SCHLUSSKAPITEL

Vierundzwanzigster Tag, zwölfter Monat,

siebtes Jahr der Ära Genma47

Klarer Himmel, strenger Frost

Vor drei Tagen erfuhr ich vom Inhaber des Daitokuya, daß Herr Uraku am Dreizehnten in seiner Klause Shōden-in unsere Welt verlassen hat. Er teilte mir mit, daß die Totenfeier heute um ein Uhr nachmittags am Ufer des Kamo nahe Gojo stattfinde. Ich wußte, daß Herr Uraku seit dem Sommer gelähmt war, aber daß er uns schon so bald verlassen würde, hätte ich nicht gedacht. Er war fünfundsiebzig. Hätte ich das geahnt, hätte ich ihn noch einmal besucht, aber jetzt ist es zu spät. In den letzten Jahren haben auch meine Kräfte sehr nachgelassen. Es ist mir schon beschwerlich, nach Kyōto hineinzugehen, aber zum Shōden-in schaffe ich es überhaupt nicht mehr.

Das letzte Mal habe ich Herrn Uraku im zehnten Monat vergangenen Jahres gesehen, als ich ihm half, seine Sammlung von Kunstgegenständen zum Lüften ins Freie zu tragen. Ich verbrachte einen amüsanten und heiteren Nachmittag, indem ich Herrn Urakus eigenwilligen Bemerkungen lauschte. Nie bezeichnete er ein Stück einfach als »gut«, selbst wenn es das war. Offenbar sollte dies unsere letzte Begegnung sein.

Meinesgleichen wird natürlich nicht zu den Bestattungsfeierlichkeiten eines Mannes wie Herr Uraku eingeladen, aber um ihm wenigstens von weitem mein Lebewohl zu entbieten, verließ ich um die Stunde der Schlange48 das Haus. Als ich an dem Dorf Ichijōji vorbei war und in die Nähe von Takano gelangte, überkam mich Schüttelfrost, und ich bat einen mir bekannten Bauern, bei ihm rasten zu dürfen. Nun blieb mir nichts anderes übrig, als den Feierlichkeiten ganz fernzubleiben. Was für ein Elend!

Ich aß im Hause der guten Leute, ruhte mich bis zum Abend aus und machte mich schließlich bei Sonnenuntergang auf den Heimweg. Der Mond ging erst spät auf. Der Bauer hatte mir einen Jungen zur Begleitung mitgegeben, den ich jedoch zurückschickte, da ich mich besser fühlte und nicht mit weiterem Ungemach rechnete.

Hinter Ichijōji gibt es keine Häuser mehr. Bis dahin kann man sich am Schein der überall am Weg verstreuten Bauernkaten orientieren und mitunter sogar sehen, wie sich Familien ums Feuer scharen. Ist man jedoch am letzten Haus vorbei, gibt es bis zum Tor meiner Klause Shūgaku-in kein einziges Licht mehr. Da der Weg jedoch geradeaus führt, eben ist und ich ihn außerdem gut kenne, wanderte ich sicheren, gemessenen Schrittes durch die Dunkelheit.

Ich weiß nicht, wie lange ich gegangen war, als mir das dämmrige Licht auffiel. Ich blieb stehen und hielt Ausschau nach dem Mond, doch der Himmel war dunkel. Nachdem ich meinen Weg eine Weile fortgesetzt hatte, wähnte ich mich plötzlich auf ebenjenem Pfad, auf dem ich einst im Traum meinem Meister gefolgt war. Der Gedanke stellte sich ganz wie von selbst ein, kein Irrtum war möglich. Es war derselbe triste, kalte, öde Weg. Kein Baum und kein Strauch säumte seine sich in unendliche Ferne erstreckende, steinige Bahn. Damals in meinem Traum hatte ich mich gefragt, ob er womöglich ins Jenseits führe. Denn wohin sonst sollte dieser einsame Weg führen, der mir schier das Herz gefrieren ließ? Auch jetzt empfand ich es wieder so. Die Bezeichnung »Weg ins Jenseits« war treffend. Von dieser Welt schien der Weg jedenfalls nicht zu sein. Wieder herrschte das gleiche düstere Zwielicht, das weder Tag noch Nacht war.

Falls ich mich also erneut auf diesem Traumpfad befand, mußte eigentlich auch mein Meister irgendwo sein. Wahrhaftig, er ging vor mir her! Ganz von selbst kam er mir in den Sinn. Dort ging mein Meister! Beim letzten Mal hatte der Traum damit geendet, daß ich mich tief vor ihm verbeugt und wortlos Abschied genommen hatte. Doch in Wirklichkeit hatte ich es mir anders überlegt und war ihm gefolgt, statt mich von ihm zu trennen. Wie hätte ich meinen Meister ganz allein auf diesem jenseitigen, einsamen Weg zurücklassen können? Diesmal hielt ich größeren Abstand und folgte ihm.

In dem alten Traum hatte ich das unheimliche Gefühl gehabt, der Weg führe vom Myōkian in die Hauptstadt. Der Weg, auf dem mein Meister und ich jetzt gingen, führte in die Hauptstadt hinein, mitten durch die Villa Juraku hindurch, aus Kyōto hinaus und endlos geradeaus weiter. Weit, weit vor mir wanderte die einsame Gestalt meines Meisters. Da ich ihn aus den Augen verloren hatte, vermochte ich auch seine Schritte nicht zu hören. Obwohl ich längst von ihm getrennt war, sorgte ich mich um ihn und begleitete ihn.

