Kapitel 14

Sam

Der Zwischenfall ist vor allem Ians Schuld. Ich werde ihm die Schuld daran geben, weil ich mich besser fühle, wenn ich von mir ablenke, und im Grunde ist es tatsächlich seine Schuld. Am Tag nach unserer Streit- und Liebessession unter der Dusche glaube ich, dass Ian mich küssen wird. Als er es nicht tut, werde ich rastlos. Ich versuche, kreativ zu werden. Nach seinem Fußballtraining kreuze ich im Trenchcoat bei ihm zu Hause auf. Ich trage Klamotten darunter, aber das weiß er nicht. Ich hoffe, dass er auf die Knie fallen und darum betteln wird, aber Fehlanzeige. Stattdessen dreht er den Spieß um, denn als ich ankomme, treffe ich ihn frisch geduscht, mit nacktem Oberkörper, nass und gebräunt an, und wie kann jemand so klar definierte Muskeln haben?

Ich greife danach wie ein Kleinkind nach Süßigkeiten. Haben! Er schüttelt den Kopf, packt mich an den Schultern und hält mich auf Abstand, als wäre ich kontaminierter Müll. Vorsichtig setzt er mich aufs Sofa und verschwindet, um sich ein Hemd anzuziehen. Als er damit fertig ist, zerrt er mich aus dem Haus und lädt mich zu einer Pizza ein.

Das ist Absicht von ihm.

»Sind wir aus dem Haus gegangen, damit nichts passieren kann?«, frage ich ihn zwischen zwei Bissen Peperoniwurst. »Denn ich habe keinerlei Skrupel, es auf der Toilette eines heruntergekommenen Pizzaschuppens zu treiben.«

Er schluckt seinen Bissen herunter und sieht mich an wie ein Marsmännchen.

»Du hast Soße am Kinn und auf deinem Shirt und an der Wange auch ein bisschen.«

Schon kapiert – ich bin sexuell nicht am attraktivsten, während ich mir Stuffed-Crust-Pizza in den Schlund stopfe. Nächstes Mal bestelle ich mir einen Salat.

Nach der Pizza fährt Ian uns zurück zu sich nach Hause und führt mich schnurstracks zu meinem Fahrrad. Er hebt mich auf den Sattel und beugt sich zu mir herunter. Ich wappne mich. Für den Kuss. Ich werde seine Welt auf den Kopf stellen. Ich werde Dinge mit meiner Zunge tun, von denen er nur im Dark Web gelesen hat.

Dann bemerke ich, dass er meinen Helm für mich festzurrt und sichergeht, dass er richtig sitzt.

»Fahr nach Hause, Sam. Am Wochenende haben wir unser erstes Date. Am Samstagmorgen hole ich dich ab, wir gehen frühstücken, und ich frage dich nach deinen Hobbys.«

»Ich habe keine Hobbys.«

»Danach halten wir Händchen und spazieren durch den Park.«

»Gibt es in dem Park auch dunkle Ecken für dunkle Machenschaften?«

»Es wird 29 Grad warm und sonnig. Kinder werden Drachen steigen lassen.«

»Das sollte besser nicht der Park sein, in dem ich Inlineskaten gelernt habe. Dort werde ich immer noch komisch angeschaut.«

»Den Park kannst du dir aussuchen.«

»Und danach?«, drängele ich.

»Danach fahren wir zurück zu mir, und ich küsse dich so lange, wie du geküsst werden willst, und vielleicht fummeln wir auch ein bisschen.«

»Können wir das nicht einfach auslassen und gleich in die Kiste springen?«

»Sam, ich schwör dir …«

Er schließt die Augen, und ich stupse ihn gegen die Brust.

»Ich mache nur Witze.« Gewissermaßen.

Auf jeden Fall belassen wir es an dem Abend dabei, und es ehrt ihn, dass der Samstag großartig wird. Dass ich das noch erleben darf! Wir treffen uns morgens in unserem Lieblingsfrühstückslokal. Ich bin zu früh dort, sitze in einer Nische und kaue meine Nägel bis auf die Fingerkuppen ab. Pünktlich um halb zehn schlendert Ian herein, und ich greife nach meinem Kaffee, damit ich ruhig und locker wirke statt geistesgestört und liebeskrank. Als er mich sieht, lächelt er. Seine Grübchen blitzen auf, mein Magen vollführt einen Salto, und ich hebe die Hand, um ihm zuzuwinken – zuzuwinken, als thronte ich auf einem Festzugswagen.

