Ian
Sam und ich sind jetzt schon eine ganze Weile befreundet – sogar schon so lange, dass ich ganz sicher weiß, dass sie nichts von mir will. Dies sind vier Gelegenheiten, zu denen sie mir das sehr deutlich zu verstehen gegeben hat:
Heute ist Mittwoch, was bedeutet, dass Sam bei mir auf mich wartet, wenn ich nach dem Fußballtraining nach Hause komme. Ich bin der Cheftrainer des Oak-Hill-Nachwuchsteams der Männer. Wir sind ungeschlagen, und Sam hat noch nie ein Spiel verpasst, obwohl Sport nicht ihr Ding ist.
»Sag bitte, dass du schon mit dem Abendessen angefangen hast, Madam Secretary«, begrüße ich sie, als ich hereinkomme und meine Sporttasche fallen lasse.
»Schon im Ofen, Mister President.«
Sie sitzt mit dem Rücken zu mir über meinen Küchentisch gebeugt. Ich weiß erst, was sie macht, als ich näher komme und mich über ihre Schulter lehne.
Sie streut Glitzer auf Plakatkarton und legt letzte Hand an knallige Neonschilder. Darauf steht: Auf geht’s, Oak Hill und Coach Fletcher ist der Beste! Mein Tisch ist mit Bastelpapier, Klebstoff und Filzstiften übersät. Es herrscht das totale Chaos.
»Sind die für das Spiel morgen?«
»Wow, du machst glatt Sherlock Holmes Konkurrenz«, zieht sie mich auf, bevor sie meinen Schweißgeruch registriert und mich mit ihrer Hüfte wegstößt. »Ab unter die Dusche. Du stinkst. Abendessen in einer Viertelstunde.«
Ich erhebe keine Einwände. Ich habe heute mit der Mannschaft trainiert und rieche bestimmt furchtbar. In meinem Schlafzimmer ziehe ich mir mein Shirt aus. Ich mache mir nie die Mühe, beim Ausziehen die Tür zu schließen, weil Sam sowieso nie linst.
Jeden Mittwoch haben wir eine feste Verabredung zum West-Wing-Gucken, daher auch die Spitznamen.
Diese Tradition hat ganz anders angefangen. Früher waren noch andere Freunde und unsere besseren Hälften dazu eingeladen. Die Freunde sind entweder aus beruflichen Gründen weggezogen oder haben Kinder gekriegt. Unsere besseren Hälften sind uns auch abhandengekommen. Das ist kein Zufall. Keiner von Sams Typen hat mich je gemocht. Das könnte daran liegen, dass ich mit ihnen nicht gerade dicke war. Zum Beispiel durften sie mein Bier nicht trinken. Den letzten hab ich ständig Biff genannt, obwohl ich genau wusste, dass er Bill heißt. Das endete stets damit, dass er irrational wütend wurde, was es für mich nur noch lustiger machte. Und leichter zu ertragen, wenn ich zusehen musste, wie er ihr einen Gutenachtkuss gab.
Als ich nach dem Duschen aus dem Bad komme, hat Sam schon auf meinem Couchtisch die Teller arrangiert. Wir teilen uns ein Blue-Apron-Abonnement und wechseln uns mit der Zubereitung ab. Heute Abend hat sie uns außerdem billigen Wein aus einer Partybox eingeschenkt und dank der Kantinen-Damen von Oak Hill zusätzlich eine Schüssel mit wiederbelebten Kartoffelkroketten beigesteuert.
Sam stemmt die Hände in die Hüften und sieht zu mir auf. Wir tragen das gleiche West-Wing-T-Shirt, das für eine fiktive 1998er Präsidentschaftskampagne für Bartlet wirbt. Ich habe für uns beide dieselbe Größe bestellt. Mir passt es gut. Für sie ist es ein Shirtkleid. Sie ist ein Winzling – ein hübscher Winzling, aber ich weiß, wenn ich ihr das sagte, würde sie die Nase krausziehen und rasch das Thema wechseln. Die Kroketten werden kalt! Eigentlich muss sie wissen, dass sie attraktiv ist; im Laufe der Jahre haben ihr das bestimmt genug Typen gesagt. Sie hat hohe Wangenknochen und einen vollen, sehr weiblichen Mund. Ihre helle Haut, die dunkelroten Haare und ihre großen blauen Augen sind der Stoff, aus dem Märchenprinzessinnen sind. Wenn sie im Urlaub nach Disney World führe, würden sich kleine Kinder wie ein Mob um sie scharen, mit Rehaugen zu ihr aufsehen und sie um ein Foto anbetteln.
