Jörg, der Zwerg, hat mir aufgelauert. Ich habe ihn weder gesehen noch gehört. Ich hatte die Kapuze auf, der Regen hat drauf geprasselt, und außerdem war ich zu spät. Während ich das Rad am Fahrradständer angeschlossen habe, hat er an meinem Ranzen gezerrt und mich zu Boden gerissen. Jetzt klebt er auf meiner Brust wie ein Oktopus. Er packt meinen rechten Arm, biegt ihn mit seinem ganzen Gewicht auf den nassen Asphalt und drückt sein Knie hinein. Direkt in den Knochen. Dann bekommt er meinen linken Arm zu fassen und kniet sich mit dem anderen Bein darauf. Kaum sind seine Hände wieder frei, bohrt er sie in meinen Hals, und zwar dort, wo es lebensgefährlich ist.
»Wenn du mich noch mal schneidest, mach ich dich fertig.«
»Wenn ich was mache?«
»Mich schneidest.«
»Habe ich nicht. Ich hab gar kein Messer.«
»Mit dem Fahrrad, du Arsch. Du hast mich mit dem Fahrrad geschnitten.«
»Wann?«
»Gestern.«
Gestern war ich auch zu spät. Kurz vorm Fahrradständer habe ich Jörg überholt. Vielleicht bin ich ihm dabei ein bisschen zu nahe gekommen. Jörg ist klein. Sein Fahrrad ist auch klein. Kleine Fahrräder fallen leichter um als große. Das ist pure Physik. Und ich kann mir Ärger mit Herrn Stahnke nicht erlauben, also habe ich mich nicht weiter gekümmert. Ich bin in die Klasse gerannt und habe es gerade noch geschafft, bevor Herr Stahnke um Punkt acht die Tür zugeknallt hat. Natürlich ist mir aufgefallen, dass Jörg, als er sich fünf Minuten später ohne Entschuldigung auf seinen Platz gesetzt und einen Eintrag ins Klassenbuch bekommen hat, verdreckt war, aber ich hatte die Sache am Fahrradständer schon wieder vergessen und mich nur gefragt, was er wohl damit bezweckt, so abgeranzt in die Schule zu kommen. Immerhin sind wir ein musisches Gymnasium und nicht der Jugendknast.
»Wieso wehrst du dich nicht?«
»Wie? Ich kann mich nicht bewegen.«
Jörg denkt nach. Ziemlich lange. Mit besseren Ohren könnte man hören, wie sich seine Gehirnzellen knisternd miteinander verbinden. Er lässt meinen Hals los, rutscht mit den Knien von meinen Armen, hält sie aber weiterhin an den Handgelenken fest. Seine Oktopustentakel saugen an meiner Haut. Ich winde mich unter ihm, er schwankt auf mir auf und ab.
»Mach doch mal was.«
»Mehr geht nicht.«
»Wie, mehr geht nicht?«
»Du hältst meine Arme fest.«
Jörg denkt wieder nach. Dann lässt er meine Handgelenke los. Ich tue nichts. Ich erinnere mich an den gekreuzigten Jesus. Jörg ballt seine Faust vor meinem Gesicht. Sein Atem riecht, als hätte er in eine Wiese gebissen. »Bist du schwul, oder was?«
Er ist es nicht wert, dass ich lüge. »Ja«, sage ich, »bin ich.« Dann schreie ich: »Ja! Ich bin schwul, du Zwerg! Wer hätte das gedacht! Und jetzt geh runter von mir, sonst wird mein Ding hart.«
Jörgs Gehirnzellen brauchen, bis sie ihm knisternd nahelegen, von mir runterzurutschen. Er hockt sich neben mich und starrt mich entgeistert an. Dann sieht er sich um, ob uns jemand gesehen hat.
