»He, Ihr da, vom Tempel Mii-dera! He, Mii-dera!« rief mir jemand nach.
Ich beschloß zu tun, als hätte ich nichts gehört, und ging einfach weiter. Der Mann hatte zwar ganz deutlich den Namen meines Tempels Mii-dera gerufen, aber meinen schien er vergessen zu haben. Als er abermals rief, beschleunigte ich meine Schritte.
Erstaunlicherweise schritt der Rufer ungeachtet seiner altersbrüchigen Stimme so zügig aus, daß er mich binnen kurzem eingeholt hatte.
»Ihr seid doch Bruder Honkaku vom Mii-dera?«
Nun gab es kein Entrinnen mehr. Ich blieb stehen und erkannte Herrn Tōyōbō, den ich seit sechs Jahren nicht gesehen hatte. Ein starkes Gefühl von Wehmut ergriff mich. Er muß inzwischen dreiundachtzig sein, aber man sieht ihm sein Alter nicht an. Er ist noch ganz der alte Tōyōbō und hat sich seit den Tagen Meister Rikyūs überhaupt nicht verändert.
»Kommt mit!«
Dieser Aufforderung konnte ich nicht widerstehen.
Ich hatte mir nach all den Jahren, in denen ich nicht dort war, ohnehin wieder einmal das bunte Herbstlaub im Tempel Shinnyodo ansehen wollen und war gerade dabei gewesen, durch das Haupttor zu schlendern.
Es war um die Stunde des Widders1, als ich in seinem
Teezimmer Platz nahm, und ich blieb, bis die Pflanzen im Garten schon mit der Dunkelheit verschmolzen. Es war so angenehm dort, daß ich die Zeit vergaß und der Nachmittag mir wie im Fluge verging.
Ich bin schon einmal in diesem Raum gewesen. Als Meister Rikyū noch lebte, ging ich ihm dort bei einer Teezeremonie zur Hand. Seit damals hat sich nichts verändert: die Kalligraphie des Prinzen Son-En-Po an der Wand, die Tenmoku-Teeschale aus Ise, das unablässig knisternde und zischende Kohlebecken, das an das Säuseln von Kiefern im Wind erinnert und auf das er so stolz ist. Der Raum entsprach ganz dem Geschmack des ehrwürdigen Herrn Tōyōbō, der als Wabisukisha – ein Liebhaber schlichter Strenge – bekannt ist. Er bewirtete mich nach allen Regeln der Teekunst, und ich wähnte mich wie in einem Traum.
Anschließend holte er eine Teeschale hervor, die Meister Rikyū ihm geschenkt hatte, und stellte sie vor mich hin. Ich war voller Dankbarkeit und fühlte mich von der aufrichtigen, herzlichen Fürsorge des alten Herrn geehrt. Beinahe hatte ich das Gefühl, meinem Meister gegenüber zu sitzen. Wie viele Jahre hatte ich diese ebenmäßige, schwarzglasierte Teeschale mit dem leicht nach innen abgerundeten Rand, so unsagbar schön und elegant, nicht gesehen!
Chōjirō hat sie geschaffen, und für mich sind viele Erinnerungen mit dieser schwarzen Schale verknüpft. Es macht mich froh, daß sie sich nun in der Obhut des ehrwürdigen Tōyōbō befindet.
Es war bereits stockfinster, als ich den Teeraum des Shinnyodo verließ und mich auf den Heimweg in meine Klause machte, wo ich unser Gespräch noch einmal an mir vorüberziehen ließ und mich einsamen Grübeleien hingab. Es gab Dinge, die ich Herrn Tōyōbō hätte sagen sollen, aber nicht gesagt hatte, und Fragen, die ich ihm hätte stellen sollen, indes versäumt hatte zu stellen. Ebenso hatte ich Antworten gegeben, die vielleicht anders hätten lauten sollen. Zweifel plagten mich, warum ich dies und nicht jenes gesagt hatte. Aber natürlich hatte mich nach all den Jahren die erste Begegnung mit einem alten Freund Meister Rikyūs so aufgewühlt, daß in meinem Kopf Tausende von Wörtern in heillosem Durcheinander herumwirbelten.
»Ihr seid noch jung, warum zieht Ihr Euch so zurück?« hat Herr Tōyōbō mich gefragt. »Wenn man wie Ihr den Weg des Tees eingeschlagen hat, sollte man auch dafür einstehen.«
Natürlich hat er recht, auch wenn ich bereits Mitte vierzig und damit eigentlich nicht mehr als jung zu bezeichnen bin. Doch auf seine Frage, warum ich so zurückgezogen lebe, konnte ich ihm keine Antwort geben. Es gibt keine richtige Begründung dafür, daß ich nach Rikyūs Hinscheiden der Welt des Tees entsagt habe. Doch als Mann von unwürdiger Herkunft kann ich ohnehin nicht hoffen, meinem Meister nachzufolgen.
Aufgewachsen bin ich in einem dem Mii-dera angeschlossenen Nebentempel. Mit einunddreißig Jahren wurde ich als Teegehilfe in Meister Rikyūs Dienste geschickt und gelangte so in den Genuß, von ihm in der Kunst der Teezeremonie unterwiesen zu werden. Als mein Meister den Befehl erhielt, sich zu töten, war ich erst vierzig und – wenngleich von ihm persönlich im Teeweg unterrichtet – weit davon entfernt, mich einen Chajin, einen »Teemenschen«, nennen zu dürfen. Ich hatte nicht allzu häufig die Gelegenheit gehabt, bedeutenden Zeremonien beizuwohnen. Doch in meiner Eigenschaft als Meister Rikyūs Teegehilfe und durch meine Nähe zu ihm geruhten einige der vornehmen Herren, mich vertraulich mit Bruder Honkaku oder Honkakubō vom Mii-dera anzusprechen und mich bisweilen zu Teegesellschaften einzuladen.
