Eins
„Fühlt sich das gut an, Baby? Sag mir, wie gut es sich anfühlt.“
Im ersten Moment wusste Holly nicht, was sie geweckt hatte, aber als lautes Stöhnen aus dem benachbarten Raum durch die Wand drang, war sie schlagartig wach. Blinzelnd starrte sie an die Zimmerdecke über sich und lauschte den Geräuschen, die viel zu laut und viel zu eindeutig waren, um sie zu ignorieren. Wer auch immer dieses Haus gebaut hatte, hatte nicht viel Wert auf eine gute Schallisolierung gelegt.
„O Gott ... mach bitte weiter!“
„Sag mir erst, ob es sich gut anfühlt.“
„Ja! Ja ... es fühlt sich ... o ... o Gott! Ja! Ja! Bitte, mach weiter. Mach einfach weiter!“
„Hier? Willst du es hier?“
„Tiefer ...“
„So?“
„Genau so ...“
„O Baby ... du machst mich verrückt ...“
„Taylor ... das ist so gut ... so gut!“
„Ah ... Alexis!“
Wieder erklang ein Stöhnen – dieses Mal eindeutig männlich, bevor rhythmische dumpfe Geräusche folgten. Ein pochendes Klopfen direkt gegen die Wand, an der Hollys Bett stand.
Man musste kein Hellseher sein, um zu erahnen, was das für Geräusche waren, denn alles deutete daraufhin, dass ein Bettgestell im Eifer des Gefechts immer wieder gegen die Wand gestoßen wurde. Holly konnte sich sehr bildlich vorstellen, was im Schlafzimmer ihrer Schwester gerade vor sich ging. Und das war irgendwie ... verstörend.
Sie schlug die Decke zur Seite und schlüpfte aus dem Bett, während im Zimmer nebenan die Post abging – im wortwörtlichen Sinne, denn das Stöhnen steigerte sich von Sekunde zu Sekunde.
Irgendwie war Holly nicht in Stimmung, hier im Gästezimmer im Haus ihrer Schwester zu liegen und abzuwarten, bis die beiden zum Höhepunkt ihrer Vorstellung kamen und vermutlich ein Loch in die Wand schlugen. Denn ganz so klang es, als das Bett immer heftiger und lauter gegen die Wand rumste.
Wer zum Teufel hatte so dünne Wände in dieses Haus einbauen lassen? Für den Preis, den Alexis für die luxuriöse Villa in Brentwood hingelegt hatte, hätte man wenigstens Wände erwarten können, die ein bisschen dicker als eine Reiswaffel waren!
„Oh Gott! Ich ... ich komme!“
Holly sprang förmlich in das erste Kleidungsstück, das in greifbarer Nähe war, und entschied spontan, dass sie heute in einem anderen Gästezimmer übernachten würde, weil sie weder ihrer Schwester noch deren Freund am nächsten Morgen ins Gesicht sehen könnte, wenn sie etwas länger hierbleiben würde und Zeuge ihres Sexlebens werden müsste.
Sie war weiß Gott keine prüde Nummer. Auf dem College war sie mindestens ein dutzendmal in irgendein Zimmer getorkelt, in dem es gerade zur Sache ging. Und sicherlich war sie selbst das eine oder andere Mal beim Sex beobachtet worden, denn Privatsphäre wurde unter Studenten nun einmal nicht gerade großgeschrieben. Und auch von ihrer Mitbewohnerin und deren Sexleben wusste Holly mehr, als sie eigentlich wissen wollte, weil Donna ziemlich laut werden konnte.
Aber das hieß noch lange nicht, dass Holly seelenruhig daliegen und zuhören würde, wie sich ihre eigene Schwester die Seele aus dem Leib schrie, während ihr Freund alles dafür tat, um ihr einen Orgasmus zu verschaffen.
In das Liebesleben ihrer älteren Schwester wollte Holly nicht involviert werden, zumal sie davon ausgegangen war, dass zwischen Alexis und ihrem Loverboy nichts lief. Eigentlich war ihr Loverboy namens Taylor nämlich angeheuert worden, um Alexis’ Freund zu spielen und der Öffentlichkeit eine stabile Beziehung vorzugaukeln. Lauter, Wände erschütternder Sex hatte nach allem, was Holly wusste, nicht zur Stellenbeschreibung dazugehört.
Während sie aus dem Zimmer stolperte und im Dunkeln fast über ihre Laptoptasche und einen Stapel Bücher gefallen wäre, die sie einfach auf den Boden gelegt hatte, als sie sich heute Abend im Gästezimmer ihrer Schwester einquartiert hatte, vermied sie es, darüber nachzudenken, wie sie es fand, dass Alexis mit Taylor schlief.
Im Grunde schien er ein netter Kerl zu sein, aber in Hollywood gab es viele nette Kerle, die sich irgendwann als widerliche Wichser entpuppten, die nur ihren eigenen Vorteil im Sinn hatten. Leider war Alexis auf diese Art Mann bereits einmal hereingefallen, und Holly hoffte nicht, dass ihre Schwester den gleichen Fehler ein weiteres Mal beging. Als Alexis nämlich das letzte Mal das Herz gebrochen worden war, war sie völlig ausgeflippt und nicht wieder zu erkennen gewesen. Und dazu kam, dass sie und Taylor bereits eine Vorgeschichte hatten.
Allein deshalb war Holly misstrauisch dem Mann gegenüber, der ihrer Schwester zurzeit Gesellschaft leistete.
Alexis mochte ein weltbekannter Superstar sein, aber in Liebesdingen benahm sie sich wie ein schüchterner, unerfahrener Teenager und ließ sich von charmanten Männern einlullen. Dummerweise hatte es ihre Schwester nicht leicht, wenn es um Männer, neue Bekanntschaften und sogar um alte Freunde ging.
