7.
Es war dann doch keine Gardine. Es war schlimmer.
Laura hatte irgendwo einen violetten Paillettenrock aufgetrieben und ihn mit ihrem giftgrünen Tanktop kombiniert. Dazu trug sie rote Pumps.
»Von meiner Mutter«, sagte sie. »Die Schuhe, meine ich. Sie hat sie mal für ein Date gekauft und der Typ hat sie versetzt. Gutes Omen für heute Abend, oder? – Wow! Du hast dich aber in Schale geworfen!«
Coralie hatte nach der Trainingsstunde mit Wanda den Jazz Dance geschwänzt und den Rest des Nachmittags vor ihrem Kleiderschrank verbracht. Sie hatte ihn komplett ausgeräumt, so ziemlich jedes Kleidungsstück mit jedem Kleidungsstück kombiniert und war schließlich zur ersten, als zu langweilig verworfenen Version ihres Konfirmandenkostüms zurückgekehrt. Es war das Spießigste, was sie hatte. Vielleicht weil sie die Vorahnung gehabt hatte, dass Lauras Geschmack so etwas wie einen Downer brauchte – ähnlich, wie man zu heißes Badewasser mit kaltem mischen oder versalzene Suppen mit Kartoffeln binden musste. Sie trug quasi die Kartoffelversion eines Outfits. Als einziges Upgrade hatte sie das Top unter dem Blazer weggelassen und nestelte nun ständig am obersten Knopf herum, weil sie das Gefühl hatte, jeder könnte ihr bis zum Bauchnabel in den Ausschnitt starren.
Cremefarbenes Spitzenkostüm mit knielangem Rock neben einer explodierten Silvesterrakete.
Die Leute am S-Bahnhof Grunewald starrten sie an, als hätte jemand aus Versehen im Juli ein Knallbonbon zerrissen und heraus wären diese beiden Gestalten gefallen. Laura hatte außerdem ihr Manga-Make-up aufgelegt: japanischer Lidstrich, rosige Wangen, winzig kleiner kirschroter Mund. Ihre dunklen Haare hatte sie sich zu einem Pferdeschwanz über ihrem rechten Ohr gezwirnt. Passend zu violettem Rock und giftgrünem Top trug sie knallgelben Nagellack.
Coralie grinste. »Die werden in Schockstarre fallen, wenn sie dich sehen.«
»Und bei deinem Anblick in einen tiefen traumlosen Schlaf. Wir ergänzen uns wieder mal wie eineiige Zwillinge. Das Buffet gehört somit uns.«
Lachend umarmten sie sich. Wenn es jemanden auf der Welt gab, den Coralie selbst noch in zusammengeklebten blauen Müllsäcken wunderschön gefunden hätte, dann war es Laura. Ihre schwarzen Augen blitzten, die Lachgrübchen in ihren Wangen gaben ihrem Gesicht die Süße einer Porzellanpuppe.
»Hey, Ladys!« Der vergessene Informatik-Student erwartete sie schon am Ausgang des S-Bahnhofs. »Wow! Die eine rockt, die andere chillt. Ich kann mich gar nicht entscheiden!«
Dazu spielte er ein paar Takte von Pinks Get this party started.
»Wer ist denn dieser Clown?«, fragte Laura und sah sich genau in dem Moment nach ihm um, als sie über die Stufen hinaus zum Vorplatz stolperte. Coralie konnte sie gerade noch festhalten. Das war der Nachteil von knallroten Pumps und der Vorteil von flachen Loafern.
Den Weg Richtung Hagenstraße begleitete sie Macy Grays I try. Zumindest so lange, bis die schrägen Töne vom Verkehrslärm und den Häuserwänden verschluckt wurden.
I try to say goodbye and I choke
Try to walk away and I stumble
Though I try to hide it, it’s clear
My world crumbles when you are not here …
Kichernd bogen sie in den Tannenweg ein. Jetzt parkten hier wesentlich mehr Autos als in den frühen Morgenstunden. Schon von Weitem echote ihnen eine von Musik unterlegte Lautsprecheransage entgegen, unterbrochen von Applaus und Gelächter. Lauras Augen wanderten über die Häuser, die Villen, die schlossähnlichen Herrschaftssitze, und immer wieder wies sie auf ein besonderes Detail: Wasserspeier, Holzbalkone, Türme, Erker, Gartenpavillone.
