Mittwoch, 29. August

23.02 Uhr

Ich liege in tiefem Schlaf, träume gerade von Fingern und Zehen. Von blinden Augen in Nahaufnahme. Am Rand meines Bewusstseins ziehen alte Fälle vorbei. Verängstigte Kinder. Tote Kinder. Bens schlafendes Gesicht. So friedlich. Zu friedlich? Ich gerate in Panik, weil Ben womöglich gar nicht schläft. Ich gehe näher zu ihm, das Mondlicht in Streifen auf seinem vollkommenen Gesicht. Er ist so ruhig. Ich kann nicht denken, will nicht glauben, was ich sehe. Ich gehe noch näher, weine bereits. Ben bewegt sich nicht, ich sage wieder und wieder seinen Namen, und er rührt sich immer noch nicht. Ich berühre sein Gesicht. Meine Hand trifft auf kalte Haut, und dann verschwindet er. Ich scharre am leeren Bett, versuche verzweifelt, meinen kleinen Jungen zu finden, zerre Bettzeug auf den Boden, und meine Schreie hallen durchs ganze Zimmer. Er ist fort.

Ich trete mit einem Bein aus und werde von dem Ruck wach. Das Heulen einer Autoalarmanlage windet sich durch die Nacht.

Verschwitzt und ängstlich liege ich da und blicke an die Decke, während sich mein Körper allmählich an den Wachzustand gewöhnt.

Josh und ich waren heute Abend etwas zusammen trinken, saßen auf ungemütlich hohen Barhockern nebeneinander. Ich erzählte ihm von meiner Woche und zu meiner eigenen Überraschung auch von Dads Verlobung mit Rebecca; redete sogar über Mums Tod. Überraschenderweise hatte er seit unserem abrupt beendeten Abend zu zweit bei ihm noch nicht das Interesse verloren, sondern war aufmerksamer denn je und schien Verständnis für meine komplizierte Gefühlslage zu haben. Es fühlte sich gut an, jemandem mein Herz auszuschütten, der nicht direkt mit der Sache zu tun hatte. Während ich redete, spielte er mit meiner Hand, und er brachte mich mit Geschichten über seine aufgeblasenen Kollegen zum Lachen. Ich sah ihn an und fühlte mich stark zu ihm hingezogen. Wie immer gelobte ich mir, wenn der Fall Wade vorbei sei, würde ich mir mehr Mühe geben. Mich wirklich darauf einlassen. Männer wie Josh laufen einem nicht alle Tage über den Weg, und ich muss aufhören, ihn so achtlos zu behandeln.

Als ich nach Hause ging, rief Ben an, und ich musste mich beherrschen, ihn nicht nach Scotts Freundin auszufragen. Wir redeten über die Schule, und ich knipste den Himmel über der Stadt und schickte ihm das Foto. Als wir aufgelegt hatten, ging ich nach Hause, kroch ins Bett und fiel in ein paar unruhige Stunden abgebrochenen Schlafs.

Mit einem Blick auf die Uhr sehe ich, dass es noch nicht mal Mitternacht ist. Ich horche noch etwas auf die diversen Stöhn- und Grunzlaute der Nacht, ehe ich mich aufrapple und in die Küche tapere. Mürrisch und gereizt wie ich bin, ärgere ich mich über meine gescheiterten Schlafversuche, wenn ich mal die Gelegenheit dazu hätte. Ich lasse das Leitungswasser laufen, bis es heiß wird, stelle mich ans Fenster und trinke in kleinen Schlucken.

Bald ist das Glas leer, und ich spiele mit dem Gedanken an Alkohol, weiß aber, dass ich versuchen sollte, mehr Schlaf zu bekommen. Ich gehe durchs Apartment, fahre mit den Fingern über die Wände und krieche wieder ins Bett, schließe die Augen und wünsche ganz fest, der nächste Tag möge sich vor mir auftun.

Ich muss eingenickt sein, denn plötzlich klappen meine Augen auf. Das Arbeitshandy, das seltsamerweise unter meinem Kissen gelandet ist, zieht mich aus der Bewusstlosigkeit. Der Name »Nick Fleet« erscheint auf dem Display, und nichts Gutes ahnend, gehe ich ran.

»Was ist los?«, frage ich.

»Woodstock? Bist du dran?« Er ist irgendwo, wo es laut ist, mit Kreischen und Gelächter im Hintergrund. »Gemma?« Der Klang ändert sich, so als wäre er in ein Treppenhaus getreten.

