Wirtschaftsavantgarden

Vor nicht allzu langer Zeit hat sich der Investmentfonds Planet A gegründet, der ausschließlich in Start-ups investiert, deren Geschäftsmodell nachweisbar eine positive Umweltbilanz aufweist – also mehr Schaden beseitigt als anrichtet. Die Unternehmen, die Risikokapital von diesem Fonds haben möchten, müssen aufwendige Berechnungen und Bewertungen über sich ergehen lassen, bevor es zu einer Investitionsentscheidung kommt. Oder nicht. Mit 160 Millionen Euro Kapital kann Planet A schon ein bisschen was bewirken; es versteht sich selbst als Impuls, dass Risikokapital auch nach langfristig überlebensdienlichen Kriterien eingesetzt werden kann und nicht nur nach der höchsten Renditewahrscheinlichkeit. Und langfristig, so nehmen die Initiatoren an, werden »saubere« Unternehmen der Standard sein. »Wir sagen nicht, positive Wirkung und finanzieller Return können Hand in Hand gehen. Wir sagen, das eine wird das andere bedingen: Wenn es uns gelingt, die zu identifizieren, die gesellschaftlich relevante Lösungen und Technologien zur Verfügung stellen, wenn wir in die investieren und die wachsen lassen, werden das die neuen DAX -Unternehmen werden.« Lena Thiede , die ursprünglich aus der Umweltbewegung kommt, lange in der politischen Administration gearbeitet hat und nun den Kapitalismus praktisch zu reformieren versucht, begründet ihren Ansatz mit einem ziemlich plausiblen Argument: »Wenn wir unsere Art zu investieren nicht verändern, dann ist auch irgendwann nicht mehr viel da zum Investieren.« [98]

Christian Hiß , gelernter Gärtner und Ökolandwirt, ist ebenfalls jemand, der den Kapitalismus mit den Mitteln des Marktes ökologisch und sozial befrieden möchte. Das Konzept: Man kann Geld bei der Regionalwert AG anlegen, mit dem die Aktiengesellschaft leerstehende Höfe kauft, die dann an Landwirte verpachtet werden. Dabei ist das Geld in erster Linie das Mittel, um die Höfe zu erhalten. Statt einer monetären Rendite bekommen die Aktionäre Werte wie eine steigende Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität durch die geförderte Vielfalt landwirtschaftlicher Betriebe. »Regionalwert AG bedeutet«, in den Worten von Hiß, »sich beteiligen zu können: als Aktionär oder Betrieb. Sie eröffnet Möglichkeitsräume mit dem spezifischen Zweck der Ökologisierung der Land- und Ernährungswirtschaft.« Über die Jahre wurde das Prinzip der Regionalwert AG auf die gesamte Wertschöpfungskette ausgeweitet. Nicht nur landwirtschaftliche Betriebe gehören zu den Partnerbetrieben, sondern ebenso Verarbeitungsbetriebe, Hofläden und Restaurants. »Ich möchte Wertschöpfungsräume aufbauen, die in sich immer resilienter werden«, sagt Hiß. Mit der »Regionalwert Leistungen GmbH« arbeitet er mit inzwischen 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der standardisierten Erfassung von sozioökonomischen und ökologischen Leistungen auf Höfen. Damit soll transparent nachvollziehbar sein, welche Leistungen die Betriebe für das Gemeinwohl erbracht haben. Eine Verbreitung der Regionalwert-AG s ist auch in städtische Regionen möglich und geschieht: Mittlerweile gibt es deutschlandweit acht AG s, die sich von Freiburg bis Hamburg erstrecken, sowie weitere in Österreich, Luxemburg und Spanien. [99]

Der Schweizer Patrick Hohmann führte von 1983 bis 2020 ein erfolgreiches Garnhandelsunternehmen, die Remei AG in Rotkreuz, das den normalen textilwirtschaftlichen Weg hätte weitergehen können: also in Ländern mit den niederträchtigsten Löhnen produzieren, mit den günstigsten Subunternehmern und Zwischenhändlern, Arbeits- und Umweltrecht Fehlanzeige. Was so normal ist, im globalen Wettbewerb. Doch Hohmann beschlich nach acht Jahren im Textilgeschäft das deutliche Gefühl, dass Ausbeutung und Gesundheitsschäden durch Herbizide und Pestizide im Baumwollanbau überhaupt nicht normal sein dürfen: »Es kann nicht sein, dass ein indischer Bauer mein T-Shirt subventioniert.«