Menschen wurden merkwürdig, wenn Geld im Spiel war.
Holly hatte in den vergangenen Jahren oft miterleben müssen, dass Alexis ausgenutzt und ausgebeutet worden war. Es kam immer wieder vor, dass vermeintliche Freunde, Bekannte und sogar Familienmitglieder von Alexis’ Reichtum oder ihren Beziehungen profitieren wollten. Holly kannte sicherlich nicht alle Geschichten, in denen ihre Schwester irgendjemandem Geld geliehen oder einen Gefallen getan hatte, aber sie kannte genügend solcher Storys, um selbst misstrauisch zu werden, wenn plötzlich jemand auf der Bildfläche erschien, der vorher dort nicht gewesen war.
Froh, das Zimmer und vor allem die Geräuschkulisse zu verlassen, lief sie durch den Flur und sagte sich, dass sie erleichtert sein konnte, dass sie selbst keine berühmte Sängerin war wie ihre Schwester. Sie hatte keine Probleme, die damit zusammenhingen, dass ihre Mitmenschen sie lediglich ausnutzen wollten.
Wer hätte von ihr auch profitieren wollen?
Sie war Literaturwissenschaftlerin und arbeitete an ihrer Doktorarbeit über Geoffrey Chaucer. Niemand interessierte sich für eine Neunundzwanzigjährige, die des Mittelenglischen mächtig war, in einem Restaurant jobbte und in einer winzigen Wohnung in West Hollywood zur Miete lebte. Ihre Besitztümer beinhalteten keine Luxusvilla in Brentwood inklusive Pool und Aufnahmestudio und auch kein Strandhaus in Malibu. Das Einzige, was sie in Hülle und Fülle besaß, waren Bücher und Joggingschuhe. Sie war der absolute Durchschnitt und ganz anders als ihre berühmte Schwester, deren Gesicht weltweit auf Werbeplakaten zu sehen war. Und das war gut so.
Holly beneidete Alexis nicht darum, ein Superstar zu sein, der nicht einmal unerkannt eine Packung Tampons kaufen oder unbeschwert einen Drink zu sich nehmen konnte, ohne am nächsten Tag irgendeine Schlagzeile über einen angeblich unerfüllten Kinderwunsch oder ein schweres Alkoholproblem lesen zu müssen. Weil Holly niemals das Rampenlicht im Dunstkreis ihrer Schwester gesucht hatte und lieber ihr eigenes Ding machte, war es für sie kein Problem, in einer Drogerie Tampons zu kaufen und sich in aller Öffentlichkeit die Kante zu geben.
Und wenn sie mit einem Mann Sex hatte, musste sie sich keine Sorgen machen, dass er womöglich mit einer versteckten Kamera Videoaufnahmen machte und diese an die Presse verkaufte oder sie erpresste. Wenn sie mit einem Mann schlief, musste sie sich lediglich darüber Gedanken machen, ob er verheiratet war und wie sie ihn am nächsten Morgen wieder loswerden sollte, aber nicht darüber, von ihm erpresst zu werden.
Das Leben war sehr viel leichter, wenn man kein Superstar war und wenn man nicht von der eigenen Mutter gemanagt wurde, die sich in jeden Aspekt des eigenen Lebens einmischte.
Holly hatte das Glück, dass sich ihre Mom nicht großartig dafür interessierte, was in ihrem Leben ablief, weil sie seit Alexis’ frühester Kindheit nur mit deren Karriere beschäftigt gewesen war. Als Kind und als Teenager, der einige Zeit lang bei den Großeltern leben musste, weil ihre Mom zusammen mit Alexis in New York gewohnt hatte, war Holly oft eifersüchtig und sogar wütend gewesen, dass ihre Mom sich nie um sie gekümmert hatte. Jedenfalls nicht so sehr wie um Alexis.
Früher hatte sie ständig irgendetwas angestellt, um die Aufmerksamkeit ihrer Mom zu erregen, und sie hatte sich den Kopf zerbrochen, warum Alexis ihr so viel wichtiger gewesen war.
Heute war sie darüber hinweg, dass Alexis die Nummer eins ihrer Mom war, und sie sah die Vorteile darin, von ihrer Mom nicht allzu oft beachtet zu werden. Es gab keine nervenaufreibenden Gespräche über Hollys Berufswahl und die schlechten Perspektiven einer Literaturwissenschaftlerin auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt. Über den mehrmaligen Wechsel ihres Hauptfaches am College hatte ihre Mom nie ein Wort verloren. Und Hollys Nasenpiercing schien sie damals nicht einmal bemerkt zu haben. Auch hatte sich ihre Mom noch nie in Hollys Freundschaften eingemischt oder sich darüber beschwert, dass sie nie einen festen Freund mit nach Hause brachte. Und von Hollys letzter Beziehung hatte sie nicht einmal gewusst.
Im Gegensatz zu ihrer Schwester hätte Holly vermutlich sogar losziehen, einen Stripper aufreißen und in Las Vegas heiraten können, ohne dass ihre Mom deshalb ausgeflippt wäre.
Ihr konnte es nur recht sein.
Irgendwann zwischen ihrem Highschoolabschluss, den ihre Mom verpasst hatte, weil Alexis an jenem Tag bei Oprah Winfrey aufgetreten war, und der Orientierungswoche am College, die Holly in Begleitung von Pamela, der Assistentin ihrer Mom, durchgestanden hatte, weil diese wegen Vertragsverhandlungen in New York gewesen war, hatte sich Holly entschieden, dass es ihr egal war, was ihre Mom tat oder nicht tat.
