Acht
„Versuchen wir es noch einmal, Alexis. Dein Einsatz kommt gleich nach dem Gitarrensolo. Achte auf den Übergang“, dröhnte es ungeduldig durch die Kopfhörer, die sich Alexis aufgesetzt hatte.
Alexis nickte und rieb ihre schweißnassen Handflächen an ihren Jeans trocken, während sie durch die Glasscheibe, die den Aufnahmeraum vom Regieraum trennte, auf den Toningenieur schaute, der ihr die Anweisung gegeben hatte. Sie wusste, dass er nicht zufrieden war. Ebenso wenig zufrieden wie ihre Mom, ihr Agent und Casey, der ausführende Produzent und Daves rechte Hand, der heute dabei war, um die Aufnahme der neuen Songs zu betreuen.
Sie konnte sehen, wie ihre Mom und Ted kritisch die Stirn runzelten, während Casey ans Mischpult trat und dem Toningenieur etwas ins Ohr flüsterte. Auch der Tontechniker, der ebenfalls am Pult saß, machte ein zutiefst enttäuschtes Gesicht. Die Musiker, die im benachbarten Aufnahmeraum saßen, wirkten so, als würden sie jeden Moment die Segel streichen und kündigen.
Ihr wurde übel, denn sie wusste, dass es an ihr lag, wie mies die heutige Aufnahme lief. Seit Stunden standen sie im Studio, aber bisher war kein brauchbarer Take dabei, weil sie ständig den Einsatz verpasste, nicht in den Song fand und generell Rhythmusprobleme hatte. Alexis wusste einfach nicht, was los war. Normalerweise fühlte sie sich in einem Aufnahmestudio wie zu Hause und drehte richtig auf, wenn es darum ging, ihre Songs einzusingen.
Heute war die Energie weg. Sie war lustlos, fühlte sich niedergeschlagen und spürte den Druck, der von Minute zu Minute größer wurde. Sie war nicht mit dem Herzen dabei und konnte ihre eigenen Songs nicht einsingen. Es war ein Wunder, dass sie noch nicht in Panik ausgebrochen war, denn sie fühlte sich regelrecht blockiert.
Da machte es auch nicht besser, dass ihre Mom und Ted auf der Ledercouch hinter dem Mischpult saßen und mit apokalyptischen Mienen in ihre Richtung schauten.
„Alexis, was hältst du davon, es mit dem Refrain zu versuchen?“ Caseys Stimme klang nun durch den Kopfhörer. Aufmunternd lächelte er, als sie seinen Blick suchte und zögernd nickte.
Irgendetwas stimmte heute einfach nicht und der Refrain würde den ganzen Schlamassel nicht besser machen.
„Okay.“ Sie zeigte den Daumen nach oben und rang sich ein Lächeln ab.
Kurz darauf war der Toningenieur zu hören, der ihr letzte Anweisungen gab, bevor die Musik einsetzte und Alexis zu singen begann.
Dieses Mal verpatzte sie nicht nur ihren Einsatz, sondern traf auch die Töne nicht. So schlecht war sie niemals zuvor gewesen. Vor Panik schnürte sich ihre Kehle zu und Tränen der Anspannung traten ihr in die Augen. Im Tonstudio hatte sie noch nie versagt.
„Versuchen wir es ein weiteres Mal. So schlecht war das gar nicht“, schallte es aufmunternd aus dem Regieraum.
Alexis schüttelte den Kopf und zog die Kopfhörer von ihren Ohren. „Nein ... nein, Casey. Es tut mir leid, aber ... aber das wird nichts mehr. Können wir bitte für heute Schluss machen?“
„Okay.“ Der Produzent lächelte, auch wenn es gezwungen wirkte. „Das ist ja kein Beinbruch. Wir versuchen es ein anderes Mal, wenn du dich besser fühlst.“
„Was war heute mit dir los, Alexis?“, fragte ihre Mom sie kurze Zeit später, als sie auf dem Weg von Downtown nach Brentwood waren. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn sie allein nach Hause gefahren wäre, aber ihre Mutter war offenbar entschlossen, das heutige Versagen ihrer Tochter ausführlich zu diskutieren. „So habe ich dich noch nie in einem Tonstudio erlebt.“
„Keine Ahnung“, erwiderte sie dumpf und schaute durch die getönten Scheiben des Geländewagens nach draußen auf den hektischen Verkehr der Stadt. Nach den letzten Stunden wollte sie sich einfach die Bettdecke über den Kopf ziehen.