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis begann er ab 1991, sein Unternehmen umzubauen. Und zwar vom Beginn der Wertschöpfungskette an, also vom einzelnen Arbeiter auf den Baumwollfeldern und den Bedingungen, unter denen der sein bisschen Geld verdient. Um die zu verändern, dachte Hohmann, müsste er auf jeden Zwischenhandel verzichten, und die Arbeiter müssten selber wieder Produzenten werden. Also gab er Feldarbeitern Kredite und erlaubte ihnen, selbst darüber zu bestimmen, wie viel sie liefern würden. Einzige Voraussetzung: Sie müssten auf jeden Einsatz von Chemie und Gentechnik verzichten. Das senkte Kosten und gab Unabhängigkeit von der Industrie, für die Gesundheit der Arbeiter und die Böden war es auch viel besser.

Obwohl seine Branchenkollegen ihm die baldige Pleite prophezeiten, produziert die Remei-Gruppe heute immer noch Garne, T-Shirts und eine eigene Fashion-Kollektion – nur geht es nun nicht ausschließlich mehr darum, möglichst viele Produkte herzustellen und abzusetzen, sondern darum, möglichst vielen Baumwollbauern in Indien und Tansania ein gutes Leben zu ermöglichen. Die Remei AG , heute unter der Leitung von Marion Röttges und Simon Hohmann , ist als Wirtschaftsunternehmen vom Zweck zum Mittel geworden, Mittel zum sozial und ökologisch besseren Wirtschaften. Das funktioniert sogar im berühmten globalen Wettbewerb.

Auch hier wird das Unternehmen selbst als Treiber der notwendigen Transformation verstanden, es geht um den nachhaltigen Wandel der Textilindustrie selbst. Hätte es nicht Unternehmen wie Remei gegeben, wäre es dem deutschen Entwicklungsminister Gerd Müller in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsminister Hubertus Heil nicht gelungen, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz 129

zur Verabschiedung zu bringen, das Unternehmen ab einer bestimmten Größe darauf verpflichtet, über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg für die Einhaltung von arbeits- und umweltrechtlichen Standards Verantwortung zu tragen.

Tatsächlich führte die Einführung des Gesetzes nicht nur zur erwartbaren Kritik, sondern etwa auch zu Unternehmensentscheidungen wie bei C & A, Teile der Produktion nach Deutschland zurückzuverlagern, weil das die Einhaltung der Standards wesentlich sicherer macht. Da Regionalisierung und Lokalisierung von Produktion und Wertschöpfung ein wichtiges Element der Reduktion von Aufwand und somit der sozialökologischen Transformation ist, kann man hier ein Beispiel dafür sehen, wie unternehmerisches Handeln und Politik sich zugunsten der Zukunftsfähigkeit und damit des Gemeinwohls wechselseitig unterstützen.

Übrigens nicht nur am Unternehmenssitz: Im Fall der Remei AG fließt ein erheblicher Teil des Unternehmensgewinns seit 1997 in die unternehmenseigene bioRe-Stiftung . Sie unterstützt Dorfschulen vor Ort, ein mobiles Gesundheitszentrum, Biogasanlagen – was gebraucht wird in den Teilen der Welt, die in den letzten Jahrzehnten vor allem Gegenden waren, in denen Menschen für zu wenig Geld unter zu hohen Kosten für ihre Gesundheit zu billige Sachen produzierten. Die bioRe-Stiftung führt Schulungen zur Kultivierung von Biobaumwolle durch, baut Infrastruktur auf und hilft zum Beispiel Webern, ein eigenes Geschäft zu betreiben und damit den Lebensunterhalt und den ihrer Kinder selbst zu verdienen. 10000 Bauern, die autonom wirtschaften und ihr Leben selbst gestalten können, hat Patrick Hohmann mal gesagt, das wäre sein Unternehmensziel.

