12. KAPITEL

Erschrocken fing Matt Olivia auf. Er trug sie die Treppe hinunter zum Wagen und legte sie auf den Rücksitz. Während er um das Auto herumlief, sich hinters Lenkrad setzte und die Auffahrt hinunterraste, kämpfte er gegen die aufsteigende Panik an. Seine Finger zitterten so stark, dass er kaum sein Handy bedienen konnte.

„Wie heißt dein Arzt, Olivia?“

„Dr. Porter. Ich habe ihn schon angerufen. Er wartet im Krankenhaus auf mich.“

Matt wählte den Notruf und alarmierte einen Krankenwagen, der ihnen entgegenkommen sollte. Nachdem er das Gespräch beendet hatte, umklammerte er das Lenkrad und sah besorgt in den Rückspiegel zu Olivia.

„Wie geht’s dir? Was ist denn los?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe Krämpfe, und mir ist schwindlig.“

Sein Herz raste. Er hatte Angst um das Baby, aber auch um Olivia. Als er den Highway erreichte, drückte er das Gaspedal durch, wobei er ständig auf die Sirene des Krankenwagens lauschte. Er entdeckte die Ambulanz, lange bevor er sie hörte. Sofort drosselte er das Tempo und hielt. Dann stieg er aus, um sie zu stoppen.

Nach einer kurzen Untersuchung wurde Olivia auf einer Trage in den Wagen geschoben. Matt hielt ihre Hand. „Keine Sorge, Darling, ich fahre hinterher und bin gleich wieder bei dir.“

Der Krankenwagen wendete. Matt saß gebeugt über dem Lenkrad und folgte ihm. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis sie das Krankenhaus erreichten. Hilflos sah er zu, wie Olivia hineingebracht wurde. Dann lief er unruhig im Wartezimmer auf und ab und hoffte inständig, dass ihr und dem Baby nichts zugestoßen war.

Es dauerte über eine Stunde, bis eine Schwester hereinkam und seinen Namen rief. „Dr. Porter kann Sie jetzt empfangen, und Sie können auch zu Ihrer Frau. Gehen Sie hier durch die Glastür, dann ist es das dritte Zimmer rechts.“

„Danke!“, rief Matt ihr über die Schulter hinweg zu, während er bereits in die angewiesene Richtung lief. Als aus dem dritten Zimmer rechts ein schlanker braunhaariger Arzt trat, stellte Matt sich ihm vor.

„Es geht ihr gut“, beruhigte Dr. Porter ihn. „Jedenfalls wird sie schnell wieder auf dem Damm sein.“

„Sie sah aber sehr schlecht aus“, fuhr Matt den Arzt an. War Olivia überhaupt gründlich untersucht worden? Wurde sie jetzt richtig versorgt?

Der Arzt lächelte. „Sie hat sich nicht ordentlich ernährt. Im Moment braucht sie erst einmal Flüssigkeit und Mineralien. Wir behalten sie über Nacht hier. Morgen früh kann sie entlassen werden. Sie könnten mit darauf achten, dass sie ordentlich isst und sich etwas schont. Dann wird sie schon sehr bald wieder völlig gesund sein.“

Vor Erleichterung wurden Matt die Knie weich. „Danke“, stieß er aus. „Kann ich zu ihr?“

„Ja, aber sie ist müde. Sie ist unterernährt, und irgendetwas bedrückt sie. Ich habe ihr schon gesagt, dass sie sich bis zur Geburt des Babys jetzt erst einmal überhaupt keine Sorgen mehr machen soll.“

Matt erkannte, dass diese Anweisung eher an ihn gerichtet war. „Verstehe. Vielen Dank.“ Er schob sich an dem Arzt vorbei und betrat leise das Zimmer.

Olivia hing an einem Tropf und bekam eine Infusion. Ihre Augen waren geschlossen. Am liebsten hätte Matt sich einen Tritt verpasst, so elend sah sie aus.