»Ist das hübsch!«
Sie passierten Astas verwunschenes Grundstück mit den wild wuchernden Rosenbüschen. Der Duft vermischte sich mit dem der Lindenblüten und der Hitze eines ausklingenden Sommertages.
Laura blieb stehen. »Das passt gar nicht hierher.« Sie sah sich um. »Alles ist so … reich. Und das hier ist einfach nur gemütlich.«
Die Haustür öffnete sich. Heraus trat – Mary Poppins. Sie hielt einen zerknitterten Stoffschirm in die Luft, dessen beste Tage schon lange zurückliegen mussten, und warf einen prüfenden Blick in den dunkelblauen Abendhimmel.
»Asta!« Coralie winkte.
Die alte Frau lächelte ihr zu, schloss den Schirm und eilte, so schnell es mit ihrem knöchellangen Rock möglich war, die Stufen und den buckligen Weg hinunter zum Gartentor. »Guten Abend. Seid ihr auch auf dem Weg zu den Rumers?«
Coralie nickte. »Das ist meine Freundin Laura.«
Asta musterte das Mädchen von oben bis unten. Laura musterte Asta von oben bis unten. Asta trug einen riesigen Schlapphut, Spitzenhandschuhe und statt des Kimonos etwas, das aussah wie aus dem Fundus einer georgischen Theatertruppe: Fransen, Blumen, Häkelborten. Wie auf Kommando lächelten beide sich an. Coralie hatte das Gefühl, dass sich in diesem Moment zwei verwandte Seelen gefunden hatten.
»Ich bin Asta Sander.«
»Guten Abend, Frau Sander«, sagte Laura brav.
»Asta«. Die alte Dame lächelte. »Die Rumers und ich sind Nachbarn seit … seit ein paar Jahren. Nun los. Wir wollen doch das Beste nicht verpassen!«
Wieder brandete Beifall auf, eine mörderische Rückkoppelung geisterte über die Dächer. Beide Seitenstreifen vor dem Haus der Rumers waren zugeparkt. Von der Hagenstraße kamen weitere Gäste, die Party schien schon längst in vollem Gang.
Während sie auf das weit geöffnete Rolltor von Nummer 9 zuliefen, fragte Coralie: »Was ist denn das Beste?«
»Das werde ich euch doch jetzt nicht verraten!« Asta eilte voraus und begrüßte einen Wachmann in Uniform mit hoheitsvollem Nicken.
Doch der stellte sich ihr in den Weg. »Guten Abend. Ihr Name?«
Die alte Dame blieb verwundert stehen. »Warum wollen Sie das wissen, junger Mann?«
»Weil Sie auf der Gästeliste stehen müssen, damit ich Sie hereinlassen kann.«
»Oh. Das ist neu. Nun. Sehen Sie, wir sind Nachbarn und ich war bisher jedes Jahr eingeladen.«
»Ihr Name.«
»Sander«, sagte sie hoheitsvoll. »Asta Sander.«
Der Mann sprach den Namen in ein winziges Mikrofon, das an seinem Kragen heftete. Erst jetzt bemerkte Coralie auch den Ohrstöpsel. Durch den schien gerade das Okay zu kommen, denn der bullige Zerberus nickte und machte eine höfliche Geste mit dem Arm, was wohl hieß: Asta durfte durch.
»Und ihr beiden?«, brummte er.
»Ich … ähm … Coralie. Und das ist Laura.«
Der Mann brummte die beiden Namen in seinen Kragen und schüttelte seinen Kopf.
»Ihr steht nicht auf der Liste. Tut mir leid.«
»Aber David hat mich heute Morgen persönlich eingeladen! Coralie. Coralie Mansur.«
»Mansur«, bellte der Mann in sein Mikrofon und schüttelte wieder den Kopf.
»Oh shit.« Coralie wandte sich an Laura, die gerade dabei war, ihr zuckersüßes Lächeln beim Anblick des Wachmannes zu Eis gefrieren zu lassen. »Ich glaube, er kennt meinen ganzen Namen nicht.«
»Was?«, zischte Laura. »Er lädt dich ein, weiß nicht, wie du heißt, und schafft es noch nicht mal, seinen Wachleuten Bescheid zu sagen?«
Jemand drängte sich unsanft zwischen den beiden durch.
