihm seltsame, flirrende Bänder, die seine Hand- und Fußgelenke umschlossen und ihn auf der Pritsche fixierten. Obwohl sie lediglich aus einem durchscheinenden, blauen Nebel zu bestehen schienen, waren sie stärker als jedes Seil, das er kannte.

Rechts und links von ihm standen je zwei der Mörder seiner Geliebten. Brolon wunderte sich, dass er noch am Leben war. Er hatte einen von ihnen getötet und doch hatten sie keine Rache geübt. Zumindest bisher nicht. Vielleicht hatten sie auf sein Erwachen gewartet, um ihn bei vollem Bewusstsein unter Qualen in einem dämonischen Ritual ihren Götzen zu opfern. Doch was immer sie sich für ihn ausgedacht haben mochten, er war innerlich auf alles vorbereitet.

Die Fremden sahen nicht aus wie die Mitglieder seines Volkes. Zwar war ihr Körperbau mit Beinen, Rumpf und einem oben sitzenden Kopf im Prinzip ähnlich, doch sie besaßen drei Beine und drei Arme, eine vorstehende Schnauze, und ihre haarlose Haut war grau geschuppt. Nur einer ihrer Arme schien tauglich für die Verrichtung von Arbeiten. Er entsprang in der Mitte der Brust, während die beiden seitlichen Arme kürzer und schwächlicher erschienen. Auch endeten sie in kleinen Händchen, die mit drei Krallenfingern für feine Arbeiten nicht geeignet waren.

Sie betrachteten ihn, wie man ein unbekanntes Tier begutachten würde.

»Kannst du uns verstehen?«

Brolon erschrak, als er im Dialekt seines Stammes angesprochen wurde. Die Stimme klang seltsam und im Hintergrund konnte er gleichzeitig das Knurren und Knarzen hören, das er von ihrer Dämonensprache kannte. Es beschloss, die Frage zu ignorieren.

Ein scharfer Schmerz ließ ihn zusammenzucken und ungewollt aufstöhnen. Sein gesamter Körper verkrampfte sich.

»Es ist besser für dich, wenn du antwortest!«

Als er im Krampf den Kopf zurückwarf und die Augen verdrehte, bemerkte er die feinen … Fäden, die von seiner Stirn ausgingen und zu etwas führten, das hinter ihm stehen musste, das er jedoch nicht sehen konnte. Der Schmerz verebbte und Brolon konnte ein leichtes Prickeln an den Stellen spüren, an denen die Fäden auf der Haut befestigt waren. Sein Gefühl sagte ihm, dass sie etwas mit dem Schmerz zu tun haben mussten, den man ihm gerade zugefügt hatte.

»Wie ist dein Name?«

»Brolon«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Also … Brolon … wieso konntest du uns sehen?«

Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Wieso er sie, im Gegensatz zu seinen Stammesgenossen, hatte sehen können, war eine Frage, die er sich selbst immer wieder gestellt hatte. Er hätte gerne gewusst, warum seine Freunde die Fremden nicht sehen konnten; welcher Zauber dahintersteckte.

»Euer Zauber wirkt bei mir nicht«, sagte er deshalb.

Die vier Dämonendiener stießen bellende Laute aus. Brolon ahnte, dass sie über ihn lachten.

»Zauber? Nun ja, einer unserer Denker sagte einst, dass für eine primitive Spezies jede hinreichend fortschrittliche Technologie von Zauberei nicht zu unterscheiden sei«, sagte der Wortführer der vier. »Du scheinst der Beweis für diese These zu sein.«

Das Wort 'Technologie' war Brolon unbekannt. Wer auch immer das Knurren und Knarzen der Fremden übersetzte, verwendete hin und wieder Worte, die in seiner Sprache nicht vorkamen. Dies machte es nicht einfacher, zu verstehen, was sie von ihm wollten.

Warum bringen sie mich nicht einfach um , fragte er sich. Sie werden mich sowieso nicht wieder laufen lassen .

»Konntest du uns von Beginn an sehen oder hat sich das im Lauf der Zeit ergeben?«

Brolon wusste, dass es keinen Sinn machen würde, die Antwort zu verweigern. Mehr Schmerz würde die Folge sein.