Wenn sie jemanden zum Reden brauchte, dann wandte sie sich nicht an ihre Mutter, sondern an Alexis. Das Verhältnis zu ihrer Schwester war sehr viel stärker und enger als zu ihrer Mom.
Deshalb verbrachte Holly nicht gerade wenig Zeit bei Alexis in deren Villa und übernachtete oft bei ihr, auch wenn sie in Zukunft das Gästezimmer am anderen Ende des Flurs beziehen würde, sollten Taylor und Alexis nun regelmäßig auf Tuchfühlung gehen.
Eigentlich wusste Alexis immer, was in Hollys Leben gerade vor sich ging. Holly hatte vor ihrer Schwester keine Geheimnisse und hätte ihr sogar ihr Tagebuch zum Lesen gegeben, wenn sie jemals eines geführt hätte. Als sie mit fünfzehn ihre Unschuld an Pete Comyn aus dem Abschlussjahrgang verlor und sich in ihn verknallt hatte, weil er den Othello im Schultheater gespielt hatte, war Alexis eingeweiht gewesen. Alexis war auch diejenige gewesen, die gewusst hatte, dass Holly mit neunzehn nicht etwa nach Italien geflogen war, um dort an einem Universitätsausflug teilzunehmen, wie sie es ihrer Mom weisgemacht hatte, sondern um mit ihren Freundinnen Urlaub zu machen. Und als Holly mit einundzwanzig geglaubt hatte, schwanger zu sein, hatte sie es lediglich ihrer Schwester erzählt. Ihre Mom wusste bis heute nicht, dass Holly Blut und Wasser geschwitzt hatte, bis sie einen Test gemacht hatte und der negativ ausgefallen war.
Während sie im Dunkeln über den Flur schlich und das letzte Zimmer anpeilte, hinter dessen Tür sich ein weiteres Gästezimmer befand, überlegte Holly voller Unbehagen, dass sie nie Geheimnisse vor Alexis gehabt hatte – bis vor ein paar Monaten.
Ehrlich gesagt wusste sie selbst nicht, weshalb sie ihrer Schwester nicht von Oliver erzählt hatte. Vielleicht hatte sie geahnt, dass Alexis nicht begeistert sein würde, dass Holly mit einem Mann ausging, der achtzehn Jahre älter war. Vielleicht hatte sie sich die ganze Diskussion ersparen wollen. Und vielleicht hatte sie von Anfang an geahnt, dass ihre Beziehung zu Oliver nur Probleme geben würde, denn alle Vorzeichen waren sichtbar gewesen.
Dummerweise hatte sie ihren Verstand komplett ausgeschaltet und war sehenden Auges in ihr Verderben gerannt. Jetzt war das Chaos perfekt! Und das Blöde an der Situation war, dass sie nicht einmal mit Alexis darüber reden konnte, weil sie nicht wollte, dass ihre Schwester erfuhr, wie dumm sie gewesen war.
Wahrscheinlich sollte Holly in der nächsten Zeit abstinent leben und Abstand zu Männern nehmen, um nicht in neue Schwierigkeiten zu geraten, überlegte sie zerknirscht, als sie das Zimmer betrat und die Umrisse des Bettes im Dunkeln ausmachte.
Unter ihren Fußsohlen konnte sie den weichen Teppich fühlen, und sie war froh, dass sich Alexis auch in diesem Gästezimmer für ein Boxspringbett entschieden hatte, weil sie mit dem Schienbein gegen die Bettkante stieß, die in diesem Fall weich gepolstert war. Weich war auch die Bettdecke, die Holly anhob, bevor sie sich ins Bett legte und hoffte, wieder einschlafen zu können, ohne an das Sexleben ihrer Schwester oder ihre eigenen schlechten Entscheidungen bezüglich ihrer eigenen Sexpartner denken zu müssen ...
„Hat sie dich aus dem Bett geworfen oder warum willst du bei mir pennen?“, fragte eine müde Männerstimme von der anderen Seite des Bettes in die Stille des Zimmers hinein. „Wenn du kuscheln willst, dann bist du hier falsch, Alter.“
Erschrocken riss Holly die Augen auf und stieß einen kleinen Schrei aus. Was zum Teufel ...
„Taylor?“ Die Stimme stockte und klang irritiert.
„Nein“, erwiderte Holly schlicht und setzte sich abrupt auf, während ihr Herz zu rasen begann.
Das Bettzeug raschelte, die Matratze bewegte sich und gleich darauf wurde das Licht im Zimmer eingeschaltet – und Holly entdeckte einen blondhaarigen Mann, der neben ihr im Gästebett ihrer Schwester saß, sie aus schläfrigen blauen Augen ansah und sich mit einer Hand über das Gesicht fuhr, als wäre er noch nicht ganz wach.
Holly dagegen war hellwach und schnappte nach Luft, als ihr klar wurde, was hier gerade passiert war. Sie hatte sich zu einem Fremden ins Bett gelegt und trug dabei lediglich Unterwäsche!
Erschrocken, fassungslos und mit rasendem Herzen saß sie wie erstarrt im Bett und fragte sich, warum sie nicht bemerkt hatte, dass das Gästezimmer bereits belegt gewesen war. Und sie fragte sich, wer dieser Kerl war, der mit nacktem Oberkörper nur wenige Zentimeter entfernt neben ihr saß und besser aussah, als es einem Mann erlaubt sein sollte. Trotz dieser peinlichen Situation kam Holly nämlich nicht umhin, festzustellen, dass der Mann neben ihr verdammt heiß war und unverschämt gut aussah.
Außerdem kam er ihr auch irgendwie bekannt vor.
