Eine Ökonomie der Endlichkeit

Die Entwicklung einer »Ökonomie der Endlichkeit«, die sich diesen Fragen stellt und dazu Antworten zu entwerfen beginnt, ist schlicht und ergreifend überfällig in einem Jahrhundert, in dem die Naturverhältnisse in ziemlicher Dramatik zu zeigen beginnen, dass die bislang dominierende Ökonomie der Grenzenlosigkeit an ihrer zugrunde liegenden Illusion zerbricht. Es gibt die Grenzen nämlich, und es ist fahrlässig, weiterhin so zu tun, als gäbe es sie nicht. Da hilft übrigens auch kein pseudowissenschaftliches Raunen über »planetare Grenzen« – es reichen schon die, die wir ganz konkret in den irdischen Naturräumen anzuerkennen haben und an die das wirtschaftliche Handeln notwendig gekoppelt sein muss. [94]

Wie die unternehmerisch Handelnden aufgefordert sind, ihre Geschäftsmodelle so neu zu erfinden, dass die Zerstörung aufhört, so ist die Politik aufgefordert, Rahmen für das unternehmerische Handeln in einer Weise zu definieren, dass Chancen für wirtschaftlichen Erfolg auch dann bestehen, wenn die Grenzen des Wachstums anerkannt werden.

Und dann sind schließlich die Ökos aufgefordert, sich ernsthaft mit der Wirtschaft zu befassen, anstatt weiterhin ihrer Kritik zu frönen, aber gleichzeitig schöne Dinge wie ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fordern. Schon der Umstand, dass bislang noch nicht einmal ein Begriff für eine nichtzerstörerische oder nichtwachsende Ökonomie gefunden worden ist, sagt ja etwas darüber aus, dass man sich um die zentrale Frage der notwendigen Bereitstellung der zivilisatorischen Güter herumdrückt: »Postwachstum« und »Degrowth« sind ja hilflose Begrifflichkeiten, die andeuten, dass man noch längst nicht bei einer eigenständigen ökonomischen Theorie angekommen ist.

Ich glaube, dass eine neue ökonomische Theorie, eben eine Ökonomie der Endlichkeit , für ein neues Leitbild der Politik geradezu zwingend ist. Wir bewegen uns nach wie vor in einem ökonomischen Modell der Nichtnachhaltigkeit, die Richtung ist noch keineswegs geändert. Und dass jeder Versuch, innerhalb dieses falschen Modells nachhaltiger zu werden, zu Widersprüchen und Zielkonflikten führt, zeigt ja, dass ein wirtschaftspolitisches Leitbild für das 21. Jahrhundert überhaupt nicht existiert.

Und genau das führt zu einer Wahrnehmung, dass die Aufforderung, nachhaltig zu wirtschaften und auch zu leben, ständig an Widersprüchlichkeiten, Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten scheitert und insgesamt keine attraktive Herausforderung, sondern eine Zumutung ist, der man am besten schnell aus dem Weg geht. Deshalb spricht der Politikwissenschaftler Ingolfur Blühdorn auch davon, dass die Rede, man sei ja schon auf dem richtigen Weg, da ein Bewusstseins- und Wertewandel sichtbar sei, an der Wirklichkeit vorbeigeht: »Nicht nur werden die klima- und nachhaltigkeitspolitischen Forderungen der Wissenschaft und vieler Aktivist*innen von wesentlichen Teilen der Gesellschaft als elitär und statusbedrohend wahrgenommen und entschieden abgelehnt […], sondern auch in den Teilen der Gesellschaft, in denen solche Narrative entwickelt und in besonderem Maße gepflegt werden, sind sie oft vor allem Selbstdarstellungen und Sollvorstellungen, die weit entfernt sind von den real praktizierten Handlungsformen, Lebensstilen und Selbstverwirklichungsmustern.« [95]

Sollvorstellungen ist ein gutes Stichwort. Die politische Bearbeitung des Klimawandels im Sinne der Reduktion der CO ₂-Emissionen setzt ja Ziele, unter anderem deswegen, weil man auf diese Weise Messgrößen für Fortschritte hat und jeweils abgleichen kann, in welchen Bereichen Einsparungen erreicht wurden und in welchen nicht. Die Ziele, die 2015 auf der Pariser Klimakonferenz unter Jubel und Tränen von 195 Staaten vereinbart worden sind, bestehen bekanntlich darin, die Erderwärmung auf 2 Grad, nach Möglichkeit 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Die Wissenschaft hat errechnet, welches »Budget« an Emissionen noch offen ist, um das Klimasystem auf Werte unterhalb der vereinbarten Ziele einzuschwören – und genau daraus ergeben sich dann politische Ziele für Deutschland wie eine Reduktion der Emissionen um 65 Prozent bis 2030 und eine » Klimaneutralität « bis 2045. Um das zu erreichen, wäre laut Umweltbundesamt eine jährliche Reduktion um sechs Prozent nötig, die aber weit verfehlt wird.