»Darf ich? – Jasmin Karner. Ich stehe ganz oben.«
Nicht nur der Name, auch die ganze Gestalt ließ Coralie zusammenfahren. Jasmin. Die ziemlich derangierte Schönheit, die David gestern nach Hause gefahren hatte. Schon damals war es Coralie ein Rätsel gewesen, wie jemand in diesem Zustand noch so umwerfend aussehen konnte. Aber das war noch gar nichts im Vergleich zu dem Auftritt, mit dem Jasmin jetzt die Einfahrt und den Weg hinauf ins Haus zu ihrem ganz persönlichen Laufsteg machte.
Sie trug ein hautenges, gold glitzerndes Kleid mit einem so tiefen Rückenausschnitt, dass der Blick, ob man es wollte oder nicht, an ihrer Kehrseite hängen bleiben musste. Ein hüfthoher Schlitz erhöhte die Chancen beträchtlich, dass sie bei einem falschen Schritt auch ganz im Freien dastehen konnte. Die goldblonden Haare hatte sie zu einem schmalen Knoten im Nacken gedreht, ihr Gang, ihr Lächeln, der sanfte Bronzeton ihrer Haut – alles zielte auf kühlen Glamour und traf genau ins Schwarze. Der Wachmann flüsterte ihren Namen geradezu anbetend und neigte unmittelbar darauf den Kopf zu einem höflichen Nicken. Als Jasmin an ihm vorbei und hoch auf das hell erleuchtete Haus zuschwebte, starrte er ihr mit unverhohlener Bewunderung nach.
Auch Coralie blieb der Mund offen stehen. Aber nicht, weil Jasmins gazellenhafte Schönheit sie derart beeindruckten.
»Das ist … Das ist …«
»Das ist nicht eure Party. Also los. Abflug.« Der Wachmann setzte wieder sein Bulldoggengesicht auf.
»Aber selbstverständlich ist es das!« Asta, die gewartet hatte und nur unwillig einen Schritt zur Seite getreten war, um Jasmin Platz zu machen, stieß die Spitze ihres Sonnenschirms auf den Boden. »Die beiden Damen gehören zu mir.«
»Davon steht aber nichts auf der Liste.«
»Nun hören Sie doch mal mit Ihrer Liste auf, junger Mann. Diese beiden reizenden, jungen, gerade erblühten Wesen sind meine Hausgäste und als solche selbstverständlich auch im erlauchten Kreis der Rumers gern gesehen.«
»Das muss ich checken.«
»Tun Sie das. Aber lassen Sie uns nun bitte weitergehen. Sonst werde ich mich über Sie beschweren! – Kommt ihr? Ich brauche sofort ein Glas Wasser, sonst falle ich diesen Herrschaften ohnmächtig vor die Füße.«
»Bewahre!«, rief ein Mann in dunklem Anzug, die glitzernd behängte Gattin am Arm, der hinter ihnen aufgetaucht war. »So gerne ich Sie auf Händen trüge, Frau Sander …«
Asta lächelte beim Anblick des Paares wie ein Kronleuchter. »Wie reizend! Der Honorarkonsul von … was noch einmal?«
»Den Fidschi-Inseln.«
»Den Fidschi-Inseln«, wiederholte Asta, als würde der Mann das gesamte Commonwealth und die südasiatischen Tigerstaaten zugleich vertreten.
»Ich kenne die Dame.« Er verbeugte sich in Astas Richtung, die seinen Gruß huldvoll zur Kenntnis nahm. Die Gattin sah einen Moment irritiert von ihrem Mann zu seiner etwas aus dem Rahmen fallenden Bekanntschaft. »Und verbürge mich für sie. Selbstverständlich auch für Ihre Gäste.«
Laura trat hinter Coralie hervor und schenkte ihm ein Sahnebonbon-Lächeln. »Ich hoffe, Sie wissen, worauf Sie sich einlassen.«
Erst jetzt bemerkte der Mann Lauras Aufzug. Noch bevor er seine Worte zurücknehmen konnte – und es war ihm anzusehen, dass er das gerne getan hätte –, zog Coralie Laura am Arm weiter. Asta war schon ein paar Schritte voraus.
»Die Fidschi-Inseln«, prustete Laura. »Wer’s glaubt!«
»Ich«, entgegnete Coralie. »Tauberstraße 33, zweiter Stock. Prof. Dr. Rüdiger Arthold, Rechtsanwalt, Notar und Honorarkonsul.«
»Das ist ja besser als Rosenmontag in der Ständigen Vertretung.« Laura gehörte zur geschützten Art der Karneval-Fans, zumindest auf diesem Längengrad.
