Kapitel 5

Sam

Ich war bei jedem einzelnen von Ians Fußballspielen. Er ist der Cheftrainer des Nachwuchsteams und nimmt den Job ziemlich ernst. Das Fußball-Ausbildungsprogramm an der Oak Hill ist im ganzen Staat bekannt, und die Mannschaft hat seit zwei Jahren kein Spiel mehr verloren. Trotzdem sind diese Spiele nicht besonders aufregend. Unter den Fans befinden sich meist vier oder fünf übereifrige Eltern, ein Kiffer-Kid, das sowieso auf der Tribüne rumlungern würde, und ich. Ich hab noch nie eins von Ians Spielen verpasst, weil ich weiß, dass Ian mich auch unterstützen würde, wenn ich mich irgendwie außerschulisch engagieren würde (tss, zum Totlachen).

Heute hingegen ist die Tribüne mit einem halben Dutzend Lehrerinnen gefüllt, das Neuntklässler-Quartett eingeschlossen. Die vier sitzen in einem Grüppchen auf dem untersten Rang und bilden einen improvisierten Fanblock. Eine von ihnen hat ein Schild mit funkelndem Glitzer gebastelt, genau wie das, das jetzt zerknautscht unter meinen Füßen liegt. Sie behandeln dieses Vorsaisonspiel, als wäre es die WM-Endrunde.

Sie skandieren: »Ian, Ian, unser Mann. Wenn nicht er, wer kann es dann?!«

Die anwesenden Übermütter sehen wütend zu ihnen hinüber, untröstlich, dass ihre mütterliche Begeisterung von notgeilen Lehrerinnen in den Hintergrund gedrängt wird. Der Schiedsrichter ruft die Truppe zur Ordnung, und ich grinse so breit, dass ich vielleicht nie mehr damit aufhören kann. Doch dann steht Bianca auf und bringt Ian eine eiskalte Flasche Gatorade, einen Lemon-Lime-Liebestrank. Ich wünschte, Ian würde sie ihr aus der Hand schlagen, oder noch besser, den Deckel aufdrehen und Bianca den Inhalt über den Kopf schütten. Stattdessen nimmt er das Getränk an und bedankt sich mit einem herzlichen Lächeln. Als er einen Schluck davon trinkt, fühlt es sich so an, als würde ich ihnen beim Knutschen zusehen. Ich kämpfe gegen das Bedürfnis an, den Aufsitzmäher des Platzwarts anzuwerfen und Bianca quer über das Fußballfeld zu jagen.

Ian coacht weiter, und Bianca geht mit wiegenden Hüften und einem selbstzufriedenen Grinsen zurück zu ihren Freundinnen. Sie klatschen sie der Reihe nach ab, und sie verkündet stolz: »So macht man das.«

Ich stampfe ein bisschen fester auf mein Schild.

Die letzte Woche war schier unerträglich, da ich zusehen musste, wie die Lehrerinnen um Ians Aufmerksamkeit rangelten.

Für sie alle ist er in den letzten Jahren mein Spielzeug gewesen, und warum sollten sie jetzt, wo ich nicht mehr mit ihm spiele, nicht auch mal an der Reihe sein? Wären wir auf einem Vorschulspielplatz, würde ich meinen Fuß auf ihre Kehlen stellen und verlangen, dass sie ihn in Ruhe lassen. Die Lehrerinnen würden mich ins Büro des Schuldirektors zerren, und ich würde wild um mich schlagen und treten und jedem, der Ian anfasste, während ich nachsitzen musste, rasche Vergeltung androhen.

Vom Rand der Tribüne blitzt eine Kamera auf und blendet mich.

Als ich mich umdrehe, entdecke ich Phoebe aus meiner ersten Unterrichtstunde, die ihr Objektiv auf mich gerichtet hat.

Sie winkt mir zu und verkündet lauthals: »Ich mache nur die Fotos für meinen Zeitungsartikel!«

Wunderbar. Jetzt hat sie sich endlich entschlossen, eine Leistung zu erbringen, und prompt geht es auf meine Kosten.