Ungeachtet meiner unbedeutenden Stellung erwies Meister Rikyū mir kurz vor seinem Tod die Ehre, mich als einzigen Gast zu einer Teezeremonie zu laden, an die ich mich bis an mein Lebensende erinnern werde. Sooft ich daran zurückdenke, erfaßt mich wieder die gleiche körperliche und geistige Anspannung, die mich damals beherrschte.
Dieses Ereignis fand im Jahre Tenshō achtzehn2, am Dreiundzwanzigsten des neunten Monats statt, ungefähr ein halbes Jahr vor dem Tod meines Meisters. Wir trafen uns im viereinhalb Tatami großen Teeraum der Villa Juraku, der Residenz des Taikō Hideyoshi.
Das Arrangement: eine alte Bizen-Vase mit herbstlichen Wildblumen, eine bauchige Teedose im chinesischen Stil, eine graue Mishima-Teeschale mit weißem Muster, ein viereckiger Eisenkessel und ein asymmetrisches Frischwassergefäß.
Unser Mahl bestand aus Reis, Suppe und Schwarzwurzelgemüse.
Als Süßigkeit gab es kleine Waffeln aus Weizen und geröstete Maronen.
Aus heutiger Sicht weiß ich, daß diese Zeremonie nichts anderes war als eine Abschiedsfeier, die mein Meister in seiner Güte für mich veranstaltete. Reglos und ohne ein Wort zu wechseln, saßen wir beieinander, während ich den Tee trank, den er für mich bereitete.
Es wäre allzu vermessen, mich einen Kenner des Teewegs zu nennen, aber wenn man sich unter Teemenschen bewegt, nimmt man doch die eine oder andere ihrer Gewohnheiten an. Wie Meister Tōyōbō sagte, habe ich nichts erreicht. Vielleicht hätte ich mich nach Meister Rikyūs Tod nützlich machen können, wenn ich mich an seine Schüler gewandt hätte. Einige haben mir sogar dazu geraten. Dennoch habe ich alle wohlmeinenden Angebote ausgeschlagen, das Haus meines Meisters verlassen und mehr oder weniger alle Verbindungen gelöst, um mich in diese Klause zurückzuziehen. Mein Lebensunterhalt kümmert mich wenig, aber gewisse Kaufleute aus Kyōto, mit denen ich noch von früher auf vertrautem Fuß stehe, bitten mich häufig, Gerätschaften zu begutachten und sie bei ihrem An- und Verkauf zu beraten. Auf diese Weise konnte ich bisher meinen Lebensunterhalt bestreiten, ohne Mangel zu leiden.
In meiner Klause verfüge ich über einen winzigen Raum von nur anderthalb Tatami, der kaum als Teezimmer zu bezeichnen, doch gerade groß genug für mich allein ist. Auch jetzt sitze ich seit dem frühen Abend hier und lasse meine Gedanken hierhin und dorthin schweifen. »Ihr seid noch jung, warum habt Ihr Euch so zurückgezogen?« höre ich den alten Herrn Tōyōbō sagen. Wie gern hätte ich ihm sogleich geantwortet, aber ich konnte es nicht. Selbst wenn ich jetzt noch einmal Gelegenheit dazu hätte, müßte ich ihm die Antwort schuldig bleiben. Am besten wäre es vielleicht, sich zunächst den Vorgängen in meinem Inneren zu nähern, ohne sich dabei um mögliche Antworten zu scheren.
Vierundzwanzig Tage nach dem Hinscheiden Meister Rikyūs hatte ich gegen Morgen einen Traum, in dem ich mich auf dem Heimweg in mein Dorf in der Provinz Ōmi befand.
Ich wanderte auf einem kalten, öden, mit Kieseln bedeckten Weg dahin, der sich bis in unendliche Ferne vor mir erstreckte. Keine Menschenseele war zu sehen, kein Baum und kein Strauch am Wegrand, nicht einmal Gräser. Ich war aus dem Myōkian in Yamazaki aufgebrochen und hatte das Gefühl schon ewig unterwegs zu sein.
Allmählich fragte ich mich, ob dies nicht der Pfad ins Jenseits sein könnte, denn warum sonst sollte er sich so traurig und einsam dahinziehen, daß mir fast die Seele gefror. Es herrschte ein unbestimmtes dämmriges Licht, das weder Tag noch Nacht war.
Mit einem Mal bemerkte ich ein gutes Stück Weges vor mir eine Gestalt, die ich als Meister Rikyū erkannte. Aha, dachte ich, ich begleite also den Meister auf diesem einsamen Pfad in die andere Welt.
Was mir würdig und angemessen erschien. Alsbald jedoch wurde mir klar, daß dieser Weg nicht ins Jenseits, sondern nach Kyōto führte. Natürlich, ich begleitete den Meister in die Residenz von Taikō Hideyoshi. Und dieser einsame öde Kiesweg würde binnen kurzem in die Hauptstadt einmünden. Allerdings war es mir ein Rätsel, warum ein Weg in die Stadt einen derart unirdischen Anschein erweckte. In diesem Augenblick blieb Meister Rikyū stehen und wandte sich langsam zu mir um, wie um sich zu vergewissern, daß ich ihm noch folgte. Kurze Zeit später tat er es wieder. Diesmal indes sah er mich mit einem durchdringenden Blick an, dem ich die Aufforderung zum Umkehren entnahm. Ich beschloß, ihm zu gehorchen, und verbeugte mich zum Abschied tief in seine Richtung.
An dieser Stelle erwachte ich. Ich erhob mich von meinem Lager und kniete mit gesenktem Kopf nieder. Lange verharrte ich in dieser ehrerbietigen Haltung, um von meinem Meister, wie ich ihn im Traum gesehen hatte, Abschied zu nehmen.
