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11.

Coralie pustete in ihren Kaffee. Was meinte Asta mit dieser Andeutung? Die alte Dame rührte in ihrer Tasse herum und ließ ihr Gegenüber nicht aus den Augen. Laura tat so, als wäre sie unsichtbar. Das konnte sie gut. Einfach so tun, als wäre man nicht da, und dabei alles Wichtige mitkriegen.

»Was ist los mit dir, mein Kind?«

»Ich weiß nicht?« Coralie zuckte mit den Schultern. »Es ist alles okay.«

»Warum reagierst du dann so gereizt, wenn David dir eine wirklich nett gemeinte Einladung schickt, die dich zu nichts verpflichtet?«

»Außer zum Hingehen.«

»Magst du keine Filme?«

»Doch. – Uuuuuuuh!«

Laura und Asta zuckten wieder zusammen.

»Tschuldigung. Ist mir nur so rausgerutscht. – Er hält mich für eine Idiotin. Haben Sie das schon vergessen?«

Asta schüttelte den Kopf. Ihre Glasperlenketten klickerten leise. »Das hat er doch nicht so gemeint. So was rutscht einfach mal heraus, wenn man sich darüber ärgert, dass Dinge nicht funktionieren.«

»Ich bin aber kein Ding!«

»Dass etwas nicht passiert, wofür man bezahlt hat. Das meine ich. – Ist sie immer so spitzfindig?« Die Frage ging an Laura.

»Schlimmer«, antwortete die beste aller Freundinnen.

»Nun, es liegt mir fern, hier eine Lanze für David zu brechen. Er ist ein Einzelkind, verwöhnt, aus reichem Haus, aber er musste früh lernen, echte Anteilnahme von falscher Schmeichelei zu unterscheiden. Dazu kommt, dass er sich einen Beruf ausgesucht hat, in dem man mit vierzehn erwachsen sein muss. Und dass ihm ausgerechnet jetzt, wo er auf dem Weg ist, seinen Traum zu leben, ein Riegel vorgeschoben wird.«

»Wenn er so erwachsen ist, wird er schon Wege finden.«

»Wir reden vom Rennfahren. David hat das Angebot, als einer von zwölf Kandidaten weltweit am Racing Challenge Cup teilzunehmen. Das ist eine Art Ausbildung zum Formel-1-Fahrer, und allein ausgewählt zu werden, ist eine Ehre.«

»Das freut mich aber sehr für ihn«, sagte Coralie in einem Ton, mit dem sie auch ein umgefallenes Straßenschild kommentieren könnte.

»Allerdings, er ist auch ein junger Mann, der eben viel zu früh Verantwortung tragen –«

»Asta.« Coralie stellte die Tasse so heftig ab, dass ein Teil Kaffee überschwappte. »Was willst du? Mich mit ihm verkuppeln? Hast du nicht mitbekommen, dass wir uns so gern mögen wie ein Schneemann die Mikrowelle?«

»Was?«, fragte Laura und kam nicht mehr ganz mit. »Also du magst ihn und er schmilzt dahin? Das sind ja ganz neue Entwicklungen!«

»Du bist die Erste, die es erfährt, wenn irgendetwas in diese Richtung eintreten sollte. Aber ich kann euch beruhigen. David und mich verbindet eine tiefe, solide, durch nichts zu erschütternde Abneigung.«

»Hm, ja.« Asta nickte. »Ich hatte schon das Gefühl, dass ihr beide … nun, einiges gemeinsam habt.«

»Ich denke, wir halten uns gegenseitig für Idioten. Da müssen wir nicht auch noch über Nuancen reden.«

»Gut, gut.« Die Glasperlen klackerten wieder. »Aber im Grunde genommen ist die Einladung doch so eine Art Waffenstillstandsangebot. Oder?«

Coralie stützte sich auf ihre Unterarme und beugte sich vor, um Asta ein Stück näher zu kommen. »Was genau habt ihr beide euch ausgedacht?«

Asta hielt Coralies Blick stand. So lange, bis sie mit einem abgrundtiefen Seufzer zur Decke schaute und die Hände hob. »Okay. Ich bin geschlagen. Dir kann man aber auch nichts vormachen.«

»Raus mit der Sprache.«

»Die Einladung könnte Davids letzte Rettung sein.«

»Wie das?«, fragte Coralie verblüfft. Ihre Vermutung war ein Schuss ins Blaue gewesen. Dass er ins Schwarze getroffen hatte, enttäuschte sie mehr, als sie zugeben wollte.

