Ian
Jedes Jahr sammelt der Chor von Oak Hill in den zwei Wochen vor Valentinstag Spenden. Für fünf Dollar übergeben sie einem Schüler oder einer Schülerin deiner Wahl eine rote Rose. Bei zehn Dollar überbringen sie eine Rose und einen Schokoriegel. Für zwanzig Dollar erhält dein nichtsahnender Schwarm das alles und dazu noch einen Teddybären, und für fünfzig Dollar versammelt sich der Jazzchor, um der Person deiner Wahl ein Ständchen zu bringen.
Das stört den Tagesablauf ungemein.
Aus naheliegenden Gründen soll das Lehrpersonal dabei nicht mitmischen.
Trotzdem haben Sam und ich in den letzten drei Jahren das System unterwandert.
Im ersten Jahr ließ ich den Chor in der ersten Stunde für sie »I’m a Barbie Girl« singen. Sie revanchierte sich prompt mit »I Like Big Butts«.
Letztes Jahr haben wir alle so richtig aufgemischt. Sam ließ die Chormitglieder ein von ihr selbst geschriebenes Gedicht vortragen, hauptsächlich um meine Chemieschüler zu amüsieren. Darin kamen Zeilen vor wie: Pauker Fletcher, quäl uns nicht, mit Schmelzpunkt, Siedepunkt und Dichte; Symbolen, Elementen, Masse, sonst vergraulst du deine Klasse.
Für die Kids ist es lustig und vielleicht ein bisschen peinlich, aber auch verwirrend.
»Warum schicken Sie und Ms. Abrams einander Valentinskarten?«
Wen interessiert’s? Das sind die lohnendsten fünfzig Dollar, die ich im ganzen Jahr ausgebe.
Weil wir einander gern zur Weißglut bringen, wissen die Chor-Kids, dass wir leichte Beute sind. In diesem Jahr haben mich schon einige wegen einer Spende angehauen, aber ich habe sie alle weggeschickt. Mir ist noch nicht der perfekte Song eingefallen, obwohl Valentinstag schon in einer Woche ist.
In der vierten Stunde klopft schon wieder ein Junge mit einem »OHHS Chor«-T-Shirt an meiner Tür. Er hat zwei Teddybären und fünf Rosen dabei.
»Noch eine Lieferung, Mr. Fletcher!«
Meine Schüler jubeln.
»Wie viele Freundinnen haben Sie?«, fragt ein kecker Teenager beeindruckt.
Ich erinnere meine Schüler daran, dass sie nur noch fünf Minuten für ihren unangekündigten Test haben. Nach lautem Stöhnen schreiben sie eifrig weiter.
Der Chorschüler versteht mein Manöver und schleicht sich auf Zehenspitzen in die Klasse, um meine Geschenke diskret abzulegen. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst, doch zum Glück sind sie nicht alle für mich – nur etwa die Hälfte. Meine Blumen lege ich neben meiner Kaffeetasse auf den Lehrertisch, während ich die Bären auf den Haufen bei meiner Tasche werfe. Für einen unbeteiligten Zuschauer sähe es aus, als hätte ich einen Plüschfetisch.
Meine Sammlung ist in den letzten Tagen außer Kontrolle geraten. Zuerst habe ich noch geglaubt, dass Sam mir einen Streich spielt. Das hätte Sinn ergeben. Die Vierzeiler werden langsam langweilig. Ich dachte, dieses Jahr hätte sie ihre Taktik geändert, bis ich die beiliegenden Mitteilungen las.
Die Geschenke sind nicht von Sam, sondern von Lehrerkolleginnen. Die heutige Sendung stammt von Bianca und Gretchen. Bianca hat sich sogar die Zeit genommen, mit rotem Lippenstift einen Kuss auf ihre Karte zu drücken, sodass ich den Abdruck, als ich sie aufklappe, versehentlich mit dem Daumen verschmiere. Ich verziehe angeekelt das Gesicht, während ich den Lippenstift an meiner Stuhlkante abwische. Bloß weg damit.
Der Chorschüler wendet sich zum Gehen, aber ich halte ihn hinten am T-Shirt fest. Als er ins Stolpern gerät, richte ich ihn wieder auf.