Gleichzeitig war sie sich sicher, dass sie ihm niemals zuvor begegnet war – eine Frau hätte sich schließlich daran erinnern können, wenn sie auf einen derart gut aussehenden Mann getroffen wäre. Er war braun gebrannt, groß und besaß ein geradezu jungenhaftes Gesicht mit hageren Wangen und strahlend blauen Augen, die von dichten Wimpern umgeben waren. Selten hatte Holly Augen gesehen, die so intensiv waren und eine eisblaue Färbung besaßen.
Und diese Augen musterten Holly neugierig sowie ausgiebig.
Er machte nicht den Eindruck, die Situation peinlich zu finden, sondern wirkte, als wäre es für ihn das Normalste auf der Welt, dass er neben einer fremden Frau im Bett saß. Gelassen ließ er seinen Blick von ihrem Scheitel bis zu ihrer Taille wandern.
Seine Mundwinkel zuckten amüsiert.
Holly konnte nur daran denken, wie abstrus diese Situation war und dass sie das älteste Höschen trug, das sie heute Morgen hatte finden können. Ihre gesamte vorzeigbare Unterwäsche befand sich in ihrem Wäschekorb, weshalb sie auf eine alte gepunktete Unterhose zurückgegriffen hatte, die modern gewesen war, als Menschen noch nicht zum Mond geflogen waren.
Neben der Tatsache, dass sie sich einfach zu einem Fremden ins Bett gelegt hatte, musste sie jetzt auch noch mit der Schmach fertig werden, dabei grauenvolle Unterwäsche zu tragen.
Holly war sich ziemlich sicher, dass dieser Mann noch nie hässliche Unterwäsche aus nächster Nähe betrachtet hatte.
Apropos Unterwäsche ...
Holly schoss die Frage durch den Raum, ob er Unterwäsche trug. Vielleicht war er nicht nur obenrum nackt, sondern auch untenrum. Womöglich saß sie neben einem komplett nackten Fremden.
Während sie schwer schluckte, legte er lässig den Kopf schief, ohne seine Augen von ihr zu nehmen. „Du bist nicht Taylor.“
„Ganz sicher nicht!“ Holly runzelte die Stirn und stieß anschließend hervor: „Bitte sag mir, dass du Unterwäsche trägst.“
Heiser lachte er auf.
„Ist das ein Ja oder ein Nein?“
Auch ihre zweite Frage schien er komisch zu finden, weil er gluckste und ihr gleichzeitig zuzwinkerte. „Trägst du denn Unterwäsche?“
„Ich habe zuerst gefragt.“
„Aber du hast dich zu mir ins Bett gelegt“, konterte er und machte dabei nicht den Eindruck, in irgendeiner Form alarmiert zu sein. „Nicht, dass ich mich nicht geschmeichelt fühlen würde.“
Holly schnaubte und stopfte die Bettdecke demonstrativ um ihre Hüften fest, wobei ihr auffiel, dass sie ihr uraltes Mickymaus-Top angezogen hatte, das mittlerweile so fadenscheinig und kurz war, dass sie auch gar nichts hätte tragen können. Kein Wunder, dass der Blonde sie derart interessiert musterte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn streng an.
Das beeindruckte ihn in keiner Weise, denn das Grinsen in seinem Gesicht wich keinen Zentimeter weg.
Sie hob das Kinn in die Höhe. „Was tust du hier?“
„Ich habe geschlafen. Und was tust du hier?“
„Ich wollte hier schlafen.“
„Aha.“
„Das ist das Haus meiner Schwester“, erwähnte sie, als würde das alles erklären.
Seine dunkelblonden Augenbrauen zuckten überrascht in die Höhe. „Alexis ist deine Schwester?“
Wenigstens kannte er Alexis und war nicht irgendein Verrückter, der sich Zutritt zum Haus verschafft und sich nackt ins Bett gelegt hatte. Perverse gab es immerhin überall. Vor allem in Los Angeles!
„Ja, das ist sie.“
„Ihr seht euch nicht besonders ähnlich.“
Das hörte sie ständig, schließlich war ihre berühmte Schwester der Superstar Ivy – blond, wunderschön, zierlich und umwerfend. Holly war dunkelhaarig, durchschnittlich hübsch, sportlich, burschikos und einige Zentimeter größer als Alexis. „Wir haben verschiedene Väter. Sie ist ein paar Jahre älter.“ Sie runzelte die Stirn. „Und wer bist du?“
„Cole.“ Er reichte ihr die Hand, die Holly zögernd nahm.
„Cole – und weiter?“
„Cole Maddox. Ich bin ein Kumpel von Taylor.“ Er hielt ihre Hand weiterhin in seiner. „Und wie heißt du, Alexis’ Schwester?“
„Holly“, entgegnete sie und kam sich dabei ziemlich albern vor, schließlich saßen sie beide in einem Bett, waren mehr oder minder nackt und stellten sich dabei einander vor.
Langsam entzog sie ihm die Hand und bemerkte das Tattoo auf seiner linken Brust, das sich bei näherer Betrachtung als das Logo von SpringBreak herausstellte – der Band, in der Taylor vor einigen Jahren Mitglied gewesen war. Man musste kein Genie sein, um zu ahnen, dass der blonde Cole damals ebenfalls in der Band gewesen war, was auch erklären würde, warum er ihr gleich so bekannt vorgekommen war.
Das hatte ihr auch noch gefehlt! Sie hatte sich zu einem Musiker ins Bett gelegt.
Beinahe hätte sie eine Grimasse geschnitten.