»Ja? Was ist?«

»Du musst herkommen.«

»Jetzt?« Ich wüsste gern, ob ich träume. »Wo bist du?«, frage ich, während ich mich aus dem Bett wälze.

»Im Casino«, antwortet er. »Es gibt neue Entwicklungen.«

*

Ich werfe dem Taxifahrer einen Zehndollarschein zu und renne das kurze Stück in die Hitze der Casino-Eingangshalle. Während ich mich am Menschenstrom vorbeidränge, rufe ich Fleet an. Große elegante Frauen in schulterfreien Abendkleidern haken sich bei stattlichen Männern unter; betrunkene Jugendliche bilden Rudel, beklopfen und begrapschen einander, kreischen und kichern. Eine Familie wie aus einem Ralph-Lauren-Werbespot macht einen desorientierten Eindruck, wie sie sich da zusammengeschart jeder an den Griff eines edel aussehenden Koffers klammern. Eine junge Frau tanzt mit geschlossenen Augen solo durch die Halle. Security-Leute, die starr geradeaus schauen, tun, als sähen sie nichts von alldem und erwachten nur zum Leben, um die Ausweise einer Gruppe mit fettem Eyeliner geschminkter Mädchen zu kontrollieren.

Bevor ich die Wohnung verließ, stieg ich in Jeans und grauen Pulli und zog einen weiten dunkelblauen Mantel über beides. Ich erwarte schon, dass der Mann vom Wachschutz meinen Ausweis kontrolliert, doch er winkt mich durch in den Glücksspielbereich. Die Plastikpiepsgeräusche vermitteln mir den Eindruck, im Bauch eines Computerspiels zu stecken. Wo ich auch hinsehe, kleben Leute an den beleuchteten Bildschirmen und heben roboterhaft die Arme, um mehr Geld loszuwerden. Fleet meldet sich nicht, und ich klappere die Gangreihen mit Spielautomaten ab, erwarte nur halb, ihn zu finden.

Mein Handy klingelt, und ich zucke zusammen. Ich bin nicht ganz da – ein Teil von mir liegt noch schlafend im Bett.

»Bist du schon hier?«, fragt Fleet.

»Ja, schon. Irgendwo. Keine Ahnung, wo genau.«

»Ich bin in der Solar Bar, in der Nähe der Haupttische.« Er legt auf.

»Toll«, murmle ich durch zusammengebissene Zähne, während ich zum Wachschutz zurückgehe.

»Hey, Schätzchen«, ruft ein anzüglich grinsender kleiner Mann in glänzendem Sakko. Als ich an ihm vorbeigehe, fasst er mich um die Taille.

»Verpiss dich«, sage ich, und er lacht mit hochgehaltenen Händen.

»Wollte nur nett sein.«

»Wo ist die Solar Bar?«, frage ich einen der Wachleute, der sich unseren Wortwechsel angesehen hat, ohne eine Miene zu verziehen.

Er blinzelt langsam, lässt seinen leeren Blick in meine Richtung wandern und hebt dann die Hand, um mir den Weg zu weisen. »Dort runter, links halten. Immer den Kronleuchtern nach.«

Bald darauf sehe ich Fleet in einer Nische sitzen und, einen halb leeren Martini vor sich, auf sein Handy eintippen.

»Hier bin ich«, verkünde ich und lasse mich auf dem Platz ihm gegenüber nieder.

»Gemma Woodstock«, sagt er. »Wow. Du bist es wirklich.«

»Du bist betrunken«, sage ich enttäuscht, während die Verlegenheit wächst, dicht gefolgt von Wut. »Was ist passiert?«

»Stell dir vor, ich weiß nicht mal mehr, warum ich dich angerufen hab.« Er kippt den Rest aus seinem Glas, saugt die Olive vom Cocktailstäbchen und stochert sich dann damit in den Zähnen herum. »Ich muss wohl so dran gewöhnt sein, dich um mich zu haben.«

»Wenn du einfach nur quatschen wolltest, gehe ich.« Meine Wut ist rasch in tiefe Traurigkeit umgeschlagen, und ich will nur noch ins Bett. »Wir können morgen reden.«

Ich stehe auf, und er packt mich am Handgelenk. »He, komm schon, Gemma. Bitte geh nicht.«

»Lass mich los, Nick«, sage ich, und sein Vorname fühlt sich komisch an in meinem Mund.