„Du weißt, was ein Aufnahmetag kostet, oder?“ Ihre Mom klang tadelnd und enttäuscht zugleich. Außerdem machte sie sich keine Gedanken darum, dass der Fahrer jedes Wort mithören konnte. Eigentlich war Alexis es gewohnt, dank ständig parat stehender Fahrer oder Bodyguards, die sie zu offiziellen Veranstaltungen begleiteten, kaum Privatsphäre zu haben, aber als erwachsene Frau wollte sie nicht vor Publikum von ihrer Mutter gescholten werden.
„Mhm.“
Ihre Mutter kam richtig in Fahrt. „Das Studio, der Aufnahmeleiter, der Toningenieur, die Techniker, die Musiker – sie alle wollen bezahlt werden. Auch dann, wenn du nicht ablieferst und die Aufnahmen abbrichst.“
„Das weiß ich, Mom“, unterbrach sie ihre Mutter. „Glaubst du denn, dass es mir nicht unangenehm ist, wie das heute gelaufen ist? Ich hätte auch lieber fehlerfrei gesungen, anstatt mich im Aufnahmeraum zu blamieren, während ihr alle zugeschaut habt.“
Ihre Mom seufzte und war für Alexis’ Sarkasmus unempfänglich. „Du kannst von Glück reden, dass Casey und Dave zu einhundert Prozent hinter dir stehen. Andere Sänger können sich solche Extravaganzen nicht leisten.“
Vielleicht hätte sie ihr erklären sollen, dass sie sich keine Extravaganzen leistete, sondern unter einer Blockade litt. Seit Monaten hatte sie keine neuen Songs geschrieben, war nicht aufgetreten, hatte nichts eingesungen und auch nicht gespielt. Dazu kamen der Druck und die Tatsache, dass sie aller Welt eine Beziehung vorspielen musste, die es nicht gab. Wie sollte sie unter diesen Bedingungen funktionieren und ihr Bestes geben?
„Ich werde Ted sagen, dass sie für die nächste Woche einen weiteren Termin im Studio ausmachen sollen. Bis dahin versuchst du einfach, auf andere Gedanken und in Stimmung zu kommen, Schatz.“ Ihre Mutter tätschelte ihr flüchtig die Hand. „Das wird schon. Beim nächsten Mal bist du wieder die Alte.“
Die Zuversicht hatte Alexis nicht. „Nein, Mom. Ted soll keinen neuen Termin verabreden. Ich werde mit Casey reden.“
„Und was wirst du ihm sagen?“
Sie rieb sich über die Stirn, weil ein dumpfer Schmerz zwischen ihren Augen eingesetzt hatte. „Dass ich eine Pause brauche, bevor ich wieder ins Studio gehen kann.“
„Alexis“, widersprach ihre Mom ihr scharf. „Du hattest eine monatelange Pause!“
„Ich brauche eine kreative Pause“, präzisierte sie und rutschte auf dem kühlen Leder ihres Sitzes hin und her. „Ich will die Songs umschreiben.“
Einen Moment herrschte Stille. Dann fragte ihre Mutter völlig fassungslos: „Du willst die Songs umschreiben? Aber ... hast du völlig den Verstand verloren?“
„Ganz und gar nicht. Denk doch nur an Under the river – es war ein absolutes Desaster, als ich ihn heute einsingen wollte. Er funktioniert nicht. Ich fühle den Song einfach nicht, Mom.“
„Es ist dein Song. Du hast ihn geschrieben.“
„Aber er ist nicht richtig“, widersprach sie. „Er klingt falsch, und auch die anderen Songs stimmen einfach noch nicht. Ich brauche Zeit, um an dem Album zu arbeiten, damit es perfekt wird.“
„Alexis ...“
„Ich bin keine Maschine“, unterbrach sie ihre Mutter forsch. „Ich kann nicht auf Knopfdruck funktionieren.“
Nach ein paar Sekunden erwiderte ihre Mutter widerwillig: „Das wird Shine Productions nicht gefallen.“
Alexis verschränkte die Arme vor der Brust und maß ihre Mom mit einem bedeutungsvollen Blick. „Dann überlege mal, was mir nicht gefallen hat, wenn wir schon beim Thema sind, um über Shine Productions und über Dave sowie über sein Ultimatum zu reden.“
Nun war es an ihrer Mom, bedeutungsvoll die Augen aufzureißen und in Richtung Fahrer zu nicken, der jedes noch so winzige Detail ihres Tages und ihres Versagens zu hören bekam, aber nicht wissen durfte, wie es zwischen Alexis und Taylor wirklich stand. Lediglich eine Handvoll Menschen war eingeweiht. Und nach den letzten Tagen, in denen dank unzähliger Fotos, die sie beide während ihres Restaurantbesuchs zeigten, ihre angebliche Beziehung Schlagzeilen gemacht hatte, wollte niemand der Eingeweihten ein Risiko eingehen.