Sie hat mitbekommen, dass ich sie anstarre.
Fragend legt sie den Kopf schief. Ich auch.
»Was ist los, Mr. President? Ein Notfall? Müssen wir uns in den Situation Room begeben?«
Ich befeuchte meinen Daumen mit der Zunge und fahre damit sinnlos über ihre Wange, ihre Stirn und ihr Kinn.
»Du hattest nur Glitzer im Gesicht«, lüge ich.
Ich trete um sie herum, setze mich auf die Couch und versuche, mich neu zu fokussieren. Ich bin hungrig aufs Essen, nicht auf Sam.
»Sieht gut aus.«
»Das ist Tandoori-Chicken.« Ihr Akzent wird hochnäsig und britisch, als sie fortfährt: »Passend dazu habe ich einen kräftigen Rotwein ausgewählt und nur Kroketten aus erlesensten Kartoffelsorten.«
Sie setzt sich neben mich und legt die Füße auf den Couchtisch. Ich weiß, dass sie unter dem T-Shirt Shorts trägt, und trotzdem spielt die trügerische Hoffnung jede Woche meinem Gehirn übel mit. Wenn sie weg ist, werde ich noch einmal kalt duschen müssen. Meine Verliebtheit in Sam stellt eine Riesenbelastung für die Trinkwasserversorgung unseres Planeten dar.
Wir haben alle Staffeln von The West Wing – Im Zentrum der Macht schon einmal gesehen. Wir könnten mit einer neuen Serie anfangen, aber Traditionen haben etwas Tröstliches. Außerdem folgen wir der Handlung gar nicht so aufmerksam. Normalerweise machen wir andere Sachen nebenher, so wie jetzt. Sam hat fertig gegessen und sitzt wieder am Küchentisch, um ihre Plakate fertigzustellen.
Auf ihrem Handy, das neben mir auf der Couch liegt, leuchtet eine Mitteilung von einer Dating-App auf. Der damit einhergehende Ton erregt ihre Aufmerksamkeit.
»War das ein Match?«
Ich sehe nach. Ein Typ namens Sergio hat ihr eine Nachricht geschrieben.
»Ich weiß nicht, warum du dich mit diesem Mist abgibst.«
Sie seufzt genervt und kommt herübermarschiert, um ihr Handy vom Sofa zu nehmen. »Vielleicht weil ich gern ab und zu mal Sex hätte. Ich bin im Prinzip eine keusche Nonne ohne die Vorteile, die ein Kloster bietet.«
Mein Schwanz regt sich, was ich ignoriere. Darin bin ich inzwischen ziemlich gut.
»Tja, ich weiß nicht so recht, ob dieser Sergio dem gewachsen ist. Er sieht aus, als ginge er zum Augenbrauen-Waxing.«
»Na und? Das ist eine Superidee für ein erstes Date. Meine sind überfällig.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch, woraufhin sie prompt ablenkt.
