In diesem Buch wird es um die verhängnisvolle Strategie der politischen, wirtschaftlichen und medialen Eliten gehen, die Symptome des Zeiten-Endes einer westlich geprägten Epoche zu ignorieren, anstatt sie als Impulse für einen notwendigen Richtungswechsel aufzunehmen. Das Kulturmodell der permanenten Steigerung von Wohlstand und Konsum, des Wettbewerbs und der Überbietung, des Kriegs gegen die Natur und die anderen hat sich überlebt. Und es gibt viele Leute, die das nicht nur spüren, sondern die auch zu Veränderungen bereit sind. Aber die in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene und besonders durch die Krisenereignisse der vergangenen Jahre noch vertiefte Distanz zwischen den Eliten und der Mehrheitsbevölkerung ist ein Hindernis dafür, endlich den notwendigen Richtungswechsel zu beginnen. Diese Distanz ist auch eine substanzielle Gefahr für die Demokratie .
Es genügt nicht, wenn die Politik den erodierenden gesellschaftlichen Zusammenhalt beklagt – sie muss sich selbst und ihre Praxis als eine der Ursachen für das Schwinden des Zusammenhalts begreifen. Die Politik der deutschen Gegenwart hat kein Leitbild, und schon gar keins, was an den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts geschult wäre. Eine Politik ohne Leitbild hat kein Gestaltungsziel, weiß nicht, auf welche Zukunft hin sie ein Land, eine Gesellschaft entwickeln will und soll. Und kann deshalb auch keine Orientierung geben, was besonders dann misslich ist, wenn die multiplen Krisen selbst anzeigen, dass die vorliegenden Rezepte nicht mehr helfen. Eine Politik ohne Leitbild ist, anders gesagt, selbst kaum mehr als ein Korken auf den Wellen, Kräften folgend, aber nicht orientiert und auch nicht orientierend. Deshalb all dies Kontraproduktive, Aus-der-Zeit-Gefallene, Aktionistische und Aggressive, das ich in den folgenden Kapiteln beschreiben werde.
Dabei bemühe ich mich, nach den Situations- und Problembeschreibungen jeweils auch Perspektiven, Ansätze und Beispiele für die Möglichkeiten des Gelingens des notwendigen Richtungswechsels zu zeigen. Auch wenn wir nach drei, vier Jahrzehnten zahlreicher wirtschaftlich und politisch falscher Weichenstellungen mittlerweile in einem Land leben, in dem vieles von gestern, verschlissen, verwahrlost und übernutzt ist, haben wir als Bewohnerinnen und Bewohner Deutschlands doch das ungeheure Privileg, in einer reichen und freien und demokratischen und rechtsstaatlich verfassten Gesellschaft zu leben, was bedeutet, dass wir eine Menge Handlungsspielräume haben, die Dinge zum Positiven zu verändern.
Daher ist dieses Buch der empirisch informierte Versuch zu zeigen, was aus welchen Gründen falsch läuft, wie gefährlich das für die Demokratie ist und wie man gegensteuern könnte. Dabei geht es um den Zusammenhang der Krisen, die keine voneinander unabhängigen Geschehnisse sind, um den Irrsinn des Kriegführens und des Abschieds von einer Friedenspolitik, um den Abstieg des Westens in einer grundlegend veränderten weltpolitischen Figuration und schließlich um Politik, Wirtschaft, Medien und um das Wichtigste in einer lebendigen Demokratie: die Leute.
Und immer auch um die Umrisse eines Leitbilds, das wir brauchen, um zivilisiert durch dieses Jahrhundert zu kommen.
Ich nehme alles, was ich auf den folgenden Seiten beschreibe, persönlich. Und zwar deswegen, weil Demokratie nur bewahrt und fortentwickelt werden kann, wenn es genug Menschen gibt, die die Demokratie persönlich nehmen. Meine Einschätzung ist, dass es eine breite Mehrheit in der ganz normalen Bevölkerung gibt, die das Handeln und die Haltungen der politischen, wirtschaftlichen und medialen Eliten als weit entfernt von ihren eigenen Wahrnehmungen, Werten und Wünschen empfindet, und das ganz zu Recht. Es ist ein gefährliches Versäumnis, diese Empfindungen nicht zur Kenntnis zu nehmen und dem Rechtspopulismus zur Instrumentalisierung anzubieten. Und stattdessen unernst und albern von »Augenhöhe«, »Respekt«, »die Menschen mitnehmen« zu reden und gerade damit immer wieder unter Beweis zu stellen, dass man sie, die Bürgerinnen und Bürger, im Grunde für unmündig, anleitungs- und betreuungsbedürftig hält. Oder für dämlich.
Elitismus ist toxisch für die Demokratie , wie man am Erfolg antielitistisch auftretender Populisten von Trump bis AfD plastisch sehen kann. Mir scheint, es wäre dringend an der Zeit, sich nicht mehr in rituellem Entsetzen über die antidemokratischen Entwicklungen zu gefallen, sondern in einem substanziellen, verfassungspatriotischen Sinn ein Bündnis mit den guten Leuten, mit der Mehrheitsbevölkerung in diesem Land einzugehen. Da muss dann mal Schluss sein mit den Selbstgesprächen der Politik, mit dem Erklären, mit der Blasiertheit, mit den von Agenturen geschriebenen Slogans, die so durchschaubar unwahr sind. Dann wird vielleicht alles noch mal wieder gut.