»Morgen«, begrüßt er mich, als er mir gegenüber in die Nische rutscht.

»Hallo.«

»Ist das deine erste Tasse Kaffee?«

Es ist meine dritte.

»Ja.« Ich zucke cool mit den Achseln. »Ich bin erst wenige Minuten da.«

Unser wohlmeinender Kellner lässt mich auffliegen. »Sieh mal an! Da ist Ihr Freund ja. Ich hab mich schon gefragt, ob Sie versetzt wurden.«

Ian lächelt, als hätte er eines meiner tiefsten, dunkelsten Geheimnisse entdeckt.

Ich sage ihm, dass ich glaube, dass unser Kellner irgendwas genommen hat.

Nach dem Frühstück erfüllt Ian sein Versprechen, mit mir zum Park zu fahren, nur dass wir es nicht aus seinem Wagen herausschaffen. Es ist zu heiß für einen Spaziergang, und ich war ein braves Mädchen, habe ihm den ganzen Morgen gegenübergesessen und in vollständigen Sätzen gesprochen, obwohl ich in Wahrheit meine Rühreier mit Schinkenspeck an die Wand schleudern und mich über den Tisch hinweg auf ihn werfen wollte.

Jetzt stehen wir auf dem Parkplatz, doch als Ian seine Tür öffnen will, packe ich ihn am Unterarm. Er ist hart, stark … aufreizender, als es ein einfacher Körperteil sein sollte.

»Nicht.«

Er hält inne und dreht sich mit interessiert hochgezogener Augenbraue zu mir.

»Ich will nicht spazieren gehen.«

»Was willst du denn machen?«

Ein träges, verschmitztes Lächeln umspielt meine Lippen.

Wir knutschen gefühlt stundenlang in seinem Auto. Ich sitze auf seinem Schoß und drücke aus Versehen mit dem Arm auf die Hupe, sodass eine Gruppe Jugendlicher sich umdreht und uns anstarrt. Ein Minivan parkt neben uns, und eine fünfköpfige Familie klettert heraus. Ich ducke mich und will mich verstecken, aber eins der Kinder drückt sich die Nase am Fenster platt.

»Schau mal, Mummy! Die sitzt auf seinem Schoß! Ist das der Weihnachtsmann?«

Ian heizt wie eine gesengte Sau vom Parkplatz, bevor sie die Polizei rufen.

Bis zum Montag haben wir immer noch nicht mehr gemacht, als uns zu küssen. Das Küssen ist großartig, aber ich bin bereit für mehr. Und als der ungeduldige Dummkopf, der ich nun mal bin, beschließe ich, Ian ein bisschen scharfzumachen.

An jenem Morgen vor Schulbeginn mailt er mir ein Rezept und bittet mich, auf dem Weg zu ihm noch ein paar Sachen im Supermarkt zu besorgen. Das sind ganz harmlose Sachen: Oregano und Olivenöl.

Ich maile ihm zurück: Klar, aber was gibt’s zum Nachtisch? ;-)

Ian: Irgendwelche Vorschläge?

Ich habe einen genialen Einfall und maile ihm ein Foto von mir zurück, auf dem ich mir Schlagsahne in den Mund spritze. Es ist frech und sexy. Ein klitzekleines bisschen habe ich auch auf der Nase. Darunter tippe ich: Mir sind die Schoko-Chips ausgegangen. Wir müssen kreativ werden. Eigentlich soll es gar nicht sexy sein. Es soll ihn zum Lachen bringen, aber wenn es ihn antörnt, umso besser. Und als Zugabe habe ich zum Frühstück auch noch Schlagsahne bekommen.

Ich denke gar nicht mehr daran, bis ich vor der ersten Stunde in meinem Klassenraum sitze und die Lehrerin aus der übernächsten Klasse, Mrs. Orin, den Kopf durch die Tür steckt.

»Hallo, Sam. Ich finde es wirklich mutig von Ihnen, heute herzukommen. Die meisten hätten nicht den Mumm dazu.«

Dann reckt sie solidarisch die Faust in die Luft.

Okay … Das war die merkwürdigste Erfahrung meines Lebens.

Zehn Minuten später kommt Logan vorbei. Aus irgendeinem Grund kann er mir nicht in die Augen sehen. »Hey, tut mir leid. Ich hätte dich nie um eine Verabredung gebeten, wenn ich gewusst hätte, dass du mit Ian zusammen bist. Sind wir noch Freunde?«

Alles Blut weicht aus meinem Gesicht. Was zum Teufel geht hier vor?