Ich stehe auf und putze, ohne Jörg weiter zu beachten, meine Kleidung ab. Alles ist nass. Meine Knochen tun weh. Mein linker Schenkel pocht, mein rechter Handballen blutet. Am Ärmel meines Regenmantels entdecke ich einen Riss, zum Glück zu klein, um meiner Mutter aufzufallen. Meine Hose ist intakt, aber völlig verdreckt. Ich lecke das Blut vom Handballen, hinke zu meinem Rad, öffne das Schloss, steige auf und fahre davon, eiernd, quer über den Schulhof, an den Autos der Lehrerinnen und Lehrer vorbei, durchs Schultor, auf die Straße. Ich nehme den Weg hinterm Kiosk, um zum Park abzukürzen, dort muss ich über die Brücke und anschließend am Kanal entlang nach Hause, wo ich in meinem Zimmer ein paar Sachen für Australien einpacken werde, um niemals, niemals, niemals zurückzukommen.
Im Park wird mir bewusst, was ich getan habe. Ich habe mich verraten, bald weiß es die ganze Welt. Jörg wird es weitererzählen. In der Klasse werden es jetzt alle wissen, dann in der Parallelklasse, dann alle in der Schule. Meine Eltern werden es erfahren, der Hockeyclub meines Vaters, meine Oma Koblenz. In den abwaschbaren Fluren der Hochhausgebirge wird man es sich zurufen. Es wird in meinen Akten stehen, Jörgs Vater ist Polizist. Dem dürren Bademeister wird es vielleicht egal sein, aber der Regierung nicht. Sie wird von nun an ein Auge auf mich haben. Axel wird es wissen.
Ich fange an zu heulen und muss absteigen, weil ich nichts mehr sehen kann. Mein schönes Leben ist vorbei. Ich werde ein Quastenmann sein, so einer wie der neulich in der U-Bahn. Ich werde keinen Schlips tragen, sondern ein Seidentuch um den Hals. An meinen Fingern werden goldene Ringe funkeln, in meiner Jacketttasche wird ein Taschentuch stecken, dreieckig, aber nur zur Zierde. Und ich werde Schuhe mit Lederquasten tragen. Ich werde auf die Jungs starren, die sich mit beiden Händen an die Halteschlaufen hängen, so dass man ihre Bauchnabel sieht. Und dabei lächeln. Ich hing neulich nicht an den Halteschlaufen, sondern saß auf der Bank gegenüber, den Geigenkasten zwischen den Knien. Der Quastenmann hat mir ein Sahnekaramell angeboten, das ich abgelehnt habe, und mich gefragt, wo es denn hingehen solle, ach, wie schön, klassische Musik, wie alt ich denn sei, vierzehn, welch herrliches Alter, man stehe an der Schwelle zum Erwachsensein, und alles sei noch möglich, und überhaupt sei es ihm eine wahre Freude, sich mit mir zu unterhalten. Zum Glück musste ich raus, weil die nächste Station die von Herrn Böhler war. So einer werde ich sein, ein Quastenmann, ein Mitschnacker, vor dem man die Kinder warnt, ein Sabberbaron, und am Ende werde ich alt sein und arm und allein und Schnaps aus einem leeren Senfglas trinken. Oder ich komme vorher ins Gefängnis.
Mein Vater ist bei der Arbeit, meine Mutter beim Friseur, meine Schwester in der Schule. Ich spritze den Regenmantel mit dem Gartenschlauch ab. Dann gehe ich in den Keller, ziehe mich aus und stopfe meine Kleidung in die Waschmaschine. Ich schütte Waschpulver in sämtliche Fächer, kippe Weichspüler hinterher, wähle 90° mit Vorwäsche und starte das Gerät. Es soll alles rausgewaschen werden. Der Oktopusschleim, den Jörg auf mir hinterlassen hat, der Dreck vom nassen Schulhof, das Blut, das von meinem Handballen getropft ist, die Tränen und die Rotze und die Erinnerung an ein Sahnekaramell. Ich gehe hoch ins Bad und lasse Wasser in die Wanne laufen. Während ich warte, dass sie voll wird, gehe ich ins Wohnzimmer und den Flur und drehe mich dort jeweils einmal um mich selbst. Nackt geht das nur, wenn ich allein bin. Oben im Schlafzimmer meiner Eltern schließe ich die Augen, um mich nicht in der zimmerbreiten Spiegelschrankwand sehen zu müssen. Zurück im Bad, drehe ich das Wasser ab, prüfe die Temperatur, es ist heiß, extrem heiß, aber nur so werde ich wirklich sauber. Ich kippe eine Flasche Badezusatz aus, der Schaum soll mich verschlucken. Dann steige ich in die Wanne. Meine Füße brennen, mein Arsch brennt, mein Rücken, mein Bauch, meine Brust. Ich gleite tiefer ins Wasser, bis zum Hals. Ich bekomme kaum noch Luft. Nachdem ich mich etwas an die Hitze gewöhnt habe, atme ich tief ein und tauche unter. Jetzt brennt auch mein Gesicht. Ich wünschte, ich wäre ein Fisch. Auf meiner Haut würden Schuppen wachsen und Schwimmhäute zwischen meinen Fingern. Meine Atmung würde sich umstellen, ein Kiemenpaar würde rot aufklaffen, dort, wo es lebensgefährlich ist. Als ich aus der Wanne steige, ist mir schwindelig. An Land komme ich nicht mehr klar. Ich kauere mich auf den Badezimmerteppich, sehe ein paar Blitze über meine Netzhaut zucken, falle auf die Seite und werde blind wie ein Fisch, der gerade stirbt, mit starren Augen.