»Du machst einen so soliden, netten Eindruck.«

Laura wollte losprusten. Ein wütender Blick von Coralie ließ sie zur Salzsäule erstarren.

»Du bist anders als die Mädchen, die um David herumschwirren und sich in seinem Glanz sonnen wollen.«

»In … ähm … welchem Glanz bitte?«

»Keine Spitzfindigkeiten jetzt, ja? Lass es mich versuchen zu erklären. Du bist jemand, der ehrlich und offen ist und auf all das Tschingerassabumm dieser Familie nicht hereinfällt. Das Geld, der verblichene Ruhm, die immer noch einflussreichen Freunde, die Prominenten, das verdreht vielen den Kopf.«

»Mir nicht«, sagte Laura. »Und ich finde David cool. Könnte ich nicht irgendwie behilflich sein?«

Coralie wollte den Mund aufmachen und Laura deutlich sagen, was sie davon hielt, wenn sie ihr so plötzlich in den Rücken fiel, aber Asta wehrte bereits mit einem lächelnden Kopfschütteln ab.

»Sosehr ich dein Angebot schätze, meine kleine Laura, und so sympathisch du mir in deiner etwas eigenwilligen Art bist – du bist nicht das, was wir brauchen.«

Coralie begriff nicht ganz. Sie wurde offenbar gebraucht, weil sie eine solide, nette Idiotin war.

»David ist enttäuscht. Lange hat er versucht, sich durch eigene Leistung von dem großen Namen seines Vaters abzugrenzen. Er hat sich durchgebissen, auf viel verzichtet. Aber er bekam nie eine Anerkennung dafür. Im Gegenteil. Du willst Rennfahrer werden? Niemals! Du bist verrückt! Willst du auch im Rollstuhl enden? – So gingen die Diskussionen in diesem Hause von früh bis spät. Die Enttäuschungen auf beiden Seiten wuchsen. Der Vater begriff nicht, warum sein eigener Sohn seinen Warnungen keinen Gehör schenkte. Er meinte es doch nur gut! Und der Sohn spürte kein Vertrauen. Nicht in seine Fähigkeiten, nicht in seine Begabungen und erst recht nicht in seine einzige, große Leidenschaft, seinen ganz großen Traum: Formel-1- Pilot zu werden.«

Coralie schwieg. Für einen Moment glitten ihre Gedanken zu ihren eigenen Eltern. Okay, sie hatte oft heimlich geflucht und geglaubt, mehr Steine als ihr könnten einem nicht in den Weg gelegt werden. Doch wenn sie es recht bedachte: Ihre Eltern hatten ihr immer ihren Traum gelassen. Und als es daran ging, ihn endlich zu verwirklichen, hatten sie sie unterstützt, so gut sie es eben konnten. Vielleicht würden sie nie ganz verstehen, was ihre Tochter antrieb. Aber sie hatten Vertrauen in sie. Und in ihre Kraft, schwere Wege meistern zu können. Das war schon mal eine ganze Menge. Mehr als dieser reiche, verwöhnte David hatte.

»So wuchsen Trotz und Verständnislosigkeit auf beiden Seiten. David schlug über die Stränge. Vernachlässigte sein Training. Versäumte Treffen mit Sponsoren. Zog nächtelang um die Häuser. Und sein Vater kommentierte das mit: Siehst du, ich hab es doch gleich gesagt. Doch dann fuhr David eine grandiose Qualifikation. Und hat die Chance auf die Teilnahme am Racing Challenge Cup

»Offensichtlich so was wie dein Workshop bei Khaled«, kommentierte Laura unnötigerweise.

