Ihre Wohnung roch nach ihr, was mich enorm beruhigte.

Am ersten Morgen unseres Zusammenlebens kam ich aus dem Staunen nicht heraus, da ich noch nie an einem so warmen Ort aufgewacht war. Sie war bereits aufgestanden und gerade dabei, auf dem Gasherd Wasser zu kochen.

Während ich dem Dampf nachschaute, der aus dem Teekessel aufstieg, begrüßte sie mich mit einem »Guten Morgen!«.

Behände zog sie den Vorhang zurück. Da erblickte ich die von der Morgenröte zart gefärbten Wolken. Sie waren wunderschön.

Diese Wohnung befand sich im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses auf einer Anhöhe, von hier aus konnte ich die Hochbahn sehen. In diesem Augenblick begriff ich zum ersten Mal, dass das Rattern, das mich immer so faszinierte, von den Bahnen kam.

»Ja. Glück gehabt, oder, Chobi?«

Sie lächelte.

Chobi?

»So heißt du jetzt: Chobi.«

Von diesem Moment an nannte sie mich so.

Chobi. Mir gefiel dieser Name. Sie hatte ihn mir gegeben. Diesen Morgen wollte ich mir für immer einprägen.

 

Ich mochte sie von Anfang an.

Sie war sehr hübsch und sanft. Wenn sie merkte, dass ich sie anschaute, wurden ihre Gesichtszüge ganz weich, und sie lächelte mich still an.

Bevor sie aß, bereitete sie etwas für mich zu.

Eine Schale mit Milch, dazu Dosen- und Trockenfutter, damit ich auch etwas Knuspriges zu beißen hatte.

Während ich meine Milch schleckte, hockte sie neben mir und hielt eine große weiße Tasse mit warmer Milch in ihren Händen. Seite an Seite tranken wir beide das Gleiche.

Ihre Bewegungen waren ruhig und anmutig, und immer, wenn ich neben ihr saß, kehrte Frieden in mir ein.

Ich liebte es, auf ihren Bauch zu klettern, wenn sie lang ausgestreckt auf dem Boden lag. Meist war sie gerade dabei, irgendetwas zu lesen. In solchen Momenten kraulte sie immer schweigend meinen Rücken.

Auch sah ich ihr gern beim Wäschewaschen zu. Die Kleidungsstücke, die sie ausgezogen hatte, dufteten nach ihr. Beim Hineinkuscheln geriet ich jedes Mal in Verzückung.

Ich mochte es auch, wenn sie die Wäsche zum Trocknen aufhängte. Dann lief ich mit ihr auf den Balkon und betrachtete, während sie die Wäschestücke auf die Leine hängte, gemeinsam mit ihr den hohen blauen Himmel, die Menschen auf den Fußwegen und die Autos.

Auf meinem Schlafplatz lag ein Pullover von ihr, auf dem ich schlief. Es war der weiße Pullover, den sie getragen hatte, als wir uns zum ersten Mal begegnet waren.

Sie war sehr liebevoll und warmherzig.

Ihre Mahlzeiten bereitete sie selbst zu.

Ich liebte es, wenn sie Miso-Suppe kochte. Denn dann bekam ich immer die gekochten kleinen Sardinen, aus denen sie den Fischfond für die Suppe bereitete. Ich mochte es auch, wenn sie kalten Tofu mit Bonito-Flocken aß, weil sie dann jedes Mal auch ein paar Flocken über mein Dosenfutter streute.

Während sie das Essen zubereitete, sang sie leise Lieder vor sich hin. Ihre Stimme gefiel mir ganz besonders, wenn sie sang.

Chobi – so nannte sie mich immer. Durch diesen Namen war ich mit ihr verbunden, und durch sie mit der Welt.

*

Jeden Morgen stand ich exakt zur selben Zeit auf, bereitete in derselben Reihenfolge das Frühstück

Seit ich allein wohnte, erfüllte mich dieses geregelte Leben mit Freude. Zu erfahren, dass es etwas gab, das ich zu kontrollieren vermochte, schenkte mir inneren Frieden.