Zum Glück stehe ich auf, bevor meine Mutter vom Friseur wieder da ist. Ich ziehe frische Kleidung und den Regenmantel an und mache mich auf den Weg zurück Richtung Schule. Weil es immer noch regnet, nehme ich die U-Bahn. Kurz vor Ende der letzten Stunde komme ich an und verstecke mich hinterm Kiosk im Gebüsch. Ich muss Axel erwischen. Vielleicht glaubt er mir mehr als einem Zwerg auf einem Zwergenfahrrad.
Die meisten sind schon raus, als er mit Dorothea und Rüdiger über den Vorplatz zum U-Bahnhof läuft. Dorothea hinkt, sie trägt immer noch einen Verband. Am Automaten sucht Axel in seinen Taschen nach Geld, Rüdiger und Dorothea haben wahrscheinlich Monatskarten, sie gehen vor. Ich rufe mit dünner Stimme: »Hallo.« Axel sieht sich um. »Hier vorne. Hinterm Kiosk. Im Gebüsch.« Meine Stimme ist so dünn, dass sie sich überschlägt. »Guck nicht her.«
Axel stellt sich wie zufällig neben den Kiosk und sieht halb in die Landschaft. »Was machst du da?«
»Mich verstecken.«
»Und warum?«
»Weil ich geschwänzt habe.«
»Jetzt ist aber sowieso aus.«
»Ich weiß.« Axel pflückt sich eine Beere vom Busch. »Pass auf, die sind vielleicht giftig.«
»Ich esse zur Tarnung«, sagt Axel.
»Ach so«, sage ich.
»Man sieht dich übrigens. Dein Regenmantel ist gelb.«
»Wirklich?«, frage ich.
»Auf jeden Fall«, sagt Axel.
Ich komme hinter dem Kiosk hervor.
»Die sind nicht giftig. Das sind Johannisbeeren.«
»Johannisbeeren sind aber rot.«
»Das sind Schwarze Johannisbeeren. Manchmal sind die auch im Joghurt.«
Ich glaube, dass sich Axel irrt. Aber die Lebensmittelindustrie lügt ja am laufenden Band.
»Warum hast du denn geschwänzt?«
»Ich hatte was zu erledigen.«
»Und fährst du jetzt nach Hause?«
»Wieso?«, frage ich.
»Wir könnten rumfahren.«
»Und wohin?«
»Einfach so.«
Die anderen sind schon weg, als die nächste U-Bahn einfährt. Im Waggon sitzen Zeitungsleser, eine Dame blättert in einem Buch, dessen Umschlag sich mit einem Reißverschluss verschließen lässt. Wir setzen uns ans andere Ende.
»Wir hatten in Musik Vertretung, Herrn Rademann.«
»Wer ist das?«
»Der Referendar. Der Student. Der mit dem Bart.«
»Den die Mädchen heimlich Martin nennen?«
»Ja. Die sind in den verliebt. Er sieht aber auch ziemlich gut aus.«
»Na ja«, sage ich und denke, unter dem Bart vielleicht und dass ich bisher noch nie darüber nachgedacht habe, ob erwachsene Männer gut aussehen.