Furcht empfand ich übrigens erst nach dem Aufwachen. Es war nicht so sehr die Furcht darüber, womöglich auf dem Weg ins Jenseits gewandelt zu sein, als vielmehr der Umstand, daß dieser öde Weg mitnichten in die andere Welt, sondern nach Kyōto in Hideyoshis Residenz geführt hatte. Als ich darüber nachdachte, wieso ich dies nicht sofort bemerkt hatte, überlief es mich kalt. Dies war wahrhaftig kein gewöhnlicher Weg gewesen, den meinesgleichen so mir nichts dir nichts beschreiten durfte.
Doch Träume wie dieser waren nicht der einzige Grund für meinen Rückzug. Es erschien mir geziemend, die Welt des Tees zu verlassen, der mein Meister seinen Stempel aufgedrückt hat. Es ist vielleicht seltsam, aber es wäre mir unangenehm gewesen, den noch lebenden Meistern zu begegnen. Lieber wollte ich sie nicht sehen, und bislang habe ich keinen von ihnen aufgesucht. Im Januar ist Ehrwürden Kōkei aus dem Daitokuji, dem Tempel der Hohen Tugend, von uns gegangen. Er war der Zenlehrer meines Meisters und hat dessen posthumen Namen ausgewählt. Die beiden verband eine innige Freundschaft, die sich in den letzten Jahren auch auf mich ausgedehnt hatte. So hätte es mir wohl angestanden, auf die Nachricht von Herrn Kōkeis Tod zum Daitokuji zu eilen, um bei den Bestattungsfeierlichkeiten zu helfen. Um jedoch eine Begegnung mit den Menschen zu vermeiden, die meinem Meister nahegestanden hatten, hielt ich mich fern, gleichwohl es mir in der Seele wehtat. Herrn Kōkeis Ableben war nicht die einzige Gelegenheit, bei der ich meine Pflichten gegenüber den Freunden Meister Rikyūs vernachlässigte. Auch andere Todesfälle oder Todestage ließ ich unbeachtet.
Nach all diesen Jahren sah ich mich heute also unverhofft Herrn Tōyōbō gegenüber, und unsere Begegnung erfüllte mich mit unbeschreiblicher Sehnsucht.
Wir schreiben das zweite Jahr Keichō3. Bereits sechs Jahre sind seit dem Tod meines Meisters verstrichen. Zwar habe ich der Welt des Tees entsagt, die so sehr von Meister Rikyū geprägt ist, doch von ihm selbst habe ich mich nicht entfernt. Ich finde sogar, daß ich ihm näher bin, seit ich mich in diese Einsiedelei zurückgezogen habe. Mehrmals am Tag höre ich seine Stimme und spreche mit ihm. Ich sehe ihn vor mir, wie er großzügig und ungezwungen den Tee bereitet, und bisweilen höre ich seine Stimme: »Tee ist die Verbindung von Feuer und Wasser. Unverzeihlich ist es, den rechten Augenblick bei Feuer und Wasser zu versäumen.« Ich stelle ihm viele Fragen, und auf jede gibt er mir sogleich eine Antwort.
Nur auf die eine nicht: Wohin führte der unirdische Weg, auf dem ich ihm in meinem Traum gefolgt bin? Schweigen schlägt mir entgegen. Auch als Meister Rikyū noch lebte, kam es vor, daß er zu mir sagte: »Darüber mußt du selbst nachdenken. So etwas kann man andere nicht fragen.« Gewisse Fragen stießen bei ihm auf taube Ohren, und er weigerte sich, ein weiteres Wort über sie zu verlieren. Vielleicht gehört dieser lange trostlose Weg in meinem Traum auch zu den Dingen, über die ich selbst nachdenken muß.
In den letzten sechs Jahren hält dieser Weg, den ich im Traum mit meinem Meister gegangen bin, mein Herz gefangen. Was könnte die kalte, karge Ödnis bedeuten, in die einer wie ich nicht vordringen kann und aus der ich mich auf Geheiß meines Meisters gehorsam zurückgezogen habe?
Sind außer meinem Meister noch andere diesen Weg gegangen? Es war kein angenehmer Weg, dennoch schritt mein Meister gleichmütig und in ruhiger Harmonie mit der trostlosen, kargen Landschaft dahin. Vielleicht ziemt es sich nicht für mich, das zu sagen, aber der Weg, den Herr Tōyōbō eingeschlagen hat, scheint mir ein ganz anderer zu sein. Diesen unirdischen Weg hat er gewiß nicht genommen. Aber Meister Rikyū hat es getan. Warum hat allein er diesen Weg beschritten?
Als er noch lebte, hat mein Meister einmal zu mir gesagt, am Ende des Teewegs harre ein einsames kaltes Schicksal. Doch der Weg, den ich gesehen habe, war nicht nur einsam und kalt, er war dunkel, trostlos und hart. Wenn ich einmal anfange, über diese Dinge nachzugrübeln, vergesse ich die Zeit und kann kaum einen anderen Gedanken mehr fassen. Dennoch will ich hier die Überlegungen zu meinem Traum unterbrechen.
»Ist Ehrwürden Kōkei vom Daitokuji vor oder nach dem Jahreswechsel gestorben?« fragte mich Herr Tōyōbō.
»Es war um die Mitte des ersten Monats«, antwortete ich.
»In letzter Zeit hat sich mein Gedächtnis sehr verschlechtert. Ich vergesse die wesentlichsten Dinge«, klagte Herr Tōyōbō. »Oshō Kōkei hat Meister Rikyū um sechs Jahre überlebt. Mit seinem Tod geht eine Epoche zu Ende. Eine Epoche, die von beiden geprägt wurde!«
»Fürwahr, das Ende einer Epoche ist erreicht!« wiederholte der alte Herr aufrichtig bewegt.