Auch als Chobi kam, änderte sich mein Alltag kaum. In meinem Elternhaus hatten wir einen Hund. Da man selbst an Regen- oder Schneetagen mit ihm nach draußen gehen musste, war es sehr anstrengend. Katzen hingegen machen nicht viel Arbeit.

Auch heute erwachte ich, kurz bevor der Wecker klingelte, und stellte ihn aus. Ich spürte, dass Chobi im Zimmer war. Ich nahm das Fieberthermometer vom Kopfende meines Bettes und maß meine Basaltemperatur. Seit ich mit Nobu zusammen war, trug ich die Werte in eine Tabelle ein. Da ich es mir einmal angewöhnt hatte, fühlte ich mich nicht mehr wohl in meiner Haut, wenn ich es einmal nicht tat, denn dann drohten alle bisherigen Aufzeichnungen ihren Sinn zu verlieren.

Im Licht der Morgensonne, die durch das große Fenster hereinschien, bereitete ich das Frühstück zu. Ich knetete viele kleine Reisbällchen. Was übrig blieb, nahm ich mit zur Arbeit.

*

Ich liebte es, ihr Profil zu betrachten, wenn sie sich vor dem Spiegel schminkte. Mit geübten Bewegungen breitete sie ihre Utensilien aus und benutzte eines nach dem anderen. Alles tat sie mit großer Sorgfalt. Anschließend räumte sie alles wieder an seinen ursprünglichen Platz zurück, und wenn sie dann als letztes ihr Parfüm auftrug, verbreitete sich sein Duft im ganzen Zimmer.

Er erinnerte mich an eine regennasse Wiese.

Der Wetterbericht verkündete das Wetter des Tages.

Jeden Morgen verließ sie danach die Wohnung.

Wenn sie sich ausgehfertig machte, war ich immer völlig bezaubert von ihr. Sie sah so wunderbar aus.

Nachdem sie ihr langes Haar zusammengebunden hatte, zog sie eine Jacke in derselben Farbe wie ihr Haar an und schlüpfte in ihre High Heels.

Sie hockte sich hin, legte eine Hand auf meinen Kopf und sagte:

»Na dann, bis heute Abend!«

Dann richtete sie sich wieder auf und öffnete die schwere Eisentür.

Das Morgensonnenlicht schien herein, weshalb ich die Augen zusammenkniff.

›Komm bald wieder!‹

Sie ging hinaus in das Licht, und ihre Schritte klangen wie Musik.

Während ich noch immer ihre Hand auf meinem Kopf spürte, hörte ich, wie sich ihre Schritte entfernten und sie die Außentreppe hinunterstieg.

Nachdem ich ihr nachgeblickt hatte, sprang ich auf einen Stuhl und schaute über den Balkon hinweg auf die Hochbahn. Vielleicht saß sie ja in einem der Züge, denen ich nun hinterherschauen konnte, solange ich wollte.

Dann sprang ich wieder vom Stuhl herunter.

In der Wohnung hing noch immer ihr Duft. Darin eingehüllt legte ich mich wieder schlafen.

*

Wenn er schlief oder mit irgendetwas beschäftigt war, konnte ich ihn rufen, so oft ich wollte, stets tat er einfach so, als hätte er nichts gehört. Aber wenn er wollte, dass ich mich um ihn kümmerte, rollte er sich auf den Rücken und drehte mir seinen Bauch zu.

Stieg ich dann mit ungerührter Miene über ihn hinweg, sauste er flink zwischen meinen Beinen durch und warf sich erneut vor mir auf den Rücken, um mir wieder seinen Bauch entgegenzustrecken. Das war einfach unwiderstehlich süß.

Unversehens stahl sich ein Lächeln in mein Gesicht. Schnell setzte ich wieder eine ernste Miene auf. Mit dieser Bahn fuhren auch meine Kollegen und Studierende der Fachschule. Mit solch einem dümmlichen Lächeln auf den Lippen gesehen zu werden, wäre mir peinlich gewesen.

Wie schön aber, dass es ein Wesen gab, das zu Hause auf mich wartete!

Mein Blick fiel auf die Werbung einer Heiratsvermittlungsagentur, die über der Tür der Bahn angebracht war.

Vielleicht glichen ja die Freuden der Ehe dem Glücksgefühl, das mir der Kater schenkte.