Wir waren schon vor langer Zeit aus dem Myōkian in Yamazaki aufgebrochen. Wie weit würde dieser Weg noch führen, der ausschließlich für meinen Meister bestimmt zu sein schien? Niemand außer ihm benutzte ihn. Wer sonst wäre imstande, einen solch einsamen Weg zu gehen?

»Meister! Wohin geht Ihr? Wohin wollt Ihr?« rief ich ihm in Gedanken nach. Dabei stolperte ich und verletzte mir den Fuß. Im selben Moment vernahm ich deutlich das Rauschen des Takano, das mir bis dahin entgangen war. Zugleich wurde mir bewußt, daß ich mich auf dem Heimweg zum Shūgaku-in befand. Das dämmrige Licht war ebenso verschwunden wie der öde, kalte Pfad. In der Dunkelheit vor mir lag nur noch der gewohnte, von Steinen und Äckern gesäumte Feldweg.

Es war mitten in der Nacht im zwölften Monat, und es herrschte Frost, kein Wunder, daß ich fast an Leib und Seele erfroren war.

Von Kälteschauern geschüttelt, schleppte ich mich den kleinen Pfad zum Shūgaku-in hinauf und warf mich auf den gestampften Boden meiner Klause. Wenig später legte ich mich an das Feuer, das eine Nachbarsfrau für mich entfacht hatte, und schlief bis zum nächsten Morgen. Zwei Tage lang hatte ich hohes Fieber.

Neunundzwanzigster Tag, zwölfter Monat

Klares Wetter

Heute morgen habe ich mein Lager verlassen und den ganzen Tag untätig am Feuer gesessen. In den letzten vier oder fünf Tagen brachte mir die Nachbarin das Essen, doch heute habe ich mir zum ersten Mal selbst Reisbrei gekocht. Bis gestern hatte ich kaum Appetit, aber nun befinde ich mich wohl mehr oder weniger auf dem Wege der Besserung. Natürlich hätte ich mich hüten müssen, bei diesem Winterwetter auszugehen. Im nachhinein ist klar, daß ich mir eine Erkältung holen mußte.

Vielleicht liegt es daran, daß ich dem Geist von Herrn Uraku nicht Lebewohl sagen konnte, wenn ich heute immer wieder an ihn denken muß und so den ganzen langen Wintertag in seiner Gesellschaft verbracht habe. Er gehörte zu den wenigen, die Meister Rikyū noch gekannt haben. Von den Samurai, mit denen er befreundet war, ist wahrscheinlich nur noch Hosokawa Sansai am Leben. Allerdings hatte ich von Herrn Uraku gehört, daß Imai Sōkun in Sakai sich recht wohl befinde, aber ob das noch immer so ist? Da ich Herrn Sansai und ihn zu Meister Rikyūs Lebzeiten nicht gekannt habe, hatten wir uns, als wir uns später begegneten, nicht viel zu sagen. Ein richtiges Gespräch kam nie zustande.

Herrn Uraku bin ich das erste Mal im zehnten Monat im Jahre Genma drei49 begegnet, als er seinen Teepavillon Joan am Shōden-in baute. In den darauffolgenden vier kurzen Jahren unserer Bekanntschaft war er, sooft wir uns begegneten, sehr freundlich zu mir, wie es seinem Naturell entsprach, und erzählte mir stets ein oder zwei Begebenheiten aus Meister Rikyūs Leben. Dabei wirkte er zwar distanziert, aber ich bin sicher, im Innersten war er Meister Rikyū wärmstens zugetan. Sein Hinscheiden bedeutet auch in dieser Hinsicht einen unersetzlichen Verlust für mich. Man hat ihm im Shōden-in ein Grab errichtet, das ich, sobald der Frühling kommt, zu besuchen hoffe.

Gern würde ich mit Meister Rikyū über Herrn Urakus Tod sprechen, aber er antwortet mir schon seit zehn Jahren nicht mehr, auch wenn ich immer wieder das Wort an ihn richte. In meiner Anfangszeit hier im Shūgaku-in habe ich jeden Tag – ach, was rede ich – von morgens bis abends seine Stimme gehört und mit ihm gesprochen. Heute erscheint mir das wie ein Traum. Allmählich jedoch wurden die Abstände, in denen ich ihn ansprach, größer und seine Antworten entsprechend seltener. Das ist wohl der unaufhaltsame Lauf der Dinge. Dreißig Jahre sind verstrichen, seit mein Meister in die andere Welt gegangen ist. Dreißig Jahre seit dem Tod Sōkyū s, einunddreißig seit dem von Sōji, und Sōkiu ist schon achtundzwanzig Jahre nicht mehr unter uns. Es waren schwierige Zeiten, nachdem nacheinander alle großen Teemeister gestorben waren.

Irgendwann hat Herr Uraku mir einmal halb im Scherz erzählt, daß Sōkyū möglicherweise gegen meinen Meister intrigiert habe, und ich erinnerte mich, daß es zwischen den beiden tatsächlich eine Unstimmigkeit gegeben hatte. Aber auch davon haben die verflossenen dreißig Jahre jede Spur hinweggewaschen.