»Wie lange läuft diese Spendenaktion noch?«, frage ich ihn verzweifelt.
»Noch eine Woche«, antwortet er flüsternd, aus Rücksicht auf meine Schüler, die ihren Test schreiben. »Ich hoffe, wir erreichen unser Ziel, dann können wir alle zu den Meisterschaften nach Disney fliegen und auf der Hauptbühne konkurrieren!«
Das Wort »Hauptbühne« sagt er mit Sternchen in den Augen. Er hat meine Verzweiflung für Neugier gehalten.
Ich deute mit dem Kinn auf die übrig gebliebenen Rosen und Bären in seinen Armen. »Für wen sind die denn?«
Er grinst. »Abrams. Eigentlich dürfen wir von so was keine Notiz nehmen, aber Sie beide haben in diesem Jahr bisher die meisten Bewunderer.«
»Was? Wer? Wieso?«
Sein Lächeln erstirbt, und mir wird bewusst, dass ich so heftig an seinem T-Shirt ziehe, dass ich ihm den Kragen geweitet habe. Ich lasse los und streiche ihn wieder glatt. Vielleicht sollte ich jetzt aufhören, den Jungen anzufassen.
»Was meinen Sie damit?«, fragt er.
Er ist nervös. Seine Augen sehen jetzt ängstlich drein.
Ich führe ihn aus dem Klassenraum, damit niemand unser Gespräch mitanhört.
»Dann sind diese Geschenke für sie?«
Er nickt langsam.
»Lass mich die Karten lesen.«
Er reißt entsetzt die Augen auf, während er die Geschenke an seine Brust drückt. »Das dürfen Sie nicht! Ich bin durch mein Ehrenwort gebunden, die Unantastbarkeit der Privatsphäre aller zu …«
Ich entwinde sie ihm aus der zittrigen Hand. Nach dieser Begegnung wird der Junge eine Therapie brauchen.
Rosen sind rot.
Veilchen sind blau.
Du bist die schärfste Lehrerin in Oak Hill.
Wollen wir Netflixen und chill-en?
Dieses akademisch wertvolle Gedicht stammt aus der Feder von Logan, dem Defensivkoordinator des American-Football-Teams. Das bereitet mir nicht allzu große Sorgen, weil ich Sam gut genug kenne, um mir sicher zu sein, dass sie einem Angebot von Sex und geschmortem Fleisch nicht erliegen wird.
»Gib mir die andere.«
»Mr. Fletcher, bitte! Haben Sie Ihren moralischen Kompass verloren?!«
Vor Angst, als mein Komplize erwischt zu werden, sucht er mit nervösen Blicken den langen Flur ab.
Ich reiße ihm die Karte aus der Hand. Diese Nachricht ist geringfügig besser, weil sie sich nicht als Gedicht ausgibt.
Alles Gute zum Valentinstag, Samantha!
Vielleicht können du und ich irgendwann mal zusammen einen Kaffee trinken, wenn du Lust hast?
Das ist von Malcolm, dem Fotografielehrer. Er ist insofern Sams Typ, als er mir kaum bis zum Ellbogen reicht.
»Wie viele Nachrichten hat sie schon bekommen?«
»K-keine A-Ahnung«, stammelt er. »Ich bin erst heute Morgen zum Zustelldienst eingeteilt worden!«
Ihre Sammlung ist bestimmt so umfangreich wie meine.
Mist.
Ich weiß, dass Sam an der Schule ihren Anteil an Bewunderern hat. Sie ist die perfekte Mischung aus süß und sexy. Sie ist nett zu allen. Sie lächelt und vergisst nie einen Geburtstag. Ihr spezieller Humor macht süchtig, und die Kombination dieser Eigenschaften bringt sie auf das Radar eines jeden Mannes. Schon seit Längerem ist ein Gerücht im Umlauf, dass wir zusammen sind, und ich habe Wert darauf gelegt, es weder zu bestätigen noch zu dementieren. Dass die Leute uns für ein Paar hielten, hat mir das Leben sehr erleichtert. Aber seit gestern ist das anders. Keine Ahnung, was sie Ashley beim Mittagessen erzählt hat, aber seitdem sind drei Typen in meinem Klassenraum aufgetaucht und haben versucht, Infos über Sam zusammenzutragen.