Das Spiel dauert eine kleine Ewigkeit. Sie gehen in die Verlängerung. Ian sieht in seinem Trainertrikot an der Seitenlinie verdammt heiß aus. Das Neuntklässler-Quartett platzt vor Ungeduld. Der Wind peitscht meinen Plakatkarton und weht mir Glitterteilchen in die Augen. Als Ian und ich nach dem Match zu seinem Auto gehen, sehe ich aus, als hätte ich geweint.

»Du hast die Schilder gar nicht hochgehalten«, sagt er.

Ich habe sie unter den Arm geklemmt und blicke auf sie hinunter. »Äh … ja. Sie sind albern. Ich wollte die Mannschaft nicht ablenken.«

Ich mache Anstalten, die Dinger in einem Mülleimer, an dem wir vorbeikommen, zu entsorgen, aber Ian will sie unbedingt behalten. »Du hast viel Zeit in sie investiert.«

»So viel nun auch wieder nicht«, stelle ich rasch klar, um nicht verzweifelt zu wirken.

Ich will nicht mit den Mitgliedern des Neuntklässler-Quartetts über einen Kamm geschoren werden, die uns im Übrigen auf dem Parkplatz einholen und Ian fragen, ob er mit ihnen essen gehen will, um den Sieg zu feiern. Mich laden sie ausdrücklich nicht ein. Das geht so weit, dass sie behaupten, in dem Restaurant, das sie ausgesucht hätten, gäbe es nur Tische für fünf Personen. Eine bessere Lüge fällt euch nicht ein?

Ich mache den Mund auf, um die Kraftausdrücke herauszulassen, die ich während des gesamten Spieles zurückgehalten habe, aber Ian lehnt ihr Angebot rasch ab und zerrt mich zu seinem Wagen.

»Ist bei dir alles in Ordnung?«, fragt er, als wir nach Hause fahren.

Keine Ahnung, was er meint. Ach ja – in den letzten Minuten habe ich vor mich hin gegrummelt und an meinem Sicherheitsgurt gezerrt, als er nicht so wollte wie ich, habe an der Klimaanlage rumhantiert, weil sie erst zu kalt und dann zu warm war, und die Sonnenblende ein halbes Dutzend Mal runter- und wieder hochgeklappt, bevor ich es ganz aufgab.

»Alles okay. Ich hab nur Hunger.«

Er kauft mir die Ausrede ab. »Okay, du kriegst gleich was, aber dann habe ich einen Sonderwunsch.«

Ich sehe weiter mürrisch aus dem Fenster und grunze zur Antwort.

»Ich brauche deine Hilfe.«

»Womit?«

»Zu Beginn der Verlängerung hatte ich Riesenprobleme, die Jungs zu motivieren. Deshalb habe ich ihnen versprochen, wenn sie dieses Spiel gewinnen, würde ich mir die Haare blau färben.«

Jetzt hat er meine volle Aufmerksamkeit. »Was?!«

Er grinst, während er durch die Windschutzscheibe nach vorne sieht. »Nur vorübergehend. Ich hab schon so Zeug gekauft, das sich innerhalb einer Woche wieder rauswaschen sollte.«

»Du wirst lächerlich aussehen.«

Nein, wird er nicht.

»Um die Moral zu heben. Manchmal muss man unkonventionell denken.«

»Okay, aber warum brauchst du meine Hilfe?«

»Ich will nicht, dass es ungleichmäßig wird und blöd aussieht.«

Und so kommt es, dass ich Ian dabei helfe, seine schönen braunen Haare in einem knalligen Stahlblau zu färben. Sobald wir von dem Spiel nach Hause kommen, duscht er, während ich seine Küchenspüle zu einem Salon umfunktioniere.