Gerade im Bereich der Textilwirtschaft , im Zuge der Globalisierung zu einem sowohl sozial als auch ökologisch schmutzigen Zweig der Industrie geworden, gibt es viele Vorreiterinnen – sei es eben Remei, sei es Patagonia , sei es Vaude, sei es Cotton made in Africa der Otto-Group , sei es Manomama . Das war das erste ökosoziale Textilunternehmen in Deutschland. Es produziert seit 2010 mit inzwischen mehr als 120 Menschen und hat »aus einer Halle voller Unqualifizierter einen mittelständischen Fachbetrieb mit 4000 Jahren Kompetenz geschaffen«. So Sina Trinkwalder , die Gründerin und Chefin des Unternehmens, die ihren Erfolg damit begründet, dass Manomama nicht primär die Wertschöpfungs-, sondern die Wertschätzungskette interessiert, die sie unternehmerisch zwischen Gesellschaft, Belegschaft, Kundschaft und Unternehmen schafft. Auch hier wird die sozialökologische Transformation unternehmerisch gedacht und praktiziert.

Hans-Dietrich Reckhaus produziert Insektizide in zweiter Generation. Über eine sehr gut nachlesbare Geschichte [100] ist ihm vor etwas mehr als einem Jahrzehnt plötzlich klargeworden, dass sein Geschäftsmodell im Töten von Tieren bestand, von Tieren zumal, die bei Menschen nicht sehr beliebt, für deren Überleben aber unverzichtbar sind: Insekten.

Sie sind verantwortlich für das Bestäuben von Pflanzen, bilden wichtige Glieder in der Nahrungskette zum Beispiel für Vögel, halten wechselseitig Bestände im Gleichgewicht. Ohne Insekten läuft das alles nicht, und gewiss ist der Rückgang der Biomasse der Insekten in Deutschland um mehr als drei Viertel ein ökologisches Problem von gigantischer Dimension.

Reckhaus entwickelte ein neues Geschäftsmodell, dessen Kern die Kompensation und Überkompensation der durch die Reckhaus’schen Insektizide zu Tode gekommenen Insekten ist. Für die jeweils ermittelte Anzahl der getöteten bzw. potenziell zu tötenden Tiere werden Flächen reserviert, um einer vergleichbar großen oder größeren Zahl von Insekten Lebensraum zu bieten. Das zugehörige Label heißt »Insect Respect« und prangt inzwischen nicht nur auf den Verpackungen von Reckhaus’ Produkten, sondern auch auf denen anderer Insektizid-Hersteller, sofern die sich darauf verpflichtet haben, die entsprechenden Kompensationsmaßnahmen zu ergreifen. Insect Respect ist – jetzt mehr als zehn Jahre nach seinem Start – ein erfolgreiches Konzept, das zwar den Umsatz und den Gewinn des Unternehmens beträchtlich reduziert hat, dafür aber die unternehmerische Tätigkeit mit wesentlich mehr Sinn versehen hat als zuvor. Denn nun geht es um das Verabschieden des alten Geschäftsmodells und um das Entwickeln eines neuen, das ein zukunftsfähiges Naturverhältnis zur Grundlage hat.

Heute wird auf jeder Produktverpackung von Reckhaus vor eben diesem Produkt gewarnt und überdies noch eine Menge Information zu Insekten vermittelt. Darüber hinaus wird erklärt, wie man auf die Anwendung des Produkts verzichten kann und, falls nicht, wie die Folgen im Fall der Anwendung kompensiert werden können. Des Weiteren verabschiedet sich Reckhaus’ Firma von alten Produkten und entwickelt stattdessen sogenannte »Rettungsprodukte«, die dem Insektenbestand zu- und nicht abträglich sind. Schließlich, und deshalb hat Reckhaus auch eigens zwei Bücher zum Thema geschrieben und veranstaltet eine Menge » Insect-Respect «-Events (»Tag der Insekten«), geht es ihm um die Entwicklung eines unternehmerischen Geschäftsmodells, das zum Schutz der Biosphäre aktiv beiträgt. Reckhaus’ Ehrgeiz geht heute dahin, die Transformation von Geschäftsmodellen hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft im emphatischen Sinn zu befördern.

Auch hier wird das unternehmerische Handeln als Mittel zum Zweck der Veränderung der Organisation unseres Stoffwechsels gesehen. Wichtig an diesen wenigen Beispielen, zu denen sich noch zahllose andere erzählen ließen, ist die Aufhebung der klassischen Arbeitsteilung: auf der einen Seite die Unternehmen und die Konzerne, die die Schäden anrichten, auf der anderen die NGO s, die für die Sorgen zuständig sind, die die Schäden verursachen. Die interessante Frage ist, ob der Kapitalismus mittelfristig geschmeidig genug ist, auf der Grundlage eines Naturverhältnisses zu funktionieren, das nicht mehr zerstörerisch ist. Mir scheint, dass die Suche nach der Antwort auf diese Frage sehr erfolgreich sein kann, wenn sie unternehmerisch erfolgt.

