Kapitel 17

Sam

Ich sitze stockstarr da, fast so, als hätte er mich gerade versteinert. Der Tag wird zur Nacht wird zum Tag wird zur Nacht, und ich starre ihn immer noch unverwandt an. Jahre vergehen. Meine Haare ergrauen, und meine Hände sind runzelig und kraftlos, als mir endlich klar wird, dass er Witze macht.

Ich lache laut und schlage ihn auf den Arm. »O mein Gott, Ian. Einen kurzen Augenblick dachte ich, du meinst es ernst!«

Den Wagen erfüllt so viel Schweigen, dass die Frontscheibe in der Mitte einen Riss bekommt. Mein Lächeln erstirbt.

Er macht keine Witze.

Ian legt den Kopf schief und mustert mich eingehend.

Im Schneckentempo verzieht sich sein Mund zu einem Lächeln, und mir wird ganz flau.

»Das meinst du doch nicht ernst!«, beharre ich. »Komm schon, wir müssen uns konzentrieren. Was wollen wir wirklich tun? Mrs. O’Doyle in kleine Stücke hacken und sie in verschiedenen Winkeln der Vereinigten Staaten verteilen?«

»Können wir machen, aber lass uns erst heiraten. Vielleicht landen wir dann im selben Gefängnis.«

Er reitet weiter auf dem Witz herum. Es wird langsam langweilig.

Ich verdrehe die Augen. »Na schön. Dann heiraten wir eben. Ha. Hei-ra-ten«, trällere ich. »Gut, dass wir das geklärt haben.«

Sein Lächeln erstirbt. Er wendet sich ab und schaut aus dem Fenster. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, ich habe ihn verletzt.

Ich runzele die Stirn und lege die Hand auf seinen Arm, den ich zweimal drücke, um ihn dazu zu bewegen, mir in die Augen zu sehen. Er tut es nicht.

»Machst du Witze?«

Seine Miene verdüstert sich noch mehr. Er sieht unheimlich wütend und unheimlich schön aus. »Nee.«

»Nicht mal ein kleines bisschen?«

»Nein.«

Die Antwort haut mich total um.

Wenn er keine Witze macht, ist er auf Crack.

Ian ist auf Crack! Jemand muss den Antidrogen-Froyo-Typen warnen.

Meine sanfte, beruhigende Stimme ist dahin. An ihre Stelle tritt ein gellender, verzweifelter Schrei. »Heiraten?! Ian, du spinnst! Ich hab erst vor etwa einem Tag in eine Beziehung mit dir eingewilligt, und jetzt willst du mir einen Heiratsantrag machen?!«

Das ergibt keinen Sinn. Ian ist der Logische von uns beiden. Er tut alles wohlüberlegt. Ich glaube nicht, dass er auch nur einmal im Leben spontan war. Er plant seinen Urlaub zwei Jahre im Voraus. Für jedes Gerät, das er je gekauft hat, bewahrt er das Benutzerhandbuch auf, bis hin zu seinem Dosenöffner. Als er mir letztes Jahr dabei half, meine neue IKEA-Kommode zusammenzubauen, habe ich alle Verpackungen aufgerissen und die Einzelteile überall in meinem Wohnzimmer verstreut. Derweil las Ian die gesamte Anleitung von vorne bis hinten durch (auf Englisch und auf Schwedisch).

Ich mache den Mund auf, um weiter dagegenzuhalten, ihn zur Vernunft zu bringen, aber ich bin zu überwältigt, um Worte zu artikulieren. Ich öffne und schließe meinen Mund wie ein Fisch.

»Was würde sich denn realistisch gesehen ändern?«, fragt er, während er immer noch nach vorn starrt. »Ein Essensabonnement und einen Netflix-Account haben wir schon gemeinsam. Wenn du mich nicht heiratest, ändere ich mein Passwort.«

Na, das ist ein Argument.

Nein!

»Wir können nicht heiraten!«, rufe ich und werfe dramatisch die Hände in die Luft. »Wir haben noch nicht mal Sex gehabt!«

»Tja, das lässt sich beheben«, sagt er und grinst andeutungsweise. »Diese Fenster sind hübsch getönt.«

Verdammt sei dieses leckere Sonic-Blast. Das Eis ist so dickflüssig, dass ich es ihm nicht mal über den Kopf kippen kann.

Als er sich mir endlich zuwendet, trifft mich sein kobalt- und taubenblauer Blick und noch etwas anderes: Liebe. Er greift nach meinen Händen und hält sie zärtlich über der Mittelkonsole. Das kann nicht wahr sein. Ich zittere. Es fühlt sich wie ein echter Heiratsantrag an … abgesehen davon, dass aus dem Wagen neben uns so lautstarke Rapmusik dröhnt, dass die Bässe unsere Fenster erbeben lassen. Hinter Ian steht ein verrosteter Müllcontainer mit geschmackvollem Graffito, das $uk d!k besagt. Weit und breit ist kein einziges Rosenblütenblatt und keine brennende Kerze zu sehen.

»Aber jetzt mal ehrlich, ist das dein einziges Argument dagegen?«, fragt er und streichelt mit dem Daumen meine Fingerknöchel. Mein Herz hämmert in meiner Brust. Ich habe das Gefühl, dass ich jede Sekunde anfangen könnte, hemmungslos zu schluchzen.

»Ich weiß nicht.« Ich schüttele den Kopf und will meine Hände zurückziehen, aber er lässt sie nicht los. »Ich hatte noch keine Zeit, um so richtig auszuflippen.«

Entschlossen schüttelt er den Kopf. »Ich werde dir keine Zeit lassen. Denk nicht nach. Oreos oder M&Ms?«

»Oreos!«

»Sommer oder Herbst?!«

»Herbst!«

»Kroketten oder Pommes?«

»Beides!«

»Willst du mich heiraten, ja oder nein?«

»Ja!«

Dann stürze ich mich auf ihn und küsse ihn so heftig, dass er nach hinten kippt und gegen das Fenster kracht. Die Jugendlichen in der Rap-Karre johlen, dass wir uns ein Zimmer nehmen sollen.