Ich sitze an meinem Schreibtisch, Biographien und Briefe, Tagebücher und Sammelbände zu hohen Türmen um mich herum aufgestapelt, und blicke mit Ehrfurcht und Dankbarkeit auf die vergangenen drei Jahre zurück, in denen ich mithilfe dieser vielen Tausend Seiten bedruckten Papiers durch das Leben meiner »Bloomsberries« reisen durfte. Es war eine anspruchsvolle, sehr oft qualvolle Reise, mit unruhigen Nächten und vom angestrengten Denken schmerzenden Gliedern, aber es war auch eines der größten Abenteuer, das ich in meinem Autorinnenleben bislang bestreiten durfte. Und das ist es, was mir im Gedächtnis bleiben wird.
Dieser dritte Band der Saga hat mir viel abverlangt. Virginia (sie und ich sind inzwischen beim Du angelangt) kannte ich nach den ersten beiden Bänden bereits wie eine Schwester, Vita Sackville-West musste ich mich erst annähern. Und sie hat es mir nicht leicht gemacht. Dank ihres Sohnes Nigel können wir heute ihre Briefe und Bekenntnisse über die Affäre mit Violet Trefusis lesen, die sie in einem Schrank ohne Schlüssel bis zu ihrem Tod versteckt gehalten hatte. Da sie diese Geschichte aufschrieb, nachdem sie sich für die Ehe und gegen Violet entschieden hatte und sich als »geläutert« wahrnahm, geriet die Erzählung mehr zu einem Liebesbrief an ihren Mann Harold als zu einem echten Bekenntnis. Dieses geheime Dokument zeigt, wie sehr Vita ihre lesbischen Neigungen als emotionale Verirrung betrachtete, sie den »männlichen Teil« ihrer Natur zurückdrängen musste, um überleben zu können.
Das Unterdrücken der eigenen Neigungen, das beständige Verstecken und Verheimlichen bis hin zur Selbstverleugnung war für Frauen wie Vita seinerzeit die einzige Möglichkeit, in gesellschaftlicher Achtung leben zu können. Auch wenn es für sie weniger gefährlich war, einander in der Öffentlichkeit zu berühren, untergehakt spazieren zu gehen, einander zu umarmen oder gar zu küssen, als für Männer, so durfte doch niemals ans Licht dringen, dass auch sie miteinander ins Bett gingen. Frauen taten so etwas nicht. Frauen gestatteten dem Mann, seine Bedürfnisse zu befriedigen, und kamen brav ihrer ehelichen Pflicht zur Fortpflanzung nach; die Vorstellung, dass Frauen auch Freude am sexuellen Akt haben könnten, war noch nicht in das kollektive Bewusstsein vorgedrungen. Und so war lesbische Liebe nicht einmal etwas, über das man sich hätte empören können. Sie kam schlicht nicht vor. Unbehagen mit dem eigenen weiblichen Geschlecht schon gar nicht.
Es ist also nachvollziehbar, dass weder Vitas Werk noch ihre Briefe einen echten Zugang zu ihrem Inneren erlauben, so wie es bei Virginia Woolf der Fall ist. Man darf davon ausgehen, dass Vita sich diesen Zugang selbst nicht gestattete. Mir hat diese Tatsache ein Aufschlüsseln ihres Wesens zunächst sehr erschwert. Ich musste mir Vita regelrecht erarbeiten.
Zudem war sie stark durch das komplizierte Verhältnis zu ihrer narzisstischen Mutter geprägt. Oft erschienen mir Vitas biographisch belegte Verhaltensweisen sprunghaft und wenig nachvollziehbar. Ich musste erst verstehen, dass ihr Drang, immer wieder neu zu erobern, etwas mit Macht zu tun hatte, dem zwanghaften Bedürfnis, geliebt zu werden, ohne die Kontrolle in dieser Liebe zu verlieren. Nur so konnte sie wohl die Erfahrung des Ausgeliefertseins an die irrationalen Impulse der wichtigsten Bezugsperson ihrer Kindheit kompensieren.