„Darüber sollten wir jetzt nicht reden, mein Schatz.“
„Wann denn dann, Mom? Du weißt, wie zuwider mir es ist, mit ...“
„Nicht jetzt, Alexis“, versetzte ihre Mom geradezu grob. „Wir reden ein anderes Mal darüber.“
Wie ein gescholtenes Kind schwieg Alexis und dachte daran, wie erfreut ihre Mom gewesen war, als die sozialen Medien kurz nach dem Ausflug nach Ventura regelrecht heiß gelaufen waren. Fotos von ihr und Taylor waren so oft geteilt worden, dass es kein anderes Thema gegeben hatte als sie beide. Es war total verrückt, denn es gab sicherlich auch noch andere Themen auf der Welt als eine Sängerin, die mit einem Sänger ausging und sich von ihm küssen ließ, während sie beide ein Date hatten.
Offenbar war es nicht so. Nicht eine einzige TV-Show berichtete nicht über sie beide, was irgendwie lächerlich war. Und die Aufnahmen von ihnen beiden kannte sicherlich das halbe Land.
Besonders beliebt waren die Fotos, auf denen sie tuschelnd im Restaurant saßen und Taylor ihr Handgelenk küsste, während sie ihn verliebt anlächelte, oder auf denen er sie im Arm hielt, hollywoodreif küsste und Alexis die Arme um seinen Hals schlang. Für einen außenstehenden Beobachter mussten sie tatsächlich wahnsinnig verliebt aussehen. Und das hatten sie schließlich beabsichtigt.
In keiner der Schlagzeilen war in irgendeiner Form schlecht über Alexis gesprochen worden. Ihre Befürchtung, dass man sie für eine Schlampe halten könnte, hatte sich nicht bewahrheitet – dafür hatten die Fotos einfach zu verliebt gewirkt.
Taylor hatte ganze Arbeit geleistet, als er sie ständig betatscht, mit Brot gefüttert und geküsst hatte, nachdem er ihr einen Schokoladensplitter von der Lippe geleckt hatte. Mittlerweile glaubte Alexis, dass es niemals einen Schokoladensplitter gegeben hatte. Taylor hatte gewusst, was er tat und wie er es tun musste, um der Öffentlichkeit ein verliebtes Paar vorzuspielen.
Das Problem war nur, dass Alexis’ bereits angeschlagenes Selbstbewusstsein darunter litt, wenn Taylor sie küsste und sich wie ein verliebter Mann benahm, dabei jedoch nichts empfand. Er machte es nur, weil es zu seinem Arrangement mit Dave gehörte und weil er auf einen Plattenvertrag hoffte.
Das hatte natürlich nicht in der Presseerklärung ihres Managements gestanden, die gestern veröffentlicht worden war, nachdem sie die Gerüchte durch weitere Fotos angeheizt hatten, auf denen sie Hand in Hand über den Parkplatz von WholeFoods gelaufen waren und Baseballkappen getragen hatten, als wollten sie sich verstecken. Natürlich wusste niemand, dass die Paparazzi durch einen anonymen Tipp dorthin gelockt worden waren und sie anschließend bis zum Eingang der privaten Wohnanlage verfolgt hatten, in der sich Alexis’ Haus befand.
Offiziell war Taylor nun ihr Freund.
Gut fühlte es sich jedoch überhaupt nicht an.
