Wir finden Cartwrights Zimmer in der kleinen Privatklinik am Stadtrand. Er sitzt auf einem Lehnstuhl und nimmt ein Fußbad. Als wir hereinkommen, schaut er zwar auf, scheint unsere Anwesenheit aber kaum zu bemerken; seine fuchtelnden Hände führen weiter ihren verrückten Tanz auf. Zeitgleich setzt das Häuflein Mensch einer vor ihm kauernden Pflegerin nur einen unmerklichen Sekundenbruchteil mit dem rhythmischen Kneten seiner Füße und Knöchel im dampfend heißen Wasser aus.
Ich wage mich vor. »Mr. Cartwright …«
»Setzen Sie sich, setzen Sie sich.« Er winkt uns heran.
»Wie geht es Ihnen?«, frage ich und nehme Platz. Fleet lehnt sich an die Wand und kickt mit der Hacke leise gegen die Fußleiste. Cartwrights Blick jagt quer durchs Zimmer Fleets Fuß hinterher und blinzelt bei jedem Klacken.
Er lacht tonlos. »Nicht besonders.«
»Wir müssen mit Ihnen reden«, sagt Fleet. »Passt es Ihnen jetzt?«
Leise plätschernd massieren die Hände der Pflegerin im Wasser weiter. Cartwright blickt beglückt auf sie hinab. »Klar. Warum nicht?«
»Allein«, sage ich mit einem Blick auf die Pflegerin.
Grimassierend zieht Cartwright seine Füße aus der Schüssel. Sofort greift die junge Frau nach dem neben ihr liegenden Handtuch und beginnt sie abzutrocknen.
»Ja, ja, danke«, sagt Cartwright, der sie nun loswerden will. »Sehr schön, danke.«
Sie nickt ruckartig, hebt die Schüssel auf und watschelt hinaus, die kleinen Muskelpakete angespannt.
»Nett hier«, bemerkt Fleet trocken und nimmt auf dem französischen Bett Platz. Darauf liegt nicht die übliche Krankenhausbettwäsche, sondern eine weiche, grau-weiß gemusterte Steppdecke.
»Es ist in Ordnung«, sagt Cartwright gelassen.
»Kennen Sie Brodie Kent?« Meine Frage kommt wie ein Fausthieb.
Cartwright zuckt zwar nicht mit der Wimper, aber in seinen Pupillen zittert ein Lichtpunkt. »Was weiß ich? Ich bin mir nicht sicher. Ich kenne eine Menge Leute.«
»Brodie Kent«, wiederhole ich. »Ein junger Schauspieler und Tänzer. Er ist vor etwa zwei Jahren in einem Ihrer Filme aufgetreten. Sie haben fünfwöchige Dreharbeiten mit ihm in Neuseeland durchgeführt. Sagt Ihnen das was?« Meine Stimme hört sich böse an, und erst da merke ich, wie satt ich diese Leute habe.
Cartwright lässt den Kopf gegen die Rückenlehne sinken und rollt ihn hin und her, dehnt seinen Nacken. »Vielleicht«, sagt er schließlich. »Dunkelhaarig?«
»Sehr«, sagt Fleet. »Er war auch Sterling Wades Mitbewohner.«
Cartwright richtet sich auf, mit einem Mal hellwach. »Das wusste ich nicht«, sagt er argwöhnisch. »Ich hab gedacht, Sterling hätte nur mit Lizzie zusammengewohnt.«
»Dann kennen Sie ihn also doch«, sage ich nicht ohne Sarkasmus.
»Flüchtig. Er hat mich wegen dieser Rolle genervt, mich fast verrückt gemacht. Schließlich hab ich ihn besetzt, aber er war nicht besonders gut.«
»Und danach?«
»Ich bin Anfang des Jahres zu einem Empfang gegangen, von einer Casting-Agentur, und da war er auch. Aber sonst? Nicht dass ich wüsste.« Cartwright schlägt die langen Beine unter und hockt im Schneidersitz auf dem Sessel.
»Haben Sie beim Empfang mit ihm geredet?«, fragt Fleet.
»Nö. Als ich ihn erkannt habe, bin ich ihm aus dem Weg gegangen. Er ist eine Nervensäge, und ich wollte nicht, dass er mich noch mal um eine andere Rolle anbettelt.«
»Und seither haben Sie ihn ganz bestimmt nicht mehr gesehen?« Ich lasse nicht locker.