»Nun, wir sprechen allerdings von einer Größenordnung von 120000 Euro.«

»Was?«, japste Coralie. »Braucht er ein Lenkrad aus Platin?«

»Das ist fast noch geschenkt, habe ich mir sagen lassen. Allein der Rennwagen, der ihm quasi an und um den Leib gegossen wird, kostet schon ein paar Hunderttausend. Die Versicherung. Die Gebühren. Die Miete, wenn man mal eben den Nürburg- oder den Hockenheimring für ein paar Trainingstage bucht. Das Team: ein Dutzend Leute, nur für dich. Die Computer. Die Kameras. Die Ärzte. Der ganze Rennzirkus eben, den sich andere für Millionen erkaufen. Den hat er für ein Jahr. Es ist die Ausbildung zum Formel-1-Rennfahrer.«

»Por… no … polynormativ krass«, murmelte Laura. »Hobbys gibt’s …«

»Entschuldigung«, schaltete sich Coralie ein, die ihre Rolle in diesem Spiel immer noch nicht verstehen konnte. »Was hab ich damit zu tun?«

Asta holte tief Luft. »Ich bin ehrlich, Coralie. Also verzeih mir, wenn das, was ich jetzt sage, hart klingen sollte. Jasmin ist in Thomas Rumers Augen ein rotes Tuch.«

»Ach ja?«, fragte Laura so erstaunt, als hätte man ihr gerade erzählt, dass Bugs Bunny kleine weiße Kaninchen fraß.

»David will seinem Vater beweisen, dass er es wert ist, Vertrauen in ihn zu setzen.«

Endlich kapierte Coralie. »Und deshalb soll ich ihm als braves, nettes Mädchen vorgeführt werden? Um zu zeigen, dass David plötzlich auf graue Mäuse steht?«

»Aber, Kind, so habe ich das doch gar nicht …«

»Aber so klingt es und so ist es!« Coralie sprang auf. »Asta, ich glaube, es ist besser, wenn wir die Unterhaltung nicht weiter fortsetzen. Ich mache solche dummen Spielchen nicht mit. Egal, wer von beiden sich das ausgedacht hat.«

»David nicht!«

»Dann du? Jetzt enttäuschst du mich aber. Glaubst du wirklich, ich tue so, als wäre ich in David verschossen? Und er? Zwingt sich, das Gleiche zu tun? Wofür? Damit er sich bei seinem Vater einschleimen kann? Ist das abgefuckt! Ich glaube es nicht!«

»Mädchen, Mädchen!« Entsetzt hob Asta die Hände. »Du hast das völlig falsch verstanden! Ich bin die Intrigantin, sonst niemand! Ich hatte die Idee, dass David dich fragen könnte. Ich habe ihn geradezu überrumpelt damit.«

Auch das noch, dachte Coralie. Das wird ja immer peinlicher. Wer weiß, mit welchem Kräutertee sie ihn dazu gebracht hat, einzuwilligen.

»Du bist so anders«, fuhr Asta fort.

»So dämlich, meinst du«, korrigierte Coralie.

»Nein! Jetzt hör doch endlich mal auf, dein Licht dauernd unter den Scheffel zu stellen. David hatte ein Problem. Er wollte eben nicht mit Jasmin hin, die hat ihn aber quasi schon fest eingeplant. Da habe ich … nun ja, ganz kurz am Gartenzaun in ihrer Gegenwart gesagt, er hätte doch schon meiner entzückenden kleinen Nichte versprochen, mit ihr hinzugehen.«

Schweigen. Schließlich fragte Coralie, ungläubig, als ob sie sich verhört hätte: »Nichte? Welche Nichte?«

»Es tut mir so leid! Das hätte ich nie tun dürfen. Es ist mir einfach so herausgerutscht. Wie sonst hätte ich denn deine Anwesenheit bei mir erklären sollen?«

»Vielleicht mit der Wahrheit? Dass ich die Zeitungsausträgerin in seinem Ghetto bin?«

Laura räusperte sich. »Ähm … Er weiß nicht, wer du bist?«

Ratlos setzte Coralie sich wieder hin.

»Oh.« Asta nutzte den kurzen Moment stiller Bestürzung, um einen Schluck Kaffee zu trinken. »Ich glaube, das hat er nicht mitbekommen. Er hat dich ja immer nur bei mir gesehen und sich wahrscheinlich gedacht, wir zwei gehören zusammen. Egal. Es war mein Fehler. Und glaube mir, selbst wenn er es wüsste, würde es ihm nichts ausmachen.«

»Bist du dir da so sicher?«

»Ja«, beantwortete Asta Coralies Frage mit fester Stimme. »Absolut. Das ist ihm völlig egal. Ihn belastet etwas anderes. Er glaubt, du bist aus irgendeinem Grund sauer auf ihn, weil du ihn für einen reichen, eingebildeten Schnösel hältst.«

»Oooch. Das ist doch gar nicht wahr«, widersprach Coralie scheinheilig.