»Es ging um Flöten. Wo die herkommen und wie die gebaut sind. Wusstest du, dass es Querflöten aus Holz gibt?«
»Ja«, sage ich. Das Blut auf meinem Handballen ist geronnen. Es sieht wie Rost aus, der sich durch die Haut frisst.
»Aus Ebenholz. Du hast was verpasst. Herr Rademann hat uns auf Platte ein paar Flötenstellen von Supertramp vorgespielt. Danach waren die Mädchen wahrscheinlich noch verliebter in ihn.«
»Erwachsene Männer sehen einfach nur alt aus«, sage ich.
»Herr Rademann ist aber nicht alt. Er ist Student. Wusstest du, dass es in Holland besonders viele Panflötenspieler gibt? Die sind da aber aus Peru.«
Bei der nächsten Haltestelle steigen wir um. Wir beschließen, die U-Bahnen nach der Farbe ihrer Linie auszuwählen. Wir fangen bei der gelben am gegenüberliegenden Bahnsteig an. Ich frage, was sonst noch in der Schule passiert ist.
»Nichts. Andi hat schon wieder die Plätze getauscht. Diesmal mit Sven. Er sitzt jetzt hinten in der letzten Reihe.«
»Und Jörg?« Ich schiebe meine rostigen Hände unter die Schenkel.
»Wer?«
»Der Zwerg.«
»Was ist mit dem?«
»Hat er irgendwas gesagt?«
»Keine Ahnung. Ich kenn den nicht.«
»Wirklich nicht?«
»Ich bin ja noch nicht so lange in der Klasse.«
»Ich meine, hat der wirklich nichts gesagt?«
»Nein.«
»Hast du gewusst, dass sein Vater bei der Polizei ist?«
»Nein.«
»Verkehrspolizei.«
»Das sind keine richtigen Polizisten.«
»Er war aber mal im Fernsehen.«
»Warum?«
»Er arbeitet als Verkehrskasper.«
»Und damit kommt man ins Fernsehen?«
»Ins dritte Programm.«
Wir steigen um. Die U-Bahn der roten Linie steht bereits am Gleis. Die Plätze im Waggon, in den wir einsteigen, sind mit Bauarbeitern belegt. Sie sind betrunken. »Guck nicht so eingebildet, du Sackpfeife. Keine Chance für Klassensprecher«, sagt einer zu mir. Axel und ich setzen uns zu zweit auf einen Platz.
»Was soll Jörg denn sagen?«
»Nichts«, sage ich und erzähle von einer Aufführung des Verkehrskaspers an unserer Schule. Die uniformierte Kasperlepuppe von Jörgs Vater ist mit einem Schlagstock durch die Gegend gelaufen, die dumme Seppelpuppe seines Kollegen kannte die Verkehrsregeln nicht und hat auf den Kopf gehauen bekommen. Es war extrem bescheuert. Nach dem Stück ist auf dem Schulhof eine Übungsstraße aufgebaut worden. Schüler auf Fahrrädern haben die Autofahrer darstellen müssen, Schüler zu Fuß die Fußgänger. Bei jedem Fehler hat Jörgs Vater »Regelverstoß« gerufen und zum Spaß gedroht, die Schüler zu verhaften.
Vielleicht weiß es die Welt doch noch nicht. Die Regierung, der Hockeyclub, meine Klasse. Vielleicht wissen es nur meine Schwester und meine Mutter, die es ahnt, Frau Walther und jetzt der Zwerg. Vielleicht weiß auch Axel nicht, dass ich schwul bin, und vielleicht ist das auch gut so. Aber ich hätte gerne gewusst, ob er mein Freund bleiben würde, wenn er es wüsste. Ich sehe auf den Plan des Liniennetzes, der an der Rückwand des Waggons hängt. »Wir können Grün nehmen, Braun oder ein dunkles Lila.«
»Kommst du mit zum Friedhof?«
Axels Mutter liegt auf Grabfeld 07 im Bereich 403 unter einem sehr hohen Baum. Am Rand der Anlage ist eine Übersicht angebracht. Ihr Grab ist das vorletzte in einer Reihe von acht Gräbern. Die Blumen, die sich darauf türmen, sind verwelkt. Eine Trauerkranzschleife wünscht für die letzte Reise eine Handbreit Wasser unterm Kiel. Zwischen den Blumen steht ein leerer Teller. Er hat den gleichen braunen Rand wie die Teller, von denen wir bei Axel Brot mit Zervelatwurst gegessen haben. Wir stehen vor dem Grab, und ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich kenne keine Toten, die auf Friedhöfen liegen. Meine Oma Konstanz, die Mutter meiner Mutter, ist zwar seit einigen Jahren tot, ihre Asche wurde aber auf dem Bodensee verstreut. Wir können sie nicht besuchen. Wir können nur eine Kerze anzünden.
