Eine Riesensauerei

Die kleine Bucht war nur ein paar Meter breit. Feiner weißer Sand bedeckte den Boden und das Wasser war glasklar.

Normalerweise.

Aber heute war der Sandstrand nicht zu sehen, weil er nämlich voller Müll war. Da lagen zerdrückte Coladosen, leere Wasserflaschen, eine Barbiepuppe ohne Kopf, kaputte Schwimmflügel, ein altes Surfbrett, bunte Strohhalme, Plastikbecher und – teller, verblichenes Sandspielzeug, ein einzelner Gummilatschen, durchlöcherte Schwimmflossen und Plastiktüten in allen Größen und Farben.

„Das gibt’s doch nicht.“ Violet blickte entsetzt auf den Abfallhaufen. „Was ist denn hier passiert?“

„Ach du Schreck!“ Granny Kate und Grandpa Anthony waren inzwischen ebenfalls in der Bucht angekommen. Die Grandma schüttelte entsetzt den Kopf. „Die Flut muss das ganze Zeug hier reingetragen haben. Wir waren schon eine Weile nicht mehr in der Bucht, da hat sich ja einiges angesammelt.“

Sogar die beiden Dackel schien der Abfall zu bekümmern, jedenfalls zogen sie die Schwänze ein und blickten betrübt auf den Plastikmüll. Wotan winselte – oder war es Jupiter?

Violet konnte die beiden nicht auseinanderhalten. Sie hätte auch gerne gewinselt. Der sonst so schöne Strand war heute kein bisschen schön. Da machte der Urlaub überhaupt keinen Spaß.

„Das ist ja wohl eine Riesensauerei!“ Ihre Stimme klang belegt.

„Ja, aber heulen nützt nichts“, erklärte Zack. „Ich bin dafür, wir hören auf zu jammern und machen lieber klar Schiff!“

Er rannte los und begann, den Müll aufzusammeln.

„Der Junge gefällt mir“, sagte der Grandpa. „Ich gehe zurück zum Haus und hole ein paar Abfallsäcke. Und wenn alle mithelfen, sind wir im Nu fertig.“

Und so war es auch. Nach einer halben Stunde war der Müll in den Tüten und die Bucht sauber und wunderschön. Sogar Jupiter und Wotan hatten mit aufgeräumt, allerdings hatten sie sich die meiste Zeit um eine rote Badekappe gestritten, die Wotan gefunden hatte und Jupiter haben wollte, oder umgekehrt.

„Jetzt kann der Urlaub anfangen“, sagte Jack und pfefferte die letzte Coladose in einen der Müllsäcke, als wäre es ein Basketballkorb.

Sie rieben sich gegenseitig mit Sonnenmilch ein, danach setzten sich die Großeltern in den Schatten und Violet und die Zwillinge rannten ins Wasser.

Wotan und Jupiter rasten mit wildem Gebell hinterher, aber diesmal waren die drei Freunde mindestens genauso laut wie die Hunde. Sie juchzten und kreischten und schrien. Das Meer war zuerst eisig kalt, aber nachdem sie ein paar Minuten drin waren, merkten sie es nicht mehr.

Sie spielten Seeschlangen-Angriff. Jack war die Seeschlange und Violet und Zack waren die Schwimmer, die von unten angegriffen wurden. Es war sehr gruselig, wenn Jack plötzlich unter einem auftauchte und versuchte, einen in den Bauch zu zwicken, fand Violet.

Danach spielte Zack die Schlange. Das war nicht so schlimm, weil er nicht so gut tauchen konnte wie seine Schwester.

Als ihre Lippen blau wurden, kam Grandma Kate zum Ufer und holte sie aus dem Wasser. Sie wickelte jeden von ihnen in ein Badetuch und dann gingen sie zurück zum Grandpa und zu Miss Rosy, die in der Zwischenzeit ebenfalls an den Strand gekommen war. Sie hatte eine Kanne mit Kaffee und eine mit Kakao und den Kuchen mitgebracht, und jetzt wollten ihn alle.

Zack aß drei Stücke davon. Er hätte gerne auch noch ein viertes gehabt, aber leider war die Kuchenplatte leer.

„Heute Abend wird gegrillt“, sagte Miss Rosy. „Ich hoffe, du hältst bis dahin durch.“

„Na klar“, antwortete Violet an Zacks Stelle. Nicht dass die Großeltern ihn am Ende für verfressen hielten.

„Was ist das eigentlich da drüben?“ Jack zeigte mit dem Kinn übers Meer. Ein paar Hundert Meter vom Ufer entfernt lag eine kleine runde Insel. Am Strand standen viele bunte Sonnenschirme, unter denen Leute saßen. Andere nahmen ein Sonnenbad oder schwammen im Meer.

„Das ist die Sonneninsel“, sagte Grandpa Anthony. „In den nächsten Tagen können wir gerne mal rüberfahren. Ist aber immer voll dort.“

„Hier bei uns ist es doch viel schöner“, sagte die Grandma.