Selbst ein unbedeutender Mönch wie ich vermag diese Empfindung zu teilen. Oshō Kōkei war ein wahrhaft großer Mann.
»Die kriegerischen Zeiten sind vorbei und damit auch ihre Teekultur!« fuhr Herr Tōyōbō erregt fort.
»Eine Teekultur des Krieges?« fragte ich.
»So ist es doch! Ein Mann betrat den Teeraum, trank Tee und zog in den Krieg, um auf dem Schlachtfeld zu sterben. Diese Zeiten sind vorüber. Und kehren nie zurück. An Meister Rikyūs Stelle ist Furuta Oribe getreten. Seine Zeit wird kommen. Oder vielleicht ist sie schon da. Die Teezeremonie ändert sich. Gern würde ich die karge Strenge des Wabicha erhalten, aber das wird nicht gehen.«
»Aber Ihr seid doch noch hier, Meister Tōyōbō!«
»Habt Dank für Eure Worte, doch leider bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Ich bin ein alter Mann. Rikyūs Teekunst übertraf alles. Er besaß etwas, das kein anderer Teemensch sein eigen nennt. Er war ein Mann von unvergleichlicher Größe und hat sein Leben für die Teezeremonie geopfert. Es gibt viele namhafte Teemeister, doch keiner von ihnen kann sich mit Rikyū messen. Er war leidenschaftlich. Mithin konnte er sein Leben auch nicht auf natürliche Weise beschließen. Es wird viel darüber geredet, warum er sich das Leben nehmen mußte, aber letztendlich hat er den Tod selbst herausgefordert.«
Zustimmung heischend wandte er sich mir zu. Ich schwieg.
»Stimmt doch, oder nicht? Sein Temperament lud Schwierigkeiten geradezu ein. Vergangenes Jahr ging das Gerücht, er habe aus Gewinnsucht Teegerät zu überhöhtem Preis verkauft und sich deshalb töten müssen. Vielleicht hat er das getan, aber bestimmt nicht aus Habgier. Doch wie soll man diesen Banausen sonst den Wert dieser Gegenstände klarmachen? Einen hohen Preis zu verlangen, ist der einfachste Weg. Meister Rikyū wählte seine Gerätschaften stets aus seiner näheren Umgebung aus. Es waren ausnahmslos Zufallsfunde von großer Schönheit. Man merkte es sogleich, wenn man sie in der Zeremonie verwendete. Er war ein einmaliger Kenner. Die von ihm ausgewählten Stücke konnten sich durchaus mit berühmten chinesischen Kunstwerken messen, und um dies zu vermitteln, gab er ihnen einen hohen Preis. Auf diese Weise gelangten die Teeschalen von Chōjirō zu höchstem Ansehen. Ein weiteres Gerücht besagt, er sei das Opfer von Verleumdungen geworden. Auch das ist möglich. Verleumdet wird viel. Kleine Leute setzen mit Vorliebe Gerüchte in die Welt, die am Ende schwer zu entkräften sind. Ein Mann von untadeligem Charakter wie Meister Rikyū hat viele Feinde. Und dann war da doch noch so eine Geschichte. Worum ging es da gleich?«
»Um die Statue im Sanmon des Daitokuji.«
»Ach ja, ganz recht. Da gab es jede Menge Gerede, aber Meister Rikyū hat sicher nichts davon gewußt. Oshō
Kōkei wahrscheinlich auch nicht. Irgendein Einfallspinsel von einem Mönch aus dem Daitokuji muß diese Idee gehabt haben. Weder Meister Rikyū noch Ehrwürden Kōkei wäre jemals auf eine solche Torheit verfallen. Dessen bin ich mir ganz sicher. Unvorstellbar, daß Rikyū eine Statue von sich, stehend, sitzend oder sonst etwas, im Tempeltor errichtet haben soll! Ausgerechnet er, der ganz dem Wabisuki-jōjū, der schlichten, reinen Strenge der Teezeremonie, verpflichtet war. Nie und nimmer! Lassen wir das. In letzter Zeit gerate ich leicht in Rage. Dann übermannt mich der Zorn, aber ich darf mich nicht hinreißen lassen, sonst falle ich womöglich noch tot um.« In der Tat erregte sein Ausbruch meine Besorgnis. Dennoch verspürte ich eine Erleichterung wie schon lange nicht. Für gewöhnlich stürzte es mich stets in unsägliche, rettungslose Verzweiflung, wenn mir Gerüchte über den Tod meines Meisters zu Ohren kamen, aber die heftigen Worte, mit denen Herr Tōyōbō für ihn eintrat, gaben mir neuen Mut. Gegen Ende seiner Rede war ein mir unbekanntes Wort aufgefallen.
»Sie haben da gerade ein Wort – Wabisuki so und so – benutzt. Was bedeutet das?« fragte ich.
»Wabisuki-jōjū? Das habe ich von Meister Rikyū . Ich wirke vielleicht wie ein verschrobener Einsiedler, der nichts besitzt außer einer Rolle des Prinzen Son-En-Po und einer Tenmoku-Teeschale, doch ich verfüge noch über andere Kostbarkeiten. Die Teeschale von Chōjirō, die Ihr gesehen habt, und ein zylindrisches Kohlebecken – ein neues Stück, das ich von Meister Rikyū erhalten habe. Wenn Ihr möchtet, kann ich es Euch zeigen, aber Ihr kennt es wohl. Ganz abgesehen davon hat er mir noch etwas Gestaltloses hinterlassen: den Begriff des Wabisuki-jōjū. Im Jahr vor seinem Tod fragte ich ihn, was denn das Geheimnis des Tees sei. Es gebe keines, erwiderte er mir damals. Als ich darauf bestand, faßte er es in den Worten Wabisuki-jōjū und Chanoyu-kanyō zusammen. Im letzten Jahr schrieb er die beiden Worte nieder und schenkte mir als hingebungsvollem Teeliebhaber diese Kalligraphie.«
Meister Rikyū mochte das zylinderförmige Kohlebecken sehr, weshalb ich es viele Male gesehen habe, aber das Wort »Wabisuki-jōjū« hörte ich zum ersten Mal.