Als er aus dem Bad tritt, wabert Dampf mit ihm heraus. Die Zeit steht still. Die sinnlichen Klänge von Marvin Gayes »Let’s Get It On« ertönen in meinem Kopf. Ian ist barfuß und trägt nur eine kurze Sporthose und ein T-Shirt. Seine kurzen Haare sind feucht, und ein paar Strähnen kleben an seiner Stirn. Seine Augen sind blauer als blau, als er mich kühl mustert.

»Bist du bereit für mich?«

Gütiger Himmel, ja.

Ich schlucke und erinnere mich daran, was er wirklich damit meint.

»Klar.«

Ich klopfe einladend auf den Stuhl und fordere ihn auf, sich zu setzen.

»In der Anleitung steht, man soll als Erstes die Haare feucht machen. Der erste Schritt ist also abgeschlossen.«

Er legt den Kopf zurück und sieht zu mir auf. Diese Position erinnert mich an den kultigen Kopfüber-Spiderman-Kuss zwischen Tobey Maguire und Kirsten Dunst.

Seine Lippen sind so einladend.

»Okay, und jetzt?«

Ich registriere eine Sekunde zu spät, dass er mir eine Frage stellt. »Hm?«

»Was jetzt?«

»Ach so.« Ich schlucke und konzentriere mich wieder auf die Schachtel. »Hier steht, man soll seine Klamotten mit einem Handtuch schützen, damit sie keine Flecken bekommen.«

Er steht wieder auf und zieht sein T-Shirt aus.

Oha!

»Von Ausziehen hab ich nichts gesagt!«, rufe ich und halte mir die Augen zu.

Lachend schnappt er sich ein Geschirrtuch, um es sich um seine breiten Schultern zu drapieren. Es ist nicht groß genug, weshalb er gezwungen ist, sich ein Handtuch aus dem Bad zu holen. Als er zurückkommt, erklärt er: »Ich mag dieses Shirt, ich will es nicht verschandeln.«

»Ich passe schon auf«, beharre ich und luge durch meine Finger. »Du kannst es wieder anziehen.« Ich unterdrücke ein verzweifeltes Bitte.

»So ist es einfacher.«

Ich seufze resigniert und lasse meine Hand sinken.

Er setzt sich, legt den Kopf wieder zurück und schließt die Augen. Es ist ein Geschenk. Damit sagt er: Hier, sieh dich an mir satt, und ich schaue dir dabei nicht mal zu.

Hohoho, der Weihnachtsmann ist früher da.

Ich hab Ian schon genau dreiundzwanzig Mal mit nacktem Oberkörper gesehen. Die Hälfte dieser Vorkommnisse waren unschuldiger Natur: Strandtage und Poolpartys. Der Rest waren verstohlene Blicke meinerseits, während er sich in seinem Zimmer umzog. Ja, es stimmt – manchmal bin ich eine fiese kleine Voyeurin. Ich kann einfach nicht anders.

Aber das hier ist etwas anderes. Er war nie einfach nur so in meiner Gegenwart halb nackt. Am Strand oder am Pool sind wir draußen, und mein Begehren hat genug Platz, um anzuschwellen und sich auszuweiten. Hier in der Küche verweilt es wie eine körperliche Präsenz.

Mein Blick gleitet sanft über seine Bauchmuskeln und ich präge mir die Rillen ein wie ein Kleinkind, das seine Bauklötze zählt. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs … Ich frage mich, ob sich seine Haut heiß anfühlen würde oder ob sie nur so aussieht, weil sie sonnengebräunt ist.

Ich zupfe am Kragen meines Shirts, um mehr Luft an meine Haut zu lassen.

Es ist, als befänden wir uns in einem Dampfkochtopf.