Die Beziehung zwischen Virginia Woolf und Vita Sackville-West wird in den meisten der heute erhältlichen Biographien als eher nebensächlich abgehandelt. Quentin Bell und Nigel Nicolson haben daran einen großen Anteil. Virginias Neffe Quentin stellt Virginia in seiner Biographie als eine große Intellektuelle, psychisch fragile und unzweifelhaft frigide Schriftstellerin dar. Diese Sichtweise hat viele nachfolgende Studien zu Virginia Woolfs Leben und Werk beeinflusst. Nigel, Vitas Sohn, rückte die Liebe seiner Eltern zueinander in den Vordergrund. Leonard Woolf verlor nie ein Wort über die Liebe seiner Frau zu Vita Sackville-West. Man darf also durchaus allen drei Männern in ihrem Blick auf das Verhältnis dieser beiden einzigartigen Frauen misstrauen. Ihre Erinnerungen sind wertvoll, aber eingefärbt durch emotionale Nähe und geprägt vom Geist ihrer Zeit.
Susanne Amrains Studie So geheim und vertraut war für mich ein Augenöffner. Sehr einfühlsam und detailreich leuchtet sie die Höhen und Tiefen und möglichen Intimitäten der Beziehung zwischen Virginia und Vita aus. Während in nahezu allen anderen Werken diese Liebe auf ein paar wenige Jahre reduziert und die sexuelle Seite völlig außer Acht gelassen wird, versteht Amrain es, auch zwischen den Zeilen zu lesen.
Man darf nicht vergessen, dass es sich bei den veröffentlichten Schriften von Virginia und Vita um eine Auswahl handelt, die von Leonard Woolf bzw. Nigel Nicolson vorgenommen wurde. Genauso wenig die Tatsache, dass manche Dinge eben nicht aufgeschrieben werden durften. Der Zauber liegt in dem, was nicht geschrieben steht.
Ich habe versucht, diesen Zauber aufzuspüren, das Besondere dieser Liebe dem Vergessen und Verheimlichen zu entreißen und Ihnen, meinen Leser*innen, diese aufwühlende Liebesgeschichte in all ihren Glanz- und Schattenseiten nahezubringen. Ebenso wichtig war mir zu zeigen, wie viel Virginia Woolfs Schreiben dieser Beziehung verdankt. Ein Roman wie Orlando, der Generationen von Leser*innen begeistert hat und noch begeistern wird, ist ohne diese Liebesgeschichte nicht denkbar. Und Woolfs berühmtester Essay Ein Zimmer für sich allein sähe vermutlich ganz anders aus, wenn Vita und Virginia einander nicht begegnet wären. Ich wage sogar zu behaupten, dass die Entdeckung der Liebe eine ganz wichtige Voraussetzung für die außerordentliche Produktivität Virginias in den 1920er Jahren bildete – ohne die Bedeutung Leonard Woolfs schmälern zu wollen.
Romane entstehen aus einer glücklichen Konstellation von Bildung, Erfahrung und Emotionen. Manchmal sind es schmerzhafte Erlebnisse, die sich irgendwann zu Geschichten verdichten, sehr oft ist es die Liebe. Und wenn sie nun alle drei Bände der Romansaga über Die Liebenden von Bloomsbury in den Händen halten dürfen, dann haben wir das ganz besonders der Liebe zu verdanken, die sich durch das Leben dieser Menschen zog und sie zu einzigartigen Kunstwerken inspirierte. Kunstwerke, die bis in die heutige Zeit hineinwirken.
Zu guter Letzt möchte ich all denen danken, die am Entstehen dieser Saga mitgewirkt haben. Das sind natürlich die Verfasser*innen und Herausgeber*innen der vielen Werke, die meiner Recherche zugrunde lagen. Es sind so viele, einige längst verstorben, dass ich namentlich nicht alle nennen kann. Eine Auswahl findet sich in der Literaturliste am Ende jeden Einzelbandes.
Von Herzen danken möchte ich meiner Agentin, Sabine Langohr, ohne die dieser Stoff womöglich in einer dunklen Schublade gelandet und vergessen worden wäre. Stefanie Werk vom Aufbau Verlag, die von Beginn an diesen Stoff geglaubt hat und ihn mit ihrer Idee, eine dreiteilige Saga daraus zu machen, richtig groß hat werden lassen. Maike Kleihauer, die so manchen meiner Bandwurmsätze entflochten hat, Iris Antonia Kogler und Ulrike Weinhart, die mir mit Rat und Verständnis zur Seite standen, als die Hürden zu Beginn der Arbeit zu hoch schienen.
Ich danke vor allem Ihnen, meinen Leser*innen, die Sie mir bis zu diesem dritten Band treu geblieben sind. Ich darf hoffen, dass Sie Ihre Bewunderung und Begeisterung für die »Bloomsberries« weitertragen werden und so dafür sorgen, dass Virginia, Vanessa, Vita und all die anderen in unserer Phantasie weiterleben dürfen.