»Was sind ihre Lieblingsblumen?«
»Was ist ihre Lieblingsfarbe?«
»Steht sie auf Schokolade?«
Was für eine blöde Frage ist das denn? Laufen auf diesem Planeten Menschen herum, die keine Schokolade mögen?
»Wie viel brauchst du noch, um dein persönliches Spendenziel zu erreichen?«, frage ich den Jungen, während er jammert, dass er jetzt wahrscheinlich aus dem Liebesboten-Dienst rausgeschmissen wird.
Er versteht meine Andeutung sofort und erlangt seine Fassung so schnell wieder, dass ich überzeugt bin, dass er eine Zukunft am Broadway hat.
»250 Dollar«, verkündet er mit ruhiger, sachlicher Stimme.
»Das ist eine Menge Geld, wenn man es auf die herkömmliche Art verdienen will. Wie gut kannst du Geheimnisse bewahren?«
Er zuckt mit den Achseln und täuscht Langeweile vor, inspiziert seine Fingernägel.
Gut. Er hat’s kapiert.
»Jedes Mal, wenn Ms. Abrams ein Geschenk von einem Bewunderer bekommt, bringst du es stattdessen zu mir. Du kriegst für jede Lieferung zwanzig Dollar.«
Er zieht eine Augenbraue hoch. »Ich weiß, dass Sie ein Lehrergehalt kriegen, aber ich glaube, da ist noch mehr drin.«
Ich wünschte, es wäre nicht verboten, Schüler zu schlagen.
»Fünfzig Dollar.«
Er schüttelt mir die Hand. »Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Mr. Fletcher.«
Ich rechtfertige mein Handeln, indem ich mir einrede, dass mein finanzieller Beitrag wohltätigen Zwecken zugutekommt. Diese pickligen Kids werden auf der Hauptbühne singen, weil ich die Vorstellung nicht ertrage, dass Sam mit einem anderen Mann Kaffee trinkt.
Als es Zeit für meine Freistunde ist, habe ich vier weitere Teddybären für mich und fünf für Sam. Die mitgelieferten Liebesbriefchen habe ich in meiner Lehrertischschublade verstaut. Ich bin ganz hibbelig, weil ich Sam hintergehe, vor allem, als sie hereinkommt und die Bärensammlung hinter meinem Stuhl beäugt.
Ihre Augenbrauen schießen in die Höhe. »Du hast ganz schön viele Verehrerinnen. Ich hab heute nur eine armselige Rose bekommen.«
Wie kann das sein? Wie ist die Rose durchgerutscht? Jugendlichen kann man heutzutage nicht mehr trauen.
»Von wem denn?«, frage ich und benote weiter meine Tests, als würde ihre Antwort mich nicht interessieren.
»Von der Sportlehrerin.«
»Mrs. Lawrence?«
»Jap. Du bist nicht der Einzige, auf den sie steht.«
Ich lächele zufrieden.
»Gehst du drauf ein? Du kamst mir nie so vor wie jemand, der fürs andere Team spielt.«
Sie nimmt einen der Bären in die Hand und sieht ihn sehnsüchtig an. »Weißt du was, Fletcher? Vielleicht mache ich das sogar.«
An jenem Wochenende sind wir zu einer Einweihungsfeier bei Schuldirektor Pruitt zu Hause eingeladen. Das ist nicht das, was wir uns unter Spaß vorstellen. Sam kommt vorher bei mir vorbei, und als ich die Tür öffne und feststelle, dass sie ein rotes Kleid trägt, beschließe ich spontan, dass ich einen Fireball-Shot brauche. Als ich mir einen eingieße, will Sam unbedingt auch einen. Ich hoffe, wir trinken nicht den ganzen Abend über gleich viel, denn sie hat in etwa die Hälfte meines Körpergewichts.