Herr Ujisato weilt schon lange nicht mehr auf dieser Welt, ebenso wie Ehrwürden Kōkei vom Daitokuji. Beide müssen schon zwanzig Jahre tot sein. Der Kummer über Herrn Oribes Freitod und Herrn Ukons Verbannung sind jedoch bis heute nicht aus meinem Herzen verschwunden. Beides liegt sechs Jahre zurück. Der ehrenwerte Teeliebhaber Herr Tōyōbō starb vor dreiundzwanzig Jahren und Herr Kōsetsusai vor zwölf. Die Zeit verschlingt alles, spült alles spurlos davon. Sie ist furchterregend, gnadenlos. Nicht lange und auch ich, Honkakubō, werde, ohne eine Spur zu hinterlassen, vom Fluß der Zeit hinweggeschwemmt werden.

Bis zum Abend erinnerte ich mich an viele Gespräche, die ich mit Herrn Uraku geführt hatte, eines davon, ich weiß nicht mehr genau, wann es stattgefunden hat, beschäftigte mich besonders.

»Welche war wohl Meister Rikyūs vollkommenste Teezeremonie? Dazu würde ich gern Eure Meinung hören, mein lieber Honkakubō.«

Ich nannte ihm eine Zeremonie, bei der Herr Sōkyū Meister Rikyūs einziger Gast gewesen war. Sie fand im Morgengrauen mitten im kältesten Winter statt. Herr Sōkyū traf zur Stunde des Tigers50 ein, just als es anfing zu schneien. Als ich so weit erzählt hatte, unterbrach mich Herr Uraku.

»Das ist doch keine Teekunst! Ein Teemensch, der mit einem anderen Tee trinkt, und zudem schneit es noch – wie abgeschmackt. Ich habe nur ein einziges Mal in meinem Leben einer echten Teezeremonie beigewohnt.«

Damit schnitt er mir das Wort ab und begann seine eigene Geschichte zu erzählen.

»Einst empfing ich Seine Exzellenz Kimura Shigenari, Statthalter von Nagato in meiner Teeklause. Ein halbes Jahr später sollte er während der Schlacht um Ōsaka frühzeitig in Kawaguchi ums Leben kommen. Er sah seinen Tod bereits voraus. Ich begriff sogleich, daß dies seine letzte Gelegenheit zu einer Teezeremonie war. Wie soll ich sagen, es war die Zeremonie, bei der er sich zu sterben entschied und gewissermaßen seinen Tod gelobte. Und ich durfte ihm zur Seite stehen. Das, so dachte ich damals, ist der wahre Weg des Tees.«

Ich sah Herrn Urakus ungewöhnlich ernstes Gesicht vor mir. Selten hatte er seine Gefühle so offen gezeigt. Dies war eine große Ausnahme. Kimuras Haltung mußte ihn sehr beeindruckt haben. Im Gegensatz zu ihm soll Herr Uraku vor der Belagerung im Sommer aus der Burg Ōsaka geflohen sein. Vielleicht war ihm klar geworden, daß er niemals so tapfer wie Statthalter Kimura sein würde. Während ich meine Gedanken so schweifen ließ, fiel mir ein, daß Meister Rikyū mir einmal etwas Ähnliches erzählt hatte.

»Im vierten Jahr Eiroku51 hielt ich in Sakai eine Zeremonie für Miyoshi Jikkyū – Butsugaiken – ab, der seinen Tod für das kommende Jahr voraussah. Vom Augenblick seiner Ankunft bis er sich verabschiedete, hatte unsere Zeremonie etwas Einmaliges. Ich, der Gastgeber, war zwar fünf oder sechs Jahre älter, aber mit meinem Gast konnte ich mich nicht messen«, hatte Meister Rikyū ebenso wie Herr Uraku erklärt. Er berichtete mir auch noch von einer anderen Teezeremonie mit Takayama Ukon. »Ukon ist dreißig Jahre jünger als ich, aber heute konnte ich mich nicht mit ihm messen. Und nicht nur heute. Es ist immer das gleiche. Er hat seinem Ich entsagt und ist am Ende angelangt. Seine außerordentliche Gelassenheit ist unerreicht«, sagte er eines Abends im zwölften Monat des Jahres Tenshō achtzehn52, an dem er Ukon als einzigen Gast empfangen hatte.

Wenn wir schon von Todesahnungen sprechen: Warum wußte Meister Rikyū nichts von seinem eigenen Tod, der ihn kaum zwei Monate später ereilen sollte. Und warum war Herr Ukon auf seinen Tod vorbereitet, als stünde er am nächsten Tag bevor, obwohl er ihn erst zweiundzwanzig Jahre später in der Verbannung finden sollte? Wie dem auch sei, Meister Rikyūs lobendem Urteil entsprechend, halte auch ich Takayama Ukon für eine herausragende Persönlichkeit. Müßte ich einen in der Teekunst herausragenden Mann nennen, würde ich mich für Takayama Ukon entscheiden. Ich weiß nicht, ob er möglicherweise dem christlichen Glauben anhängt, jedenfalls verfügte er über die ständige Bereitschaft zu sterben. Vermutlich war Meister Rikyū der Ansicht, er könne es zumindest in dieser Hinsicht nicht mit ihm aufnehmen.

Demnach bekannten Meister Rikyū und Herr Uraku ganz offen ihre Unzulänglichkeit – der eine gegenüber Takayama Ukon, der andere gegenüber Statthalter Kimura. Diese Einsicht, glaube ich, ist das Kennzeichen eines Meisters unter Meistern.