Er linst aus einem Auge. »Fängst du heute noch an, oder …?«

»Ja. Na klar.« Ich greife blind nach der Anleitung und schüttele sie aus. »Ich lasse dir nur noch etwas Zeit, um dir zu überlegen, ob du dir wirklich deine dichte Haarpracht ruinieren willst. Deine Mom wird dich umbringen – und mich dazu.«

Er lächelt. »Niemals. Dazu mag sie dich zu sehr.«

Damit schließt er die Augen wieder, und diesmal bin ich pflichtbewusst und konzentriere mich auf die Aufgabe.

Ich ziehe die Nitrilhandschuhe an und nehme den Tiegel mit der blauen Farbe. Nach einmal tief Luftholen tunke ich meine Finger in das klebrige Zeug und verteile es in seinen Haaren. Zuerst versuche ich, Abstand zu halten. Ich stelle mich so weit wie möglich von ihm weg, den Oberkörper um neunzig Grad abgewinkelt, um an seinen Kopf zu kommen, doch nach ein paar Sekunden fängt mein Kreuz aus Protest an zu schmerzen. Ich bin gezwungen, näher zu treten, aber anscheinend nicht nah genug, denn Ian lacht und greift nach mir.

»Du kleckerst es überall hin, komm her.«

Er schiebt den Arm durch meine Beine um meinen linken Oberschenkel, um mich zu sich zu ziehen. Entweder hat er seine Kraft unterschätzt, oder ich bin einfach zu schwach, denn als er zieht, verliere ich den Halt und falle auf ihn. Und noch schlimmer, ich kann mich nicht abfangen, weil meine Hände voll mit blauem Klebezeug sind. Unsere Körper berühren sich, ob es mir gefällt oder nicht. Meine Hüfte stößt an seine Schulter. Mein Schenkel streift seinen Oberarm. Meine Brüste sind nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Er hält mich am Bein fest, um mich zu stabilisieren, und seine Finger berühren die empfindliche Haut in meiner Kniekehle. Eine Sekunde lang fühlt es sich an, als würde er absichtlich darüberstreicheln.

Mein ganzer Körper verkrampft sich in Erwartung dessen, was als Nächstes kommt. Wir waren uns noch nie so lange so nah.

Ich halte den Atem an. Seine Augen sind immer noch geschlossen.

Ich mache den Mund auf und will fragend seinen Namen flüstern, doch bevor ich dazu komme, stellt er mich wieder auf die Beine. Er nimmt den Arm weg und legt seine Hände wieder auf seinen Bauch.

Ich atme langsam aus und hoffe, dass er es nicht hört.

Nach diesem Malheur bin ich während des restlichen Haarefärbens The Flash. Ich streiche mit den Fingern durch seine Haare, durchtränke die Strähnen mit der Pampe und bleibe ruhig, wenn ich mich über seinen Körper beugen muss, um an die andere Seite seines Kopfes zu reichen. Ich spüre seinen Atem an meinem Hals. Feuerwerksfunken laufen mir über den Rücken.

Falls ihn diese Nähe tangiert, lässt er es sich nicht anmerken. Soweit ich es beurteilen kann, könnte er genauso gut ein Nickerchen halten.

Als ich fertig bin, trete ich zurück. »Okay. Jetzt soll es ein paar Minuten einwirken.«

Er schlägt die Augen auf und grinst mich verschmitzt an. »Wie sieht es bisher aus?«

Ich seufze leicht verärgert über das Ergebnis. »Nicht annähernd so bekloppt, wie es sollte. Wahrscheinlich wird die Hälfte deiner Mannschaft es dir nachmachen.«

»Dann bin ich also ein Trendsetter?« Er lacht, legt den Kopf wieder zurück und sieht an die Decke. Seine Finger trommeln auf seinem Bauch.

Derweil schaukele ich zurück auf meine Fersen und greife nach meinem mit blauen Fingerabdrücken übersäten Glas Wasser.

»Was wollen wir so lange machen?«, frage ich.

»Wie wär’s, wenn ich es dir jetzt mache?«, schlägt er vor.

