Katya March schlägt die langen Beine über- und wieder auseinander. Auf ihren schwarzen Strickpullover ist vorne ein großes blaues Auge aufgestickt, verziert mit Pailletten und Fransen. Sie trägt eine türkisfarbene Baskenmütze und hat die Lippen im knalligsten Rot geschminkt, das mir je begegnet ist. Sie ist wie ein Kunstwerk anzuschauen.
Laute Popmusik dröhnt aus den Lautsprechern an der Caféwand und mischt sich mit dem Rocksong, den ein Straßenmusiker draußen am Haupteingang auf seiner Gitarre spielt. Eine Kellnerin mit Tränentattoo auf der Wange nimmt unsere Bestellung auf, wiegt sich zur Musik, während ihr Stift über den Notizblock fliegt.
»Ich hab mir Sorgen um die Produktion gemacht«, sagt Katya. »Ich wollte nur sichergehen, dass alle unsere Kosten gedeckt waren.«
»Weswegen genau haben Sie sich Sorgen gemacht?«, frage ich.
Katya sieht uns an, wägt offenkundig ab, was sie preisgeben soll.
»Er war wieder voll drauf«, sagt sie, nachdem wir bestellt haben.
»Sterling?«, fragt Fleet.
»Nein!«, fährt sie ihn an; dann, mit leiserer Stimme: »Cartwright.«
»Drogen?«, frage ich.
»Natürlich Drogen. Für gewöhnlich alles, was er in die Finger kriegt.«
Die Kellnerin bringt uns den Kaffee, und ich warte mit meiner Frage, bis sie gegangen ist: »Haben Sie es mit eigenen Augen gesehen?«
»Glauben Sie mir, das merkt man. Wenn er high ist, läuft er die Wände rauf und runter.«
»Erzählen Sie uns von der Anzeige wegen sexueller Nötigung, die Sie vor ein paar Jahren gegen Cartwright erstattet haben«, sage ich.
Mit geschürzten Lippen schaufelt sie sich einen Teelöffel Zucker in die Tasse. »Das ist Schnee von gestern.«
»Lassen Sie uns trotzdem einen Blick in die Vergangenheit werfen«, sagt Fleet.
Sie seufzt. »Also das war ein einziges großes Missverständnis. Riley ist ein überspannter Typ. Wir haben rund um die Uhr zusammen an einem Film gearbeitet und standen stark unter Druck. Damals hatte ich noch wenig Erfahrung, wie das Geschäft so läuft. Ich war jung und bin ausgeflippt. Hab überreagiert. Später wurde mir dann klar, dass Riley zwar seine Probleme hat, aber kein schlechter Kerl ist. Ich hab die Anzeige komplett zurückgezogen, und seither arbeiten wir zusammen.« Sie nimmt einen Schluck und hinterlässt rote Lippenabdrücke am Glasrand. »Er ist ein Genie, und ich kümmere mich um ihn. Oder versuche es zumindest.«
»Uns sind Gerüchte über Spielsucht zu Ohren gekommen«, versuche ich es. »Meinen Sie …?«
»Genau«, unterbricht sie mich. »Das hängt alles zusammen. Drogen, Alkohol, Geld. Wie ein Dominospiel. Er ist ein Alles-oder-nichts-Typ.«
»Und bei Ihnen war er auch so?«, fragt Fleet und schlürft geräuschvoll seinen Kaffee. »Dass er alles wollte?«
»Wie gesagt, damals war ich noch jung«, stellt sie energisch klar. »Ich hab die Situation falsch verstanden. Er hatte es nicht so gemeint.« Sie gibt mehr Zucker in ihren Kaffee und rührt kräftig um, wie um das Thema zu wechseln. »Das Schlimmste ist, dass ich mich so unglaublich für ihn eingesetzt hab, damit er diesen Film machen kann. Ich hab gedacht, er wäre wieder clean.« Sie nimmt einen Schluck. »Deshalb war ich so angefressen, als ich gemerkt hab, dass er wieder abgerutscht ist.«
»Lassen Sie uns kurz über Ava James sprechen«, sage ich.
Katya reagiert genervt.
»Sie wissen vermutlich Bescheid, dass Ms. James Anzeige gegen Cartwright erstattet hat, der wir nachgehen.«
Katya nickt unmerklich.