Er fühlte sich schuldig an ihrem Zustand, fast so, als hätte er ihr die Nahrung vorenthalten. Sie hatte ihm einen höllischen Schrecken eingejagt, aber erst dadurch war ihm bewusst geworden, dass sie ihm viel mehr bedeutete, als er sich bisher eingestanden hatte.

Diese Frau bedeutete ihm wesentlich mehr als die Ranch in Argentinien oder sonst etwas in seinem Leben. Seinem Vater zuliebe lebte er viele Monate im Jahr in Texas, da konnte er das auch für Olivia und das Baby tun. Die beiden waren schließlich die wichtigsten Menschen in seinem Leben.

Der Gedanke verwunderte ihn, aber er erkannte, dass es stimmte.

Matt rückte einen Stuhl ans Bett und setzte sich. Dann nahm er Olivias Hand. „Ich liebe dich“, sagte er leise. Er wusste, dass sie ihn nicht hören konnte, aber er wollte es trotzdem aussprechen. Er hob ihre Hand an seine Lippen und küsste ihr sacht die Finger. „Werde wieder gesund, Darling.“

Langsam wandte sie den Kopf und blickte ihn an. „Matt?“

„Ich bin hier“, sagte er leise. „Schlaf jetzt.“

Lange sah sie ihm in die Augen, bis er sich über das Bett beugte und ihr einen Kuss auf die trockenen Lippen drückte. Dann setzte er sich wieder, ohne ihre Hand loszulassen. „Schlaf. Dir und dem Baby wird es bald wieder gut gehen.“

Olivia nickte und schloss die Augen.

Nach einem kurzen Anruf auf der Ranch machte Matt es sich auf dem Stuhl neben Olivias Bett so bequem wie möglich und beobachtete sie beim Schlafen. Sie kam ihm so schwach und verletzlich vor, dass er sie am liebsten in seine Arme gezogen hätte, doch dadurch konnte er ihr auch nicht helfen.

Diese Nacht verbrachte er auf dem Stuhl neben ihrem Bett, und als er am nächsten Morgen aufwachte, blickte Olivia ihn neugierig an.

„Hallo.“ Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann nahm er ihre Hand.

„Hallo“, antwortete sie nun. „Warst du die ganze Nacht hier?“

„Ja. Wie geht es dir?“

„Schon besser. Sie müssen mir irgendein Medikament gegeben haben.“

„Dein Arzt hat gesagt, dass du viel zu wenig gegessen hast.“

„Da hat er wahrscheinlich recht.“

„Das werden wir ändern. Von jetzt an werde ich für dich kochen. Aber ob dein Zustand durch meine Kochkünste besser wird, das muss sich erst noch zeigen.“

Sie musste lächeln. „Auf jeden Fall will ich weg von hier.“

„Gestern hieß es, du könntest heute früh gehen.“

Eine Krankenschwester kam herein, um Olivia zu versorgen, und Matt stand auf. „Ich warte im Gang.“ Er ging hinaus und holte sich einen Kaffee.

Der Morgen zog sich endlos hin, aber um halb zehn wurde Olivia endlich entlassen. In einem Rollstuhl wurde sie bis zu seinem Auto gebracht.

„Ich fühle mich schon viel besser“, sagte sie zu Matt, als er den Wagen anließ und sie losfuhren. „Danke, dass du bei mir geblieben bist.“

Matt ergriff ihre Hand. „Von nun an lässt du keine Mahlzeit mehr aus, okay?“

„Nein, das war mir eine Lehre.“

„Möchtest du jetzt etwas essen?“

„Lieber Himmel, nein! Sie haben mir die Infusion abgenommen und gleich danach das Frühstück gebracht. Im Moment könnte ich keinen Bissen mehr hinunterbringen.“

Matt sah sie an. Es erleichterte ihn, dass sie nicht mehr so bleich aussah. Aber sie wirkte sehr schlank. Hatte sie seit ihrer Rückkehr von Ariel überhaupt etwas gegessen?

Kurz entschlossen hielt er nach einem Parkplatz Ausschau und stoppte im Schatten einer großen Eiche. Dann schaltete er den Motor aus und wandte sich Olivia zu, die ihn neugierig musterte.