Ich speie Wasser quer über die Theke und bekomme einen heftigen Hustenanfall. Ian schaltet von amüsiert auf besorgt um, als ihm klar wird, dass ich tatsächlich ersticken könnte. Peinlich berührt wende ich mich zum Gehen, doch er hält mich an meinem Shirt fest und zieht daran, sodass ich rückwärts auf seinen Schoß plumpse. Er klopft mir so lange auf den Rücken, bis das Husten nachlässt.

»Okay, ich denke, es geht wieder«, sage ich und versuche aufzustehen, um aus dem Haus und vor ein Auto zu laufen, aber jetzt hält er mich mit beiden Händen an der Taille fest.

»Dachtest du etwa, ich mache dich an?«, fragt er meinen Hinterkopf.

Wir sind uns beunruhigend nah, aber da wir uns nicht in die Augen sehen, kann er mutig sein.

»Ich habe nur die Frage falsch verstanden«, antworte ich mit gespielter Gelassenheit.

»Interessant.«

Ich verdrehe die Augen. »Also bitte. Natürlich dachte ich nicht, dass du … es mir machen wolltest.«

Seine Finger bohren sich in meine Hüften, und ich denke, er kann spüren, wie mein Puls reagiert.

»Hmm, aber es erschien plausibel genug, um ein halbes Glas Wasser zu inhalieren.«

»Na und? Ich war nur benebelt von den giftigen Dämpfen der Haarfarbe.«

Ich will mich ihm entwinden, aber er lässt mich nicht los.

Ich gebe auf und halte still, aus Angst, dass die geringste Bewegung dieses freundliche, lebensrettende Schoßsitzen in einen Zehn-Dollar-Lapdance verwandeln könnte. Bei dem Gedanken erröte ich wieder.

»Ich rieche keine Dämpfe, nur dein Duschgel. Du benutzt schon seit drei Jahren dieselbe Duftnote.«

Er klingt nicht so, als wollte er witzig sein. Er klingt animalisch.

»Wenn es dich stört, wechsele ich es«, sage ich atemlos.

»Nein.«

Ich habe die wildesten Ideen: Vielleicht sollte ich mich umdrehen und ihn küssen. Vielleicht sollte ich endlich rausfinden, wie er schmeckt.

Ich erhasche einen Blick auf unser bizarres Spiegelbild im Fenster vor mir, und in meinem Kopf ertönt eine Alarmglocke. Hör auf damit! Stopp!

Ich springe auf und klatsche in die Hände. Das Geräusch ist laut und zerstört die Spannung, die sich zwischen uns aufgebaut hat. »Oh! Zeit, die Farbe rauszuspülen!«

Es sind zwar erst etwa zwei Minuten um, aber er protestiert nicht. Er schüttelt nur den Kopf und schaut weg.

Als die Farbe rausgewaschen ist, sehen wir, dass es geklappt hat.

Ians Haare sind blau.

Und meine Wangen immer noch rot.

Alle in der Schule flippen wegen Ians neuer Frisur aus. Es ist eine so coole, knallige Farbe, dass die Schüler ihn als krassen Typen bezeichnen und die Lehrerinnen jetzt glauben, dass er eine wilde Seite hat, die er sonst nicht auslebt. Im Lehrer-Pausenraum tuscheln sie, dass er wie ein Filmstar aussieht.

Ich bin froh, dass die Farbe auswaschbar ist. Durch sein ständiges Training muss Ian oft duschen, und schon bald wird er wieder der normale alte Ian sein. Bemerkenswert. Ich stelle fest, wenn ich ihn mit Adjektiven wie »normal« belege, komme ich besser durch den Tag. Und das funktioniert so: Ach, der? Das ist bloß der unscheinbare alte Brad Pitt. Laangweilig.

Sehen Sie? Ich wette, Sie finden Brad Pitt jetzt auch nicht mehr scharf.