Wenn der Wirtschafts- und Klimaminister , wie es in schöner fossiler Sprachtradition heißt, »Gas gibt« und etwa den Einbau von fossilen Heizungsanlagen verbieten möchte, dämmert den Beteiligten, dass »Ziel« im Fall von Emissionsreduktion nicht bedeutet, dass sich im Jahr 2030 und dann noch mal im Jahr 2045 etwas verändern muss, sondern dass solche Ziele nur erreicht werden können, wenn man möglichst lange vorher mit den notwendigen Veränderungen beginnt. Was diese Erkenntnis bedeutet, konnte man im Frühjahr 2023 am Beispiel der regierungsinternen wie regierungsexternen Debatten darüber sehen, welche psychischen Zumutungen, technischen und sozialen Probleme und auch Bedarfe an zum Beispiel Wärmepumpen und Fachkräften auftreten, wenn man ein gesetztes Ziel tatsächlich verfolgen will.

Das vorläufige Endergebnis bestand in einem Beschluss des Koalitionsausschusses, in dem so gut wie alle zuvor beschlossenen klimapolitischen Maßnahmen konterkariert und zugunsten von Nichtveränderung unterminiert wurden. Neben der schon erwähnten originellen Idee, 144 Autobahnprojekte beschleunigt auf den Weg zu bringen, ist besonders die Aufhebung der verpflichtenden Sektorziele eine Niederlage für den Klimaschutz . Das war offensichtlich das Resultat eines Deals: Die Reform des Gebäudeenergiegesetzes , also das Verbot des Einbaus klassisch fossiler Heizungsanlagen ab dem Jahr 2024, gegen die Aufhebung der Sektorziele: So funktioniert Politik ohne Leitbild. Damit der Klimaminister das Gesicht nicht verliert, bekommt der Verkehrsminister Carte blanche. In der Legislaturperiode zuvor hatten die damalige Umweltministerin Svenja Schulze und ihr Staatssekretär Jochen Flasbarth mit viel Beharrlichkeit und Mühe durchgesetzt, dass jedes Ministerium für seinen Bereich Nachweise über das Erreichen der vereinbarten Einsparziele vorlegen musste, um mit dem Schwarze-Peter-Spiel der Verantwortungsabgabe Schluss zu machen.

Das notorisch von der Automobilindustrie lobbyierte Verkehrsministerium verfehlte seine Ziele souverän, ebenso andere wie das Bauministerium, was im Koalitionsausschuss zur salomonischen Aufhebung nicht der Arbeitsverweigerung des Verkehrsministers, sondern der Sektorziele führte. Nicht erreichte Einsparungen eines Sektors können in einem anderen ausgeglichen werden, was man mit »organisierte Nichtverantwortlichkeit« übersetzen kann. Konsequenterweise fällt auch die jährliche Überprüfung der Einhaltung der Ziele weg. Klimaschutz ist in den Modus der Unverbindlichkeit überführt, bereits erreichte Erfolge sind annulliert worden. Die Grünen , die dieses Ergebnis als Regierungspartei mittragen, ergehen sich seither in guter Orwell’scher Tradition in der Erfindung neuer Begriffe. Da wird der Autobahnausbau zur »Engpassbeseitigung« und die famose Idee, längs von bestimmten Autobahnteilstücken Fotovoltaik zu installieren, zum Anlass, von »Klimaautobahnen« zu sprechen.

Man sieht an diesem Beispiel von Retropolitik, wie erfolgreich Gegenkräfte mobilisiert werden können, wenn mit notwendigen Veränderungen nicht nur auf der kostenlosen Ebene des Bewusstseins, sondern auch auf der Ebene der faktischen Eingriffe in die Versorgung, ihre Kosten und ihre Tragweite begonnen wird. Hier wird Transformation insofern eine ernste Angelegenheit, als die Ersetzung fossiler Infrastruktur, in der industriellen Energieversorgung ebenso wie in der privaten Wohnung, Geld kostet, ohne dass dadurch ein unmittelbarer Nutzen empfunden wird. Das widerspricht der konsumistischen Sofortismuskultur radikal, die ja so etwas wie das Aufschieben von Bedürfnisbefriedigung gerade bekämpft.