Sie erreichten den Eingang zur Villa und betraten einen hohen, runden Raum, von dem links und rechts breite, geschwungene Treppen hinauf zu einer Galerie führten. Oben am Ende der rechten Treppe entdeckte Coralie den Mann im Rollstuhl. Er trug einen Smoking. Hinter ihm stand eine große, ziemlich dünne Frau mittleren Alters, die eine Menge Zeit und Geld investiert hatte, um genauso aufgedonnert auszusehen wie der Rest der Abendgesellschaft. Augenblicklich verließ Coralie der Mut. Ein junges Mädchen, kaum älter als sie selbst, in schwarzem Rock und weißer Bluse, trat auf sie zu.
»Darf ich Ihnen die Garderobe abnehmen?«
Laura und Coralie schüttelten die Köpfe.
Das Mädchen lächelte und kümmerte sich um die nächsten Gäste – den Konsul und seine Frau. Im hinteren Teil der Empfangshalle saß ein Pianist an einem Flügel und spielte »Ich war noch niemals in New York«. Der ganze Raum war mit opulenten Blumengebinden geschmückt. Sogar auf den breiten Handläufen der Treppengeländer lagen üppige Girlanden von Efeu und Rosen. Laura sah hoch. Sie standen direkt unter einem riesigen Kandelaber.
»Sind das echte Kerzen?«, fragte sie.
»Glaube ich nicht.«
»Ein Glas Champagner?«
Erschrocken fuhren die beiden auseinander. Ein Mann in schwarzem Frack hielt ihnen ein Tablett entgegen.
»Äh … nein, danke«, stammelte Coralie. »Haben Sie auch Wasser?«
»Selbstverständlich. Einen Moment.«
Der Mann verschwand hinter einer weiteren Gruppe von Neuankömmlingen. Alle gingen, nachdem sie ihre leichten Mäntel oder die Damen eine Stola, ein Paar Handschuhe oder etwas ähnlich Sinnvolles, was man an warmen Sommernächten so trug, abgegeben hatten, die Treppe hinauf und begrüßten die Gastgeber. Coralie merkte, wie ihre Nervosität stieg. Wo war David? Im gleichen Moment fiel ihr auf, dass sie ihn eigentlich gar nicht sehen wollte. Was hatte sie hier verloren? Das war nicht ihre Welt. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre mit Laura einen Hamburger essen gegangen.
Asta, die sich angeregt mit einigen der Leute unterhalten und anderen kurze Grußworte zugeworfen hatte, Asta, die sich zwitschernd und mit roten Wangen, ein geleertes Champagnerglas in der Hand, bestens zu amüsieren schien, bahnte sich ihren Weg gegen die Stromrichtung zurück zu ihren Schützlingen, die sie kurz aus den Augen verloren hatte. »Wo bleibt ihr denn?« Suchend sah sie sich um, aber der Mann mit dem Tablett blieb verschwunden. Sie stellte ihr Glas auf einer mit Gold und Marmor verzierten Kommode neben der Tür ab und griff nach Coralies Arm. »Wir müssen die Gastgeber begrüßen.«
»Müssen wir das?«, flüsterte Laura.
»Ja«, antwortete Asta, die Ohren wie ein Luchs zu haben schien. »Thomas Rumer, dreifacher Formel-1-Gewinner und seit seinem Unfall …«
Sie blieben auf der Mitte der Treppe stehen. Vor ihnen hatte sich eine kleine Schlange gebildet, die langsam aufrückte.
»Ein Unfall?«, fragte Coralie leise. »Sitzt er deshalb im Rollstuhl?«
»Ja. Dass er das überhaupt kann … Die Ärzte hatten ihn schon fast aufgegeben. Es ist in Singapur passiert, vor gut zehn Jahren. Da wart ihr noch zu jung, um euch daran zu erinnern. Es ging durch die Weltpresse, denn er war einer der erfolgreichsten Rennfahrer neben Michael Schumacher, und man sagt, der Unfall hätte durchaus vermieden werden können.« Asta raffte ihr Kleid und stieg eine Stufe höher.
»Wie denn?«, fragte Coralie. Das Schicksal des finsteren Mannes, der noch nicht mal seine eigene Geburtstagsparty genießen konnte, rührte sie.