Sie lächelt heute Abend besonders viel, wirklich bezaubernd. Alle, die auf der Party bei uns stehen, hängen an ihren Lippen. Sie sieht in dem Kleid wahnsinnig scharf aus. Es ist nicht sehr tief ausgeschnitten, aber meine Fantasie erledigt den Rest. Ich entschuldige mich, um uns etwas zu trinken zu holen, und entdecke Schuldirektor Pruitt, der am Grill steht. Er trägt ein weites Hawaii-Hemd und einen Blumenkranz aus Plastik um den Hals. Mit seiner Bierflasche prostet er mir zu, aber ich will mich unter keinen Umständen von ihm in ein Gespräch über die Feinheiten verschiedenartiger Holzspäne fürs Grillen verwickeln lassen. Ich deute auf die Drinks, und er gibt mir das Daumen-hoch-Zeichen.
Es überrascht mich, dass es auf dieser Party Alkohol gibt. Es ist zwar eine private Feier, doch das gesamte Kollegium ist hier. Aber das ergibt wahrscheinlich Sinn, denn Schuldirektor Pruitt mit seinem Hawaii-Hemd und dem Freibier gibt sich alle Mühe, den coolen Dad aus der Verwaltung zu mimen.
»Maaann, dieser Schulinspektor ist ungeheuer steif, aber zu mir könnt ihr mit allem kommen«, hat er letzte Woche nach einer Sitzung des Verwaltungsbezirks zu mir gesagt und mir auf die Schulter geklopft. »Ich will immer zwanglose, offene Kommunikationskanäle zwischen mir und meiner Belegschaft.«
Vielleicht sollte ich ihn darüber aufklären, dass Ausdrücke wie »offene Kommunikationskanäle« ihn mehr wie einen Anzugträger klingen lassen und weniger wie einen von uns.
Ich öffne gerade eine Bierflasche, als sich Logan, der Football-Coach, hinter mir in die Schlange einreiht.
»Hey, Mann, cooles Hemd«, sagt er mit einem kumpelhaften Nicken in meine Richtung.
Ich hatte heute Abend nicht herkommen wollen, aber Sam hatte darauf bestanden, dass wir uns blicken lassen müssten. Während ich auf dem Sofa ein Nickerchen machte, zog sie Klamotten für mich aus dem Schrank. Das schlichte blaue Hemd war ihr Werk und rechtfertigt eigentlich kein Kompliment.
»Was ist das für eine Marke?«, fragt er. »Calvin?«
»Wer?«
»Klein. Egal, wie ich sehe, bist du heute Abend mit Samantha hier. Ihr zwei seid nur befreundet, stimmt’s? Zumindest erzählt man sich das.«
Ich reagiere mit exakt einem halben Nicken und einem halben Kopfschütteln. Diese Geste verschafft mir eine glaubhafte Geschichte, falls Sam mich später nach diesem Gespräch fragen sollte.
»Ich weiß nicht, wie du das aushältst, Mann. Sie ist so geil.«
Er sagt das, während er zu ihr rübersieht, und ich habe keine andere Wahl, als seinem Blick zu folgen. Ihr rotes Kleid hat Spaghettiträger und reicht bis halb über ihre Oberschenkel. Sie hat zwar eine Jacke dabei, sie aber im Auto gelassen, weil es für Anfang Februar ungewöhnlich warm ist. Vielleicht sollten wir in den Norden ziehen, irgendwohin, wo man dicke Schals und Daunenjacken trägt, deren Reißverschlüsse man bis zum Kinn hochziehen muss.
Ihre roten Haare sind zu einem gewellten Pferdeschwanz hochgebunden, und ihre Wangen schimmern rosig. Ihre Haut strahlt. Im Auto hat sie mich gefragt, ob sie Lippenstift in dem für sie typischen Rotton auftragen soll (Randbemerkung: Ich fange an zu sabbern, wenn ich im Lebensmittelmarkt vor den Red-Delicious-Äpfeln stehe), und zum Glück hat sie auf mich gehört, als ich mit einem schroffen Nein antwortete.
»Himmel, ist ja gut. Dann eben kein Lippenstift. Warum rast du so? Ich dachte, du hättest keine Lust auf diese Party.«
Ich bin gerast, weil ich mein Bein weiter als sonst ausstrecken musste, um zu verbergen, dass … Nun, sie sah in dem Kleid einfach toll aus.