»Mein Vater möchte, dass ich hier aufräume. Die Beerdigung ist schon ein bisschen her.«
»Soll ich dir helfen?«, frage ich.
»Wenn du möchtest«, sagt Axel.
Zwischen den Grabfeldern befindet sich ein großer Gitterkorb für Pflanzenabfälle. Dort werfen wir die verblühten Blumen hinein. Wir müssen dreimal gehen. Zuletzt nimmt Axel den Trauerkranz vom Grab.
»Macht es dir wirklich nichts aus?«, fragt er.
»Nein«, sage ich. »Wirklich nicht.«
Axel wirft den Kranz in den Korb und lehnt sich aufs Gitter. »Der ist von meinem Onkel. Dem Bruder meiner Mutter. Der ist früher mal zur See gefahren, auf einem Passagierschiff, in der Wäscherei. Deswegen kann er auch Chinesisch. Aber dann hat er sich an der Heißmangel verletzt.«
»Verbrannt?«
»Nein. Mit der Hand ins Getriebe gekommen.«
Als wir mit dem Aufräumen fertig sind, ist das Grab nur noch ein Erdhaufen, auf dem ein leerer Teller steht.
»Wieso habt ihr keinen Grabstein?«
»Der kommt noch. Das muss erst vollständig absacken.«
Obwohl ich nicht danach frage, erklärt mir Axel, dass sich die Erde auf der Grabstelle durch Regen und Kälte so lange verdichtet, bis sie irgendwann einsinkt. Dabei könne sogar eine Mulde entstehen. Das dauere aber einige Zeit. Er nimmt den Teller vom Grab und flüstert etwas, was ich nicht verstehen kann. Schließlich setzen wir uns an einem der Hauptwege auf eine Bank und betrachten die Krone des sehr hohen Baumes.
»Als wir das letzte Mal hier waren, haben wir Kuchen gegessen. Mein Vater und ich. Den Lieblingskuchen meiner Mutter. Wir haben ein bisschen übriggelassen für die Eichhörnchen. Vielleicht hat das aber auch ein Marder gefressen.«
»Was war denn ihr Lieblingskuchen?«
»Biskuitrolle«, sagt Axel. Er lächelt. »Ich hasse Biskuitrolle.«
»Ich auch«, sage ich, obwohl ich nicht weiß, was das ist. Ich nehme an, das ist einer dieser Kuchen, die schon beim ersten Bissen den Mund verstopfen.
»Wir haben so getan, als wären wir zu Hause.«
»In eurer alten Wohnung?«
»Ja. Jetzt will er aber nicht mehr herkommen.« Axel entdeckt das geronnene Blut auf meinem Handballen. »Ist das von hier?«
»Nein«, sage ich. »Ich bin vom Rad gefallen. Nicht so schlimm.«
»Das sieht irgendwie verrostet aus«, sagt Axel und fährt mit dem Finger über die Verletzung.
Ein Eichhörnchen flitzt über den Weg. Als es uns bemerkt, erstarrt es für einen Moment, dann flitzt es weiter und klettert in rasender Geschwindigkeit den sehr hohen Baum hoch.
»Meine Mutter ist im Winter krank geworden. Im Winter hat sie meine Mütze immer an einen Extrahaken gehängt. Ein Haken nur für die Mütze. Nichts sonst durfte da hängen. Das ging dann in dem Winter aber nicht mehr.«
Ich sage nichts, weil ich weiß, dass ich nicht muss.
Axel holt aus. Er wirft den Teller wie einen Diskus, verfehlt den Gitterkorb aber um einige Meter. Der Teller zerspringt. »In der neuen Wohnung haben wir sowieso nicht genug Haken.«