»Wabisuki-jōjū«, fuhr Herr Tōyōbō fort, »ist die Seele der Teekunst, derer man bei Tag und bei Nacht, im Wachen und im Schlafen, gewahr sein muß. Ebenso wichtig ist Chanoyu-kanyō für die Teezeremonie. Zumindest meiner Meinung nach. Die Teezeremonie kann ich üben, aber die Lehre des Wabisuki-jōjū ist schwierig. Ich darf sagen, nahezu unmöglich. Allein Rikyū hat sie gemeistert, stets gewissenhaft befolgt und bis zu seinem letzten Augenblick nicht davon abgelassen.«
Er hielt kurz inne und fuhr dann erregt fort.
»Warum sollte ein Mensch wie Rikyū seine Gerätschaften aus Habgier verkaufen? Und wie könnte ein solcher Mann eine Statue von sich selbst in einem Tempeltor aufstellen? Ich höre lieber davon auf, sonst packt mich wieder die Wut!«
Rührung überkam mich, als ich erkannte, welch leidenschaftlichen Anhänger Rikyūs ich vor mir hatte. Was für ein Glück, daß ich heute Herrn Tōyōbō begegnet bin. Für meinen Meister und auch für mich. Sprachlos vor Bewegung senkte ich den Blick, um meine Tränen zu verbergen.
»Zur Abwechslung würde ich gern einen Tee trinken, den Ihr, mein lieber Honkakubō vom Mii-dera, zubereitet habt«, ließ Herr Tōyōbō sich nun vernehmen.
Ich verbeugte und erhob mich leise.
Herr Tōyōbō soll die Sitte, die Teeschale kreisen zu lassen, eingeführt haben, und Meister Rikyū hatte sie von ihm übernommen. Daher hatten wir diese Art der Zeremonie unter uns »Tee nach Tōyō« genannt, ohne daß er selbst etwas davon wußte. Ich erinnerte mich daran und ließ die Schale zwischen mir und Herrn Tōyōbō hin- und hergehen.
Nach dem Tee änderte sich die Stimmung deutlich. Unser Gespräch wurde ungeachtet des Unterschieds in Stellung und Alter so vertraulich, wie es nur zwischen Schülern von Meister Rikyū möglich ist.
»Rikyū verwendete gern kleine Teeschalen und zierliche Löffel. Vielleicht, weil er selbst groß war. Natürlich habe ich ihn das nie direkt gefragt, aber ich bin überzeugt, er machte sich stets ernsthafte Gedanken darüber und berechnete die Größe des Teelöffels im Verhältnis zur Größe der Schale. Und die der Schale entsprechend der Tatami des Raums«, erklärte Herr Tōyōbō.
Ja, so muß es gewesen sein. Heute erscheint mir das ganz klar, aber damals dachte ich nur, dem Meister gefielen die kleinen Teeschalen und zierlichen Teespatel eben besser. »Sein Teestil war in jeder Hinsicht erlesen und unvergleichlich. Frei, hochherzig, bar der winzigsten Spur von Geiz oder Kleinmut. Man brauchte nur zuzuschauen, und Stille und Frieden hielten im Herzen Einzug. Er hatte einen so ruhig fließenden Stil, frei von jeder Hemmung oder Bedrängnis. Kein anderer besaß diese Fähigkeit. Fast möchte man sagen, er war dazu geboren, aber ich glaube, er hat hart an sich gearbeitet.
Meister Rikyūs Stil glich einem Kampf ohne Schwert und ohne Dogma. Mit einem Wort, er kämpfte den Kampf eines nackten Menschen.«
Bei Herrn Tōyōbō s Worten wurde mir vieles klarer. Er hatte Meister Rikyūs Stil vortrefflich beschrieben.
»Herausragende Meister haben eine Neigung, Unheil anzuziehen.«
Hier unterbrach ich ihn, um zu widersprechen.
»Aber mein Meister hat sich nur der höflichsten Sprache bedient und Ehrerbietung walten lassen, wo sie geboten war. Ich glaube nicht, daß er sich in dieser Hinsicht auch nur das Geringste zuschulden kommen ließ.«
»Natürlich nicht. Sein Benehmen war untadelig. Jedem Samurai noch so niederen Ranges erwies er die einem Adelsherrn gebührende Hochachtung. Und um wie vieles mehr dem Taikō Hideyoshi! Nie hat er seinen Schülern nur eine Schale Tee angeboten, ohne sie zuvor Hideyoshi zu weihen. Nie eine einzige Brise oder eine einzige Schale Tee verwendet, ohne ihm dafür zu danken«, fiel Herr Tōyōbō ein.
Er überlegte einen Moment.
»Und dennoch fiel er in Ungnade!« fuhr er fort. »Oder nein, sollte man nicht vielmehr sagen, gerade deshalb?« Das Gespräch wendete sich nun ganz natürlich, ohne daß einer von uns beiden es angesprochen hätte, jener Frage zu, die niemand zu beantworten wußte. Herr Tōyōbō und ich wären gern durch das Dickicht der Gerüchte tiefer zu den Gründen des Unheils vorgedrungen, dessen schwarzer Strudel Meister Rikyū mit sich gerissen hat. »Habt Ihr vielleicht eine Ahnung, was es gewesen sein könnte?« fragte Herr Tōyōbō mich.