Logan räuspert sich, und es ist offensichtlich, dass er auf irgendeine Reaktion von mir wartet. Er will, dass ich bestätige, wie heiß sie ist, aber das tue ich nicht.
Er verzieht sich nicht.
Ich trinke einen Schluck Bier, während er sich das stoppelige Kinn reibt.
»Also, tja, könntest du mir helfen, Kumpel? Mir sagen, was sie gerne isst, was für Musik sie gern hört – du weißt schon, Insiderwissen.«
Abso-fucking-lut.
»Sie ist ein großer Fan von diesem fermentierten Haifleisch aus Island, und ihr Musikgeschmack ist sehr speziell, vor allem Polka-Pop und Jodeln.«
Ich flüstere fast, als wäre ich an einer Verschwörung beteiligt.
»Verdammt, das ist freakig.« Er grinst. »Auf was für Typen steht sie?«
»Einfühlsame, sanfte Typen. Bring sie nicht zum Lachen. Sie will ernste Dichtertypen.«
Seine Augen leuchten auf. Zweifellos denkt er an seine beschissene Stanze, die er vorhin verfasst hat. Sie liegt immer noch in meiner Schreibtischschublade. Ich kann Chili in seinem Atem riechen.
»Was noch?«, frage ich.
»Wenn ich sie um ein Date bitte, wo sollten wir hingehen?«
»In den Zoo. Sie sieht wahnsinnig gern Tiere in Käfigen.«
Sie hasst das. Wenn sie keine Angst vor den Konsequenzen hätte, würde sie sich überlegen, wie sie sie alle freilassen könnte.
»Echt? Ist das nicht zu kindisch für ein Date?«
»Sam ist im Herzen noch ein Kind.«
Das ist das erste Mal, dass ich die Wahrheit sage.
Er nickt und nimmt meine Informationen mit einem breiten Lächeln zur Kenntnis. Dieser Typ glaubt wirklich, dass er Sam kriegt – meine Sam.
»Okay, cool. Ich weiß es zu schätzen, Mann.«
Auf dem Weg zurück zu ihr fängt mich noch ein anderer Typ ab – der Fotografielehrer Malcolm. Er ist echt klein. Er und Sam würden wunderbar zusammen auf eine Einzelbettmatratze passen, und ganz unten wäre noch Platz für einen Husky.
»Hey, Ian. Ich hab mich gefragt … ähm, hat Samantha zufällig meine Karte oder so was erwähnt?«
»Karte?« Ich klinge aufrichtig verblüfft.
»Ja. Ich hab ihr von den Chorschülern eins von diesen Valentinsgeschenken überbringen lassen.« Er reibt sich den Nacken, als wäre es ein nervöser Tick. »Das war eine dumme Idee.«
»Ach, jetzt, wo du es erwähnst, ich hab gestern in ihrem Papierkorb ein zerknülltes Blatt gesehen.«
Er runzelt enttäuscht die Stirn. Ich will Mitleid mit ihm haben, aber nix ist. Wissen Sie, was schwer ist? Versuchen Sie mal, drei Jahre lang in Sam verknallt zu sein, dann reden wir weiter.
»Vielleicht hat sie sie noch nicht bekommen? Vielleicht war das zerknüllte Papier etwas anderes.«
»Weiß nicht. Diese kleinen Liebesboten liefern immer recht schnell.«
Ich hoffe, dass ihn die große Konkurrenz entmutigt und er aufgibt. Stattdessen lächelt er wie der nette Kerl, der er ist. »Weißt du, was? Vielleicht lade ich sie einfach persönlich ein. Mein Therapeut sagt immer, ich soll meine Komfortzone verlassen.«
Was zum … Er klingt ernst, als wollte er sie wirklich um eine Verabredung bitten – und was noch schlimmer ist, Sam könnte sogar Ja sagen. Sie hat mir einmal gesagt, dass sie findet, dass Malcolm »ziemlich coole Fotos« macht. Was zum Teufel geht hier vor? Ich muss wissen, was Sam getan hat, dass wir aus dem perfekten Zustand der ausgeglichenen Homöostase geraten sind, in dem wir uns in den letzten Jahren befanden.