„Dad, das verstehe ich, aber ich kann ganz unmöglich nach Oregon kommen. Ich habe einfach keine Zeit.“
„Ich weiß das, Taylor, aber deine Stiefmutter hat mich eindringlich darum gebeten, dich dazu zu überreden, am Wochenende nach Hause zu kommen, um mit uns meinen Geburtstag zu feiern. Du weißt doch, wie viel es mir bedeuten würde, wenn mein einziger Sohn an meinem Ehrentag zu Besuch käme. Und wer weiß, wie viele Geburtstage noch vor mir liegen.“
Augenblicklich wanderte Taylors Augenbraue in die Höhe, denn sein Dad hatte überhaupt keinen Drang zu Theatralik – anders als Taylors Stiefmutter, die höchstwahrscheinlich hinter seinem Dad stand und ihm vorsagte, was er Taylor erzählen sollte. Deshalb klangen die Worte seines Vaters auch auswendig gelernt.
Er verdrehte die Augen. „Steht Bess hinter dir?“
Sein Vater antwortete mit einem Grummeln.
„Also steht sie hinter dir und sagt dir vor, was du mir sagen sollst?“, wollte er wissen und legte seine Gitarre beiseite, auf der er gerade an einem neuen Song gearbeitet hatte, als sein Telefon geklingelt hatte. Dummerweise klingelte es seit Tagen permanent, weil ihn Menschen anriefen, von denen er entweder seit Ewigkeiten nichts gehört hatte oder die er gar nicht kannte. Woher sie seine Nummer hatten, war ihm schleierhaft.
Wie es der Zufall wollte, war er derart begehrt, seit sein Name zusammen mit Fotos von ihm und Alexis aufgetaucht war. Seither war er ziemlich gefragt, musste seinem Agenten erklären, weshalb dieser keine Ahnung davon gehabt hatte, dass Alexis seine Freundin war, und musste sich Coles gutmütige Witze anhören, dass er endlich eine Frau gefunden hatte, die hübscher und berühmter war als er.
„Ja, das tut sie.“ Sein armer Vater seufzte schwer, kurz bevor es in der Leitung knackte und er die Stimme seiner Stiefmutter hörte. Offenbar hatte es ein Handgemenge um das Telefon gegeben.
„Taylor, Schätzchen, dein Dad würde sich sehr freuen, wenn du uns besuchen kämst. Du kennst ihn ja – er kann seine Gefühle nur sehr schwer ausdrücken.“
Fast hätte Taylor gelacht, denn seine Stiefmutter war ziemlich durchschaubar. Dafür war sie aber auch so ungefähr die netteste Person auf diesem Planeten und hatte ihm früher Suppe ans Bett gebracht, wenn er krank geworden war. Damals war er noch ein Kind gewesen, aber er hatte nicht vergessen, dass Bess alles für ihn getan hatte – einschließlich seine Haare mit Anti-Laus-Shampoo zu bearbeiten und sich mit seiner Mathelehrerin anzulegen, als sie Taylor unfair benotet hatte.
Ihm war klar, wie neugierig Bess war, nachdem sie von seiner angeblichen Freundin erfahren hatte. Denn seine Stiefmutter war süchtig nach Hollywoodklatsch und fragte ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus, welche berühmten Leute er kannte und wie es bei ihnen zu Hause aussah. Sein Dad interessierte sich eher für die Badezimmer der Schönen und Reichen, aber das war eine andere Baustelle.
„Ja, Bess, ich weiß, dass Dad seine Herzenswünsche nur sehr schwer äußern kann“, entgegnete er trocken. „Aber ich habe wirklich viel zu tun. Und Oregon liegt nicht gerade um die Ecke.“
Seine Stiefmutter schnaubte verächtlich. „Es sind weniger als eintausend Meilen.“
„Und ungefähr dreizehn Stunden Fahrt“, warf er ein und ließ seine Finger über die Saiten der Gitarre gleiten. Wenn er nicht ständig unterbrochen worden wäre, hätte er längst einen vernünftigen Refrain zustande bekommen. Seit Tagen schwebte ihm die richtige Akkordfolge im Kopf herum, aber sie wollte nicht zum Rest des Liedes passen. Ihm würde wohl nichts anderes übrig bleiben, als die bereits vorhandenen Verse umzuschreiben.