Cartwright schüttelt den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«
»Er war bei Sterlings Beerdigung«, gebe ich zu bedenken.
»Ist mir nicht aufgefallen. An dem Tag war ich ziemlich zugedröhnt, falls Sie noch nichts davon gehört haben.« Und mit einer ausholenden Geste: »So schlimm, dass ich hier gelandet bin.«
»Aha«, sagt Fleet mitleidlos, »und Sie hatten seither definitiv keinen Kontakt mehr mit ihm?«
»Absolut nicht. Ich war entweder total stoned oder hier drin. Ich war mit so gut wie niemandem in Kontakt.«
»Was ist passiert?«, fragt Fleet. »Hat die Beerdigung Sie so aus der Bahn geworfen?«
»Kann man so sagen«, murmelt Cartwright.
»Gut«, sagt Fleet, »Sie hatten also seit einer Party zu Anfang des Jahres keinen Kontakt mehr mit Brodie Kent, richtig?«
»Das stimmt. Ehrlich gesagt ist er niemand, um den ich mir groß Gedanken gemacht hab. Er nervt nicht nur, sondern ist auch total unoriginell. Kommt mir seltsam vor, dass er zu Wades näherem Umfeld gehört haben soll.«
»Wenn wir Ihre Telefonverbindungsdaten und E-Mails überprüfen, stoßen wir also auf keinerlei Austausch zwischen Ihnen beiden?«
Er sieht mich unverwandt an. »Es würde mich sehr wundern, wenn sich da was fände.«
»Wie lange bleiben Sie hier drin?«, fragt Fleet.
»Weiß nicht. Wahrscheinlich noch eine ganze Weile. Ich hatte das, was mein Psychiater eine ›schwere Krise‹ nennt.«
»Sagt Ihr Psychiater auch, wie praktisch eine schwere Krise sein kann, wenn man sich mit dem Vorwurf eines Tötungsdelikts konfrontiert sieht?«, frage ich.
Cartwright weicht meinem Blick nicht aus, sagt aber nichts.
»Also, guter Mann, wir wissen natürlich, dass Sie nicht derjenige waren, der Wade überfallen hat«, sagt Fleet. »Wir wollen nur sichergehen, dass Sie keinen Komplizen hatten, der die Drecksarbeit für Sie erledigt hat, während Sie zugesehen haben.«
Cartwright schüttelt ungläubig den Kopf. »Meinen Sie wirklich, ich hätte etwas damit zu tun gehabt? Es hat mir den Rest gegeben. Ich kann weder essen noch schlafen. Immer und immer wieder sehe ich Sterlings Gesicht vor mir, als er zusammenbrach. Ich bin ein nervliches Wrack.«
»Vielleicht ist der Stress, ein Filmprojekt durchzuziehen, einfach nichts für Sie«, überlegt Fleet. »Und die Vorstellung, eine große Versicherungssumme ausgezahlt zu bekommen, spricht Sie mehr an. Sie können in diesem Laden rumsitzen und sich die Füße massieren lassen. Vielleicht etwas Geld an Ihren Auftragskiller weiterreichen.«
»Blödsinn«, entgegnet Cartwright und hievt sich im Sessel in eine aufrechte Position. »Sterling war mein Freund, und ich hatte keine Ahnung vom Geld der Versicherung, bis Katya es mir gesagt hat. Das muss irgendein Irrer gewesen sein, der ausgeflippt ist.« Er beugt sich drohend vor und zeigt mit dem Finger auf mich. »Glauben Sie mir, an so einem Ort kriegt man hautnah mit, wie verrückt die Leute sind. Es ist durchaus möglich, dass ein Mensch, der von Sterling besessen war, zu weit gegangen ist.«
Fleet und ich stehen schweigend auf.
»Was soll’s«, murmelt Cartwright. Dann: »Glauben Sie wirklich, dass der junge Brodie was damit zu tun hat? Er kam mir immer irgendwie läppisch vor.«
Fleet steckt auf dem Weg zur Tür beide Hände in die Taschen; die Finger muss er schon am Zigarettenpäckchen haben. »Läppisch oder nicht, zurzeit wird Brodie jedenfalls vermisst, geben Sie uns also bitte Bescheid, wenn er bei Ihnen vorbeischaut, ja?«