„Also, Holly, was machen wir jetzt?“
Angesichts seines breiten Lächelns war sie sich ziemlich sicher, was ihm gerade vorschwebte. Daher erwiderte sie resolut: „Ganz bestimmt nicht das, was dir gerade vorschwebt, Cole Maddox. Ich bin müde und will schlafen.“
Er lachte heiser. „Etwa hier?“
„Ja, genau.“
„Und wo soll ich schlafen?“
„Du kannst mein Schlafzimmer haben. Und ich nehme deines.“ Demonstrativ klopfte sie auf die Matratze und schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. „Den Gang hinunter. Die vorletzte Tür rechts. Keine Sorge – das Bett ist frisch bezogen.“
„Moment einmal.“ Cole kniff ein Auge zusammen. „Dein Schlafzimmer? Wenn du bereits ein Schlafzimmer hast, verstehe ich nicht, warum du dieses hier beschlagnahmen willst. Was stimmt mit deinem Schlafzimmer nicht?“
„Nichts.“ Sie zuckte mit den Schultern, ahnte jedoch, dass er sich nicht so einfach würde vertreiben lassen.
„Warum stolperst du dann mitten in der Nacht in mein Zimmer?“
Sie schob die Unterlippe vor. „Ich kann in meinem Zimmer nicht schlafen.“
„Wieso nicht?“
Holly seufzte schwer. „Einfach so.“
„Gibt es in deinem Zimmer Spinnen?“
„Nein, keine Spinnen.“ Sie verdrehte die Augen. „Nicht alle Frauen haben Angst vor Spinnen. Das ist so ein Klischee.“
„Ein Klischee?“ Er klang verdutzt.
„Ein Klischee ist eine vorgefertigte ...“
„Ich weiß, was ein Klischee ist“, unterbrach er sie und fuhr sich gleich darauf durchs Haar. Seltsamerweise konnte Holly gar nicht anders, als zu bemerken, wie sich bei dieser Bewegung seine Armmuskeln anspannten. „Raus mit der Sprache – warum kannst du nicht in deinem Zimmer schlafen und warum willst du unbedingt, dass ich dort die Nacht verbringe?“
Holly stieß den Atem aus. „Mich haben Geräusche geweckt. Ich bin mir sicher, ich werde kein Auge zutun, wenn ich versuche, dort zu schlafen.“ Sie hatte nicht geglaubt, dass etwas noch peinlicher sein könnte als die Tatsache, neben einem Fremden ins Bett zu kriechen, aber dieses Gespräch nahm langsam eine unangenehme Wendung an.
Cole klang sehr ernst, als er nachfragte: „Dich haben Geräusche geweckt? Geräusche wie von einem Poltergeist?“
Holly kniff die Augen zusammen und fragte sich, ob er sie verarschen wollte. Anders war es nicht zu erklären, dass er von Poltergeistern sprach. „Nein, keine Poltergeistgeräusche!“ Sie knirschte mit den Zähnen und gab zu: „Sexgeräusche. Mich haben Sexgeräusche geweckt!“
Augenblicklich blitzte Interesse in seinen Augen auf. Typisch Mann. Sobald es um Sex ging, wurde er hellhörig und war interessiert. „Sexgeräusche?“
Sollte sie es ihm etwa aufschreiben? „Ja! Dein Kumpel und meine Schwester haben gerade Sex und ich war sozusagen live dabei.“
„Ah.“
Weil seine Miene pure Belustigung ausdrückte, verspürte Holly das Bedürfnis, sich vor ihm zu rechtfertigen. Gleichzeitig brannten ihre Wangen vor Verlegenheit. Himmel, das alles war so albern. Sie war schließlich keine zehn Jahre mehr alt!
„Die Wände sind wahnsinnig dünn, und ich konnte alles hören!“
Seine Mundwinkel kräuselten sich. „Tatsächlich?“
„Sogar das Bett hat gewackelt. Ich kann dort ganz unmöglich schlafen“, erklärte sie im Brustton der Überzeugung.
Er deutete auf sich. „Aber ich kann es?“
„Du scheinst einen festen Schlaf zu haben“, behauptete Holly. „Dir macht das sicherlich nichts aus.“
Cole schnaubte und schenkte ihr einen langen Blick. „Ein Live-Porno im Zimmer nebenan? Kein normaler Mann wird dabei schlafen können.“
„Und ich kann es auch nicht“, beharrte Holly.
„Dieses Haus ist riesig. Es wird doch noch ein paar andere Schlafzimmer geben.“
Es gab vier Schlafzimmer und sie alle waren belegt, weil Taylor eines davon in Beschlag genommen hatte, bevor er und Alexis sich dazu entschieden hatten, auf Tuchfühlung miteinander zu gehen. Aber in jenem Zimmer würde Holly sicherlich nicht schlafen, und sie würde Cole auch nichts davon erzählen, weil sie nicht sicher war, was er von der inszenierten Beziehung seines Kumpels zu Hollys Schwester wusste. Deshalb schüttelte sie lediglich den Kopf. „Nein, andere Schlafzimmer gibt es nicht.“
Er schien einen Moment zu überlegen, bevor er gespielt großzügig verkündete: „Solange du nicht schnarchst, kannst du gerne hier schlafen. Aber du musst versprechen, deine Hände bei dir zu behalten.“
„Das hättest du wohl gerne!“
Wie ein Märtyrer seufzte er auf. „Okay, okay! Wenn du darauf bestehst, können wir ein bisschen miteinander rummachen, aber erwarte keine Glanzleistungen, immerhin hast du mich aus dem Tiefschlaf gerissen.“
Die Situation war so abstrus, dass Holly lachen musste, obwohl sie eigentlich verächtlich schnauben wollte. Das Geräusch, das dabei entstand, klang grauenvoll.