Noch etwas, das Herr Uraku über meinen Meister gesagt hat, geht mir nicht aus dem Sinn: »Rikyū war beim Tod etlicher Samurai anwesend. Wie viele von ihnen sind in die Schlacht gezogen, nachdem sie bei Meister Rikyū Tee getrunken hatten? Und fanden den Tod. Wenn man so viele gewaltsame Tode vorbereitet hat, kann man doch nicht auf seinem Lager sterben.«

Diese Worte und Herrn Urakus Tonfall sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Er sagte auch, daß er selbst anwesend war, als Statthalter Kitamura den Entschluß faßte zu sterben. Zweifellos richtete Meister Rikyū für viele Samurai derartige Gelöbniszeremonien aus. Ich selbst kenne keinen von ihnen, aber es waren große Namen wie Matsunaga Hisahide, Miyoshi Jikkyū, Seta Kamon und Akechi Hyūganokami darunter. Zumindest hat mein Meiter sie erwähnt. Diese Krieger, alle in der Teekunst beschlagen, hatten vor meiner Zeit bei Meister Rikyū den Tod in der Schlacht gefunden.

Meister Rikyū erzählte mir einmal, daß Taikō Hideyoshi seine kühnsten Auftritte bei den Teezeremonien in den Jahren Tenshō zehn und elf53 gehabt habe. Im Jahre zehn schlug er Fürst Akechi von Yamazaki und elf besiegte er Shibata Katsuie in Kitanosho. Vor beiden Schlachten hatte Hideyoshi sich in Anwesenheit Meister Rikyūs darauf vorbereitet, in der Schlacht zu sterben.

»Rikyū war herausragend. Er ging seinen Weg allein. Er hatte seine eigene Philosophie des Tees. Er hat aus der leichten Teekunst, die dem reinen Vergnügen diente, etwas Ernsthaftes geschaffen. Das bedeutet, er hat den Teepavillon in einen Raum für Zenmeditation verwandelt. In einen Raum, in dem man das Schwert gegen sich selbst richtet«, sagte Herr Uraku mir an dem Abend, an dem er mich zum ersten Mal zu einer Teezeremonie einlud. Es war das erste und letzte Mal, daß er Meister Rikyū rückhaltlos als herausragend pries, doch diese Äußerung hatte zur Folge, daß ich ihn danach noch viele Male im Shōden-in besuchte.

Aber was hieß das eigentlich? Unbestreitbar ist Meister Rikyū seinen eigenen Weg gegangen. War er nicht auch in meinem Traum ganz allein jenen kalten, kahlen einsamen Weg gegangen?

»Er hat aus der leichten Teekunst, die nur dem Vergnügen diente, etwas Ernsthaftes geschaffen«, sagte Uraku. Was bedeutete das? »Er hat das Teezimmer zu einem Raum gemacht, in dem man sich tötet.« Das verstehe ich noch weniger. Gleichwohl klangen seine Worte in meinen Ohren weder ärgerlich noch höhnisch. Ihren Inhalt verstehe ich nicht, aber sie scheinen Meister Rikyū weder anzugreifen noch herabzusetzen.

Mein Meister, der die entscheidende Tat beging, das Teehaus zu einem Ort des Freitodes zu machen, ist nicht mehr, und auch Herr Uraku, der dies erkannte, weilt nicht mehr unter uns. Keinen von beiden kann ich mehr fragen, aber Meister Rikyū besaß mit seiner Teekunst gewiß die Fähigkeit, auf den Tod vorzubereiten. Wenn nicht, hätten mich Herrn Urakus Worte sicher unangenehm berührt, was sie jedoch nicht taten.

Was ist bloß dieser einsame Weg, den ich als Weg in die andere Welt bezeichne? Was ist das für ein Weg, der vom Myōkian in Yamazaki endlos geradeaus führt? Warum geht mein Meister ihn ganz allein? Ich versuche zu verstehen, aber ich verstehe es nicht. Dennoch bin ich diesen Weg bereits zum zweiten Mal mit meinem Meister gegangen. Einmal im Traum und einmal in den Fieberphantasien in jener Nacht nach Herrn Urakus Totenfeier.

Diese Gedanken plagen mich bei Tag und bei Nacht. Ob es am Alter liegt? Seit letztem Jahr kann ich, sooft mich etwas beschäftigt, an nichts anderes mehr denken. Inzwischen habe ich das Alter, in dem Meister Rikyū gestorben ist, schon um ein Jahr überschritten.

Siebter Tag, zweiter Monat,

achtes Jahr der Ära Genma54

Schönes Wetter

Im Morgengrauen hatte ich einen Traum.

Ich sitze schon länger im Küchenkabinett. Meister Rikyū hat im Teezimmer auf der Matte des Gastgebers Platz genommen. Kein Laut ist zu hören, aber ich weiß, daß er dort sitzt. Allein seine Anwesenheit verändert die Atmosphäre und überträgt sich bis zu mir in die Küche. Im Studierzimmer sind bereits die drei Sekundanten eingetroffen. Einer von ihnen ist Awajinokami Maita. Die anderen beiden kenne ich nicht, aber Herr Maita hat in Meister Rikyūs Teepavillon in der Villa Juraku einmal das Wort an mich gerichtet. Das war am Morgen des Zweiundzwanzigsten des elften Monats im Jahre Tenshō achtzehn55, als er im viereinhalb Tatami-Teeraum mit Hasegawa Uhei an einer Zeremonie teilnahm, wahrscheinlich seiner letzten bei Meister Rikyū . Ich habe erfahren, daß Herr Maita meinem Meister als Sekundant bei seinem von Hideyoshi befohlenen Selbstmord beistehen soll. Das muß sehr schwer für ihn sein, aber Meister Rikyūs Anwesenheit ist gewiß eine Erleichterung.