Ich brachte es ja nicht einmal zustande, ihn zu fragen, ob wir nun miteinander gingen. Wie konnte ich ihn da bitten, mich zu heiraten? Ob er mich wohl zur Frau nehmen würde, wenn ich schwanger wäre?

Aber wollte ich überhaupt heiraten?

Ich stellte mir vor, wie es wäre, älter zu sein und in einer Wohnung voller Katzen zu wohnen.

Die Durchsage in der Bahn kündigte an, dass wir uns dem Bahnhof näherten, an dem ich umsteigen musste.

Energisch straffte ich den Rücken und verließ den Zug.

 

*

Wieder aufgewacht, reckte und streckte ich mich und beschloss spazieren zu gehen.

Ich schlüpfte durch eine Öffnung in der Wand, die eigentlich dafür gedacht war, den Gasherd oder irgendetwas anderes anzuschließen, und gelangte so auf den Balkon. Da meine Freundin wusste, dass ich gern auf Streifzüge ging, hatte sie dort für mich eine Katzenklappe angebracht.

»Wenn du größer wirst, passt du da vielleicht nicht mehr durch. Dann denken wir uns etwas

Das Wetter war an diesem Tag wunderschön, und der Wind strich mir angenehm über das Fell. Durch die Lücken im Balkongeländer beobachtete ich die Bahnen, die Autos auf den Straßen und die Menschen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass die Welt sich bewegte, kletterte ich über den benachbarten und den dahinterliegenden Balkon und gelangte so auf die Außentreppe. Die Luft war angefüllt mit unzähligen Gerüchen: Da waren der Duft der Erde und der vom Wind herbeigetragene Duft anderer Lebewesen, diverse Düfte aus irgendeiner Küche sowie der Geruch nach Abgasen und einem Müllplatz.

Unten angekommen, hob ich den Kopf und blickte hinauf zu der Wohnung, in der meine Freundin lebte. Es war ein zweistöckiges Mehrfamilienhaus, eingeklemmt zwischen Hochhäusern. Gleichförmige Fenster reihten sich aneinander, und dennoch wirkte ihre Wohnung wie etwas ganz Besonderes.

Ich drehte eine Runde in der näheren

Ehrlich gesagt, gehörte ich nicht zu den Katzen, die unbedingt auf ihrem Revier bestehen, aber gegen meinen Instinkt kam ich einfach nicht an.

Damit war meine Morgenrunde eigentlich beendet. Doch da ich mich inzwischen in dieser Gegend gut auskannte, kam ich auf die Idee, mein Revier etwas zu erweitern.

Dabei dachte ich an die Gegend auf der anderen Seite der Hochbahn und das obere Ende der ansteigenden Straße, denn von dort war bisher kein Katzengeruch herübergeweht.

Für ein Revier galt: je größer, umso besser. Das sagte uns unser Instinkt. Auseinandersetzungen mit anderen Katzen hingegen gingen wir lieber aus dem Weg.

Um nicht von Autos angefahren oder von fremden Menschen belästigt zu werden, wählte ich möglichst hohe und schmale Wege für meine Streifzüge. Zum Beispiel auf Mauern entlang oder unter Sträuchern hindurch.

Ich wusste sofort, warum sich hier keine andere Katze niedergelassen hatte. Hier wohnte nämlich ein großer Hund.

Dem Aussehen nach war er offenbar schon älter. Er hatte lange Ohren und ein schwarz-weiß geflecktes Fell.

In der Regel waren wir Katzen den Hunden nicht willkommen. Als ich mich daher wieder entfernen wollte, sprach ausgerechnet der Hund mich an.

»Lange nicht gesehen, Shiro.«

Da seine Stimme überraschend unbekümmert klang, blinzelte ich ihn offen an. Er wirkte nicht so selbstgefällig wie viele andere große Hunde.

»… Guten Tag!«, grüßte ich schüchtern.

»Eine Schönheit wie eh und je, du wirst ja immer hübscher!«

Eine Schönheit …? Offenbar konnten Hunde nicht erkennen, ob Katzen männlich oder weiblich waren.