»Ich konnte euch sehen, seit ihr auf Heimat gelandet seid«, sagte er deshalb.

Brolon nahm sich vor, jede sich bietende Gelegenheit zur Flucht zu nutzen. Wenn sie ihn nicht sofort umgebracht hatten, musste es einen Grund dafür geben. Also würden sie ihn einstweilen am Leben lassen. Zumindest so lange, bis sie herausgefunden hatten, was immer sie herausfinden wollten. Er hatte sie einmal überrascht und konnte es wieder schaffen. Sein Kampfeswille erwachte erneut.

»Gibt es außer dir noch andere in deinem Dorf, die uns sehen können?«

»Nein, ich bin der Einzige.«

»Wie bist du durch den Energiezaun gekommen?«

Auch mit dem Wort 'Energie' konnte Brolon nichts anfangen, aber 'Zaun' verstand er. Es musste sich um den Zauberbegriff für die unsichtbare Wand handeln.

Es konnte nicht schaden, seinen Trick preiszugeben, da er sowieso keine zweite Gelegenheit erhalten würde, ihn anzuwenden.

Als Brolon seine Erklärung beendet hatte, sahen sich die vier Fremden an, und er glaubte, nicht nur Überraschung, sondern auch Respekt in ihren Blicken zu erkennen. Die nächsten Worte bestätigten dies.

»Das war erstaunlich einfallsreich! Diese Lücke im System war uns unbekannt. Wir hatten euch für viel primitiver gehalten. Ich bin sicher, du hältst noch einige Überraschungen für uns bereit.«

Der letzte Satz ließ darauf schließen, dass man nicht vorhatte, ihn demnächst zu töten. Sie wollten etwas von ihm, auch wenn Brolon sich nicht vorstellen konnte, was dies sein mochte.

»Wir werden dich bald von hier wegschaffen, Brolon«, sagte derjenige, den Brolon für den Anführer hielt. »Wir wollen herausfinden, warum du gegen die Beeinflussung immun bist. Du kannst dich glücklich schätzen, dass wir dich noch brauchen. Allerdings dürfte es dir nicht gefallen, wenn du es mit mehreren unserer Suggestoren aus nächster Nähe zu tun haben wirst.«

Brolon begriff nun, dass seine Immunität gegen die Beeinflussung für die Fremden sehr wichtig sein musste. Man wollte ihn als Versuchslarek benutzen. Er hatte zwar keine Ahnung, was 'Suggestoren' waren, aber der Begriff und die damit verbundene Drohung stimmten ihn nicht gerade zuversichtlich. Er vermutete, dass es sich um besonders starke Zauberer handelte.

Plötzlich heulte ein schriller Ton durch den Raum, der Brolon in den Ohren schmerzte. Zunächst hielt er es für eine neue Art der Folter, doch dann bemerkte er, dass man unvermittelt das Interesse an ihm verlor. Da jemand nach wie vor alles, was die Fremden sagten, übersetzte, konnte er die nächsten Worte verstehen, obwohl sie nicht an ihn gerichtet waren.

»Warum gibt es Alarm?«, hörte er einen sagen.

Ein Zweiter ging zu einem Fenster in der Wand, das sich zu Brolons Erstaunen plötzlich veränderte und etwas anderes zeigte als noch im Moment zuvor.

»Ein unbekanntes Schiff befindet sich im Anflug«, rief der Fremde aus.

Brolon wunderte sich, wieso ein Schiff fliegen konnte. Wahrscheinlich wieder ein unerklärlicher Zauber. Aber wenn es Vögel aus Metall gab, konnte es auch fliegende Schiffe geben. Nach der Reaktion der Dämonendiener zu schließen, befanden sich auf diesem Schiff keine Freunde von ihnen. Es schien außer ihm noch andere zu geben, die gegen das Böse kämpften.

Vielleicht konnte dieses fliegende Schiff genug Verwirrung stiften, um ihm eine Möglichkeit zur Flucht zu eröffnen. Vielleicht gelang es ihm sogar, mit den Feinden der Fremden Kontakt aufzunehmen.

Einer der Dämonendiener hatte ein Sprichwort zitiert. Auch in Brolons Volk gab es Sprichwörter. Eines davon lautete: Der Feind meines Feindes ist mein Freund!