„Wie lange sollen wir hier drinnen denn noch schmoren?“, stöhnte Karolina. „Wetten, dass unsere Eltern uns schon suchen?“
Draußen plätscherte immer noch der Regen. Aber wenigstens das Donnern hatte nachgelassen.
„Die kommen doch gar nicht auf die Idee, dass wir abgehauen sind“, sagte Lille. „Sie denken hundertpro, dass wir uns in irgendein Kinderzimmer verzogen haben.“
Maja nickte zustimmend. „Ganz besonders meine Mama. Die scheint heute schwer in Partylaune zu sein.“ Sie runzelte die Stirn. „Wir sollten trotzdem wieder nach Hause düsen. Der Regen hat den Boden ganz matschig gemacht. Da können wir sowieso nicht weiterbuddeln. Wir müssen die ganze Aktion verschieben.“ Sie tastete sich zur Tür vor und steckte ihre Nasenspitze hinaus. „So schnell hört das nicht auf. Wir werden so oder so klitschnass. Am besten, wir bringen es hinter uns.“
Lille folgte ihr auf den Hof. Als Letzte tauchte Karolina auf. Im Gänsemarsch rannten die Freundinnen los.
„Mensch, die Förmchen!“, rief Maja, als sie schon fast wieder bei den Birken waren. „Wenn Brims die entdeckt, dann riecht er garantiert Lunte.“
Gemeinsam drehten die drei um, brachten die Förmchen eilig zum Sandkasten zurück und liefen dann endlich in Richtung Sternenhof.
„Meine Turnschuhe sind hinüber“, beschwerte sich Lille, als sie quer über den Acker flitzten. „Wieso schüttet es ausgerechnet heute so?“
Plötzlich schrie sie leise auf. „Seht ihr das da vorne? Da ist doch ein Tier! Sieht aus wie …“ Sie schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete über den Acker. „Ha, ein Schwein!“, rief sie. „Da hockt ein winziges Schwein.“ Lille beschleunigte ihren Schritt und rannte dem Tier entgegen.
„Ich glaub, mich tritt ein Pferd“, murmelte Maja und folgte ihr eilig. „Wo kommt das denn her? Pass auf, dass du es nicht verjagst.“
Doch Majas Sorge war unberechtigt. Als Lille sich dem Schwein näherte, grunzte es erfreut und überhaupt nicht ängstlich.
„Hallo, Süßer“, sagte Lille entzückt. „Was machst du denn hier mitten in der Nacht? Hast du dich verlaufen? Wo ist denn deine Mama?“
Lille ging in die Hocke und streckte die Hand aus. Das Schwein wuselte auf sie zu und stupste sie mit seinem Rüssel an.
Lille quiekte. „Hihi, das kitzelt.“ Sie wischte ihre Hand an ihrem Bein ab. „Und außerdem bis du total schmutzig.“
„Ist ja auch ein Schwein“, mischte sich nun Karolina ein. „Allerdings ein sehr kleines. Ist das noch ein Ferkel?“
Maja neigte den Kopf. „Ich glaube, das ist ein Minischwein − die werden auch ausgewachsen nicht besonders groß. Aber dass Schweine von Natur aus dreckig sind, stimmt nicht.“
Lille betrachtete das Minischwein ganz verliebt. „Das hier ist allerdings sehr schmutzig, aber es ist ja auch über den aufgeweichten Boden gelatscht.“ Sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. „Und was machen wir jetzt mit dem Schwein? Wir können es doch nicht einfach hierlassen. Aber es zu Brims bringen, geht auch nicht. Schließlich sind wir in geheimer Mission unterwegs.“
Maja schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall kriegt Brims das Schwein. Wer weiß, was der damit anstellt! Wahrscheinlich ist das arme Schwein auf der Flucht.“
Karolina zog erschrocken die Luft ein. „Wieso das denn?“
Maja sah sie vorwurfsvoll an. „Was gibt es denn daran nicht zu verstehen? Brims ist schließlich ein Schweinebauer. Der hat den ganzen Stall voll mit Schinken!“ Wenn es darauf ankam, konnte Maja die Dinge ziemlich drastisch benennen.
Karolina wurde bleich. „Du glaubst wirklich, Brims will das Schweinchen schlachten?“
Maja zuckte mit den Schultern und machte ein finsteres Gesicht. „Keine Ahnung … Brims traue ich alles zu. Ich bin dafür, dass wir das Schwein sich selbst überlassen. Verhungern wird es jedenfalls nicht, schließlich ist der Acker voll mit Zuckerrüben. Schweine sind megaschlau und sie kommen gut in freier Wildbahn zurecht.“
„Kommt gar nicht infrage“, warf Lille aufgebracht ein. „Das Schwein kommt mit!“ Entschlossen zog sie ihr T-Shirt über den Kopf und breitete es auf dem Acker aus. „Komm her, mein Kleiner. Ich bringe dich nach Hause.“
Das Schwein grunzte erneut und wackelte ganz selbstverständlich auf Lilles T-Shirt zu. Dort angekommen, machte es sich der Winzling bequem.