»Wir wissen, dass Sterling als Avas Beschützer aufgetreten ist«, fahre ich fort. »Und Cartwright letzte Woche wegen seines übergriffigen Verhaltens ihr gegenüber zur Rede gestellt hat. Meinen Sie, Cartwright könnte die Einmischung wütend gemacht haben? Wenn er annahm, dass die beiden heimlich ein Verhältnis hatten, könnte er ziemlich eifersüchtig gewesen sein.«
»Also ich hab die ganzen Gerüchte über Sterling und Ava gehört, aber ich weiß wirklich nicht.« Sie schiebt sich das Haar so aus der Stirn, dass es sich zu einer kleinen Tolle formt. »Vielleicht hatten sie was miteinander, vielleicht nicht. Aber Sterling hat sich als ihr Beschützer verstanden, da ist wirklich was dran.«
»So sehr, dass Cartwright sich angegriffen fühlen konnte?«, hakt Fleet nach.
Katya zuckt mit den Schultern. »Er hat sich geärgert, Vorhaltungen gemacht zu bekommen. Ständig rief er Ava an, unter dem Vorwand, er wolle über den Film reden, aber tatsächlich nur, um sich an sie ranzumachen. Ava schien das anfangs nicht zu stören. Ich glaube, Sterling hat sie erst auf den Gedanken gebracht, sich belästigt zu fühlen. Sie ist eine richtige Diva. Ehrlich gesagt, ich glaube, sie hat die Aufmerksamkeit so lange genossen, bis sie es sich anders überlegt hat.«
Ich lege den Kopf schräg, enttäuscht, wie leichtfertig sie Avas Beschwerde abtut.
»Waren Sie beim Streit zwischen Cartwright und Wade dabei?«, fragt Fleet.
»Ja. Das war eben typisch Sterling. Er hatte nun mal so was Selbstgerechtes an sich.«
»Wie erhitzt waren die Gemüter?«, frage ich.
Sie zuckt mit den Schultern. »Ziemlich.«
»Haben sie sich am Ende wieder vertragen?«, fragt Fleet.
»Sozusagen. Cartwright muss wohl geschockt gewesen sein, wegen der Sache mit Ava zur Rede gestellt zu werden. Normalerweise wird ihm wenig Kontra geboten. Aber Sterling und er haben sich am ersten Drehtag ausgesprochen und die Sache ins Reine gebracht. Die ganze Situation war zwar nicht ideal, aber wie gesagt, bei Cartwright kommt man mit Vernunft nicht weit, wenn er in diesem Zustand ist.«
»Glauben Sie, dass er irgendwas mit dem Mord an Sterling zu tun hat?«, frage ich und versuche dem starren Blick des großen Auges auf ihrem Pullover auszuweichen.
Sie sieht uns an, als wären wir verrückt. »Ach was«, sagt sie. »Cartwright ist einer von den Guten, nur etwas durch den Wind. Sicher, er hat Umgang mit ein paar Fieslingen, aber er profitiert nicht von Sterlings Tod. Wie wir alle.« Sie befingert ihre Uhr, ein klobiges Zifferblatt aus Holz mit schwarzen römischen Ziffern und Zeigern. »Glauben Sie mir, wir haben hier den Super-GAU zu bewältigen. Niemand weiß, wie man damit umgehen soll.«
»Tja, jetzt muss er den Film nicht mehr drehen«, sage ich, »bekommt aber trotzdem noch sein Honorar, stimmt’s? Er kann zu Hause rumsitzen und sich volldröhnen. Vielleicht hat er nach einem Ausweg gesucht und das als seine Chance betrachtet. Vielleicht war er nach dem Streit so wütend, dass er sich einfach gedacht hat, zum Teufel mit dem ganzen Quatsch. Oder er wollte nach Avas Abfuhr nichts mehr mit ihr zu tun haben und hat befürchtet, sie könnte ihn anzeigen. Könnte er einen seiner Kumpel aus dem Drogenmilieu auf Wade angesetzt haben?«
Katya sieht mich mit großen Augen an, als ginge ihr gerade erst auf, dass Cartwright in ernsthaften Schwierigkeiten stecken könnte. »Überhaupt nicht, das sehe ich nicht. Er ist nicht bösartig. Außerdem, und das ist vielleicht für Sie schwer zu verstehen, aber jedenfalls: Egal, in was für einem Zustand er ist, er würde immer den Film drehen wollen. Filme sind seine Leidenschaft. Sie sind quasi alles, was er hat.«