»Wir haben uns lange nicht gesehen«, höre ich zu meinem Erstaunen Meister Rikyūs Stimme. Noch jemand scheint den Raum betreten zu haben. Wer wird Meister Rikyūs letzter Teezeremonie beiwohnen?

»Exzellenz ...« höre ich abermals Meister Rikyūs Stimme. Ich bin völlig entgeistert. Diese Anrede läßt keinen anderen Schluss zu, als daß der Taikō den Raum betreten hat. Doch wann? Wie ist er hineingekommen?

Plötzlich höre ich ein immer heftiger werdendes Prasseln, als würden Kieselsteine auf das Dach fallen. Es hagelt. Aber es klingt nicht wie gewöhnlicher Hagel. Dieser Hagel ist so heftig, daß er Himmel und Erde einzuhüllen scheint. Aus dem Rauschen ertönt Meister Rikyūs Stimme. Es sind seine letzten Worte. Damit keines mir entgeht, beuge ich mich, eine Hand auf die Tatami gestützt, nach vorn.

»Das erste Mal bin ich Euer Exzellenz im Frühling des vierten Jahres Tenshō56 im neuen Teepavillon der Burg Azuchi begegnet. Ihr habt einer meiner Teezeremonien, die Oda Nobunaga veranstaltete, beigewohnt. Fürst Oda vertraute Euch damals die Burg Nagahama an. Ihr wart noch jung, gerade einmal vierzig.«

»Wahrlich, sehr jung.«

»Bei dieser Zeremonie waren Gerätschaften aufgereiht, die Fürst Oda von Teekennern aus Sakai beschlagnahmt hatte. Unter anderen eine antike Obstschale aus Herrn Sōkyū s Besitz, ein Teetopf aus Komatsujima, der dem Herrn Apotheker gehört hatte, eine Vase in Form einer Orange von Aburaya Jōjū, ein viereckiger Topf von Hatsuhana, ein Teespatel aus Bambus von Herrn Hōōji.«

»...«

»Ihr habt ihren Wert gleich erkannt und Euch gefreut, daß sie aus dem Besitz der Bürger von Sakai in den von Fürst Nobunaga übergegangen waren.«

»Wirklich?«

»Falls ich mich nicht täusche, erteilte Euch Herr Nobunaga im sechsten Jahr Tenshō57 die Erlaubnis, Teezeremonien zu veranstalten. Eure erste Zeremonie habt Ihr im Herbst desselben Jahres in der Burg Miki im Bezirk Banshū abgehalten. Sie war Herrn Chikushus neuer Teeernte gewidmet, aber Ihr habt mich damals nicht dazu eingeladen.

Vier Jahre darauf im Spätherbst war ich mit den Herren Sōkyū und Sōkiu im Myō kan in Yamazaki. Diese Zeremonie fand einen Monat nach den großen Bestattungsfeierlichkeiten für Oda Nobunaga im Daitokuji statt. Damals hattet Ihr wahrhaftig eine Glanzzeit. Im folgenden Jahr hieltet Ihr im ersten und im zweiten Monat im Myōkian Zeremonien ab, sowie im fünften Monat in Sakamoto. Jedesmal ludet Ihr mich dazu ein, und seit Sakamoto hatte ich die Stellung des Gastgebers inne. Ich habe sie nicht vergessen: die Rolle von Kidō, die Herrn Itsukushima aus Kyōto gehörte. Die zylindrische Vase aus blauem Porzellan von Araki Dōkun; das Kohlebecken mit dem Siegel; den bauchigen Topf von Meister Jōō; die Ise-Teeschale aus dem Daikakuji, der Spülwasserkrug Takotsubo; die Ise-Teeschale und die koreanische Teeschale.«

»Ihr habt ein hervorragendes Gedächtnis.«

»O ja, ich erinnere mich genau. Es war ein großer Tag für mich. Danach diente ich Euch acht Jahre lang bis zum heutigen, meinem letzten Tag. Ich finde keine Worte, um Euch für Eure Gunst und Großzügigkeit zu danken, ehe wir voneinander scheiden.«

»Es ist unnütz, sich zu trennen.«

»Nein, ich habe den Befehl erhalten, mich zu töten.«

»So seid doch nicht so stur!«

»Ich bin nicht stur. Ihr habt mir schon so viel gegeben. Meine Stellung als Teemeister und die große Ehre, meinem schlichten und strengen Teeweg Eure Unterstützung angedeihen zu lassen, und zum Schluss den Tod, Euer größtes Geschenk. Dank Eurer habe ich zum ersten Mal die Wahrheit des Teeweges erkannt. Seit Ihr mich nach Sakai verbannt habt, bin ich plötzlich frei. Nicht nur mein Leib ist frei, auch mein Geist. Lange Jahre habe ich von der Einfachheit und Strenge des Teewegs dahergeschwatzt, doch all mein Reden und Tun war aufgesetzt und leer. Wabi ist – wie soll ich sagen – zur Essenz des Todes geworden.«

»Genügt das denn nicht? Es wäre mir lieber, Ihr ginget nicht weiter.«

»Exzellenz, so sprecht Ihr jetzt. Gleichwohl habt Ihr als Herrscher Euer Schwert stets ernsthaften Sinnes gezogen. So muß auch ich, Sōeki, das Schwert des Teemeisters ziehen.«