Danach spielten die Kinder und Hunde am Strand Frisbee. Die beiden Dackel sprangen fast so hoch wie Jack und freuten sich jedes Mal wie verrückt, wenn sie das Frisbee erhaschten. Irgendwann biss Wotan die Scheibe mittendurch, da war das Spiel leider zu Ende. Die Dackel verzogen sich zu den Großeltern auf die Decke und schliefen erschöpft ein. Und Violet und ihre Freunde rannten noch einmal ins Meer.

Es war ein herrlicher Tag.

„Hoffentlich scheint morgen wieder die Sonne“, sagte Jack, als sie alle auf ihren Matratzen lagen.

Violets Grandpa hatte ihnen noch eine Schauergeschichte erzählt, die nicht wirklich schaurig, sondern eher lustig gewesen war, und nun war es dunkel im Zimmer. Durch einen Spalt im Vorhang fiel silbernes Mondlicht in den Raum. In der Ferne hörten sie das Meer rauschen.

„Wenn es regnet, machen wir eben was anderes Tolles“, sagte Violet.

„Wunderbar“, piepste Lady Madonna. Ihr Käfig war mit einem Handtuch abgedeckt, aber offensichtlich schlief sie noch nicht. Vielleicht redete sie auch im Schlaf, das hätte Violet nicht gewundert.

„Danke, dass du uns hierher mitgenommen hast, Violet“, sagte Zack. „Ich kann es kaum erwarten, bis es endlich morgen ist.“

„Olé, olé, olé, olé!“, zwitscherte Lady Madonna. Aber nur ganz leise.

Nach dem Frühstück erlaubten ihnen die Großeltern, allein an den Strand zu gehen. Granny Kate wollte nämlich mit Rosy das Mittagessen vorbereiten und der Grandpa musste in den Garten.

Die beiden Hunde wären gerne mit ans Meer gekommen, aber weil sie so ungezogen waren, ließ Grandpa Anthony sie nicht mit.

Also rannten sie zu dritt los. Wieder bog Jack als Erste um die Felsen und blieb so entsetzt stehen, dass Violet und Zack fast in sie hineingerannt wären.

In der Bucht sah es noch schlimmer aus als gestern. Der Plastikmüll breitete sich vom Wasser bis zu den Felswänden aus, die den Strand begrenzten. Man musste durch den Abfall waten, um ans Meer zu kommen.

Aber auch auf den sanften Wellen dümpelten Plastikteller und Tüten.

„Das kann doch wohl nicht wahr sein!“, sagte Violet.

„So viel Müll in einer einzigen Nacht. Da stimmt doch was nicht“, sagte Zack.

„Schöner Mist“, stellte Jack fest. „Jetzt können wir wieder von vorn anfangen. Ich renn zurück zum Haus und hol ein paar Abfallsäcke.“

„Aber so geht es doch nicht weiter“, sagte Zack. „Wir können ja nicht jeden Tag den Strand aufräumen und am nächsten Morgen sieht es hier wieder so aus.“

„Was schlägst du denn stattdessen vor?“, erkundigte sich Jack. „Im Müll baden?“

„Wir müssen das Problem an der Wurzel packen“, sagte Zack. Als Violet seinem finsteren Blick folgte, sah sie die Sonneninsel, die klein und unschuldig im Meer lag. „Ich bin mir sicher, dass der Dreck von da drüben kommt. Wir müssen den Leuten dort klarmachen, dass sie ihre Sachen nicht einfach ins Wasser schmeißen dürfen.“

„Und wie?“, fragte Violet.

„Keine Ahnung.“ Zack kickte eine Blechbüchse aus dem Weg.

„Wie willst du überhaupt auf die Insel kommen?“, erkundigte sich Jack. „Schwimmen?“

„Nee“, sagte Zack. „Das ist viel zu weit.“

Violet starrte verdrossen auf eine leere Sonnenmilchflasche, die vor ihren Füßen lag. Wie konnte man so was ins Meer werfen? Es war doch absolut klar, dass sich eine Flasche nicht spurlos auflöste, sondern irgendwo wieder ans Land gespült wurde.

„Vielleicht hol ich doch lieber ein paar Müllsäcke“, sagte Jack.

Aber als sie wieder in die Bucht zurückkam, war sie total aufgeregt. Die Großeltern hatten ein Ruderboot, das hatte ihr die Grandma erzählt, als sie ihr die Abfallsäcke gegeben hatte.

„Es liegt in einem Bootsschuppen unten am Meer“, berichtete Jack. „Wir dürfen es auch mal benutzen. Wenn wir Schwimmwesten anziehen und dicht am Ufer bleiben.“

„Hm.“ Zacks Blick wanderte wieder hinüber zur Insel. „Sie hat nicht gesagt, an welchem Ufer, oder?“

Jack schüttelte wortlos den Kopf.

„Ich versteh immer noch nicht, was du dort machen willst“, sagte Violet. „Meinst du, die Leute hören auf uns, wenn wir ihnen sagen, dass sie nichts ins Meer schmeißen dürfen?“

„Warum nicht?“ Zack verschränkte die Hände im Nacken. „Wir sollten es auf jeden Fall probieren.“

„Wir fahren einfach mal rüber“, erklärte seine Schwester. „Ich weiß auch, wo der Schlüssel zum Bootsschuppen ist. Wenn wir gleich starten, sind wir bis zum Mittagessen locker wieder zurück.“