»Äh … ich bin ein Kater«, erwiderte ich leicht verärgert. Selbstredend hatte ich mich zuvor davon überzeugt, dass der Hund angeleint war.

Ohne gekränkt zu wirken, redete er einfach weiter.

»Dann bist du also ein gutaussehender Kater.«

Das kam unerwartet.

»Danke«, antwortete ich brav. Irgendwie war er ein seltsamer Hund. Meine Neugier hatte er jedoch geweckt.

»Ich heiße nicht Shiro, sondern Chobi.«

Der Hund riss die Augen auf.

»Ach so! Chobi … du bist also gar nicht Shiro. Dann habe ich dich verwechselt. Die Gegend hier war nämlich Shiros Revier.«

Als ich das hörte, war ich enttäuscht. Dass mir schon jemand zuvorgekommen war, fand ich gar nicht witzig.

»Aber es ist doch gar keine Katze hier! Und ich rieche auch keine.«

»Das stimmt. Ich passe ja auch darauf auf, dass sich keine Katze nähert.«

Da hatte der Hund etwas Seltsames gesagt.

»Das habe ich ja noch nie gehört: dass ein Hund auf das Revier einer Katze aufpasst!«

»Ich habe es ihr, Shiro, versprochen.«

»Und wohin ist diese Shiro verschwunden?«

»In letzter Zeit lässt sie sich überhaupt nicht

Oh! Jetzt konnte selbst ich mir denken, wer sie war.

Eine Katze, die mir zum Verwechseln ähnlichsah und ein schneeweißes Fell hatte …

»Das war bestimmt meine Mutter«, presste ich hervor.

Dass ich auf einmal ganz allein auf der Welt gewesen war und dass es auf der Anhöhe überhaupt nicht nach Katze roch, hatte ein und denselben Grund: Shiro lebte nicht mehr.

Der Hund holte tief Luft und sagte:

»John.«

»John?«

»Das ist mein Name. Ich sage dir jetzt etwas ganz Wichtiges. Ich denke, Du solltest das wissen.«

Sein Tonfall wurde förmlich.

»Verstehe. John.«

»Sag mal, Chobi, hat Shiro dich sehr verwöhnt?«

»Daran kann ich mich nicht erinnern. Es wäre schön, wenn es so wäre.«

»So …«

Eine ganze Zeitlang sagte John überhaupt nichts.

»Ein Liebespaar?«, fragte ich zurück.

»Alle Frauen, die ich schön finde, sind meine Geliebten.«

»Aha.«

»Shiro hatte genauso wie du ein wunderschönes weißes Fell«, erklärte John mit verzückter Stimme.

»Danke.«

Mein Fell war so schön, weil meine Freundin es pflegte.

»Shiro hat sich schon vor eurer Geburt Sorgen um dich und deine Geschwister gemacht.«

Als ich das hörte, wurde mir für einen Moment ganz warm ums Herz.

»Ab jetzt solltest du, Chobi, auf ihr Revier aufpassen.«

»Darf ich das denn?«

»Bestimmt würde Shiro sich freuen. So könntest du das Andenken an deine Mutter in Ehren halten.«

»Danke, John.«

»Ich tue das für meine schöne Geliebte.«

John gähnte herzhaft.

»Du kannst gern jederzeit vorbeikommen.«

Während ich mit kurzen Schritten die abfallende Straße hinunterlief, dachte ich darüber nach, wie merkwürdig das alles war.

Als ich damals kurz davorgestanden hatte, diese Welt zu verlassen, wurde ich von meiner Freundin gerettet und konnte überleben. Und jetzt ging ich einfach immer der Nase nach spazieren und traf zufällig John … hörte von meiner Mutter und durfte sogar ihr Revier übernehmen.

Damals wäre meine Bindung zu dieser Welt fast durchtrennt worden, doch jetzt spürte ich, wie ich mich nach und nach wieder mit der Welt verband.

Ich war in sie zurückgekehrt.

*

Mittagspause. Nachdem ich an meinem Schreibtisch meinen mitgebrachten Mittagsimbiss verzehrt hatte, ging ich in ein kleines Café in der Nähe. Es war etwas teurer, weshalb keine Studierenden hierherkamen. Daher konnte ich hier gut entspannen.