Interessant ist, dass es Branchen gibt, die in Sachen Transformation sehr weit sind – wie etwa in manchen Segmenten des Tourismus oder der Architektur –, während man in anderen, etwa in der Finanzwirtschaft oder in der Unternehmensberatung, weit zurückliegt. Das kann damit zu tun haben, wie »materiell« geerdet eine Berufsgruppe ist. Wenn der Beruf direkt mit der Landschaft und den natürlichen Bedingungen zu tun hat, wie etwa im Wandertourismus, liegt die Entwicklung nachhaltiger Tourismuskonzepte besonders nah. Man kann in diesem Bereich, zum Beispiel bei den österreichischen Wanderdörfern, holistische Konzepte finden, die den Individualverkehr zurückfahren, auf Slow Food setzen, vor allem aber dem Prinzip folgen, dass im Zentrum nicht nur die Gäste, sondern ebenso auch die lokale Bevölkerung und die Beschäftigten stehen. Das führt zum Teil zu Ergebnissen, die schon weit in eine Zukunft weisen, an die in anderen Branchen noch nicht einmal gedacht wird. [101]

Wenn man im Bereich von Architektur und Planung einerseits die mittlerweile lange neuere Geschichte des nachhaltigen Bauens und auch der Plus-Energie-Konzepte von Werner Sobek , Rolf Disch oder Christoph Ingenhoven betrachtet, die breite Diskussion um das Bauen im Bestand verfolgt oder etwa auch Unternehmen antrifft, die ausschließlich mit gebrauchten Materialien bauen, [102] bekommt man einen Eindruck davon, wie nachhaltiges Wirtschaften auch in einer Gegenwart funktioniert, in der der jeweilige Mainstream noch an der Leitkultur des Verbrauchs und der Verschwendung festhält.

Inzwischen gehen die Avantgarden des Unternehmerischen schon durch fast alle Branchen, und das Spektrum reicht von der Soloselbständigen bis hin zu großen Unternehmen wie dm oder Otto. Man kann die Sektoren durchmustern vom Reinigungs- und Pflegemittelhersteller Werner & Merz (»Frosch «) mit einem Jahresumsatz von mehr als 600 Millionen Euro bis zum Kleinbetrieb Parsch mit dem formidablen Reinigungsmittel »Beeta« aus roter Bete. [103] Von Dienstleistern über Planungsbüros bis hin zu Veranstaltern von Festivals, von Energieanbietern bis zu Architekturbüros, die ausschließlich gebrauchte Materialien verwenden. [104] Es gibt auch in ganz traditionellen Branchen wie der Stahlindustrie Unternehmen, die mit gebrauchtem Material, zum Beispiel mit rekonditionierten Wälzlagern, bessere Produkte als aus der Neuproduktion anbieten können. [105] Und es gibt eine ganze unternehmerische Bewegung wie die der Gemeinwohlökonomie , die mit Hilfe einer eigenen Bilanzierungsmatrix den Unternehmenserfolg an anderen als nur den rein monetären Kriterien misst. Ihr haben sich inzwischen mehr als 1000 Unternehmen angeschlossen. [106]

Komisch, dass so vieles auf dem Markt funktioniert, wo doch noch immer die Standardklage anhebt, man stünde im nationalen, internationalen, globalen, intergalaktischen Wettbewerb, und jede ökologische Modernisierung koste Hunderttausende Millionen Arbeitsplätze. Diese immer wieder hergebeteten Glaubenssätze für den unbedingten Erhalt des Bestehenden und gegen jede Veränderung sind radikal visionsloses Reklamieren von Besitzstandssicherung. Diejenigen, die mit der Veränderung beginnen, ehe die anderen auch nur etwas ahnen, gegen das sie sich dann wehren zu müssen meinen, sind Visionärinnen und Visionäre der Praxis. Und, liebe CEO s der deutschen Automobilindustrie , sie alle werden noch »am Markt« erfolgreich sein, wenn eure Produkte nur noch im Museum anzuschauen sind. Es geht eben immer auch alles anders, und das ist ja die eigentliche DNA des unternehmerischen Denkens und Handelns. Man darf es sich nur nicht leicht vorstellen. Aber wie sagt Patrick Hohmann ? »Es ist ja nie das Wetter schuld, wenn die Ernte schlecht ist.«