Er wackelte mit seinen Augenbrauen. „Ist das ein Ja oder ein Nein? Ich brauche ungefähr fünf Sekunden, um meine Boxershorts auszuziehen.“
Anstatt auf seinen Kommentar einzugehen, kam sie auf das Wesentliche zu sprechen. „Du trägst also doch Unterwäsche.“
„Wenn ich gewusst hätte, dass du zu mir ins Bett schlüpfst, wäre ich nackt gewesen.“
Holly verdrehte die Augen. „Keine Chance – ich fange nichts mit Musikern an.“
Cole drehte sich ein Stück zur Seite und saß ihr nun fast gegenüber. Bei der Bewegung rutschte die Decke ein paar Zentimeter nach unten und offenbarte, dass er nicht gelogen hatte. Der Saum hellblauer Boxershorts war zu sehen. Jedoch waren die ausgeprägten Muskeln an seiner Taille und die straffe Haut über seinem Rippenbogen sehr viel interessanter als das Stück Stoff. „Woher weißt du, dass ich Musiker bin?“
Holly brauchte ein paar Sekunden, um auf seine Frage zurückzukommen. Solche Muskeln an einem Mann kannte sie eigentlich nur aus Filmen. Die Männer, mit denen sie bislang in einem Bett gelegen hatte, waren nie derart athletisch und muskulös gewesen. Normalerweise verbrachten Männer, mit denen sie ausging, ihre Zeit in Bibliotheken, aber nicht in Fitnessstudios. „Also bitte – das Tattoo auf deiner Brust ist wirklich nicht zu übersehen. Entweder bist du der größte Fan von SpringBreak und hast zusammen mit kreischenden Mädchen in der ersten Reihe gestanden, um deine Kuscheltiere einer Boyband auf die Bühne zu werfen, oder du warst selbst Mitglied dieser Band. Ich tippe auf Letzteres.“
Er wirkte belustigt und legte fragend den Kopf zur Seite. „Und wieso tippst du auf Letzteres?“
„Keine Ahnung.“ Betont gleichmütig zuckte sie mit den Schultern. „Musiker sind alle ein wenig ... großspurig. Du passt also ins Profil.“
Seine Schultern zuckten, während er lachte. „Bist du Psychologin?“
„Nein, das bin ich nicht, aber es ist sehr offensichtlich.“ Holly stieß den Atem aus. „Zurück zum eigentlichen Problem. Wer schläft nun in welchem Zimmer?“
Cole seufzte schwer. „Ich habe einen echt langen Tag hinter mir und bin hundemüde ...“
„Und ich muss morgen sehr früh raus.“
„Können wir nicht einfach schlafen? Ich verspreche auch, auf meiner Seite zu bleiben.“
Holly rümpfte die Nase. „Da ich dich nicht kenne, bin ich mir nicht sicher, ob du dein Versprechen hältst.“
„Dann solltest du einfach zurück in dein Zimmer ...“
„Du meinst, ich soll zurück in das Zimmer gehen, in dem man hören kann, was nebenan geschieht?“
Er seufzte. „Es ist mitten in der Nacht – glaub mir: Taylor ist nicht mehr in dem Alter, in dem er stundenlangen Sex durchhält. Bald hören die beiden auf.“
Während sie ihre Augenbrauen in die Höhe zog, verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Taylor ist zu alt für stundenlangen Sex? Wie alt bist du denn, wenn ich fragen darf?“
Cole stockte, errötete und räusperte sich, bevor er die Bettdecke beiseite schlug und aufstand. Offenbar war ihm gerade ein Licht aufgegangen, denn so viel jünger als sein Freund konnte er nicht sein, auch wenn er dieses jungenhafte Gesicht hatte.
Normalerweise hätte Holly über sein Erschrecken lachen können, doch bei seinem Anblick verging ihr die Belustigung, denn Cole trug tatsächlich ein Paar Boxershorts, jedoch waren diese ziemlich kurz und eng und überließen nichts der Fantasie. Er besaß nicht nur ein paar beeindruckende Muskeln, sondern er war auch groß und schlank. Seine Beine waren lang, muskulös und braun gebrannt. Während sein Rücken breit war, wirkten seine Hüften schmal – und sein Hintern sah ziemlich gut aus. Er sah sogar mehr als nur gut aus.
„Schläfst du auf der Couch?“, wollte sie von ihm wissen und bemühte sich darum, möglichst gelassen zu klingen, auch wenn sie das nicht unbedingt war. Obwohl die Räume klimatisiert waren, wurde es plötzlich sehr viel wärmer in diesem Zimmer.
Cole schüttelte den Kopf und marschierte durch das Zimmer. Ohne sich zu ihr umzudrehen, verkündete er: „Nein, ich schaue nach, ob die beiden noch immer lauten Sex haben, und bitte Taylor darum, seinen Sexmarathon zu verschieben, damit du schlafen kannst.“
„Was?“ Wie erstarrt saß sie im Bett und verfolgte, wie er das Zimmer verließ.
Er würde doch nicht wirklich ...
Holly sprang aus dem Bett und rannte ihm nach, wobei sie nicht einmal daran dachte, dass sie dieses scheußliche Höschen trug. Unter keinen Umständen wollte sie, dass er Alexis und Loverboy ihretwegen störte. Der Abend war bereits peinlich genug.
Sobald sie den hell erleuchteten Flur erreichte, sah sie, wie Cole am anderen Ende vor Alexis’ Schlafzimmertür stehen blieb und an der Tür lauschte. Bevor er so verrückt sein konnte, an die Tür zu klopfen, eilte Holly zu ihm und schüttelte hektisch den Kopf. Reflexartig griff sie nach seiner Hand und wollte ihn wegziehen. Leider war er größer und schwerer als sie und ließ sich keinen Zentimeter bewegen.