Normalerweise rief ich Nobu so gut wie nie an. Er wirkte immer sehr beschäftigt, aber das war nicht der einzige Grund. Ich hatte Angst. Davor, dass das Gespräch abbrechen würde, ich unnötige Dinge sagen könnte und er mich dafür dann hassen würde.

Aber von Chobi könnte ich ihm vielleicht ganz viel erzählen.

Ob Nobu Katzen mochte? Oder aber sie nicht ausstehen konnte?

Nicht einmal das wusste ich. Obwohl ich ihm so oft zugehört hatte! Aber von Katzen hatte er nie gesprochen.

Aus der Liste der eingegangenen Nachrichten auf meinem Handy wählte ich Nobus Nummer. Am Datum neben der Nummer sah ich, dass sein letzter Anruf schon sehr weit zurücklag. Dabei hatten wir früher sogar mehrmals am Tag miteinander telefoniert. Nachdem eine Zeitlang das Rufzeichen ertönt war, schaltete sich der Anrufbeantworter ein:

»Zurzeit kann ich leider das Gespräch nicht annehmen. Wenn Sie ein Anliegen haben …«

Ich seufzte und ließ mich tief in das Sofa des Cafés sinken.

Das Handy vibrierte. Eilig sah ich auf das Display. Es war eine Nachricht von Tamaki.

Unter Verwendung zahlreicher Emojis teilte sie mir überschwänglich mit, dass sie mich in der Goldenen Woche, einer Reihe von Feiertagen Ende April bis Anfang Mai, besuchen würde.

Sich einfach selbst einzuladen, war typisch für Tamaki. »Ich erwarte dich«, antwortete ich ihr. Da das ein bisschen kurz angebunden klang, schickte ich noch ein Bild von Chobi hinterher.

Der Kellner brachte den Kaffee. Nachdem ich einen Schluck getrunken hatte, fasste ich mir ein Herz und beschloss, Nobu eine E-Mail zu schicken. Von ihm kamen so gut wie nie E-Mails. Wenn er etwas zu sagen hatte, dann erzählte er es am liebsten direkt.

Nach einigem Nachdenken schrieb ich schließlich die banalen Sätze:

»Ich habe einen Kater aufgelesen. Er heißt Chobi.«

Im Anhang sandte ich ein Foto von Chobi. Ich

Auf den Bildern, die ich von Chobi hatte, wandte er mir immer seinen Bauch zu.

*

Sie kam immer zur selben Zeit nach Hause.

Sobald ich das Klackern ihrer Absätze auf dem Beton der Außentreppe hörte, sauste ich zum Eingang, um dort auf sie zu warten. Schließlich öffnete sie die schwere Tür und kam herein.

»Schön, dass du wieder da bist!«, schnurrte ich.

»Da bin ich wieder!«

Während sie ihre Schuhe auszog, kraulte sie mich am Kopf. Manchmal kam es auch vor, dass sie mich direkt auf den Arm nahm. Da sie von draußen kam, war sie von vielen verschiedenen Düften umhüllt.

Von dem Duft anderer Menschen, dem der Erde an Orten, an denen ich noch nie gewesen war, und dem einer Luft, die ich noch nicht kannte. Behaglich schnupperte ich all diese Düfte, die sie mitgebracht hatte, während ich meinen Hinterkopf an ihren Knöcheln rieb. So fügte ich noch

Heute gab es viel zu erzählen.

Dass ich John getroffen hatte, dass ich das Revier meiner Mutter übernommen hatte und dass ich die neuen Düfte an ihr wahrnahm.

Während sie mir zuhörte, öffnete sie eine Dose für mein Abendessen und ging in die Küche. Ich ließ es mir schmecken und erzählte dabei maunzend von meiner Mutter, als ihr Handy klingelte.

*

›Vielleicht ist es ja Nobu?‹

Nachdem ich das Gas ausgeschaltet und die Kochstäbchen zur Seite gelegt hatte, nahm ich das Handy zur Hand. Auf dem Display erschien jedoch leider nur der Name meiner Mutter.

»Hallo?«

Chobi wetzte gerade ritsch ratsch! lautstark auf dem Kratzbrett aus Wellpappe seine Krallen. Ob das Telefon ihn erschreckt hatte? Er wirkte leicht verstört.