»Nein, nicht die geringste«, erwiderte ich. »Doch im nachhinein will mir scheinen, daß sich der Meister einige Tage vor seinem Tod ungewöhnlich verhielt. Er eilte zu Ehrwürden Kōkei in den Daitokuji, und als er zurückkam, verfaßte er – wiederum in für ihn ungewöhnlicher Hast – ein Schriftstück an diesen. Auch erinnere ich mich, daß er mehrmals an Hosokawa Sansai schrieb. Sollte dieses Verhalten im Zusammenhang mit seinem Tod stehen, wäre es doch sehr wohl möglich, daß die Herren Kōkei und Hosokawa über Umstände und Hergang der Ereignisse auf dem laufenden waren? Was natürlich nur eine Vermutung von mir ist.«
»Oshō Kōkei ist inzwischen verstorben. Und Hosokawa Sansai, der alte Sturkopf, läßt doch, was Meister Rikyū angeht, nicht eine Silbe verlauten. Wenn noch jemand etwas über die näheren Umstände weiß, dann vielleicht Furuta Oribe.«
Er hielt nachdenklich inne.
»Ich habe zwar keine Ahnung, was vorging«, sagte er dann, »aber eins weiß ich: Rikyū ist, nachdem das Verbannungsurteil über ihn verhängt war, unverzüglich nach Sakai aufgebrochen. Zumindest zu diesem Zeitpunkt muß er noch gedacht haben, Hideyoshis Zorn würde sich legen, während er sich in der Verbannung aufhielt, und er könne in Kürze wieder in die Hauptstadt zurückkehren. Neulich hörte ich, daß Sansai und Oribe Meister Rikyū bis an die Fähre am Yodo begleiteten. Die Leute, die mir das erzählten, lobten den Mut der beiden. Zu recht. Wer sonst hätte sich das erlauben können? Ich vermute jedoch, daß sie ihn begleiteten, weil auch sie an seine baldige Rückkehr glaubten. Sie hätten sich doch nie einem Mann angeschlossen, der in den Tod ging, weil er den Zorn Hideyoshis erregt hatte. Meint Ihr nicht? Das hätte niemand auf der Welt gewagt. Daher vermute ich, daß Meister Rikyūs Tod damals noch nicht beschlossen war. Die Entscheidung darüber muß erst nach seiner Abreise nach Sakai gefallen sein.«
Wie sehr beneidete ich diese beiden Männer, denen es vergönnt gewesen war, meinen Meister an diesem schweren Tag bis an den Yodo zu begleiten. Wäre mir das doch auch möglich gewesen! Gewiß war alles so, wie Herr Tōyōbō sagte: Die beiden Männer hatten Meister Rikyū begleitet, weil sie mit seiner baldigen Rückkehr rechneten. Obgleich sie meinem Meister Mut für seine Reise nach Sakai zusprachen, waren sie gewiß zutiefst bekümmert. Welche Freude muß mein Meister über ihre Ermutigungen empfunden haben! Ganz gleich, was Sansai und Oribe damals wußten oder fühlten, im nachhinein betrachtet, taten sie nichts anderes, als Meister Rikyū das letzte Geleit zu geben.
Während Herr Tōyōbō schwieg, sah ich meinen Meister auf seinem Weg in die Verbannung im Boot sitzen. Obwohl ich nicht dabei war, konnte ich mir die Szene genau vorstellen. Ich weiß nicht, wie die Herren Sansai und Oribe sich von ihm verabschiedeten, sah jedoch ganz deutlich vor mir, wie mein Meister zu ihnen hinüberblickte, derweil sein Boot sich allmählich vom Ufer entfernte. Was mag er in diesem Augenblick empfunden haben? Die beiden vornehmen Samurai glaubten sicher, sie würden ihn bald wiedersehen, doch hat er nicht vielleicht ganz anders gefühlt? Ahnte er das Schicksal, das ihn so bald erwartete? In diesem Fall hätte mein Meister wirklich für immer von seinen beiden Freunden Abschied genommen.
Ich weihte Herrn Tōyōbō in meine Gedanken ein, aber er teilte meine Ansicht nicht.
»Nein«, sagte er. »Im Herzen war Rikyū überzeugt, daß er eines nicht allzu fernen Tages nach Kyōto zurückkehren würde. Er konnte gar nichts anderes denken. Sansais und Oribes Begleitung ließ keinen anderen Schluss zu als den, daß Hideyoshis Zorn bald verraucht sein und das Verbannungsurteil aufgehoben würde. Kein Zweifel möglich. Nicht nur das, vielleicht kannte Meister Rikyū sogar die Ursache für Hideyoshis Zorn und dessen Ausmaß. Eigentlich mußte er doch denken, daß Sansai und Oribe ihn auf den Befehl des Taikō an den Fluß geleiteten. Er hatte meinen Meister zwar nach Sakai verbannt, wünschte aber vielleicht doch, daß die beiden vermittelten. Das ist keineswegs auszuschließen. Man kann verschiedener Meinung darüber sein, und ich weiß nicht, was andere davon halten, aber ich bin überzeugt, Rikyū konnte seine Lage nicht einschätzen. Schließlich kam alles ganz anders: Meister Rikyū kehrte nicht nach Kyōto zurück, und seine Verbannung nach Sakai wurde zu einer Reise in den Tod. Warum, weiß ich nicht, aber der Grund für diese Wendung muß sich erst später ergeben haben. Nachdem Rikyū nach Sakai gezogen war. Gewiß war er nicht einmal allzu beunruhigt, als er seine Reise antrat, da ja seine beiden adligen Freunde ihn begleiteten.«
Während ich Herrn Tōyōbō zuhörte, sah ich die ganze Zeit Meister Rikyūs Gesicht vor mir. Ganz sicher ahnte er das schwere Schicksal, das ihn zwanzig Tage später ereilen sollte. Von Herrn Tōyōbō s Schilderung ging etwas unbeschreiblich Düsteres aus, das meine Gewißheit nur verstärkte. Auf der einen Seite war Hideyoshi, der Herr über Leben und Tod. Auf der anderen Sansai und Oribe, die Meister Rikyū mit oder ohne seinen Befehl zur Anlegestelle am Yodo begleiteten und an seine Rückkehr nach Kyōto glaubten. Und mein Meister, der aufrecht im Boot saß, um in die Verbannung nach Sakai zu gehen. Wie Sansai und Oribe die Angelegenheit einschätzten, hing allein von Hideyoshi ab. Und was in ihm vorging, wußte niemand. Bei jedem Schlag seines Herzens konnte sich sein Wille ändern. Wie unsicher doch die Lage meines Meisters gewesen war.