»Es gab Leute, die behaupteten, einer seiner Mechaniker hätte einen Fehler gemacht. Andere sagen, es war ein Fahrfehler. Eine Zehntelsekunde nicht aufgepasst, eine minimale Unaufmerksamkeit – und schon kann es passieren. Es ist ein gefährlicher Beruf. Wobei ich persönlich Schwierigkeiten habe, Rennfahren als Beruf zu sehen.«
Noch zwei Stufen. Gleich waren sie an der Reihe.
»Jedenfalls, die beiden, Rumer und der Mechaniker, waren befreundet. Sie kannten sich quasi noch vom Seifenkistenrennen. Beide gaben dem jeweils anderen die Schuld, bis einer schließlich einlenkte. Trotzdem hatte die Sache zu einem tiefen Zerwürfnis geführt. Thomas Rumer hat nicht nur seine Gesundheit verloren, sondern auch seinen besten Freund.«
»Wie traurig«, flüsterte Coralie leise.
»Und deshalb ist die Situation hier im Haus auch etwas angespannt.«
»Warum? Es ist doch schon so lange her.«
Sie stiegen weiter hinauf. Vor ihnen standen noch ein halbes Dutzend Neuankömmlinge, die von den Gastgebern begrüßt wurden. Thomas Rumer machte dabei ein grimmiges Gesicht. Seine Frau lächelte ebenso strahlend wie nervös und wechselte mit jedem der Gäste ein paar Sätze.
»Warum ist die Situation angespannt?« Coralie erinnerte sich daran, dass schon bei der ersten und einzigen Begegnung mit Davids Vater das Wort »Vollidiot« ihr gemeinsamer Nenner gewesen war. Sie konnte sich denken, dass es damit zusammenhing.
»Weil David … oh. Wir sind gleich an der Reihe.«
Asta, Laura und Coralie erreichten die Galerie. Aus den angrenzenden Räumen klangen Gelächter und Gespräche.
»Weil David was?«
Zu spät. Die Gäste, die noch vor ihnen waren, traten zur Seite. Asta breitete die Arme aus.
»Mein lieber Thomas!« Ihr Schmuck klirrte, als sie sich herabbeugte und ihn umarmte. Dabei blieben ihre Häkelfransen in den Knöpfen seines Smokinghemdes hängen. Sie wollte sich kichernd befreien, verhedderte sich aber umso mehr. Rumers Frau gefror das Lächeln im Gesicht.
»Kann ich helfen?«, zischte sie.
»Danke, danke.« Thomas Rumer riss die Fransen von seinem Hemd, ein Knopf sprang ab und kullerte die Treppe hinunter. Laura sprang hinterher und hätte dabei beinahe die Fischi-Insulaner über den Haufen gerannt.
»Hab ihn!«, schrie sie, hüpfte die Stufen hoch und wollte den Knopf Thomas Rumer reichen. Der aber lehnte mit einer unwirschen Handbewegung ab.
»Schon gut. Wen hast du uns da mitgebracht?«, knurrte er.
»Freunde deines Sohnes, mein Lieber. Das sind Coralie und ihre Freundin Laura.«
Er wurde still. Rumers Frau presste ihre rubinrot geschminkten Lippen aufeinander. Rumer selbst verengte die Augen und scannte die beiden Mädchen von oben bis unten ab. Sein Blick blieb an Coralie hängen.
»Ich kenne Sie. Wir haben uns schon mal irgendwo gesehen.«
»Ich bin …« Coralie wollte zu einer wortreichen Erklärung ansetzen.
Aber Asta fuhr ihr über den Mund.
»Sie kennt deinen Sohn. Also wirst du ihr wohl schon einmal begegnet sein.«
Rumer wechselte einen kurzen Blick mit seiner Gattin, die die Augenbrauen hochhob und von den Freundinnen ihres Sohnes wohl eine ganz eigene Meinung hatte.
»Das ist nicht unbedingt eine Empfehlung«, knirschte er. »Haben Sie vielleicht im Sinn, voll bekleidet mit einem Hummercocktail in der Hand in den Pool zu springen? Das letzte Mal mussten wir das ganze Wasser ablassen.«
»Äh … nein«, stotterte Coralie.