»Nanu, Miyu, dir ist wohl eine Laus über die Leber gelaufen!«

Wahrscheinlich spürte meine Mutter meine

»Eigentlich nicht …«

»Ah, ich weiß, du hast gedacht, dein Freund ruft an, und weil ich es bin, bist du jetzt enttäuscht!«

Dieser Direktangriff, der voll ins Schwarze traf, verschlug mir die Sprache.

Als ich schwieg, da ich nicht wusste, was ich darauf entgegnen sollte, fragte sie:

»Sag mal, du hast wohl jetzt einen Freund? Stell ihn mir doch mal vor! Ja? Sieht er gut aus?«

»Ich habe doch nicht gesagt, dass ich einen …«

»Schon gut. Was machst du denn in der Goldenen Woche?«

»Tut mir leid, aber ich bekomme Besuch.«

»Ach, da kommt wohl dein Freund?«

»Nein, eine Freundin! Tamaki, vom Junior College.«

»Aha, die kleine Tama also. Haha! Mir ist das ja egal, aber dein Vater vermisst dich. Komm ruhig mal vorbei, hörst du?«

»Hm.«

»Hast du auch genug Reis?«

»Ja.«

»Erzähl keine Märchen! Ich habe dir welchen geschickt.«

»Brauchst du irgendetwas?«

»Nein, nichts Besonderes.«

»Na dann, mach’s gut!«

Mit diesen Worten beendete meine Mutter das Gespräch. So war sie immer. Nie hörte sie zu. Es war schon merkwürdig, wie solch eine Mutter ein Kind wie mich zur Welt bringen konnte. Aber dennoch hatte sie mich ein wenig auf andere Gedanken gebracht. Ich hatte das Gefühl, dass etwas von ihrer Lebhaftigkeit auf mich abgefärbt hatte.

Dadurch ermutigt, schickte ich Nobu eine kurze E-Mail.

»Was hast du in der Goldenen Woche vor?«

Während ich noch dabei war, Nudeln zu kochen, kam seine Antwort.

»Tut mir leid. Arbeit.«

Nur vier Wörter! Und keinerlei Reaktion auf das Bild von Chobi …

Ich seufzte.

Da ich den Gasherd mehrfach an- und ausgestellt hatte, waren die Nudeln zu weich geworden. Ich streute ein halbes Tütchen Bonito-Flocken darüber und gab den Rest über das Dosenfutter in Chobis Futternapf.

Als ich die Fotos im Handy sortierte, stieß ich auch auf eines, auf dem ich mit Nobu zusammen zu sehen war, im berühmtesten Erlebnispark Japans, wo wir uns zusammen mit dem Maskottchen des Parks hatten fotografieren lassen.

Beim Betrachten des Fotos wurde ich traurig.

Chobi kletterte auf meine Knie. Zwischen dem Tisch und mir tauchte sein Kopf auf.

»Das hier bin ich.«

Auf dem Foto sah ich so aus, als hätte ich das Gefühl, am falschen Ort zu sein.

»Und das hier ist mein Geliebter.«

Entschlossen sprach ich es Chobi gegenüber einmal laut und mit Bestimmtheit aus. Verwundert schaute Chobi lange auf das Foto.

*

In der Nacht wurde ich wach. Es war Zeit für einen Rundgang. Sie war noch auf und tippte im Licht einer kleinen Lampe etwas in ihr Handy. Es war ungewöhnlich, dass sie bis spät in die Nacht aufblieb. Da sie bereits ihren Pyjama anhatte, schien sie aber schon gebadet zu haben.

»Ich lass es doch sein«, murmelte sie und löschte auf ihrem Handy die Schriftzeichen, die sie zuvor eingegeben hatte.

Als sie wieder aufblickte, hatte sie denselben Gesichtsausdruck wie auf dem Foto, das sie mir heute beim Abendessen gezeigt hatte: ein irgendwie erstarrtes Lächeln.

Ach, könnte ich doch auch Schriftzeichen lesen! Mit diesem Gedanken ging ich wieder in mein Katzenbett, in dem ihr Pullover ausgebreitet lag, und schlief wieder ein.