»...«

»Mein Fürst, Ihr habt mich, Sōeki, mit allen meinen guten und schlechten Seiten angenommen. Und dann nur meine guten Seiten. Doch zum ersten Mal habt Ihr mich ganz verstoßen.«

»Aber tut Ihr denn nicht genau das gleiche? Von mir nur das Vorteilhafte nehmen?«

»Ganz recht. Und das ist auch gut so. Dennoch habt Ihr Euer Schwert gezogen. Also kann ich als Anhänger des Teewegs nichts anderes tun, als ebenfalls mein Schwert zu ziehen. Ebenso wie Ihr, mein Fürst, gewisse Dinge wahren müßt, muß ich, Sōeki, als Teemeister das Meine bewahren. Es wäre schön gewesen, wenn Ihr mich ohne Vorbereitung im Zorn niedergestreckt hättet. Dann wären keine Fragen offengeblieben. Aber so ist es nicht gekommen.«

»...«

»Ich habe Euch mißfallen, und Ihr habt den Tod über mich verhängt. Als Ihr mich nach Sakai verbanntet, tatet Ihr dies, ohne auf andere zu hören oder zu achten, ganz als Ihr selbst. Was ist der Tee, was ist Wabicha, von Anfang an hatte das keine Bedeutung. Allein unsere Begegnung zählte. Daß Ihr Ihr werden müßt und ich, Sōeki, Sōeki werden muß, allein das zählt. Dank Eurer bin ich aus einem langen, langen Traum erwacht.«

»...«

»Ihr seid großartig, wenn Ihr das Teezimmer betretet, ein wahrer Kenner. Doch als Krieger seid Ihr, es ist nicht zu leugnen, noch großartiger. Euer jüngster Zorn war rein und klar und Ihr habt den Tee beiseite geschleudert und Eure wahre Größe gezeigt. Dank dessen konnte ich aus meinem langen Albtraum erwachen und zu Sōeki werden, einem wahren Teemenschen. Auf Eure Macht bauend, mein Fürst, habe ich versucht, in dieser Welt einen kleinen Platz zu schaffen, der nichts mit Reichtum, Macht, Denk- oder Lebensweisen zu tun hat. Das war von Anfang an sinnlos. Es reicht aus, daß ich allein an diesem Platz sitze. Törichterweise wollte ich, daß viele Menschen dorthin kommen. Welch sinnloser Irrtum. Das erkannte ich zum ersten Mal, als ich von Euch den Befehl erhielt, mich zu töten. Oder besser gesagt, ich erinnerte mich an etwas lang Vergessenes, nämlich an meine Unreife, als ich Euch den zwei Tatami großen Teeraum im Myōkian einrichten ließ. Dieser Raum wurde auf Euren Befehl geschaffen. Nicht für Euch, sondern für mich. Dennoch habe ich ständig Euch und andere eingeladen.«

»...«

»Bei dieser Erinnerung erwachte mein Herz erstmals seit langer Zeit zum Leben. Der Teepavillon im Myōkian war die Burg des Teemeisters Sōeki. Er hatte nicht einen Soldaten, aber es war eine Burg, in die er sich zurückzog und gegen das Weltliche kämpfte. Dennoch waren die Teepavillons in Kyōto und in Ōsaka für viele gebaut, und ich versuchte, möglichst viele Menschen dort zu versammeln ... das war ein großer Fehler. Damals glaubte ich, sie durch Eure Macht erreichen zu können.«

»...«

»Die Welt des schlichten Teewegs. Schon lange war sie eine unfreie Welt für mich. Doch jetzt, wo ich bereit bin, mit meinem Leben für sie einzutreten, hat sie sich augenblicklich in eine lebendige und freie Welt verwandelt.« »...«

»Seit ich auf Euren Befehl nach Sakai abgereist war, sehe ich meinen Tod, und jede Teezeremonie wurde zu einem Todesschwur für mich. Wenn ich Tee bereite, wenn ich ihn trinke, ist mein Herz ruhig. Der Tod ist mein Gast und Gastgeber zugleich. Mein Meister Jōō hat mir einst gesagt, die höchste Stufe der Dichtung bestünde in Strenge, Kargheit und Kälte, und er wünsche sich, daß der Tee ihr darin gleiche. Und immer wieder fragte ich mich, ob ich diesen Zustand der Strenge und Kälte erreicht hätte.«

»...«

»Ich sehe die vielen berühmten Krieger unserer Zeit, die gesammelten Geistes vor mir saßen. Ich, Sōeki, dagegen verließ mich auf die Macht Eurer Exzellenz und entfernte mich damit am weitesten vom Teeweg. Dessen schäme ich mich.«

»Ich weiß, ich weiß. Schöpft wieder Mut und bereitet noch einen Tee. Habt Ihr kein besseres Geschirr?«

»Ich habe eine Teeschale, eine Teedose und einen Teespatel. Sonst nichts. Seit der Errichtung des Myōkian habe ich mich entschlossen, mich nacheinander all meiner Stücke zu entledigen. Doch auch wenn man alles fortgibt, bleibt zum Schluss immer noch das eigene Selbst. Nun scheint die Zeit gekommen, auch sich selbst aufzugeben.«

»Reicht es jetzt nicht? Seid wieder mein Teemeister wie bisher. Warum macht Ihr ein so ergebenes Gesicht?«

»Weil Ihr so gütig seid, mein Fürst. Seit wir uns zum ersten Mal in der Burg Azuchi begegnet sind, wart Ihr mir stets gewogen. Ihr seid es, der mir auf dieser Welt die größte Güte entgegengebracht hat.«