„Du willst das Schwein einfach mitnehmen?“, fragte Maja verdutzt.
Lille antwortete nicht gleich. Sie streichelte das Minischwein gedankenverloren und hob es nach einer Weile mitsamt ihrem T-Shirt vorsichtig auf.
Erst zappelte das Schwein ein wenig, aber gar nicht panisch, sondern eher erstaunt. Doch dann kuschelte es sich ganz gemütlich in Lilles Arm.
„Na, seht ihr?“, sagte Lille triumphierend. „Das Schwein weiß, dass ich es gut mit ihm meine.“ Ohne sich weiter um Maja und Karolina zu kümmern, lief sie los und begann dabei, leise zu dem Schwein zu sprechen. „Gleich sind wir auf dem Sternenhof. Da ist es total schön und wir können dir ein gemütliches Bettchen machen.“
Das Minischwein schien das alles genau zu verstehen, denn es begleitete jedes Wort mit einem zufriedenen Grunzen. Lille strahlte glücklich.
„Ganz ehrlich: Ich glaube, deine Eltern flippen total aus, wenn die das Schwein sehen“, sagte Karo.
„Was willst du denn sagen, woher du es hast? Und wo soll es bleiben? Oben in deinem Zimmer?“ Sie sah Maja an. „Wo wohnen Minischweine denn normalerweise?“
Auch darüber wusste Maja Bescheid. „Na ja, man kann Minischweine schon erziehen und man kriegt sie auch stubenrein. Wenigstens mit der Zeit. Aber vorher machen sie ziemlich viel Ärger.“
„Alles kein Problem“, sagte Lille. „Ich kann meine Eltern ja nach und nach auf Moses vorbereiten.“
„Moses?“, riefen Maja und Karolina.
Lille nickte. „Ja, ich nenne ihn Moses. So wie der kleine Junge aus der Bibel, der in einem Weidenkorb über den Nil schipperte. Das hatten wir doch in Reli vor den Ferien. Ich finde, der Name passt voll gut. Schließlich ist mein Moses auch ein Findelkind.“
Maja kicherte. „Eher ein Findelschwein.“
„Okay, dann eben ein Findelschwein“, wiederholte Lille und kicherte ebenfalls. Dann zog sie nachdenklich die Stirn in Falten. „Am besten wäre Moses natürlich in der Waschküche aufgehoben. Da könnte ich ihn sogar baden. Aber die halten ja Felix und Fee in Beschlag.“ Sie seufzte.
„Ich weiß was!“, rief Karolina unvermittelt. „Wir quartieren Moses einfach in Schnuppes Stall ein. Dort kann er sich erst mal ungestört einleben.“
Lille nickte begeistert. „Das ist eine super Idee.“ Sie drückte Moses liebevoll an sich. „Da wird es dir bestimmt gefallen, mein Süßer. Und Schnuppe mag Schweine sowieso total gern.“
Moses quiekte verständig.
„Und wisst ihr, was das Beste dabei ist?“, fügte Maja hinzu. „Wenn Moses mit auf dem Sternenhof wohnt, dann muss Schnuppe nicht mehr zu Brims abhauen, wenn sie Schweine um sich haben will.“
Karolina klatschte in die Hände. „Genial! Daran habe ich noch gar nicht gedacht.“
Wenig später tauchten vor ihnen die Lichter vom Sternenhof auf.
„So, jetzt kommt es darauf an“, flüsterte Maja. „Ich schleiche vor und gebe Bescheid, ob die Luft rein ist. Wenn ich wie eine Katze miaue, ist alles paletti. Dann düst du mit Moses in den Pferdestall und Karolina gibt dir Rückendeckung. Alles kapiert?“
Majas Plan klappte prima. Moses im Schutz der Dunkelheit in den Pferdestall zu verfrachten, war überhaupt kein Problem. Aus Lilles Elternhaus waberten Stimmen und Tanzmusik herüber.
Lille baute Moses ein gemütliches Lager aus Stroh, und Karolina holte noch ein kleines Babykissen von ihrem Bruder Lasse, damit Moses etwas zum Kuscheln hatte.
„Ich glaube, ich schlafe heute Nacht hier bei Moses“, beschloss Lille. „Nicht, dass er sich alleine fürchtet.“
Heuvorräte gab es genug. In wenigen Minuten lag Lille glücklich neben Moses und streckte sich aus. Karolina schleppte noch eine Pferdedecke für ihre Freundin herbei.
„Gute Nacht, Lille, gute Nacht, Moses!“, riefen Maja und Karolina im Chor.
Noch bevor die beiden in Majas Zimmer ankamen, waren Moses und Lille schon tief und fest eingeschlafen.