»Sorry«, murmelt er und lässt mich los. Er schiebt das Glas von sich und legt stöhnend den Kopf in beide Hände.

Ich schaue auf seinen Schädel hinab, wo sich die widerborstigen Strähnen nicht auf eine Richtung einigen können. Am Scheitel fallen mir ein paar graue Härchen auf.

Plötzlich wirft er sich nach vorn, den Kopf zwischen den Knien.

»Alles in Ordnung mit dir?«, frage ich.

Sein Lachen ist wie eine Ohrfeige. »Ob ich in Ordnung bin?«, wiederholt er mit hämischem Lachen.

»Also gut.« Ich drehe mich um und gehe Richtung Eingang zurück.

»Gemma!« Der Stuhl kratzt über den Boden, als er ihn ungestüm zurückschiebt. Einer der Wachleute beäugt uns und fragt mich mit Blicken, ob ich zurechtkomme. Ich nicke – damit komme ich klar.

»Nicht zu fassen«, fauche ich Fleet an. »Mich mitten in der Nacht rauszuscheuchen, weil du besoffen bist. Oder hast du dein ganzes Geld verloren? Willst du nach Hause gefahren werden?«

Er schließt die Augen, als wollte er im Boden versinken. »So war es nicht«, murmelt er.

»Wir sehen uns morgen«, sage ich und wende mich wieder ab.

»Gemma, es tut mir leid. Bitte bleib und trink was mit mir.«

Ich zögere und kann mich deswegen selbst nicht leiden. Etwas Trauriges ist in seiner Stimme. Reuiges. Ich will nicht im Zorn gehen – unsere Partnerschaft ist so wichtig –, aber ich ärgere mich furchtbar, dass ich mich von ihm so vorführen lasse.

»Bitte, Gemma. Mir geht’s nicht … gut. Ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte.«

Ich spüre, wie ich nachgebe. Eigentlich freut es mich sogar, dass er sich an mich gewandt hat. »Ein Glas«, willige ich ein.

»Nicht hier«, sagt er, nimmt meinen Arm und führt mich quer durch den Raum.

Zehn Minuten später hocken wir in der Ecke eines kleinen Weinlokals neben dem Casino. Heiße Luft bläst mir von einem Deckenventilator ins Gesicht, während ich die Karte studiere. Wir geben unsere Bestellung auf, und gleich darauf werden schon die Getränke serviert.

»Und, kommen Sie oft hierher?«, sage ich spöttisch und nippe an meinem Wodka Soda. Nachdem mein Körper schon zweimal nacheinander im Bett war, verwirrt ihn der Alkoholgeschmack. Aber ich bin nicht mehr müde, sondern hellwach.

»Ich bin kein Spieler«, erklärt Fleet ungefragt.

»Und wenn schon, geht mich nichts an«, sage ich, während mich das kühle Nass von der Kehle bis zum Magen wärmt.

»Stimmt aber.« Er kippt Bier nach. Sein Gesicht ist pink angelaufen, die Lippen sind dunkelrot. In seinen Augen schimmert der Alkohol. »Wenigstens ein Laster, das ich nicht hab.«

»Okay.« Ich nehme noch einen Schluck und frage mich, ob ich endlich mehr über den geheimnisvollen Nick Fleet erfahren werde.

Wir sind von Nachtschwärmern umgeben. Einsamen Wölfen. Frisch verliebten Pärchen. Gelangweilt dreinschauender Belegschaft. Ich denke an den Barkeeper von letzter Woche und wüsste gern, ob er mich in die Liste seiner Eroberungen eingetragen und seinen Kumpels von der Frau erzählt hat, die allein in die Bar kam, sich abschleppen ließ, es ihm tüchtig besorgte und sich im Morgengrauen aus dem Staub machte.

Fleet gibt ein hohles Lachen von sich. »Weißt du, was ich heute Abend gemacht hab?« Er sieht mich mit hungrigem Blick an. »Ich hatte ein Date. Diese Frau nervt mich seit Wochen, und ich hab mir gedacht, okay, cool, klar, gehen wir zusammen aus. Warum nicht? Mit diesem Drecksfall kommen wir ja sowieso nicht weiter. Warum nicht mal etwas Dampf ablassen.« Er zerrt am Kragen. Presst seine Handballen gegen die Stirn.