Die Mobilisierung der Blockierer, medial von Frankfurter Allgemeine Zeitung bis Bild , politisch von CDU , SPD und FDP , setzt folgerichtig mit Vehemenz ein, womit nicht nur die auch vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte Generationengerechtigkeit [96] unterlaufen wird, sondern weite Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft vor ihrer Modernisierung geschützt werden. Das ist Privilegiensicherung der herrschenden Generation auf Kosten derjenigen, die nach ihr kommen. Zumal die Gesellschaft einen systematischen Modernisierungsrückstand verordnet bekommt, der alle künftigen Transformationsschritte wiederum schmerzhafter macht.

Insbesondere die FDP , schon bei Gelegenheit des Mövenpick-Gesetzes als besonders skrupellose Klientelpartei bekannt geworden, [97] erweist sich in dieser Funktion als erstaunlich durchsetzungsstark. Ihre Rolle in der sogenannten Ampel-Koalition darf man in vielerlei Hinsicht – Widerstand gegen die Kindergrundsicherung, Blockade des EU -Beschlusses, den Verbrennungsmotor ab 2035 zu verbieten, Ausbau der Autobahnen – als konsequentes Verhindern notwendiger Transformationsprozesse im Auftrag antiquierter Industrien interpretieren. Als Partei repräsentiert die FDP eine politische Bewegung, die es in Deutschland gar nicht gibt: die »Gelbwes-ten«, die in Frankreich mit Vehemenz jede Modernisierung bekämpfen.

Es ist vielleicht frustrierend, aber auch erwartbar und eine wiederkehrende historische Erfahrung, dass gesellschaftliche Modernisierungsprozesse von denjenigen bekämpft werden, die von den kommenden Veränderungen Einschränkungen ihrer Privilegien fürchten. Das war schon bei der Arbeiterbewegung so und galt in gleicher Weise für die Frauenbewegung, die frühe Ökologiebewegung und auch für die Fridays for Future und ihre radikale Fraktion der »Letzten Generation «. Wenn es ernst wird, formieren sich die Gegner.

Das Bedauerliche daran ist, dass sich die Gesellschaften, in denen Modernisierungsverhinderer politisch durchsetzungsfähig sind, um Gestaltungschancen bringen, die sie insgesamt gerechter, resilienter und auch zustimmungsfähiger machen würden. Wer etwa eine Branche wie die deutsche Autoindustrie protegiert, die erstens jahrzehntelang die Notwendigkeit ignoriert hat, sich nicht als Anbieter von Autos, sondern von Mobilität zu verstehen, zweitens die Entwicklung des E-Autos verschlafen hat, drittens ihre Innovationsfähigkeit darin erschöpft hat, immer größere Autos zu bauen und immer neue Märkte zu erschließen, und viertens mit dem Argument der Arbeitsplatzsicherung durch Modernisierungsverweigerung am Ende 800000 Arbeitsplätze gefährdet, verhält sich nicht im Sinn des Grundgesetzes.

Auf der Automesse in Shanghai 2023 vermittelten die deutschen Stände und die albernen Präsentationen der CEO s der deutschen Automobilunternehmen inmitten all der chinesischen Benchmark-Elektroautos denselben Eindruck wie vor ein paar Jahrzehnten die Stände von Lada oder Škoda auf der IAA in Frankfurt: rührend irgendwie, aber totally lost. Man sieht: Eine Industrie , die über Jahrzehnte von der Politik gepampert wird, verliert jeden Bezug dazu, wie sich die Welt um sie herum verändert.

Man kann sich im Kontrast dazu Unternehmen anschauen, die proaktiv die Notwendigkeiten des Wirtschaftens im 21. Jahrhundert verstanden und in ihre Geschäftsmodelle übersetzt haben. Anhand ihrer Beispiele kann man einerseits die Chancen ermessen, die in unternehmerischen und marktwirtschaftlichen Möglichkeiten der Transformation stecken, andererseits aber auch zerknirscht feststellen, welche Chancen die antiquierten Wirtschaftsakteure und ihre politischen Repräsentanten vertun.