»Außerdem musst du gerade reden. Die Frauen, mit denen du ausgehst, wachsen sich von Kopf bis Fuß. Wahrscheinlich musst du ihre glatten, reibungsfreien Körper festbinden, damit sie dir beim Sex nicht vom Bett rutschen.«
Ich grinse. »Vielleicht binde ich sie fest, aber nicht aus dem Grund.«
Sie mimt einen Kotzanfall. »Eklig. Wie sind wir von meinem Tinder-Erfolg zu deinem Werben um gerupfte Hühner und Nacktkatzen gekommen?«
»Du hast recht, zurück zu Sergio. Ist er wirklich dein Typ?«
»Lass ihn in Ruhe und dreh dich weg. Das ist der Zeitpunkt, zu dem ich ihm Nacktfotos schicken muss, oder?«
Ich lehne mich vor und setze den Fuß ab, den ich lässig auf mein Knie gelegt hatte. Jetzt steht sie zwischen meinen Beinen. Im Sitzen bin ich fast so groß wie sie. Ich halte ihr Handy noch in der Hand und scrolle durch ein paar seiner Fotos. »Hmm, klein ist er ja. Viele kleine Männer sind wie Chihuahuas – große Klappe, nichts dahinter.«
Sie zieht herausfordernd eine ihrer zarten Augenbrauen hoch. »Ach, dann behauptest du also, dass bei dir viel dahinter ist?«
Unser Gespräch gerät auf gefährliches Terrain. Am liebsten würde ich die Hand ausstrecken, damit über ihren Schenkel fahren und sie so weit höher gleiten lassen, bis sie unter ihrem T-Shirt verschwindet … Sam in die Unterlippe beißen …
Stattdessen lehne ich mich zurück und stelle den dringend erforderlichen Abstand zwischen uns wieder her. »Ich will damit nur sagen, Typen, die Selfies von sich machen und zum Augenbrauen-Waxing gehen, sind zwangsläufig egoistisch im Bett.«
»Das ist okay. Ich fand sowieso schon immer, dass ich eher die Rolle der Gebenden einnehme. Außerdem erinnere ich mich nicht, dich um Rat gefragt zu haben.«
Sie senkt den Blick auf ihr Handy. Eine tiefe Zornesfalte bildet sich zwischen ihren Augenbrauen, als ihr klar wird, dass ich Sergio an ihrer Stelle geantwortet habe.
Sergio: Hey QT
Samantha: Wie viele Kinder wünschst du dir? Ich dachte so an zehn.
»Ian!«
»Er hat dich mit Buchstaben angesprochen. Ich dachte, die Grundvoraussetzung für Tinder-Hook-ups wäre zumindest eine mittelmäßige Intelligenz. Aber er hat ein Wort mit fünf Buchstaben abgekürzt.«
Sie dreht sich zurück zum Küchentisch. »Ich beende dieses Gespräch jetzt.«
Ich verabrede mich nicht mehr oft mit Frauen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal gern mit einer Frau Zeit verbracht habe, die nicht Sam war. Vermutlich war es meine Mutter, als ich sie an Weihnachten besuchte. Coole Story.
Einer der Gründe, warum ich allein bin, ist, dass ich es leid bin, immer den gleichen Streit auszufechten. In vergangenen Beziehungen ging es stets um dasselbe Ultimatum: die Freundin oder Sam. Ich habe mich immer für Sam entschieden, woraufhin sie ihre Drohung, mich zu verlassen, wahrgemacht haben.
Vielleicht sollte ich mich auch bei einer Dating-App anmelden.
Nur wenige Tage später, als wir in der Schule allein im Kopierraum sind, bitte ich Sam, sich mein Tinder-Profil anzusehen.
Sie stöhnt ungehalten.
»Du machst das total falsch. Du musst was Witziges schreiben, nicht nur langweilige Details aus deinem Leben, und heißere Fotos hättest du auch aussuchen können.«
Sie löscht den Text, den ich in nur fünf Sekunden getippt hatte.
»Was ist falsch daran, zu schreiben, dass ich Chemielehrer bin?«
»Du musst es auf geistreiche Art ausdrücken, zum Beispiel: ›Ich unterrichte Chemie. Schauen wir mal, ob sie zwischen uns stimmt.‹«
»Das ist echt mies. Schlimmer geht’s nicht, echt.«
»Und du hast nicht mal ein Bild mit nacktem Oberkörper hochgeladen. Wozu verbringst du so viel Zeit in der Muckibude, wenn du nicht mal mit dem Ergebnis prahlst?«
»Ich hab keine Fotos mit nacktem Oberkörper von mir.«
Wer hat das schon?