»Ich werde mein Schwert nicht mehr ziehen.«

»Sprecht nicht so! Denn dann seid Ihr nicht mehr Ihr selbst. Euer Zorn hat Euch dazu gebracht, das Schwert zu ziehen, und das ist Euer gutes Recht, wenn man Euch erzürnt. Ihr allein, mein Fürst, könnt auf dieser Welt jedem den Tod befehlen. Um dies zu erreichen, habt Ihr immer wieder Euer Leben aufs Spiel gesetzt.«

»Ich verstehe. Gleichwohl, Ihr braucht Euch nicht zu töten.«

»Es geht nicht anders. Viele warten darauf, Sōekis letzte Teezeremonie zu sehen.«

»Wo?«

»Im Schreibpavillon drängt man sich bereits. Und ich glaube, unter den Gästen sind viele, gegen die Ihr gekämpft und die Ihr getötet habt. Ihr solltet Euch vorsehen.«

»Wie meint Ihr das?«

»Habt die Güte, Euch zu entfernen. Exzellenz, laßt uns nun voneinander Abschied nehmen.«

»...«

»Lebt wohl, mein Fürst.«

In diesem Moment wird es still im Teezimmer. Eigentlich müßte der Taikō sich nun erheben, aber es ist nichts zu hören. Wie ist er hinausgelangt, wenn nicht durch die Tür? Es ist, als hätte er sich in Luft aufgelöst.

Was tut Meister Rikyū nach seinem Verschwinden wohl ganz allein? Kaum denke ich dies, höre ich seine Stimme. »Wer ist da?«

»Ich bin es, Herr – Honkakubō .«

»Ach, du. Wie schön, daß du kommst. Ich bin dir sehr dankbar.«

Ich kann nicht sofort antworten.

»Ich möchte Euch Lebewohl sagen«, stoße ich schließlich hervor.

»Wir hatten schon Abschied genommen, damals auf dem einsamen, steinigen Weg. Ich dachte, das sei unser Lebewohl gewesen. Nun bist du noch einmal gekommen.«

»Aber damals konnte ich mich nicht von Euch trennen und bin Euch doch von weitem gefolgt. Ich zog mich zurück, aber dann bin ich Euch doch gefolgt.«

»Jener Weg war nur mein Weg. Du durftest ihn nicht gehen.«

»Warum denn nicht?«

»Es war der Weg des Teemeisters Rikyū . Jeder Teemensch geht seinen eigenen Weg. Meister Jōō, Herr Sōkyū und dein Freund, der gute Tōyōbō, sie alle haben ihren eigenen Weg. Ich weiß nicht, ob er gut ist oder schlecht, aber ich, Rikyū, habe in dieser kriegerischen Zeit jenen kalten, kahlen, steinigen Weg gewählt.«

»Wohin führt dieser Weg, Meister?«

»Er ist endlos. Doch wenn eine Zeit ohne Krieg kommt, wird ihn wahrscheinlich niemand mehr gehen. Aber da er allein Rikyūs Weg ist, kann er ruhig mit ihm verschwinden.«

»Er ist nur Euer Weg, Meister?«

»Nicht ganz, Yamanoue Sōji hat ihn kurz vor mir beschritten. Und nach mir ging ihn Furuta Oribe. Aber er war der letzte.«

An dieser Stelle bricht Meister Rikyūs Stimme ab, und ich habe sie nie wieder gehört.

Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergeht. Vielleicht sind es nur wenige Augenblicke. Im Garten sind die Schritte vieler Menschen zu vernehmen. Gleich beginnt die letzte Teezeremonie. Eigentlich müßte der Gehilfe bereits zur Stelle sein, aber aus dem Teeraum dringt kein Laut. Nur äußerste Anspannung geht von ihm aus. Mir ist, als sähe ich Meister Rikyūs Gestalt auf dem Platz des Gastgebers sitzen. Wer wird sich als erster ins Zimmer ducken? Ich werfe einen Blick auf die niedrige Pforte. Für gewöhnlich kann ich sie vom Küchenkabinett aus nicht sehen, doch seltsamerweise habe ich heute freie Sicht darauf. Als erster trifft Shōgun Ieyasu ein. Er ist etwas füllig geworden und bewegt sich deshalb nicht sehr geschmeidig. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß der Shōgun nach der Zeremonie, bei der nur Hideyoshi und Meister Rikyū als Gast und Gastgeber zugegen waren, an der offiziellen letzten Teezeremonie teilnimmt.

Nach Ieyasu kommen Maeda Toshiie, dann Meister Jōō. Als nächste treffen nacheinander Mōri Terumoto, Matsui Sado, der Apotheker, Oda Uraku, Hosokawa Sansai, Shimai Sōshitsu, Takayama Ukon, Toda Tamibe, Chaya Shirojirō, Sōwa Hariya und Yorozuya Sōan ein; alle Freunde, die zwischen dem Herbst Tenshō achtzehn und Anfang Tenshō neunzehn58 den letzten Teezeremonien Meister Rikyūs beigewohnt haben. Daimyō, Adlige und Teeliebhaber aus der Stadt umgeben Meister Rikyū.