Ich behielt diese Gedanken für mich, um Herrn Tōyōbō nicht zu widersprechen, aber ich zweifelte nicht daran, daß mein Meister zu dem Zeitpunkt, als er schweigend im Boot saß, sein tödliches Schicksal voraussah. Die Frage, ob mein Meister an diesem Tag nicht sein Leben für den Tee in die Waagschale geworfen hatte, drängte sich mir auf. Ich weiß nicht, ob ich recht habe, aber ich, der ich Meister Rikyū zu seinen Lebzeiten gedient habe und ihm auch heute noch jeden Tag zu Diensten bin, finde Gewißheit, indem ich mir die eigentümliche Szene am Ufer des Yodo vor sechs Jahren immer wieder vor Augen führe.
Dennoch bekannte ich Herrn Tōyōbō nicht, daß ich das Gesicht meines aufrecht im Boot sitzenden Meisters nicht zum ersten Mal sah, sondern immer und immer wieder. Im neunten Monat des Jahres Tenshō sechzehn4 hatte im viereinhalb Tatami großen Teeraum von Hideyoshis Villa Juraku eine Gesellschaft stattgefunden, zu der Haruya, ein Geistlicher aus dem Daitokuji, als Ehrengast geladen war. Genau gesagt, sie fand am Morgen des vierten Tages im neunten Monat statt. Außer dem Oshō Haruya waren noch Kōkei und Gyokuho eingeladen, die – unnötig es zu erwähnen – hochgelehrten Hüter des ewigen Lichts im Daitokuji.
Es handelte sich damals um eine Abschiedszeremonie für Ehrwürden Kōkei, der nach Kyūshū in die Verbannung geschickt wurde. Zu wissen, warum der geistliche Herr den Zorn Hideyoshis auf sich gezogen hatte, kam einer unbedeutenden Person wie mir nicht zu, aber Gerüchten zufolge hatte er sich wegen der Errichtung des Tenshō-Tempels mit Hideyoshis Günstling Ishida Mitsunari überworfen. Da es eine Abschiedsfeier für einen Verbannten war, spielte sich alles heimlich und hinter verschlossenen Türen ab, um jedes Aufsehen zu vermeiden. Wahrscheinlich war Tōyōbō gar nichts davon zu Ohren gekommen. Der viereinhalb Tatami große Teeraum wies nach Osten. Es gab ein niedrig angebrachtes Fenster nach Norden und zwei unterschiedlich große Fenster über der östlichen Seitentür. Durch eines der Fenster drang wunderbar mildes Licht und unterstrich die Schönheit dieser morgendlichen Teegesellschaft.
Mein Meister verwendete ein Daisu – ein Gestell für Teegerätschaften – und Unterschalen. Beides nahm er nur selten in Gebrauch. Ich vermute, er wollte sich dem Stil der Gäste aus dem Daitokuji anpassen.
In der Nische hing ein Gedicht von Kidō.
Auf dem Daisu befanden sich ein mit Noppen verzierter eiserner Kessel, ein metallenes Wassergefäß mit Wappen, eine Schöpfkelle aus Metall und eine Deckelstütze. Auf dem Regal standen die erhöhten Unterschalen, ein quadratisches Tablett und eine bauchige Teedose in einem Beutel.
Da die Zeremonie heimlich stattfand, durfte ich die Aufgabe des Gehilfen übernehmen, die andernfalls einem Würdigeren zugekommen wäre. Man hieß mich auch Aufzeichnungen machen, und ich gab alles so getreu wie möglich wieder: jeden Handgriff meines Meisters und die genaue Anordnung auf dem Teegestell. Heute sind diese Aufzeichnungen für mich eine unersetzliche Kostbarkeit.
Die Kalligraphie war meinem Meister von Hideyoshi, der damals noch Kanpaku, also kaiserlicher Berater, war, zur Restaurierung anvertraut worden. Ihr Schöpfer Kidō war ein chinesischer Zenmeister der Rinzai-Schule und ein bedeutender Ahnherr des Daitokuji. Doch nicht nur deshalb hätte man sich kaum etwas Passenderes für diese Zeremonie denken können als dieses Gedicht, denn es harmonierte auch inhaltlich vorzüglich mit dem Anlaß.
Blätter fallen von den Zweigen,
Die Luft im Spätherbst ist kühl und rein.
Der edle Gelehrte schickt sich an, den Zentempel
zu verlassen.
Ihr, die in menschenleere Gegenden aufbrecht,
kehrt eilends zurück,
und erzählt uns, was Euer Herz im Innersten bewegt.
Das Gedicht spiegelte genau das wieder, was die Männer bei ihrem Abschied von Ehrwürden Kōkei empfanden, der nach Westen in die Verbannung ging.
Die Zeremonie war stilvoll, schlicht, lebhaft und verschwiegen zugleich, Gastgeber und Gäste waren eines Sinnes. Ganz wie es sich geziemte, einen edlen Geistlichen bei seinem Aufbruch in »menschenleere Gegenden« zu verabschieden.