Sie schnippt mit den Fingern, als hätte sie die perfekte Lösung. »Was ist mit dem, als wir letzten Sommer am Strand waren? Wir hatten dieses gemeinsame Foto von uns auf Facebook gepostet. Meine Tanten haben tagelang von dir geschwärmt, und das meine ich leider im wörtlichen Sinne. Als ich ihnen sagte, dass wir nur befreundet wären, hat mich eine von ihnen nach deiner Telefonnummer gefragt.«
»Perfekt. Vergessen wir Tinder, und du verkuppelst mich einfach mit ihr.«
»Sie ist achtundsechzig.«
»Erstes Date bei Luby’s? Seniorenermäßigung?«
Kopfschüttelnd drückt sie mir mein Handy wieder in die Hand. »Weißt du, was? Wenn ich recht drüber nachdenke, finde ich nicht, dass du Dating-Apps benutzen solltest. Für jemanden, der so hübsch ist wie du, wird es zu viel werden.«
»Du benutzt sie doch auch«, wende ich ein.
Ihrer Miene nach zu urteilen, hält sie das für einen Scherz. Am liebsten würde ich sie auf den Kopierer heben und ihr meinen Standpunkt klarmachen. Ihr Hintern wäre auf das Glas gedrückt, und das helle Licht würde ihn scannen. Die Kopien würde ich mir laminieren lassen und sie mir in die Dusche hängen.
»Das ist was anderes«, seufzt sie und klingt dabei fast traurig.
»Inwiefern?«
»Auf mich steht nicht jeder. Dein Gesicht finden alle gut aussehend.«
Ich weiche ihrem Kompliment aus. »Hat Sergio dir neulich noch geantwortet?«
Sie sieht finster zu mir auf. »Ja. Er sagte, aus uns würde nichts, obwohl ich noch versucht habe, den Schlamassel, den du angerichtet hattest, wieder in Ordnung zu bringen. Warum grinst du so?«
»Ach, ich denke nur gerade an mein Mittagessen.«
Nach Schulschluss und an den Wochenenden bin ich meist mit Sam zusammen. Wir verbringen 99 Prozent unserer Zeit gemeinsam. Meine Eltern und unsere anderen Freunde (die wenigen, die noch hier wohnen) finden das merkwürdig, aber das hat sich nach und nach so ergeben. Zuerst aßen wir nur einmal abends in der Woche zusammen, dann zweimal und so weiter. Inzwischen sind wir voneinander abhängig. Ich weiß nicht mehr, wann ich mir zuletzt nur für mich etwas zu essen geholt habe – Moment, doch, ich weiß: Das war vor ein paar Monaten, als ich mir auf dem Weg zu Sams Wohnung ein Jimmy-John’s-Sandwich gekauft hatte.
»Mist, ich hätte dir auch was mitbringen sollen«, sagte ich, als sie mir die Tür aufmachte und ihr Blick darauf fiel.
»Nein, schon gut. Ich hab genug zu essen da.«
Ein paar Minuten später setzte sie sich neben mich auf die Couch und hatte Folgendes auf dem Teller: eine Möhre, ein schimmeliges Stück Käse und eine halbe Scheibe abgelaufenen Aufschnitt. Der traurigen blassen Farbe nach zu urteilen war es Pute.
»Wie schmeckt dein warmes Jumbosandwich?«, fragte sie, während sie nach der Möhre griff.
Natürlich hab ich mein Sandwich in der Mitte geteilt und ihr die Hälfte überlassen. Lektion gelernt.
Normalerweise haben wir abends viel mit den Vor- und Nachbereitungen für die Schule zu tun. Sie muss Aufsätze korrigieren und Texte redigieren, ich Chemiearbeiten und Laborberichte nachsehen. Aber heute Abend habe ich sie dazu überredet, mit mir ins Fitnessstudio zu gehen. Sie hasst das total. Während der Autofahrt dorthin führt sie einen ganzen Monolog darüber, wie vorbildlich es doch sei, dass ich so viel für meine Gesundheit und mein körperliches Wohlbefinden tue, dass sie es jedoch für wichtiger hält, sich auf den Nutzen eines sitzenden Lebensstils für ihre geistige und emotionale Gesundheit zu konzentrieren.