»Doch, das tust du. Ich kann verstehen, dass du dich über ihn geärgert hast. Aber David ist anders. Ich kenne ihn von Kindesbeinen an. Ich bin fast eine Art Großmutter für ihn.«

»Kann es sein, dass du mit deinen pseudo-verwandtschaftlichen Beziehungen ein bisschen verschwenderisch umgehst?«

Asta schlug die Augen nieder. Sie schob ihre Tasse von sich, und für einen kurzen Moment sah es so aus, als ob sie aufstehen und gehen würde. Coralie hätte den letzten Satz gerne zurückgenommen. Nicht, weil er in ihren Augen nicht stimmte. Sondern weil sie damit etwas in Astas Herzen getroffen haben musste, das wehtat.

»Ich bin eine alte, einsame Frau.« Asta hob die Hand, als ob sie Wiederspruch schon im Ansatz ablehnen würde. »Ich habe kaum noch Freunde in meinem Alter, die meisten sind schon tot. Und neue lernt man nicht mehr kennen. Oder man fürchtet sich vor Verbindlichkeit, denn wie ist man selbst noch dazu in der Lage? Wenn man jung ist, sind Beziehungen nicht die Welt. Sie kommen und gehen. In meinem Alter gehen sie eigentlich nur noch.«

Laura sah zu Boden. Auch Coralie biss sich auf die Lippen. Sie war zu hart zu Asta gewesen. Sie hatte ja noch nicht mal eine Ahnung, wie es war, zwanzig zu sein. Schon dieses Alter kam ihr unendlich erwachsen und spießig vor. Siebzig, das lag jenseits ihrer Vorstellungskraft.

»Wir werden niemals Freunde sein«, fuhr Asta fort. »Das geht einfach nicht. Aber ich mag dich, und so zimmere ich mir ein Verwandtschaftsverhältnis zurecht, das ich einordnen kann. Eine Nichte darf man gernhaben, ohne etwas zu erklären oder zu verlangen. Und so ist es mir herausgerutscht. Es tut mir leid. Wenn du willst, gehe ich zu David und stelle das klar. Selbstverständlich akzeptiere ich auch, dass du nicht mit ihm ins Kino gehen willst. Es war eingebildet von mir, einfach etwas über deinen Kopf hinweg zu entscheiden. Es wird nicht wieder vorkommen.«

Coralie räusperte sich. Asta tat ihr leid. Wie einsam musste diese Frau sein, wenn die einzige Abwechslung ein kleines Gespräch mit der Zeitungsbotin war. »Schon gut. Entschuldigung angenommen. Abgesehen davon leben meine Tanten und Großtanten alle irgendwo im Saarland und im Elsass. Ich bin also hierzulande etwas unterversorgt.«

»Ach, Kind.« Asta streckte den Arm aus und tätschelte Coralies Hand. »Frieden?«

»Frieden.«

Laura griff nach der Milchtüte und schenkte sich nach. »Wenn du nicht mit den Rumers verwandt bist, woher kommt dann diese enge Bindung zu David?«

Asta seufzte. »Die Geschichte unserer beiden Häuser ist etwas kompliziert. Ich werde sie euch erzählen, aber nicht heute. – Ein anderes Mal!« Sie lachte, als sie Lauras enttäuschtes Gesicht sah. Dann wurde sie wieder ernst. »Es ist also dein letztes Wort, Coralie? Du wirst nicht mitkommen?«

»Du hast meine Antwort. Sie liegt im Gulli.«

»Gut.« Asta stand auf. »Es ist seit einiger Zeit schon verdächtig ruhig da unten. Ich werde mal nach meinem Wagen sehen. Falls du deine Meinung änderst – ich bin gerne bereit, meinen Platz zur Verfügung zu stellen. Liebe Laura, so gerne ich an deiner Seite im Triumph eingezogen wäre – ich glaube, der Abend würde dir mit deiner Freundin doch viel besser gefallen.«

»Ich – was … darf mit Coco … Du schenkst uns deine Einladung?« Laura griff Coralie am Arm. »Komm mit! Bitte! Lass mich nicht allein! Stell dir Marie und den Chor der Uuuuuh-Sisters vor! Tu es für mich. Bitte!«

Coralie seufzte. »Okay. Ich gehe mit dir. Aber auf keinen Fall mit David!«

»Das«, antwortete Asta mit einem feinen Lächeln, »nennt man einen Kompromiss.«