Während das Blau in Ians Haaren verblasst, gerät seine Sammlung aus Valentinsgeschenken immer mehr außer Kontrolle. Neulich hat er zwei große Müllbeutel voller Teddybären gespendet. Das Kinderkrankenhaus hat bei den Lokalnachrichten angerufen, die einen Wohlfühl-Beitrag über seine Geste drehen wollten. Lehrer spendet bärige Geschenke für kranke Kinder. Zum Glück hat er ein Interview abgelehnt. Das Letzte, was ich brauchen kann, ist, dass er auch noch viral geht. Man stelle sich nur die YouTube-Kommentare vor.

Granny330: Zu meiner Zeit durften die Lehrer uns Schüler noch versohlen. Es hätte mir nicht so viel ausgemacht, wenn er es gewesen wäre!

SoccerMom88: Ich glaube, wir brauchen ein paar mehr Elterngespräche …

TeachersPetXOXO: »Hot for Teacher« von Van Halen, noch jemand?

Die Rosen hat er auch gespendet – und zwar mir. Ich wollte seine schäbigen Secondhand-Blumen zwar nicht annehmen, aber er bestand darauf. Sie stinken meine ganze Wohnung voll. Jedes Mal, wenn mein Blick auf sie fällt, erinnern sie mich an meine Konkurrentinnen. Nach nur einem Tag beschließe ich, sie wegzuwerfen, und mache Ian weis, dass sie von einem Pilz befallen waren.

Zum Glück ist an diesem Wochenende Valentinstag. Die Spendenaktion wird bald vorüber sein, und diese Chor-Nerds kriegen ihre Reise zu den Meisterschaften – dafür haben Ians Bewunderinnen gesorgt.

Der einzige Nachteil daran ist, dass das Ende der Spendenaktion den turteltaubenhaftesten Tag des Jahres mit sich bringt – denjenigen, den ich zum dritten Mal hintereinander allein ertragen muss. Zum Glück habe ich in den nächsten Tagen viel zu tun, sodass ich von meiner freud- und trostlosen Zukunft abgelenkt bin.

Am Freitag müssen Ian und ich diesen Aufklärungskurs geben, am Samstagmorgen findet an der Oak Hill ein Valentinsjahrmarkt statt, und schließlich, als könnte mein Leben nicht noch trauriger werden, überraschte mich Ian mit der Ankündigung, dass er uns beide als Aufpasser für den Valentinsball am Samstagabend angemeldet hat.

»Du machst Witze.«

»Was?«, fragt er Unschuld heuchelnd. »Hast du etwa was anderes vor?«

»Vielleicht.«

»Valentinstag ist nur noch drei Tage hin«, erklärt er, ohne zu bemerken, wie erbärmlich ich mich in dem Moment fühle.

»Tja, nun … Logan kam vorhin zu meiner Klasse und sagte, dass er mit mir reden will. Vielleicht hat er vor, sich mit mir zu verabreden?«

Es ist weit hergeholt, aber es fühlt sich gut an, Ian wissen zu lassen, dass ich keine hoffnungslose Loserin bin. Wahrscheinlich wollte Logan nur mit mir quatschen, um mich davon zu überzeugen, einem seiner Spieler in der Zeitung besondere Anerkennung zu zollen, aber das muss ich Ian gegenüber ja nicht zugeben. Im Grunde kann ich ihm erzählen, was ich will.

»Logan?«, hakt er ungehalten nach. »American-Football-Coach Logan? Der noch nie ein Haargel mit Hochglanz-Finish getroffen hat, das er nicht mag?«

Zugegeben, Logans Haare sind ziemlich knirschig, aber ich mime die Begeisterte, als ich antworte: »Er scheint nett zu sein.«

»Nein. Komm schon, du spielst mit mir auf dem Ball die Aufpasserin. Danach lade ich dich zu einem Dessert ein.«

Wie es scheint, werde ich den diesjährigen Valentinstag wie folgt verbringen: mit meinem unscheinbaren, unsexy, törnt-mich-eindeutig-nicht-an platonischen Freund Ian – ach ja, und mit einigen Hundert Highschoolkids.