»Warum gibt es deiner Meinung nach einen Modetrend, der sich Athleisure nennt? Ich bin damit nicht allein.«
Ich schiebe sie ins Fitnessstudio, und wir trennen uns. Wir haben versucht, zusammen zu trainieren, aber es lenkt zu sehr ab. Ich komme mit einem festen Trainingsplan her, während Sam nur ein bisschen plaudern und an einem Drink von der Smoothie-Theke nippen will. Außerdem trägt sie gern enge Workout-Tops und Yogahosen, was mich vielleicht noch ein bisschen mehr ablenkt als unsere Gespräche. Sie tritt einen Schritt zurück und winkt mir übertrieben zu. »Wenn wir uns in einer Stunde nicht hier wiedertreffen, liegt es daran, dass ich irgendwo heulend in der Ecke sitze. Viel Spaß!«
Ein Fitness-Freak, der gerade vorbeigeht, kriegt das mit und schenkt ihr ein schmieriges Lächeln. »Bist du neu hier? Wenn du willst, kann ich dich in ein paar Geräte einweisen. Ich heiße Kevin. Ich arbeite hier.«
Sie macht große Augen und wirkt wie versteinert.
»Ach, nein, danke, Kevin«, sagt sie bestimmt, bevor sie sich blitzschnell umdreht und im Laufschritt in die entgegengesetzte Richtung verschwindet.
Kevin sieht mich fragend an, erntet aber nur einen finsteren Blick.
Heute Abend hat sich Sam für einen Fitness-Kurs entschieden, der von einer couragierten Trainerin mit pink gefärbten Haaren geleitet wird. Eine Stunde lang trainiere ich an den Geräten, während ich sie in dem Studio im hinteren Teil heimlich beobachte. Es hat Glasfenster, die vom Boden bis zur Decke reichen. Außer Sam nimmt noch ein Dutzend anderer Frauen teil, die ebenfalls tanzen, Kicks ausführen und Liegestütze machen, aber da Sam ziemlich weit hinten ist, kann man sie durch die Glasscheibe leicht dabei beobachten, wie sie verzweifelt mitzuhalten versucht. Sie ist gar nicht so schlecht. Was ihr an Körperkraft fehlt, macht sie durch Eifer wett, sodass ihr roter Pferdeschwanz heftig hin und her schwingt.
Ich bin an einer Maschine fertig und wische mir mit einem Handtuch die Stirn ab, während die Trainerin zum Cooldown mit ihnen Dehnübungen macht. Sam spreizt die Beine zu einem V und beugt sich vor, bis sie mit den Händen den Boden berühren kann. Dabei präsentiert sie ihren Hintern in der engsten schwarzen Stretchhose, die sie ihr Eigen nennt. Ich muss mir das Handtuch in den Mund stopfen und fest zubeißen.
An der Bizepsmaschine, die sich am nächsten zum hinteren Studio befindet, hat sich während der letzten Stunde eine gleichbleibend lange Schlange gebildet. Das Gerät ist alt und verrostet, aber alle wollen daran trainieren. Der Typ, der gerade an der Reihe ist, tut nicht mal so, als würde er es benutzen. Er hat keine Gewichte daran befestigt und zieht nur an den schlaffen Seilen, während er Sam begafft. Am liebsten würde ich ihm den Hals umdrehen.
Während der Dehnübungen erscheint Sams umgedrehter Kopf zwischen ihren Beinen, und als sie meinen Blick auffängt, grinst sie und winkt mir begeistert zu.
»Hallo!«, formt sie mit den Lippen.
Die Typen, die an der Bizepsmaschine herumlungern, sehen zu mir herüber, und als Sam sich abwendet, verscheuche ich sie mit einer Handbewegung. Sie zerstreuen sich wie Kakerlaken.
Als Sam später zu mir kommt, bin ich mit Beinpressen beschäftigt. Ich habe Kopfhörer drin, sodass ich Sam erst registriere, als sie direkt vor mir steht, wenige Zentimeter von mir entfernt, keuchend und verschwitzt.