Ich beobachte ihn schweigend, ohne zu ahnen, warum er so wütend ist. Ich spüre die Energie, die von seinem Körper ausströmt, wie sich sein Blut aufheizt.

»Ich hab da also dieses Date. Wir gehen essen. Trinken was. Es läuft gut. Richtig nett. Und dann schlag ich vor weiterzuziehen, auf einen Cocktail. Und sie sagt, nö. Meint, ich hab so eine negative Ausstrahlung. Also bedankt sie sich fürs Essen und sagt, sie muss los.«

»Tja«, sage ich langsam, »tut mir leid, dass du ein mieses Date hattest, aber du wirst bestimmt keine Probleme haben, was Neues aufzutun. Was Besseres, mein ich.«

Mit wegwerfender Handbewegung tut er meine Bemerkung ab. »Du hättest sehen sollen, wie sie mich angeguckt hat. Als ob mit mir was nicht stimmt. Sie hat gesagt, ich käme aggressiv rüber.« Er verzieht den Mund zu einem höhnischen Grinsen. »Scheiße, da lege ich den prügelnden Ehemännern und Schlägertypen das Handwerk, aber diese Alte findet, dass ich aggressiv bin.«

»Du machst schon einen etwas vergrätzten Eindruck«, sage ich vorsichtig. »Wir stehen beide stark unter Druck. Vielleicht war es keine ganz so gute Idee, dich heute Abend zu verabreden.«

»Inspector Gemma von der Beziehungspolizei.« Lachend lässt er sich gegen die Rückenlehne fallen. »Was soll’s, ihr Pech.« Er schlürft an seinem Drink. »Bist du mit jemand zusammen?«

»Nicht richtig«, sage ich, weil ich nicht mit Fleet über Josh reden will.

Fleet säuselt: »Keine Sorge, irgendwo wartet einer auf dich.«

»Na klar.« Ich will nicht über mich reden. »Wann ist das alles passiert? Treibst du dich seither hier rum und tust dir selber leid?«

Er leert sein Bierglas und bedeutet der Kellnerin, für Nachschub zu sorgen. Ich schiele nach der Uhr und frage mich, ob ich in dieser Nacht wohl noch etwas Schlaf abbekommen werde.

»Ich hab mir ziemlich einen angesoffen«, sagt er. »Bin zu den Spieltischen gegangen. Ich hab zwar gesagt, ich spiele nicht, aber ich seh gern zu. Die Typen, die’s draufhaben – das ist cool, weißt du.«

Sein Bier kommt, und die Kellnerin sieht mich fragend an, aber ich gebe ihr zu verstehen, dass mir mein Drink noch reicht.

»Jedenfalls, dann hab ich verflucht noch mal Jacoby gesehen«, sagt er, »und ab da wurde es interessant.«

Ich setze mein Glas ab. »Du hast Frank Jacoby gesehen?«

»Genau. Verrückt war das. Er hat sich neben mich gesetzt und mit Roulettespielen angefangen. Umgeben von seinen üblichen Spezis.«

»Bitte sag mir, dass du nicht mit ihm geredet hast.« Ich stelle mir vor, wie aggressiv Fleet in betrunkenem Zustand wird und was für Ärger er sich damit einhandeln kann. Beziehungsweise uns.

»Nö. Keine Sorge, reg dich ab. Ich hab sie nur beobachtet. Wie ein braver kleiner Ermittler.«

»Gut«, sage ich erleichtert. Während ich Fleet so ansehe, überlege ich fieberhaft, was ich als Nächstes sagen soll. In seinem Blick liegt etwas Irres, und ich komme nicht darauf, ob es Selbsthass oder Wut ist. Oder beides.

»Jacoby war mit seinen Leuten da. Die können einem richtig vorkommen wie so ein Wolfsrudel. Was da getuschelt wurde! Callgirls mussten bestellt werden.« Fleets Stimme schwankt zwischen Fernsehreporter und sarkastischem Comedian. Er nimmt noch einen großen Schluck Bier und wischt sich fahrig den Mund. »Jedenfalls hab ich einen der Typen um ihn rum von irgendwoher erkannt. Ich meine, den haben wir letztes Jahr wegen einem Selbstmord verhört – irgendein Typ, der sich auf dem Klo in einer Anwaltskanzlei erhängt hat, und dieser Kerl war irgendwie ein Partner oder so.« Fleet klopft sich mit einem Finger an den Nasenflügel. »Diese Typen, also die stecken immer bis über beide Ohren in finsteren Machenschaften. Sie können nicht anders.«

»Na ja, wenn es Selbstmord war, ist es nicht unbedingt verdächtig«, sage ich, ohne groß mit ihm darüber diskutieren zu wollen.