„Wir haben auch Flughäfen in Oregon.“
„Bess.“ Taylor verdrehte die Augen. „Schieß schon los – du willst Alexis kennenlernen, richtig?“
Sie tat erst gar nicht so, als hätte sie keine Ahnung, von wem er sprach. „Natürlich will ich sie kennenlernen! Dein Vater übrigens auch. Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass der eigene Sohn eine Beziehung mit einem Superstar hat.“
Genau die Situation wollte er vermeiden, denn es war nicht seine Absicht, seine Eltern in das Chaos hineinzuziehen, das er momentan sein Leben schimpfte. Es reichte, wenn er sich in eine Katastrophe hineinmanövriert hatte, die ziemlich kompliziert geworden war, als er sie an jenem Tag in Ventura geküsst hatte. „Alexis hat auch viel zu tun. Wir haben beide keine Zeit.“
„Was kann wichtiger sein, als seine zukünftigen Schwiegereltern kennenzulernen und zu besuchen?“
Taylor ließ den Kopf in den Nacken fallen. Er hatte es gewusst! Seine Stiefmutter würde durchdrehen, wenn sie von ihm und Alexis erfuhr, und jetzt hatte er tatsächlich den Salat. „Ganz ruhig, Bess. Niemand spricht von einer Hochzeit ...“
„Das sagst du! Bei TMA munkelt man, dass Alexis bereits ein Hochzeitskleid von Alfredo Caravente schneidern lässt.“
Er hatte keine Ahnung, wer Alfredo Caravente war, aber er wusste, dass TMA absoluten Scheiß in die Welt hinausposaunte. „Ja, das sage ich, schließlich muss ich es doch am besten wissen“, empörte er sich. „Es gibt keine Hochzeit.“
„Noch nicht“, stellte Bess klar. „So etwas geht schneller, als du denkst. Frag deinen Dad.“
„Lieber nicht“, murmelte Taylor. „Das Gespräch wäre ihm bestimmt genauso unangenehm wie mir. Bess, wir heiraten nicht.“
„Aber vielleicht werdet ihr es irgendwann tun, und deshalb will ich meine zukünftige Schwiegertochter kennenlernen.“
Besagte zukünftige Schwiegertochter, die ihm seit Tagen kaum noch aus dem Kopf ging, betrat gerade die Terrasse, auf der er es sich mit seiner Gitarre gemütlich gemacht hatte, und hob zur Begrüßung die Hand. So früh hatte er sie nicht zurückerwartet, schließlich hatte sie heute im Tonstudio ein paar ihrer neuen Lieder einsingen wollen. Sie sah müde aus und konnte sich kaum ein Lächeln abringen.
Da konnte etwas nicht stimmen, aber bevor er sich über Alexis’ Gemütszustand Gedanken machen konnte, plapperte seine Stiefmutter fröhlich weiter: „Wir haben uns überlegt, dass wir ins Fielding Inn essen gehen, wenn ihr beiden kommt. Das ist das mit Abstand beste Restaurant der ganzen Gegend und wird Alexis gefallen.“
Taylor fasste sich an die Stirn. „Bess, wir können wirklich nicht ...“
„Dein Dad würde sich so sehr freuen! Nicht wahr, Henry? Sag Taylor, wie sehr du dich freuen würdest, wenn die beiden zu deinem Geburtstag kämen!“
Undeutlich war sein Dad zu hören, der widerwillig irgendetwas murmelte.
„Hast du deinen Vater gehört?“, wollte Bess triumphierend von ihm wissen.
„Laut und deutlich“, ächzte er trocken.
„Also können wir mit euch rechnen?“
Da Alexis vor ihm stand und er das Gespräch mit seiner Stiefmutter beenden wollte, versprach er ihr: „Das muss ich mit Alexis bereden und melde mich dann. In Ordnung?“
„Wunderbar! Wir freuen uns.“
Er murmelte eine Verabschiedung und legte schnell auf, bevor Bess auf weitere obskure Ideen kommen konnte.
„Was musst du mit mir bereden?“
Er verzog das Gesicht und warf das Handy auf die gepolsterte Liege neben sich. „Gar nichts. Ich habe nur meine Stiefmutter abgewimmelt, die eine absurde Idee hatte. Also ...“ Er musterte sie. „Du bist schon zurück? Ich hätte gedacht, dass du mit den Aufnahmen bis tief in die Nacht beschäftigt sein würdest.“
„Frag lieber nicht“, erwiderte sie dumpf und ließ sich auf die benachbarte Liege sinken, was Taylor wunderte, schließlich fand er, dass Alexis ihm in den vergangenen Tagen aus dem Weg gegangen war.