Als er geht, stürze ich zu meinem Handy und checke meinen E-Mail-Account, nur um festzustellen, dass mir das Schlimmstmögliche in der Geschichte des Planeten passiert ist: Ich habe das Schlagsahne-Foto nicht an FletcherIan@OakHillHigh geschickt. Sondern zusammen mit dem Rest unserer Unterhaltung an Kollegium@OakHillHigh.

NEIN.

NEIIIIIIN.

NeiEiEiiEIiEiEiEiEiEiN.

Ich greife mir an die Brust. Kriege keine Luft mehr. Ich sehe mich nach einer Art Defibrillator um, aber da ist nur ein Feuerlöscher. Der wird mir in dieser Situation nicht helfen, es sei denn, ich schlage mir mit voller Wucht damit gegen den Schädel und füge mir selbst Hirnschäden zu. Eigentlich … ist das eine ziemlich gute Idee.

Und so ist es genau passiert:

1. Ich dachte, ich hätte auf Antworten getippt, aber ich muss auf Weiterleiten getippt haben.

2. Ich habe auf Weiterleiten getippt, und Gmail hat automatisch die falsche E-Mail-Adresse eingefügt.

3. Ich war zu abgelenkt, um zu überprüfen, an wen ich die E-Mails schickte, und jetzt werde ich mir mit einem Feuerlöscher gegen den Schädel schlagen und hoffen, in ein einmonatiges Koma zu fallen.

Ähnliches ist auch schon anderen Kolleginnen passiert. Letztes Jahr hat unsere Schulkrankenschwester aus Versehen der gesamten Schule ihren Lohnsteuerbescheid gemailt, sodass alle wussten, wie viel sie verdient. Sie war total beschämt. Im Jahr zuvor hatte einer der Volleyballtrainer uns allen ein Gym-Selfie geschickt, das für seine Frau bestimmt war. Wir haben ihn gnadenlos aufgezogen. Aber das war mit dem hier nicht zu vergleichen.

Das ist viel schlimmer.

Ein paar Kollegen haben sofort auf die E-Mail geantwortet und Witze gemacht, um die Stimmung aufzulockern. Ich kann keine einzige Nachricht lesen. Meine Hände zittern. Ich kämpfe gegen das Bedürfnis an, über die Lehrpläne auf meinem Tisch zu kotzen.

Ian ruft mich zweimal auf dem Handy an, was ich ignoriere.

Ich lasse den Kopf zwischen meine Knie sinken und mache Atemübungen.

Ein paar Schüler trudeln zu meiner ersten Stunde ein. Ich muss unterrichten, aber ich stehe kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Am liebsten würde ich so tun, als passierte das alles nicht, aber das funktioniert nicht. Stattdessen beschließe ich, dass die beste Strategie darin besteht, die Sache im Keim zu ersticken. Ich haue schnell eine E-Mail raus und bemühe mich um Ehrlichkeit: »Leute, das ist mir wahnsinnig peinlich. Bitte ignoriert meine letzte Mail. Das war ein schlechter, geschmackloser Scherz.« Ich beschließe, die Tatsache, dass ich offen mit Ian geflirtet habe, gar nicht anzusprechen. Meine Hoffnung ist, dass es niemandem auffällt, wenn ich keine Aufmerksamkeit darauf lenke. Das ist ein Irrtum.

E-Mails kommen weiterhin in Massen rein.

HillBianca@OakHillHigh: Ihr seid nicht zusammen, hm?

MillerGretchen@OakHillHigh: Genau, ist das eigentlich erlaubt?

Wenn ich mir ein neues leisten könnte, würde ich mein Handy in den nächstbesten Vulkan werfen.

Jetzt weine ich, und meine Schüler sehen mich befremdet an. Einer von ihnen spekuliert laut, ob die rote Zora bei mir zu Besuch ist. Ein anderer kontert, dass ich zu alt bin, um noch meine Tage zu haben. Für wie alt halten die mich?!

»Ms. Abrams, geht es Ihnen nicht gut? Sollen wir die Krankenschwester holen?«, fragt eine liebenswürdige, süße Schülerin, und ich stehe auf, schüttele den Kopf und verlasse das Klassenzimmer, während ich etwas davon murmele, dass sie mit der Lektüre von Kapitel 11 beginnen sollen.

