Sam
Ian hat heute ein Fußballspiel, und ich bin wie immer vor Ort. Alles läuft wieder normal. Die Massen junger, heißer Lehrerinnen sind zu dem Lacrosse-Match weitergezogen, das ein paar Plätze weiter stattfindet. Wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich ihre Dekolletés und ihre Orangenscheiben sehen. Unsere Schule hat gerade erst einen neuen Lacrosse-Coach aus L. A. eingestellt. Er ist braun gebrannt und süß und soll drei Dates mit einem der Stars aus Vanderpump Rules gehabt haben. Ian ist Schnee von gestern – mein Schnee von gestern.
Die Fußballtribünen sind ziemlich leer, nur ich und ein paar Eltern. Ich habe überlegt, ob ich meine »Los geht’s, Ian«-Schilder neu mache, habe mir aber stattdessen ein T-Shirt bedrucken lassen. Darauf ist ein riesiges Siebdruckbild des Oak-Hill-Maskottchens, und darunter steht in großer schwarzer Schrift: Trainerfrau. Nicht gerade subtil, aber das bin ich selbst schließlich auch nicht.
Ian hat gelacht, als ich es ihm gestern Abend zeigte.
»Ich muss es nicht anziehen«, beruhigte ich ihn. Es war eher als Scherz gemeint.
Doch er schüttelte breit lächelnd den Kopf. »Nein. Trag es.«
Aus strategischen Gründen habe ich es den ganzen Tag unter meinem Pullover versteckt. Hätte Nicholas es gesehen, wäre er durchgedreht. Er glaubt immer noch, dass er und ich füreinander bestimmt sind. Irgendwann.
»Ich verstehe, dass Sie jemanden brauchen, mit dem Sie die Zeit rumbringen können, bis ich alt genug bin.«
Ein Schatten fällt über mich, und als ich aufsehe, kommt Ashley die Tribüne herunter auf mich zu. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst. Immerhin ist sie quasi als Mitglied in das Neuntklässler-Quartett (Quintett?) aufgenommen. Vielleicht haben die vier sie zu mir geschickt. Ich suche ihre Hände nach Messern ab und finde keine. Es könnte sein, dass ich ein ganz kleines bisschen dramatisch bin, denn dass Mörderinnen sich die Nägel babyrosa lackieren, wage ich zu bezweifeln.
»Hallo«, begrüßt sie mich. Als ihr Blick auf mein T-Shirt fällt, lächelt sie. »Das gefällt mir. Ist das selbst gemacht?«
Ich sehe an mir herunter. »Ach, das, danke. Ich, äh … habe es bedrucken lassen.«
Ich wünschte, ich hätte noch meinen Pulli drüber. Gerade komme ich mir albern vor.
Sie nickt und deutet auf die vielen freien Plätze neben mir. »Darf ich mich setzen?« Wieder bin ich verwirrt, aber sie wartet die Antwort nicht ab, sondern setzt sich einfach hin und stützt ihre Füße auf die Sitzlehne vor sich. »Hören Sie, das mit Ihnen und Ian ist mir egal.«
Ich bin geschockt. »Wirklich?«
Sie lacht. »Ich hab gerade erst hier angefangen. Was geht es mich an, wer mit wem zusammen ist? Ich fand ihn nur heiß, sonst nichts.«
»Aber Sie sitzen beim Mittagessen beim Neuntklässler-Quartett …«
»Ich sitze dort, weil es besser ist, als allein zu sitzen.«
»Ach so.«
»Ja, aber das wird langsam öde. Ich überlege, ob ich von jetzt an meine Mittagspause allein in der Bibliothek verbringe. Zumindest muss ich dann nicht zuhören, wie Gretchen Bianca fragt, ob Mayonnaise Kalorien hat.«
Ich lache.
Womöglich habe ich Ashley falsch eingeschätzt. Man stelle sich das vor.
»Wie ist das Eheleben denn so?«, setzt sie das Gespräch fort.
Ich unterdrücke ein Grinsen. Trotzdem verströme ich Seligkeit aus allen Poren. »Bisher gut.« Meine Stimme klingt gelassen und cool.
Sie sieht mir an, dass ich mich in Zurückhaltung übe. »Nur gut?«
Es ist, als hätte sie meine Selbstbeherrschung mit einer Spitzhacke bearbeitet.
»Na schön, es ist echt fantastisch – ich meine, besser, als ich je gedacht hätte.«
Sie lächelt. »Das freut mich. Sie zwei sind wirklich ein süßes Paar. Und übrigens, tut mir leid, dass ich Ihnen neulich Ihren Puddingbecher geklaut habe.«
Ihre Entschuldigung bedeutet mir mehr, als ihr klar ist. Ich war bereit, ihr das bis an mein Lebensende nachzutragen.
Ich halte ihr die Hand hin. »Freundinnen?«
Sie nimmt sie lächelnd und schüttelt sie. »Liebend gern.«
Ich beschließe, mich weit aus dem Fenster zu lehnen. »Hast du zufällig schon mal West Wing gesehen?«
Ihre Miene erhellt sich. »Ich liebe diese Serie!«
Ich warte darauf, dass Ian im Fitnessstudio fertig wird. Heute sind wir seit einem Monat zusammen. Das ist ein Riesending, und wenn wir nach Hause kommen, werde ich ihn verführen. Der Zumba-Kurs, den ich gerade hatte, sollte mir dabei helfen. Ich fühle mich biegsam und gelenkig.
Ian absolviert eine Trainingseinheit an der Bizepsmaschine, während ich schweißtropfend in nur wenigen Metern Entfernung von ihm stehe und versuche, mich zusammenzureißen. Seine Arme sind supersexy. Seine Gesichtszüge sind wie gemeißelt. Wären wir nicht schon verheiratet, würde ich verlangen, dass wir sofort zum Standesamt marschieren.
Vielleicht schaffen wir es nicht einmal bis nach Hause. Vielleicht dürfen Eheleute sich auf dem Fitnessstudio-Parkplatz ein abgelegenes Eckchen suchen. Vielleicht hat Ian gleich alle Hände voll zu tun.
Als er zu mir herübersieht, lächele ich.
»Fast fertig«, formt er mit den Lippen.
Nein, Ian. Nicht mal annähernd.