Als die Zeremonie beendet war und die Herren vom Daitokuji sich empfohlen hatten, blieb ich, um aufzuräumen. Meister Rikyū hatte wieder Platz genommen. Ich war der Ansicht, es sei sicherer, das Gedicht von Kidō möglichst rasch abzuhängen, aber er gebot mir Einhalt.
»Laß es noch eine Weile dort«, sagte er, und ich gehorchte.
Am Abend hatte ich etwas im Teezimmer zu erledigen, hielt jedoch, da ich die Gegenwart eines Menschen spürte, in der Tür inne. Es dämmerte schon, war aber noch zu früh, um die Laternen anzuzünden. Als ich ins Zimmer spähte, erblickte ich meinen Meister noch an derselben Stelle sitzend wie am Vormittag.
»Bist du es, Honkakubō?« fragte er nach einer Weile. Bis dahin hatte ich Gelegenheit, ihn zu beobachten. Er saß sehr gerade, hatte beide Hände auf die Knie gelegt und das Gesicht seitlich nach oben gewandt. Seine Haltung wirkte gelassen, jedoch nachdenklich. Seine Miene war so entrückt, daß ich ihn nicht einfach so hatte ansprechen können. Ich fragte mich, was er dachte oder eher, was ihn so gefangen hielt.
»Häng jetzt die Rolle ab«, bat er mich.
»Sehr wohl«, erwiderte ich hastig und erschrocken, daß die ihm von Hideyoshi anvertraute Kalligraphie noch immer in der Nische hing. Eine Abschiedszeremonie zu Füßen von Hideyoshis Residenz für einen Mann, der dessen Zorn erregt hatte und den er nach Kyūshū verbannt hatte, ging vielleicht gerade noch an, aber diese Kalligraphie hinter dem Rücken des Großfürsten aufzuhängen war keine Kleinigkeit. Überdies mißbilligte das Gedicht, wenn auch versteckt, die Grausamkeit der Mächtigen, die tugendhafte Geistliche wie Herrn Kōkei in menschenleere Gegenden verbannten.
Mein Meister mußte den halben Tag vor der Bildrolle des Kidō verbracht haben.
Eilig nahm ich sie von der Wand und rollte sie zusammen. Ehe ich den Raum verließ, warf ich einen Blick auf meinen Meister. Es saß noch immer reglos mit unveränderter Miene da.
»Soll ich Euch eine Lampe bringen?« fragte ich ihn.
Zum ersten Mal bewegte er sich und stand auf. Von den ganzen zehn Jahren, in denen ich ihm diente, hat dieser Augenblick den stärksten Eindruck bei mir hinterlassen. Sooft ich mich daran erinnere, drängt sich mir der Gedanke auf, daß mein Meister damals im Geiste Taikō Hideyoshi gegenübersaß. Das heißt, er veranstaltete die Abschiedszeremonie für Ehrwürden Kōkei und hängte die Rolle von Kidō auf, um in eine Art stummen Wettstreit mit seinem Fürsten zu treten. Dabei bewies er einen so starken Willen, daß er einen halben Tag lang ohne Unterlaß, ohne nur einmal den Blick abzuwenden, Auge in Auge mit Hideyoshi verbrachte.
Nach ungefähr einem Jahr wurde Ehrwürden Kōkeis Verbannung aufgehoben, und er kehrte nach Kyōto zurück. Wie Herr Tōyōbō wußte, hielt mein Meister am Vierzehnten des neunten Monats im Jahre achtzehn der Ära Tenshō5 im selben Raum mit denselben Gästen eine Zeremonie zu Ehren von Herrn Kōkeis Rückkehr ab. Diesmal wartete ich nicht auf, sondern hielt mich im Hintergrund.
Während ich mit Herrn Tōyōbō über Meister Rikyūs Abreise nach Sakai sprach, schob sich aus irgendeinem Grund das Bild meines Meisters am Tag der Abschiedsfeier für Kōkei im neunten Monat des sechzehnten Jahres Tenshō6 über seinen Anblick im Boot nach Sakai.
Am Tage und während ich mit Herrn Tōyōbō sprach, war es mir nicht so aufgefallen, aber als ich wieder in meiner Klause war, wußte ich plötzlich, daß mein Meister im Boot seinen Blick auf den Taikō gerichtet hielt. Durch die Zeremonie in dessen ureigenster Residenz hatte er Hideyoshis Macht getrotzt, und ich kann nur den Mut bewundern, mit dem er die Strafe seines Fürsten entgegennahm und erhobenen Hauptes in die Verbannung ging. Er muß gewußt haben, daß Hideyoshi sich für die Abschiedszeremonie für Kōkei rächen würde. Und wahrscheinlich war er nicht nur auf den einen, sondern auch noch auf einen zweiten Vergeltungszug vorbereitet.
Ich glaube jedoch, das, was ich die Rache des Taikō nenne, kam zu spät. Ob Meister Rikyū in seinem Boot das gleiche dachte?
Herr Tōyōbō ist hingegen der Ansicht, daß die Lage meines Meisters, als er sich auf dem Weg nach Sakai befand, gar nicht so kritisch gewesen sei und sich erst hinterher zugespitzt habe, was zweifellos auch möglich wäre. Dennoch bin ich überzeugt, daß mein Meister sein Los voraussah. Er war ohnehin stets auf das Schlimmste vorbereitet.
Warum nur mußte er in eine solche Lage geraten? Diese Frage zu beantworten, übersteigt die Fähigkeiten eines einfachen Mönchs aus dem Mii-dera wie ich, Honkakubō, es bin. Irgendwann würde ich sie gern einem Mann stellen, der meinen Meister besser gekannt hat. Doch ob mir dies jetzt, wo ich mich aus der Welt des Tees zurückgezogen habe, jemals möglich sein wird?
Es ist schon spät in der Nacht, und ich werde die Schilderung meiner langen Begegnung mit Herrn Tōyōbō hier unterbrechen.