Granny Kate und Grandpa Anthony waren nicht sehr begeistert, als Violet ihnen vorschlug, noch mal rüber zur Insel zu rudern.
„Da drüben ist es doch furchtbar voll und hier in der Bucht sind wir ganz für uns“, sagte die Grandma. „Und jetzt habt ihr auch schon so schön sauber gemacht.“
„Vielleicht wollen die Kinder ja mal ein bisschen Abwechslung“, kam ihnen Miss Rosy zu Hilfe.
„Ein bisschen Abwechslung könnte uns auch nicht schaden“, sagte Grandpa Anthony.
Bevor sie hinunter zum Bootsschuppen gingen, schleppten die Großeltern eine unglaubliche Ausrüstung zusammen: Badetücher, Strandmatten, Sonnensegel, Wasser, Sonnenmilch und Bücher. Es war, als wollten sie für vier Wochen in die Wüste fahren.
Wotan und Jupiter beobachteten alles mit größtem Interesse und waren schwer enttäuscht, als ihnen klar wurde, dass sie nicht mitdurften.
„Auf der Insel sind keine Hunde erlaubt“, sagte Granny Kate, aber das verstanden die Dackel natürlich nicht und heulten herzzerreißend.
Jack ruderte sie alle übers Meer. Als sie ankamen, war es bereits vier Uhr und viele Leute machten sich schon wieder auf den Heimweg, sodass sie einen schönen Platz ganz in der Nähe des Meeres fanden.
Granny Kate legte sich mit behaglichem Seufzen in den Liegestuhl, den der Grandpa für sie aufgestellt hatte. „Ach, hier drüben ist es auch recht schön. Schaut mal, man kann unser Haus sehen. Vielleicht guckt Rosy gerade aus dem Fenster und winkt uns zu.“
Violet und die Zwillinge winkten vorsichtshalber zurück, dann gab der Grandpa ihnen Geld für ein Eis. „Sucht euch was Leckeres aus!“
Die Schlange vor dem Kiosk war leider noch länger als am Morgen. Das mit dem Ausquetschen konnten sie vergessen, Joshua war total im Stress und hatte überhaupt keine Zeit zum Quatschen.
Mit dem Eis in der Hand gingen sie einmal rund um die Insel. Sie war überall total sauber, nirgends lag auch nur ein Fitzelchen Papier oder Plastik herum.
Als sie wieder bei den Großeltern ankamen, unterhielt Granny Kate sich gerade mit einer älteren Frau, die einen pinken Badeanzug mit gelben Tupfen trug.
„Das ist Mrs Fletcher“, stellte die Grandma sie Violet und den Zwillingen vor. „Sie ist die Mama von Joshua, der hier den Kiosk schmeißt.“
„Hallo!“ Mrs Fletcher schüttelte allen dreien die Hand. „Schön, euch kennenzulernen. Ich hab schon viel über dich gehört, Violet.“
„Hallo“, sagte Violet. „Ihr Badeanzug ist toll.“
„Danke.“ Mrs Fletcher strahlte. „Er ist ganz neu.“
„Wir haben gerade bei Ihrem Sohn ein Eis gekauft“, sagte Jack. „Der hat echt viel zu tun.“
Mrs Fletchers Lächeln wurde noch breiter. „Ja, die Leute rennen ihm die Bude ein. Mein Joshua macht das einfach super.“
„Er verdient bestimmt eine Menge Geld“, sagte Zack.
Da wurde Mrs Fletcher schlagartig ernst. „Ach, so einfach ist das leider nicht. Joshua zahlt eine enorme Miete für den Kiosk. Und dann kommen da auch noch die Nebenkosten drauf. Strom, Wasser, Müllgebühren.“
Müllgebühren! Das war ein gutes Stichwort. Die drei Freunde wechselten einen aufgeregten Blick.
Aber bevor einer von ihnen nachhaken konnte, sagte Granny Kate: „Apropos Müllgebühren, drüben in unserer Bucht war in den letzten beiden Tagen alles voller Abfall. Wir haben vier Säcke voller Plastik und Papier in der Garage stehen. Das Zeug wird von hier angeschwemmt, befürchte ich.“
Mrs Fletcher riss die Augen auf. „Was? Nein, das kann nicht sein. Joshua hat doch extra diese Firma beauftragt, die den Müll für ihn entsorgt. Habt ihr ihn schon auf die Sache angesprochen?“
„Ja, heute Morgen“, sagte Jack. „Er kann sich das auch nicht erklären.“
„Vielleicht hat die Müllfirma geschlampt. Falls das Ganze noch mal vorkommt, müsst ihr Joshua sofort Bescheid geben“, sagte Mrs Fletcher. „Dann muss er den Müllmännern auf die Finger klopfen. Die bekommen schließlich genug Geld von ihm.“
„Alles klar.“ Violet nickte. „Doch jetzt gehen wir erst mal schwimmen.“
„Unbedingt!“, rief Mrs Fletcher. „Ich war auch schon im Wasser. Es ist herrlich.“
Im Meer vergaßen Violet und die Zwillinge ganz, dass sie ja eigentlich zum Ausquetschen auf die Insel gekommen waren. Sie lernten nämlich im Handumdrehen ein paar andere Kinder kennen, die auch gerade Urlaub machten. Sie spielten erst einige Runden Wasserball, aber dann wurde das langweilig, weil Jacks Team immer gewann.