Um diese Situation noch merkwürdiger zu gestalten, drang in diesem Moment lautes Stöhnen durch die Tür.
Von wegen Taylor sei zu alt für stundenlangen Sex!
„Entweder wird dort drinnen eine Katze gequält oder mein Kumpel läuft auf seine alten Tage zur Hochform auf.“ Cole war die Selbstgefälligkeit in Person. Jedenfalls ließ sein breites Grinsen darauf schließen. „Sieht so aus, als käme deine Schwester auf ihre Kosten.“
„Pst“, ermahnte sie ihn empört und versetzte ihm einen Schubs gegen die Schulter. „Sie werden dich noch hören“, flüsterte sie.
Wieder erklang ein Stöhnen, das ziemlich gut zu hören war. Keine Frage – im Schlafzimmer ihrer Schwester ging es gerade heiß her.
„Ich glaube nicht, dass sie uns hören. Die beiden sind mit anderen Dingen beschäftigt“, kommentierte Cole wie die Ruhe selbst.
Holly spitzte ungewollt die Ohren und sagte sich, dass sie eigentlich so schnell wie möglich verschwinden sollte. Es gehörte sich einfach nicht, hier zu stehen und zu lauschen. Und sicherlich gehörte es sich nicht, plötzlich an Sex zu denken. An heißen, verschwitzten Sex mit einem Typen, dessen Hand sie noch immer in ihrer hielt und den sie überhaupt nicht kannte ...
„Ich wusste gar nicht, dass es Taylor heutzutage noch so sehr krachen lässt“, verkündete Cole mit einem Anflug von Stolz, als laut und deutlich zu hören war, wie ihre Schwester Taylors Namen stöhnte.
„Gott, Alexis ... Baby ... Baby ... bitte, hör jetzt nicht auf!“
Es war albern und kindisch und irgendwie auch völlig deplatziert, aber Holly konnte sich ein selbstgefälliges Lächeln nicht verkneifen, als sie beinahe triumphierend erwiderte: „Ich glaube, dass viel eher dein Freund auf seine Kosten kommt.“
Cole erweckte nicht den Anschein, endlich gehen zu wollen, sondern lauschte weiter den Stimmen aus dem Inneren des Zimmers. Dabei presste er sein Ohr gegen die Tür, zog die Augenbrauen in die Höhe und schaute Holly an. Sie konnte nicht glauben, dass sie beide wirklich hier standen und zuhörten, wie Alexis und der Mann, den sie einen Loverboy nannte, um ihn damit aufzuziehen, miteinander schliefen.
Sie starrte ihn an und merkte, dass sie eine trockene Kehle bekam. Obwohl es ihre eigene Schwester war, die in dem sprichwörtlichen Live-Porno mitspielte, wurde Holly langsam etwas unruhig . Die Geräusche, Coles Nähe, ihr dürftig bekleideter Zustand ...
„Lass uns gehen“, flüsterte sie ihm beschwörend zu, bevor sie noch etwas Dummes tat. In letzter Zeit hatte sie genügend dumme Dinge getan. Mit einem fremden Mann im Haus ihrer Schwester Sex zu haben, wäre der Gipfel aller Dummheiten!
„Warte ... vielleicht kann ich noch etwas lernen.“ Cole zwinkerte ihr zu und sprach nicht gerade leise. „Das klingt sehr interessant, was dort gerade ...“
„Sch! Ich will nicht, dass sie uns hören“, unterbrach sie ihn grob und umfasste seine Hand noch stärker als zuvor.
„Autsch!“
Holly ignorierte ihn und zog ihn hinter sich her – froh darüber, als die Sexgeräusche aus dem Schlafzimmer ihrer Schwester mit jedem Schritt in die andere Richtung leiser und leiser wurden. Ihr Nacken brannte förmlich, und sie war sich bewusst, dass sie dieses schreckliche Höschen trug und noch immer Gedanken hatte, die ganz eindeutig nicht jugendfrei waren.
„Du bist ziemlich ungeduldig, wieder ins Schlafzimmer zu kommen“, hörte sie seine Stimme hinter sich. „Ehrlich, es ist lange her, dass mich eine Frau förmlich ins Bett gezerrt hat. Dieser Erfolgsdruck macht mir echt zu schaffen.“
Holly blieb so abrupt stehen, dass er sie fast umgerannt hätte. Sie drehte sich zu ihm um. „Ich will dich nicht ins Bett zerren.“
„Sondern?“ Grinsend zog er eine Augenbraue in die Höhe und deutete auf ihre beiden Hände.
Hastig ließ Holly seine Hand los und machte einen Schritt zurück. „Eigentlich wollte ich dich nur davon abbringen, die beiden zu stören.“ Sie reckte das Kinn ein bisschen in die Höhe und bemühte sich um eine gespielt lässige Miene. „Es wäre verdammt peinlich geworden, wenn du an die Tür geklopft und die zwei unterbrochen hättest.“
„Peinlicher als mitten in der Nacht einen fremden Mann im Schlafzimmer zu überfallen und ihn aus seinem Bett vertreiben zu wollen?“
„Sehr viel peinlicher“, bekräftigte Holly und nickte würdevoll.
Er lachte leise und trat dicht an sie heran. Automatisch machte Holly einen Schritt zurück und spürte die schwere Holztür in ihrem Rücken. Gleichzeitig hoffte sie, dass Cole keine Gedanken lesen konnte.