Ich schalte meine Musik aus, mache aber mit den Beinpressen weiter. Sie sieht mir dabei zu und wendet den Blick nicht von meinen Beinen, als wären sie wilde Tiere, die sich gleich auf ihre Beute stürzen.
»Wie war der Kurs?«, frage ich und lasse den Blick langsam über ihre erröteten Wangen, ihren Hals und über ihr schwarzes Oberteil gleiten. Als sie aufblickt, sehe ich schnell weg, um nicht ertappt zu werden.
»Es hat sogar Spaß gemacht. Hast du zugesehen?«
War es so auffällig?
»Ich hab ab und zu kurz rübergeschaut.«
Sie versucht, ein kleines Lächeln zu verbergen. »Dann hast du gesehen, wie wir am Anfang Aerobic Cardio Dance gemacht haben?«
Klar.
»Nein, das muss mir entgangen sein.«
»Das hat mir am besten gefallen. Das mache ich auf alle Fälle weiter. Gerätetraining hasse ich, aber dieser Kurs kam mir nicht mal wie ein Workout vor. Dabei war es das natürlich …« Zum Beweis zieht sie an ihrem nass geschwitzten Tanktop.
Ich unterbreche meine Beinpressen und greife nach meinem Wasser.
»Fühl mal. Ich glaub, ich bin schon nach der einen Stunde kräftiger geworden.«
Sie beugt den Arm und zeigt mir ihre Oberarmmuskeln. Ich halte es für keine gute Idee, sie jetzt anzufassen.
»Ian! Würdige gefälligst meine gains!«
»Ich kann sie auch von hier aus würdigen, Macho.«
Sie greift nach meiner Hand und legt sie auf ihren Oberarm. Sam fühlt sich zart und warm an. Meine Hand schließt sich um ihren Arm, nicht fest, aber es kommt mir seltsam vor … intim. Ihr Lächeln gerät ins Wanken, und ich sage fast: Du wolltest es doch so.
Sie macht sich von mir los und reibt sich den Arm, als wollte sie Läuse von ihrer Haut abstreifen. »Ganz schöne Muckis, was?«
Ich spiele mit. »Pass auf, dass du keinem wehtust.«
»Wie lange musst du noch?«
»Nur noch eine Trainingseinheit.«
»Okay, mach weiter. Ich bleibe hier stehen und schau dir zu.«
Ich lüpfe eine Augenbraue, aber sie hält Wort und sieht mir schweigend dabei zu, während ich meine letzte Runde Beinpressen beende. Sie sieht mir sogar so konzentriert dabei zu, dass ich die Zähne zusammenbeißen muss, um mir Sam nicht zu schnappen und sie auf mich zu ziehen.
Anscheinend bin ich nicht der Einzige, der mit sich kämpft. Sie fächelt sich Luft zu, weshalb ich sie mokant anlächele.
»Was ist?«, stöhnt sie. »Ich bin noch von dem Kurs überhitzt!«
»Ich hab doch gar nichts gesagt.«
Das kauft sie mir nicht ab. Sie hebt kapitulierend die Hände und wendet sich ab, wodurch sie mir noch einen Blick auf ihre Hinteransicht gewährt, die mich schon den ganzen Abend fertigmacht.
»Ich warte im Wagen!«
»Dazu brauchst du die Schlüssel. Sie sind da drüben in meiner Tasche.«
Ohne sich umzudrehen, winkt sie mir über die Schulter zu. »Dann warte ich einfach draußen.«
Ja, klar.
Ich kürze meine letzte Trainingseinheit ab und folge ihr.
Auf der Heimfahrt schweigt sie, bis wir an ihrer Lieblingseisdiele vorbeikommen und sie darauf besteht, dass wir reingehen. Während wir verschiedene Geschmacksrichtungen probieren, dreht sie sich zu mir und hält ihre blauen Augen direkt auf meine Brust gerichtet. »Nur um das klarzustellen, ich hab dich vorhin nicht abgecheckt. Ich hab nur überlegt, ob ich als persönliche Trainerin schwarzarbeiten kann, jetzt, wo ich ein Fitness-Freak bin.«
»Zur Kenntnis genommen.«
»Und klar, ich war ziemlich beeindruckt von dir. Du bist ein beeindruckender Mann.«
Sie kann mir immer noch nicht in die Augen sehen.