Ich schaffe es noch bis auf die Damentoilette, bevor ich richtig losheule. Ich stürze in eine Kabine, sage den dort noch rumlungernden Schülerinnen, dass sie Land gewinnen sollen, setze mich auf eine Toilette und weine. Während ich weine und weine, widerstehe ich dem Bedürfnis, mit dem Kopf gegen die Kabinentür zu schlagen. Das ist die totale Katastrophe. Ich werde meine Arbeit verlieren. Werde in eine andere Stadt ziehen müssen. Ich kann mich auf keinen Fall mehr bei einer Personalversammlung blicken lassen. Ich bin total blamiert.

Mein Handy vibriert in meiner Hand. Es ist wieder Ian. Ich tippe auf »Ignorieren« und versuche mir darüber klar zu werden, was ich jetzt tun soll. Momentan will ich nur weg. Ich muss raus aus dieser Schule.

Ja. Ja! Ich gehe. Es ist zwar total unangemessen, während der Unterrichtszeit einfach abzuhauen, aber für Notfälle gibt es Regeln. Triftige Gründe sind unter anderem: Man selbst ist krank, dein Kind ist krank, oder man beglückt alle Arbeitskollegen mit Sexting und muss möglichst schnell die Fliege machen.

Ich schreibe eine E-Mail an die Verwaltung und bitte darum, so bald wie möglich einen Ersatz für mich zu organisieren und mich in der ersten Stunde von Mrs. Orin vertreten zu lassen, und nehme die Beine in die Hand. Auf Wiedersehen, Oak Hill. Hallo, Aserbaidschan.

Mein erstes Ziel ist eine Brücke etwa anderthalb Kilometer von der Schule entfernt. Ich glaube nicht, dass ich selbstmordgefährdet bin, aber das scheint mir ein geeigneter Ort zu sein, um es in Erwägung zu ziehen. Ich stelle mein Fahrrad ab, laufe bis genau zur Mitte und sehe nach unten. Ich hatte die Brücke für viel höher gehalten – darunter ist keine tiefe Schlucht und eindeutig auch kein reißender Fluss. Es ist bestenfalls ein rinnendes Bächlein. Wenn ich springe, kann ich froh sein, wenn ich mir den Fuß verknackse. So viel zu einer spektakulären Geste. Stattdessen fahre ich zu dem Frozen-Yogurt-Shop weiter unten an der Straße.

»Willkommen bei Fro-yo-yoyo!«, ruft der dickbäuchige Mann mittleren Alters mit Singsangstimme, als ich zur Tür hineinkomme. Sein Überschwang ist beunruhigend. Der Laden ist leer. Es ist neun Uhr an einem Montagmorgen.

»Darf man bei Ihnen probieren?«, frage ich, lasse, ohne zu zögern, meine Handtasche auf einen Tisch fallen und steuere geradewegs auf die Automaten zu. Wenn nicht, werde ich einfach den Mund unter eine der Düsen halten und mich daran klammern, bis sie mich rauszerren.

»Na klar. Bitte sehr!«

Er reicht mir einen fingerhutgroßen Pappbecher, und als ich damit anfangen will, ihn zu füllen, erinnert mich mein Gehirn daran, dass dieser Schlamassel überhaupt erst mit einem Dessert angefangen hat. Mir wird schwarz vor Augen, als ich im Kopf immer wieder die E-Mail durchgehe. Klar, aber was gibt’s zum Nachtisch? Klar, aber was gibt’s zum Nachtisch?

»Lady, Sie verteilen es überall.«

Als ich in die Gegenwart zurückkomme, ist meine Hand eiskalt. Als ich nach unten blicke, sehe ich, wie sich dicke Stränge aus Frozen Yogurt aus dem überquellenden Becher auf meiner Hand und auf meinen Schuhen häufen.

Wie lange war ich weggetreten?

Nach einer hastigen Entschuldigung samt Säuberungsaktion entscheide ich mich für den größten Mitnehmbecher, den sie im Angebot haben, und fange an, ihn zu befüllen. Als ich damit fertig bin, hole ich mir noch einen. Ich frage mich, wie viele M&Ms Mini ich in meinen Magen zwingen müsste, bevor ein Arzt feststellt, dass mein Körper aus mehr Schokolade besteht als aus Wasser. Ich würde lieber dafür in Erinnerung bleiben, als für den Rest meines Lebens E-Mail-Girl zu sein.