Dass er so dicht vor ihr stand, kaum etwas anhatte und sie aus eisblauen Augen intensiv ansah, machte sie nervös. In ihrem Magen rumorte es bereits. Sie schluckte schwer und fragte sich, warum sie derart auf ihn reagierte. Sie war schließlich kein hormonbeflügelter Teenager, der sich von einem gut aussehenden Mann aus dem Konzept bringen ließ. Mit neunundzwanzig sollte sie aus dem Alter heraus sein, in dem ein heißer Kerl sie nur anlächeln musste, damit sie darüber nachdachte, mit ihm in die Kiste zu hüpfen.
„Was wird das?“, wollte sie von ihm wissen und hörte selbst, wie hoch ihre Stimme klang. Hoch und nervös.
Cole stützte sich mit einer Hand neben ihrem Kopf an der Tür ab und war plötzlich so nah, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. Währenddessen nahm sie seinen Geruch wahr – eine Mischung aus frisch geduschter Haut, würzigem Duschgel und verlockendem Mann.
„Willst du mich wirklich heute Nacht auf der Couch schlafen lassen?“
Vielleicht war es die abstruse Situation oder die Frustration der letzten Zeit, aber Holly dachte tatsächlich ein paar Sekunden darüber nach, das so offensichtliche Angebot anzunehmen. Sie war sich sicher, dass sie mit Cole viel Spaß haben könnte. Wie sie aus eigener Erfahrung wusste, war Sex ohne Gefühle und ohne Verpflichtungen nicht die schlechteste Methode, um den Kopf frei zu bekommen.
Und dann fiel ihr wieder ein, dass unbedachter Sex sie in ihre jetzige Situation gebracht hatte. „Ja, das will ich. Du schläfst auf der Couch.“
Er seufzte schwer und verzog den Mund. „Okay, wenn du darauf bestehst, spiele ich den Gentleman und überlasse dir das Schlafzimmer.“
„Danke.“ Holly atmete aus und war erleichtert und enttäuscht zugleich.
Offenbar war er doch kein Gentleman, denn er beugte den Kopf ein Stück nach unten und küsste sie.
Augenblicklich wurde ihr heiß und schwindelig und ihre Knie wurden weich. Der Kuss war intensiv und feucht. Und voller prickelnder Lust, die ihr eine Gänsehaut bescherte.
Diese Lust schoss in Rekordgeschwindigkeit durch ihre Adern und sammelte sich in ihrer Mitte. Winzige leidenschaftliche Schauer zogen sich durch Hollys Körper und ließen jede einzelne Nervenzelle auf und ab springen. Sie hatte das Gefühl, als würde sie schweben.
Holly erwiderte den tiefen Kuss und öffnete den Mund, als Cole ihre Lippen mit seinen gefangen nahm. Erst glitten seine Lippen zärtlich über ihre, bevor seine Zunge folgte. Kühn verschlang er ihren Mund mit seinem und sandte heißkalte Schauer über ihren Körper. Sie musste sich an ihm festhalten, weil sie befürchtete, umzufallen. Währenddessen saugte er an ihrer Unterlippe. Er saugte, leckte, knabberte und schob seine Zunge zwischen ihre Lippen, und Holly konnte gar nicht anders, als den Kuss zu erwidern.
Unter ihren Fingerspitzen spürte sie seine warme Haut und die festen Muskeln. In ihren Ohren konnte sie ihren eigenen Herzschlag dröhnen hören und auf ihrer Zunge konnte sie ihn schmecken.
Er schmeckte fantastisch – geradezu süchtig machend nach mehr. Und das zeigte sie ihm, indem sie sich an ihn presste und ihre Finger in seine Schultern bohrte.
Leise stöhnte sie auf, denn dieser Kuss war so heiß und so prickelnd, dass Holly nicht mehr wusste, was sie hier eigentlich tat.
Dieser lustvolle Schwebezustand fand erst ein Ende, als sich Cole langsam von ihr löste.
Wie in Trance öffnete sie die Augen und sah, dass er ebenso schwer atmete wie sie und dass sich seine Wangen gerötet hatten. Man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass er nicht gerade unbeteiligt wirkte. Wenn sie nur einen halben Schritt nach vorn gemacht und sich an ihn geschmiegt hätte, dann – Holly war sich sicher – hätte sie gespürt, dass ihm nicht der Sinn danach stand, allein auf der Couch zu schlafen.
Während ihr Herz raste, erklärte sie mit heiserer Stimme: „Ich dachte, du wolltest auf der Couch schlafen.“
„Ja, das werde ich auch“, entgegnete er ebenso heiser wie sie. „Nur wollte ich mir die Nacht auf einer harten und vermutlich viel zu kurzen Couch ein bisschen mit einem Kuss versüßen.“
„Ah.“ Wahrscheinlich hätte sie ein wenig beleidigt sein sollen, aber irgendwie fand sie seine Antwort niedlich.
Cole leckte sich über seine Unterlippe. „Willst du immer noch, dass ich auf der Couch schlafe?“
Geradezu fasziniert betrachtete sie seinen Mund und spürte ein sehnsüchtiges Ziehen tief in ihrer Mitte. Es wäre so einfach, ihn mit ins Zimmer zu nehmen und heißen, verschwitzten Sex zu haben. Cole war anscheinend der Typ für bedeutungslosen, großartigen Sex – ein Musiker, der seinen Charme spielen ließ, toll aussah und herumvögelte. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie mit einem Mann seiner Sorte etwas anfing.
Als sie lächelte, konnte sie an seiner Miene ablesen, dass er davon ausging, die Nacht mit ihr zu verbringen. Aber das hatte Holly nicht vor. „Nimm dir einfach das Kissen und die Decke aus meinem Zimmer. Gute Nacht.“
Ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, öffnete sie die Tür und schlüpfte ins Zimmer. Bevor sie Cole die Tür vor der Nase zuschlug, bemerkte sie seine verdutzte Miene.
Fast hätte er ihr leidgetan.
Fast.