Also bauten sie am Strand eine Sandburg und drum herum eine ganze Stadt aus Sand, mit vielen Häusern und einer Kirche und einem Fußballstadion. Violet und Jack hatten gerade mit einem Schwimmbad angefangen, als plötzlich Grandpa Anthony mitten auf ihrer Baustelle stand.
„Ich störe nur sehr ungern“, sagte er, „aber ich befürchte, wir müssen langsam mal nach Hause.“
„Was, jetzt schon?“, fragte Violet entgeistert. „Wir sind doch gerade erst angekommen.“
„Na ja, vor zweieinhalb Stunden, um genau zu sein“, sagte ihr Grandpa. „Miss Rosy wartet bestimmt schon mit dem Abendessen auf uns.“
„Wir müssen doch erst noch …“ Joshua ausquetschen, hätte Violet fast gesagt, im letzten Moment schluckte sie die beiden Worte hinunter.
„… das Schwimmbad zu Ende bauen“, beendete Jack geistesgegenwärtig ihren Satz.
„Ja, ja, das könnt ihr gerne noch machen. Kate und ich packen in der Zwischenzeit unseren Krempel zusammen. Wir würden dann in einer halben Stunde aufbrechen.“
„Eine halbe Stunde“, wiederholte Violet. „Das ist super.“
„Jetzt aber schnell!“, flüsterte sie Jack zu, als ihr Grandpa wieder in Richtung Grandma verschwunden war.
Sie gaben Zack Bescheid und rannten zusammen zu Joshuas Büdchen. Der Strand hatte sich inzwischen merklich geleert, es war nur noch eine Handvoll Leute da, die meisten packten auch gerade ihre Sachen ein.
Vor dem Kiosk war keine Schlange mehr.
Er war nämlich zu.
„Feierabend.“ Zack deutete auf das Schild, das neben dem geschlossenen Fensterladen hing. „Um halb sieben ist hier Schluss.“
„Verflixter Dackelköttel!“, schimpfte Jack. „Wir haben ihn verpasst.“
„Er ist bestimmt noch nicht weg“, sagte Violet. „Heute Morgen hat er doch gesagt, dass er jeden Abend die Insel aufräumt.“
„Dann teilen wir uns am besten auf und suchen ihn!“, rief Jack.
Jack rannte nach links, Zack nach rechts und Violet nahm sich das hintere Drittel der Insel vor. Hier standen große Nadelbäume, unter denen es schön schattig war. Violet, die nur ihren Bikini trug, begann zu frösteln.
Sie überlegte gerade, ob sie wieder zurück sollte, als sie das Motorboot sah, das unten am Bootsanleger auf den Wellen schaukelte. Zwei Männer sprangen von Deck an Land. Einer von ihnen war sehr dick und über und über tätowiert. Der andere war sehr lang und dünn. Die beiden holten Zigaretten raus und begannen zu rauchen.
Violet nutzte die Baumstämme als Deckung, während sie näher an die Typen heranschlich. Nun konnte sie auch lesen, was in Großbuchstaben auf der Seite des Bootes stand: ZERO. Wir kümmern uns um Ihren Dreck!
Sie fragte sich, ob sie Jack und Zack holen sollte. Aber bis sie ihre Freunde gefunden hätte, wären die Zero-Männer vielleicht schon wieder abgefahren. Und sie wollte sie sich unbedingt genauer anschauen.
Inzwischen war sie schon ganz nah am Steg und nun tauchte auch Joshua auf. Er kam den Weg herunter und schleppte dabei zwei große Müllsäcke.
Als er den Bootsanleger erreicht hatte, ließ er sie keuchend fallen. Daneben lagen schon acht weitere große Säcke, bemerkte Violet jetzt.
„So“, sagte Joshua. „Das waren die letzten.“
„Das wird ja jeden Tag mehr Müll.“ Der Dicke ließ seine Kippe fallen und trat sie mit der Fußspitze aus. Joshua bückte sich wortlos und warf sie in einen der Müllsäcke.
Violet schlich noch einen Schritt näher an die drei heran. Leider trat sie dabei auf einen morschen Ast, der mit lautem Knacken unter ihrem Fuß zerbrach.