Als nach einer Weile noch die Herren Kōkei und Shunoku vom Daitokuji erscheinen, frage ich mich, wie es zugeht, daß so viele Menschen in dem nur zwei Tatami großen Teezimmer Platz finden. Es halten sich bereits mindestens zwanzig Personen darin auf. Während ich mich noch darüber wundere, sehe ich die Herren Sōkyū und Sōkiu durch die kleine Tür eintreten. Selbst wenn man jeden verfügbaren Winkel ausnutzt, kann das Teehaus so viele Menschen nicht fassen.

In meiner Jugend im Mii-dera habe ich gehört, daß sich Hunderte, ja Tausende von Menschen in einer kleinen Tempelhalle versammelten, um die Predigten von Yuimakitsu zu hören. Hier geschieht heute das gleiche. Um Meister Rikyūs letzte Teezeremonie zu sehen, drängt sich eine wahre Menschenmenge in dem nur zwei Tatami großen Raum.

Während ich darüber nachdenke, treffen die Samurai Matsunaga Hisahide, Akechi Hyūganokami, Miyoshi Jikkyū, Seta Kamon und Ishida Mitsunari ein. Bereits auf dem Schlachtfeld gefallene und solche, die noch fallen würden, sind anwesend. Als letzter Krieger tritt Tomita Sakon ein. Inzwischen faßt der kleine Raum etwa scheinbar vierzig bis fünfzig Personen.

Wieder hüllt das heftige Prasseln von Hagel Himmel und Erde ein. Meister Rikyū schickt sich an, mit der Teezeremonie zu beginnen. Ich denke, daß ich etwas tun muß. In diesem Augenblick sehe ich, wie Yamanoue Sōji durch die niedrige Tür späht. Er hat sich ein wenig verspätet. Natürlich ist kein Platz mehr frei, so daß er nur seinen gebeugten Oberkörper in den Raum schieben kann. Er blickt in meine Richtung. Er ist blutüberströmt und bietet einen grausigen Anblick.

Als ich hinzuspringen will, um Bruder Sōji aufzuhalten, schrecke ich aus meinem Traum auf.

Kaum aufgewacht, erhob ich mich von meinem Lager. Würde mein Traum weitergehen, würde Meister Rikyū nun mit der Zeremonie beginnen? In dem Wunsch, ihr beizuwohnen, richtete ich den Kragen meines Schlafkimono und setzte mich aufrecht auf mein Lager.

Es sind noch immer zahlreiche Menschen im Teezimmer. Meister Rikyū muß Macht haben, um all diese Leute in einem nur zwei Tatami großen Raum zu versammeln.

Es war überaus seltsam, im Traum Meister Rikyūs Freitod vor dreißig Jahren zu sehen. Hatte ich diesen Traum, weil ich seit einem Monat Tag und Nacht über das nachdenke, was Herr Uraku über Meister Rikyū gesagt hat, über den Hintersinn seiner Worte nachgrüble und über den kalten, kargen, einsamen Weg? Man sagt, Träume entstünden durch eine Ermüdung der Eingeweide. Tatsächlich fühlt sich mein ganzer Leib so erschöpft an, daß ich fürchte, den Winter nicht zu überstehen.

Nach einer Weile ging ich zum Abort. Ich öffnete das kleine Fenster und sah draußen die weißen Flocken tanzen. Es mußte ungefähr vier Uhr morgens sein. Es war noch tiefe, dunkle Nacht.

Ich setzte mich wieder auf mein Lager. Es herrschte schneidende Kälte, aber ich hatte keine Lust, mich wieder hinzulegen. Nach seiner letzten Teezeremonie muß mein Meister seine allerletzte Aufgabe in diesem Leben erfüllen. Er wird ins Schreibzimmer gehen, seine drei Zeugen begrüßen und sich auf den vorgeschriebenen Platz setzen.

Wenn die Zeit in meinem Traum mit der in der Wirklichkeit übereinstimmt, müßte mein Meister schon dort angekommen sein. Der Augenblick seines Todes rückt immer näher.

Etwa eine Stunde blieb ich so sitzen, dann erhob ich mich und entfachte das Feuer, um meine erstarrten Glieder zu wärmen. Als ich mich wieder einigermaßen wohlfühlte, fragte ich mich, wo die Ereignisse in meinem Traum sich abgespielt hatten. Da es sich um einen Traum handelte, war die Örtlichkeit ein wenig verschwommen und sonderbar, hatte aber eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Myōkian in Yamazaki. In dem Teeraum, in dem Yamanoue Sōji einstmals sagte, daß das Nichts nichts vernichte und nur der Tod alles auslöschen könne, habe ich Meister Rikyū nun direkt vor seinem Selbstmord gesehen und gesprochen. Einiges von dem, was er sagte, verstand ich, anderes nicht. Aber es scheint, als habe mein Meister mir nun die Dinge, über die ich Tag und Nacht nachgegrübelt habe, mit seinen eigenen Worten erklärt.

Auf dem kalten, einsamen Weg geht Meister Rikyū, vor ihm schreitet Yamanoue Sōji und hinter ihm Furuta Oribe. Ich glaube, mein Meister wollte mir sagen, was dies bedeutet. Unentwegt muß ich jetzt daran denken. Als Herr Sōji und Herr Oribe wie Meister Rikyū den Befehl zum Selbstmord erhielten, erreichten sie als Teemenschen vielleicht zum ersten Mal die Erkenntnis: ruhig an Ort und Stelle den Tee bereiten und nicht daran denken, seinem Schicksal zu entfliehen.

Es ist eine Welt, zu der ich, Honkakubō, keinen Zutritt habe.

Ende der Aufzeichnungen