Als ich zurück zu unserem Grüppchen komme, reiche ich Sam eine Limonade, woraufhin sie beleidigt tut, weil ich ihr kein Bier geholt habe. Ich biete ihr einen Schluck von meinem an, und nachdem sie es probiert hat, verzieht sie angeekelt das Gesicht.
»Bäh. Furchtbar. Schmeckt nach Katzenpisse. Ich verstehe einfach nicht, wie du das aushältst.«
Ich weiß nicht, wie du das aushältst, Mann. Logans Worte hallen in meinem Kopf wider.
»Komm her, ich will dir was zeigen.«
Sie folgt mir, und ich führe sie von der Gruppe weg in den kleinen Garten, zum Geräteschuppen, damit wir außer Hörweite sind. Da wir erst Anfang Februar haben, ist noch nichts grün. Schuldirektor Pruitt muss noch die toten Pflanzen der letzten Saison entfernen.
»Was wolltest du mir denn zeigen?«
»Ach, das hier.« Ich klopfe an die Wand des Schuppens. »Ist der nicht cool? Ich wette, darin kann Schuldirektor Pruitt eine Menge Werkzeuge unterbringen. Weißt du übrigens, dass einige Leute an der Schule immer angenommen haben, wir wären zusammen?«
Meine Frage bringt sie aus dem Konzept. Ihre dunkelblauen Augen werden groß, und sie blinzelt verwirrt zu mir auf. »Ja, tss, total lächerlich, was? Wieso? Worauf willst du hinaus?«
Unsicher, wie ich es ihr erklären soll, fahre ich mir mit der Hand durch die Haare. »Tja, die Leute scheinen jetzt was anderes zu glauben.«
»Ach so, ja.« Sie wendet den Blick ab, als würde sie sich das Gespräch in Erinnerung rufen. »Ashley, die Neue, hat nach uns gefragt, und ich sagte ihr, dass wir nur Freunde sind.«
Ich stöhne innerlich auf, während sie die Hälfte ihrer Limonade herunterschüttet. Ich glaube, sie hat Angst, und einen Moment später bestätigt sich mein Verdacht, als sie zu schwafeln anfängt.
»Hör zu, falls du gehört haben solltest, dass ich Gerüchte verbreitet habe, dass wir ein Paar sind, das stimmt nicht. Ich meine, das ist … ja …« Ihre Wangen nehmen die gleiche Farbe an wie der kirschrote Lippenstift in ihrer Handtasche. Bei ihrer hellen Haut kann sie ihre Gefühle nie verbergen, und normalerweise gefällt mir das. Momentan liebe ich es. »Natürlich … habe ich das nicht.«
Okay – ich schon.
»Dann haben wohl alle dein Gespräch mit Ashley mitgehört?«
Sie verdreht entnervt die Augen. »Der Lehrer-Pausenraum war noch nie berühmt für seine Privatsphäre. Deshalb ist auch das Neuntklässler-Quartett rübergekommen und hat nach deinem Fußballspiel gefragt. Ich glaube, die sind alle in dich verknallt.«
»Mist. Dieses Missverständnis kam mir ganz gelegen.«
»Weil dich alle in Ruhe gelassen haben?« Sie runzelt die Stirn. »Bist du sauer auf mich, weil ich es verraten habe?«
Ich weiß nicht … vielleicht. Ich bin wütend, habe jedoch keine Ahnung, warum. Ich komme mir auf einmal vor, als stünde ich an der Startlinie eines Marathons, und die Pistole wurde gerade abgefeuert, aber ich bin nicht bereit, loszulaufen. Meine Schnürsenkel sind offen. Ich habe mich nicht aufgewärmt. Drei Jahre lang bin ich in Laufschuhen nur spaziert und habe mich als Läufer bezeichnet.
Ich habe Angst davor, was passieren wird, wenn ich jetzt zu rennen versuche, aber noch mehr davor, was passiert, wenn ich es nicht tue.
Pech.
Das Rennen um Sam hat begonnen, ob es mir gefällt oder nicht.