Joshua fuhr herum und blickte genau in ihre Richtung. Sie presste sich erschrocken an den Baumstamm. Hatte er sie bemerkt? Hoffentlich nicht!
Zum Glück wandte er sich wieder den beiden Männern zu und räusperte sich.
„Es gab übrigens Beschwerden“, sagte er.
„Was denn für Beschwerden?“ Nun trat auch der Lange, Dünne seine Zigarette aus. Joshua bückte sich wieder und hob sie auf.
„In der Bucht da drüben wurde eine Menge Müll angeschwemmt. Das Zeug kam hier von der Insel“, erklärte er dann.
„Was soll das heißen?“ Der Dünne ging ganz nah an Joshua heran. „Willst du etwa andeuten, dass wir unsere Arbeit nicht ordentlich machen?“ Er war einen Kopf größer als Joshua. Als dieser antwortete, klang seine Stimme ziemlich nervös.
„Natürlich nicht. Ich wollte es euch nur mitteilen. Vielleicht ist euch einer der Säcke … äh … beim Abtransport ins Meer gefallen. Könnte doch sein.“
„Was?“ Der Dicke stemmte wütend die Arme in die Seiten. „Glaubst du, wir sind Idioten, oder was? Die Müllsäcke werden an Bord ordentlich verstaut und festgebunden. Da geht nichts verloren.“
„Ganz sicher?“, fragte Joshua und fuhr sich nervös durch die Haare.
„Ganz sicher“, erklärten beide Müllmänner gleichzeitig.
„Wir sind Profis“, fuhr der Dicke fort. „Aber wenn du uns nicht traust, kannst du gern jemand anderes anheuern, der deinen Müll abholt.“
„Es gibt ja keine andere Firma“, sagte Joshua verdrossen.
„Na siehste. Dann laber auch keinen Blödsinn.“
Die beiden Typen begannen, die Müllsäcke in ihr Boot zu laden. Joshua ging mit gesenktem Kopf zurück zum Büdchen.
Violet presste sich noch enger an den Stamm, aber zum Glück guckte er nicht in ihre Richtung.
Violet brannte darauf, Jack und Zack von der Unterhaltung zu berichten, aber sie kam erst mal nicht dazu. Nach dem Abendessen spielten sie mit den Großeltern und Miss Rosy zwei Runden Mensch ärgere dich nicht und danach guckten sie noch einen Film. Erst als sie zum Zähneputzen nach oben gingen, konnte sie alles erzählen.
„Die Sache ist ja wohl klar“, schloss sie ihren Bericht. „Die Typen haben ordentlich Dreck am Stecken!“
„Das glaube ich auch“, sagte Jack.
„Wüscho-flaub-ihr-as?“, fragte Zack, der den Mund voll Zahnpastaschaum hatte.
„Was?“, sagte Violet.
Zack spuckte die Zahnpasta ins Waschbecken. „Wieso glaubt ihr das?“
„Du hättest die Typen mal sehen sollen“, sagte Violet. „Die waren total verdächtig. Und Joshua hatte Angst vor ihnen.“
„Aha“, sagte Zack. „Und jetzt?“
„Warten wir ab“, sagte Jack. „Die Typen wissen nun, dass Joshua Verdacht geschöpft hat. Vielleicht reicht das und sie hören auf.“
„Das werden wir ja sehen.“ Zack stellte seine Zahnbürste in den Zahnputzbecher. „Hoffen wir mal, dass die Bucht morgen sauber ist.“
Und genauso war es auch: Am nächsten Morgen lag kein bisschen Müll in der Bucht. Und am übernächsten auch nicht. Die ZERO-Männer hatten offensichtlich kalte Füße bekommen und kippten keinen Müll mehr über Bord.
Wenn es nicht regnete, verbrachten Violet und die Zwillinge die Zeit am Strand. Sie schwammen und tauchten und spielten oder lasen. Am dritten Tag machten sie mit den Großeltern einen Ausflug in den Aquazoo. Gleich nach dem Frühstück ging es los und sie kamen erst am Abend zurück.
Als sie erschöpft auf ihre Matratzen plumpsten, waren sie sehr zufrieden und ein klein wenig traurig. Die Hälfte ihres Urlaubs war nämlich schon vorbei.
„Ich hab noch keine einzige Matheaufgabe gemacht“, flüsterte Jack, nachdem Granny Kate ihnen einen Gutenachtkuss gegeben und das Licht ausgeknipst hatte.
Violet dachte mit schlechtem Gewissen an die Liste mit den Sonderbaren Gräsern, auf die sie ebenfalls noch keinen Blick geworfen hatte.
„Morgen müssen wir ein bisschen lernen“, flüsterte sie zurück.
Aber dazu kam es nicht, weil am nächsten Tag nämlich lauter schlimme Sachen passierten.