Nachdem ich bezahlt habe, nehme ich meine Becher mit an einen der leeren Tische, während Mr. Fro-yo-yo hinter der Theke mich mit Argusaugen beobachtet. Er hat Angst, dass ich eine neue Sauerei veranstalte. Während ich schweigend esse, ruft Ian mich ständig an, aber ich habe mein Handy auf stumm geschaltet und es auf dem Tisch von mir weggeschoben. Er kann nichts sagen, was die Situation irgendwie besser machen würde.

Er hat uns das angetan. Ja. Oooh, das fühlt sich gut an. Ablenken. Die Schuld auf ihn schieben. Immerhin war er es, der beschlossen hat, dass wir dieses schwelende Verlangen in uns erforschen sollten, statt alles so zu lassen, wie es ist. Mir ging es doch gut damit! Ich hatte meine unanständigen Träume und meine schmutzigen Fantasien und wäre noch weitere 1000 Jahre damit ausgekommen.

Die ganze Situation ist genau so, wie ich es befürchtet hatte. Alle wissen Bescheid. Alles verändert sich, und ich kann mich nicht mal mehr in der Schule blicken lassen, ohne dass mich alle anstarren und hinter meinem Rücken über mich lästern. Die Kollegen werden anzügliche Witze über Schlagsahne reißen, und ich werde nicht die Kraft haben, es mit einem Lachen abzutun. Und, o Gott, die Schüler werden davon erfahren, und wir werden es noch lange aufs Butterbrot geschmiert bekommen. Das ist alles noch so neu – quasi ein Vogeljunges einer Beziehung –, dass wir es auf keinen Fall überleben werden. Das ist der Anfang vom Ende.

Wieder leuchtet mein Handy auf, und mein Blick fällt auf das Display. Wenn es Ian ist, muss ich diesmal rangehen und ihm sagen, dass er aufhören soll, mich anzurufen, aber er ist es nicht.

Es ist eine Mail von Schuldirektor Pruitt.

Ich lese sie mit angehaltenem Atem.

Er will eine Besprechung mit mir und Ian ansetzen, um über die »Situation« und die »möglichen Konsequenzen« zu beraten.

Ich knalle meinen Froyo-Becher auf den Tisch und flitze auf die Toilette, um jeden zuckrigen Bissen, den ich gerade in mich reingestopft habe, auszukotzen. Wieder breche ich in Tränen aus.

Ich kann es nicht fassen. Ich stecke in Schwierigkeiten. Ich gerate nie in Schwierigkeiten! Damals an der Highschool musste ich nie nachsitzen, und ich habe nie eine Note nach Hause gebracht, die schlechter war als eine Eins minus!

»Lady, machen Sie da drin, was ich vermute?«

Der Froyo-Mann, der meine Mätzchen eindeutig satthat, hämmert an die Tür.

»Ich komme – bluurr – gleich raus!«, rufe ich zwischen zwei Würgern.

»Oje, und ich hab den Wischmopp gerade weggeräumt.«

Ich stolpere schwach zur Toilettentür, reiße sie auf und versenge ihn mit meinen Blicken. »Mein Leben ist vorbei.«

Er wirkt nicht sehr mitfühlend. »Können Sie damit woanders hingehen? Und damit Sie es wissen, ich habe noch nie eine so zierliche Person so viel Frozen Yogurt essen sehen.«

An jedem anderen Tag würde ich es als Kompliment sehen.

Als ich wenige Minuten später auf mein Rad steige, habe ich keine Ahnung, wohin ich fahren soll. Ich bin mit einer Tonne Frozen Yogurt beladen. Mein Atem riecht wie der Damm eines Ringkämpfers. Meine Augen sind rot und geschwollen. Es ist erst 9.35 Uhr. Ein ganzer Tag der Verzweiflung liegt vor mir, und ich muss mit meinen Kräften haushalten. Eigentlich will ich nur Ian anrufen, aber das kann ich nicht. Normalerweise würde ich, wenn mir so etwas passiert, geradewegs zu ihm rennen. Er würde mich mit einer eigenen furchtbar peinlichen Geschichte ablenken, aber das funktioniert diesmal nicht.

Mein Freund Ian ist nicht mehr.

Ich radele los, und gleich nach dem ersten Abbiegen rutscht mir mein Froyo aus der Hand. Meine M&Ms verteilen sich auf dem Asphalt.

Sogar die Götter der Süßigkeiten haben mich verlassen.

Noch nie im Leben habe ich mich so allein gefühlt.