»Sam?«, sage ich in einem Versuch, das Merkwürdige, das zwischen uns abgeht, aufzulockern. »Du bist auch beeindruckend – total beeindruckend. Echt, wie bist du so beeindruckend … beeindruckend geworden?«
Sie schubst mich spielerisch, wendet sich an den jugendlichen Eisverkäufer und verkündet, dass ich ihr drei Kugeln Schokoeis mit Schokosplittern und Regenbogenstreuseln obendrauf spendiere.
»In einer Waffeltüte – ach ja, und mit einer Kirsche obendrauf!«, fügt sie hinzu und dreht sich wieder zu mir.
»Beeindruckt?«
Am nächsten Morgen warte ich vor dem großen Konferenzraum auf Sam. Wir haben Personalversammlung mit den anderen Lehrern der Elft- und Zwölftklässler. Heute trägt Sam ein leichtes gelbes Kleid. Ich rücke ihr Revers zurecht.
»Sehr proper.«
»Hmm, spar dir das. Du hasst dieses Kleid. Als ich es das letzte Mal anhatte, hast du mir gesagt, ich sähe aus wie am ersten Tag in der Vorschule.«
Das stimmt, aber nur, weil es so gut aussah, dass ich sie davon abhalten musste, es wieder zu tragen, mir und der gesamten männlichen Belegschaft von Oak Hill zuliebe.
Diese Personalversammlungen sind brutal, sodass Sam und ich uns letztlich meist die Zeit damit vertreiben, unter dem Tisch »Drei gewinnt« zu spielen. Bisher sind wir erst zweimal erwischt worden. Seitdem sind wir vorsichtiger.
Heute schmeißt George, unser Konrektor, den Laden und braucht fünfzehn Minuten, bis er sich Gehör verschafft hat. Er hat zur gleichen Zeit wie wir als Lehrkraft angefangen, ist jedoch in die Verwaltung gewechselt, als eine gut bezahlte Stelle frei wurde. Aber wir wissen alle, dass er zuinnerst einer von uns ist. Daher nötigt er uns nie den Respekt ab, den er verdient.
So wie jetzt. Er versucht, Freiwillige aufzutreiben, die einen Kurs in Sexualkunde geben. Normalerweise wird das in den mittleren Klassenstufen unterrichtet, aber das Schulamt scheint der Meinung zu sein, dass unsere Elft- und Zwölftklässler einen Auffrischungskurs brauchen.
Niemand bietet seine Hilfe an, doch dann schießt Sams Arm in die Luft.
»Warum macht das nicht Ian? Er kann den Teil über Keuschheit präsentieren, aufgrund eigener Erfahrungen – oder deren Mangel.«
Alle lachen, woraufhin ich gutmütig lächele. Eine der Sportlehrerinnen fängt meinen Blick auf, hält ihre Hand wie ein Telefon an ihr Ohr und formt mit den Lippen: Ruf mich an.
George runzelt die Stirn. »Sehr lustig, Ms. Abrams. Aber ich nehme die Empfehlung an. Ian, Sie werden den Kurs leiten. Möchte sich sonst noch jemand freiwillig melden, um ihn zu unterstützen?«
Alle Hände von alleinstehenden Lehrerinnen schießen in die Luft, außer Sams. Die Sportlehrerin hält sogar beide Hände hoch und wedelt mit ihnen.
George grinst. »Was für ein erfreulicher Anblick, heute Morgen so viele Bereitwillige zu sehen!«
»Buchstäblich«, flüstert Sam mir zu.
Ich lächele.
»Ach, wissen Sie, ich überlasse die Entscheidung einfach Ian, wen er während des Kurses gern als Mitstreiterin hätte.«
Es folgt ein Stöhnen, als allen gleichzeitig klar wird, wen ich mit in den Abgrund reißen werde.
Sam sagt mir, mein breites Grinsen sei ungehörig.