»Vielleicht. Vielleicht. Aber weißt du, die Witwe meint, ihr Mann ist gemobbt worden, sie hätten ihm alles Mögliche zum Vorwurf gemacht, womit er nichts zu tun hatte, also ich weiß nicht.« Fleet klopft eine Zigarette aus dem Päckchen und schnippt sie mit den Fingern hin und her. »Jacoby und seine Spießgesellen, die halten sich für unantastbar. Das kotzt mich so was von an.«

»Warum hast du mich also angerufen?«, frage ich. »Um über Jacoby zu reden? Oder über dein mieses Date?«

»Weiß auch nicht. Weiß nicht. Mir war halt so danach.«

Ich seufze. »Wir sollten aufbrechen.«

»Wie du meinst, Boss«, sagt er und salutiert salopp, während er sein Bierglas leert.

Ich begleiche die Rechnung, und wir gehen.

»Wo war Jacoby?«, frage ich, jetzt doch von Neugier gepackt.

»An den Spieltischen«, sagt Fleet, »immer da lang.«

»Ich will ihn sehen«, sage ich und führe Fleet durch das Spielautomatenlabyrinth.

Auch wenn er nicht ganz sicher auf den Beinen ist, schlagen wir uns zu den Tischen durch. Und tatsächlich, da sehe ich Jacoby mit seinen Kumpanen, wie sie sich gegenseitig auf den Rücken klopfen und unwahrscheinlich selbstgefällige Mienen aufsetzen. Allem Anschein nach sind sie auch gerade im Aufbruch, ziehen ihre Jacken und Mäntel an und schütteln dem Croupier die Hand. Ich warte, bis sie Richtung Hauptausgang gehen, ehe ich ihnen mit Fleet im Schlepptau folge. Einer der Männer um Jacoby redet laut in sein Handy, beschreibt, wo sie abgeholt werden wollen.

Als wir das Casino verlassen, bläst uns ein letzter Windstoß warme Luft um die Ohren, bevor wir in die Nacht hinaus-müssen. Fleet stolpert und torkelt auf eine Betonsäule zu; so gebeugt, wie er dasteht, sieht er aus wie von heftiger Übelkeit überrollt. Ich bücke mich zu ihm runter und sage ihm ins Ohr: »Alles in Ordnung mit dir?«

Er kneift die Augen zusammen und hustet Richtung Boden.

Ich sehe wieder zu Jacoby und seinen Freunden. Sie erinnern einander laut an einen Gewinn dieses Abends.

Ich senke den Kopf noch tiefer und flüstere Fleet zu: »Na komm, lass mich dir in ein Taxi helfen.«

Unter Stöhnen lässt er sich von mir aufrichten und zum Taxistand bugsieren. Ich reiße die Hintertür des ersten Fahrzeugs auf und versuche ihn zum Einsteigen zu bewegen.

»Wenn Sie nicht mitkommen, lass ich den nicht rein«, sagt der Fahrer und mustert Fleet verächtlich.

»Ich weiß nicht, wo er wohnt«, antworte ich.

»Nicht mein Problem, gute Frau«, kontert er. »Steigen Sie ein oder was?«

Fleet lässt sich jetzt schwerer gegen meine linke Körperseite fallen, während er Richtung Schlaf abdriftet.

Ein silberglänzender Audi biegt auf die geschwungene Casinoauffahrt ein und hält auf gleicher Höhe mit dem Taxi. Jacobys Clique schlendert mit einem kurzen Freudenschrei zu ihm rüber.

Jacoby öffnet die Beifahrertür des Wagens, und mit einem Mal sehe ich Josh Evans direkt ins Gesicht, meinem Josh, auf dem Kopf eine Wollmütze, und sein Blick wandert von der Auffahrt zur Straße, während Jacoby und seine betrunkene Bagage ins Auto kraxeln.

Ich beuge mich vor und gehe hinter Fleets Kopf in Deckung. Doch noch ehe ich einen Blick ins Auto wagen kann, zieht Jacoby die Tür zu, und alle sind hinter den getönten Scheiben verschwunden.