„So schlimm?“
„Schlimmer. Es war ...“ Sie brach ab und schüttelte den Kopf. „Eigentlich will ich gar nicht darüber reden, okay?“
„Okay.“ Er schloss sein Notizheft, in das er ein paar Ideen zu Strophen und zum Refrain notiert hatte, und hob anschließend die Hände, während er vorschlug: „Willst du zur Aufmunterung ins Kino oder etwas essen gehen?“
Er konnte sich täuschen, aber ihre Miene verfinsterte sich. „Nicht nötig. Momentan reichen die Fotos aus, die es bereits von uns gibt. Wir müssen uns nicht schon wieder zusammen irgendwo sehen lassen.“
So hatte er seinen Vorschlag gar nicht gemeint. Er hatte sie tatsächlich aufmuntern wollen und deshalb vorgeschlagen, etwas zu unternehmen. „Nein, so meinte ich es nicht.“
„Sondern?“ In ihrem Blick lag ein Hauch Neugierde.
„Ich dachte, du bräuchtest etwas Ablenkung.“ Taylor winkte ab. „Das war eine dumme Idee. Du hast schon recht.“
Alexis schwieg und starrte auf ihre Hände, die sie auf ihre Oberschenkel gelegt hatte. Sie brauchte ewig, um zu antworten, und schien sich erst nach einer gefühlten Ewigkeit einen Ruck zu geben. „Eigentlich ist die Idee sehr nett, aber ich habe keine Lust, auszugehen und eine fröhliche Miene aufzusetzen, obwohl ich einen beschissenen Tag hatte.“
„Das kann ich verstehen.“
„Wie war dein Tag?“
Er lehnte sich ein Stück zurück und streckte seine Beine von sich. „Mein Telefon hat fast durchgängig geklingelt, und ich habe versucht, an meinem Album zu arbeiten. Sehr produktiv war ich demnach nicht.“
Alexis rümpfte die Nase und schaute von unten zu ihm hoch. Heute trug sie ein blaues Top, das die Farbe ihrer Augen unterstrich. „Das kommt mir bekannt vor. Und dann musstest du deine Stiefmutter auch noch abwimmeln. Darf ich fragen, welche abstruse Idee sie hatte, die mich mit eingeschlossen hat?“
Taylor schnitt eine Grimasse und stützte sich mit beiden Händen auf der gepolsterten Liege ab, von denen einige auf der Terrasse verteilt herumstanden. Wenn er nicht ständig gestört worden wäre, hätte er hier mit dem Blick auf Los Angeles und in wunderbarer Ruhe sehr kreativ sein und stundenlang an seiner Musik arbeiten können. „Mein Dad hat bald Geburtstag, also hielt es meine Stiefmutter für eine tolle Idee, dass ich übers Wochenende nach Oregon fahren sollte, um sie beide zu besuchen. Und zu dieser Gelegenheit sollte ich dich mitnehmen“, betonte er mit trockenem Unterton. „Natürlich habe ich ihr sofort gesagt, dass wir keine Zeit haben.“
Zu seiner grenzenlosen Überraschung hob Alexis den Kopf und sah ihn irritiert an. „Wieso denn das?“
Seine Augenbrauen zuckten in die Höhe. Vielleicht hatte er sich auch verhört. „Weil du und ich sicherlich nicht zu meinen Eltern nach Oregon fahren werden.“
„Aber dein Dad hat Geburtstag“, protestierte sie.
„Den er auch ohne mich feiern kann.“ Taylor seufzte und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Meine Stiefmutter ist so versessen darauf, dass wir zu Besuch kommen, weil sie dich kennenlernen will, Alexis. Das ist bestimmt nicht in deinem Sinne. Von einer dreizehnstündigen Autofahrt einmal ganz abgesehen.“ Und irgendwie konnte er es sich nicht verkneifen, sie auf das Offensichtliche anzusprechen. „Abgesehen davon müsstest du dann ein ganzes Wochenende lang meine Freundin spielen und nicht nur während eines Essens oder eines Einkaufs im Bio-Markt.“
Spätestens jetzt rechnete er mit Widerstand gegen die Fahrt zu seinen Eltern, doch Alexis legte abwägend den Kopf schief und nickte nachdenklich. „Der Tapetenwechsel würde mir guttun.“
„Das ist nicht dein Ernst.“
Ihre blauen Augen zogen sich zusammen. „Sieh es doch von der Seite: Mein Produzent wird begeistert sein, mit welchem Engagement du meinen Freund spielst, wenn du mich sogar mit zu deinen Eltern nach Hause nimmst.“