»Oder …«, fuhr Rumers Frau fort, und sie hatte eine Stimme, bei der Usambaraveilchen auf der Stelle erfroren wären. »Oder dürfen wir Tage später in der Ming-Vase Teile Ihrer … Garderobe finden?«
»Aus der Han- oder der Yuang-Dynastie?«, fragte Laura. »Oder aus der Zeit der drei großen Quing-Kaiser?«
Alles Asiatische war Lauras Hobby. Das wusste Rumers Frau natürlich nicht. Und wahrscheinlich hatte sie selbst von ihren Vasen keine Ahnung. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«, zischte sie.
»Ich glaube, ich sollte etwas klarstellen.« Coralie holte tief Luft. Sie wusste im Moment nicht, als was sie bei den Rumers mehr unten durch war: als eine Freundin Davids oder als – keine Freundin Davids, sondern als Zeitungsausträgerin. Noch nie hatte sie sich so unwillkommen gefühlt. Sie griff nach Lauras Hand.
»Wir bedanken uns sehr für die Einladung, wenn Sie das Ihrem Sohn ausrichten würden. Falls Sie nicht mehr miteinander reden, dann gerne auch schriftlich. Aber wir haben heute Abend noch was anderes vor, als uns beleidigen zu lassen.«
Hinter ihnen wurde es unruhig. Zischelnd machte gerade das Gerücht die Runde, dass mit Coralie und Laura wohl zwei Party-Crasher aufgetaucht waren.
Rumer hob die Hand. »Moment mal.«
»Nein. Keinen Moment. Wir gehen.«
»Kinder. Kinder!« Asta sah fast verzweifelt von den Rumers zu den beiden Mädchen. »Was ist denn eigentlich los?«
»Das möchte ich auch gerne wissen.«
Hinter ihr tauchte jemand auf und der Anblick ließ Coralies eben noch vor Ärger jagendes Herz beinahe stillstehen. Es war David.
Ein David, wie sie ihn so noch nicht gesehen hatte. Die Augen mit Kajal umrandet, die Wangen verschattet von seinem Drei-Tage-Bart, der am Morgen noch irgendwie süß ausgesehen hatte. Doch jetzt, in Verbindung mit seinem wütenden Blick, lag etwas in seinem Gesicht, das anziehend und gefährlich zugleich wirkte. Die widerspenstigen Haare hingen ihm in die Stirn, sein weißes Hemd stand offen, die Fliege – falls das schwarze verknotete Band jemals eine gewesen sein sollte – hing um den Kragen wie ein vergessener Schnürsenkel. Er sah aus wie ein Rockstar, der den Weg auf die Bühne nicht gefunden hatte.
»Ihr beleidigt meine Gäste?«
Thomas Rumer atmete tief durch und tat es so, dass alle um sie herum mitbekamen, dass er sich nur mühsam beherrschte. »Es ist mein Geburtstag, wenn ich dich daran erinnern darf.«
Coralie spürte Lauras Griff. Sie sah kurz zu ihrer Freundin – und ihr blieb vor Verblüffung fast die Spucke weg. Lauras Augen blitzten, und ihr Grinsen verriet, dass die Entwicklung dieses Abends für sie noch spannender war als ein Manga. Coralie ließ Lauras Hand los. »Wir wollen gerade gehen.«
»Nein!«, zischte Laura. »Wollen wir nicht!«
»Doch!«
»Nein!«
Jemand tippte Coralie auf die Schulter. Erschrocken fuhr sie herum. Es war der Honorarkonsul.
»Vielleicht könnten Sie Ihre Entscheidungsfindung vertagen und etwas zur Seite treten, damit auch wir den Gastgeber begrüßen können?«
»Kommt mit.«
David streckte die Hand aus. Laura griff mit einem strahlenden Lächeln zu und ließ sich mitziehen. Fassungslos musste Coralie mit ansehen, wie ihre beste Freundin mit dem coolsten Typen unter der Sonne abzog.
»Oh.« Asta hob die Augenbrauen. Ihr Blick folgte Lauras Pailettenrock, der gerade funkelnd hinter der nächsten Ecke und weiteren Gästen verschwand. »Dann werten wir das doch einfach als ein herzliches Willkommen. Nicht wahr, meine Kleine?«
Coralie sah auf Thomas Rumer. Seine Frau legte ihre Hand auf seine Schulter, als wollte sie ihm mit dieser Geste Mut machen.
»Die Gäste meines Sohnes sind auch meine Gäste«, knirschte er.
Asta lächelte. »Na siehst du. Geht doch.«