„Was hast du vor?“

Er ließ die Fensterscheiben herunter, damit der warme Morgenwind ins Wageninnere wehen konnte. Dann ergriff er Olivias Hand. „Du hast mir entsetzliche Angst eingejagt.“

„Ich habe gegessen, aber anscheinend nicht genug. Mir war nicht bewusst, dass es zu wenig ist. Es tut mir leid.“

Zärtlich küsste er ihre Finger und drückte ihre Hand an seine Wange.

Olivia spürte die Bartstoppeln. Er hatte sich nicht rasiert, und seine Kleidung war zerknittert. Das Haar war zerzaust. Sie meinte sich zu erinnern, dass er gesagt hatte, er würde sie lieben, aber das konnte sie sich auch eingebildet haben, oder es war ein Traum gewesen. Sein Blick wirkte besorgt, und sie fragte sich, was in ihm vorging.

Als könnte er ihre Gedanken lesen, legte Matt ihr einen Arm um die Taille. „Ich liebe dich.“

Olivia schloss die Augen. Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, diese Worte aus seinem Mund zu hören, doch nun spielte das leider keine Rolle mehr, weil es für sie beide keine gemeinsame Zukunft gab. Tränen traten ihr in die Augen.

„Olivia.“ Matt klang heiser. „Willst du mich heiraten?“

Verblüfft sah sie ihn an. „Wir sind doch verheiratet, schon vergessen?“

Er lächelte. „Natürlich nicht, aber du hast mir einen Antrag gemacht, obwohl ich dich nicht geliebt habe.“

Ihr Herz schlug schneller.

„Diesmal mache ich dir einen Antrag, der Frau, die ich liebe.“

„Und wie soll unser Leben denn in Zukunft aussehen? Wirst du in Argentinien sein und ich hier auf der Ranch in Texas?“

„Wenn ich meinem Dad zuliebe auf etwas verzichten kann, dann kann ich es erst recht meiner Frau und meinem Kind zuliebe. Ohne euch zwei möchte ich dort ohnehin nicht leben. Also: Willst du mich heiraten?“

Jetzt liefen ihr die Tränen über die Wangen.

Zärtlich wischte Matt sie fort. „Weine nicht, Darling.“

Zaghaft lächelnd schlang Olivia ihm die Arme um den Nacken. „Das sind Freudentränen, Matt. Natürlich heirate ich dich, aber das ist nicht nötig. Deine Liebeserklärung bedeutet mir mehr als alles andere. Ich will keine zweite Hochzeit planen müssen.“

„Wie du magst, Darling. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich dich liebe und dass ich will, dass du meine Frau bist.“

Wieder umarmte sie ihn. Olivia fühlte sich, als wären ihr zentnerschwere Gewichte von der Seele gefallen. „Matt, du machst mich zur glücklichsten Frau der Welt.“ Erneut liefen ihr Tränen über die Wangen.

„Aber du verhältst dich gar nicht glücklich, Darling. Du weinst.“

„Glaub mir, das sind wirklich Freudentränen. Ich liebe dich auch, Matt Ransome, und ich werde dich zum glücklichsten Mann der Welt machen.“

Er lachte leise. „Im Bett mit Sicherheit, aber schon jetzt, nach unserer kurzen gemeinsamen Zeit, vermute ich, dass das Leben mit dir immer aufregend sein wird. Mein friedlicher Alltag ist jedenfalls dahin.“

Lächelnd sah sie ihn an. „Dieses Opfer bin ich wert“, sagte sie leise, und sie mussten beide lachen.

„Das bist du tatsächlich.“ Matt zog Olivia in seine Arme und küsste sie.

Überglücklich lehnte sie sich an ihn. Ihr Herz schlug so heftig, als würde es gleich vor Freude zerspringen. „Lass uns noch mal in die Flitterwochen fahren“, schlug sie vor, „aber diesmal brechen wir sie nicht ab.“

„Klingt ausgezeichnet“, stimmte Matt zu und lächelte. Dann küsste er sie erneut.