21. Mai 2017
Irgendwer sagte mal zu mir: Was auf Mallorca passiert, bleibt auch auf Mallorca. Doch für euch mache ich eine Ausnahme, denn ihr sollt unbedingt erfahren, was mir auf dieser Teufelsinsel widerfahren ist.
Wir waren mit Heracles in der Saison 2016/17 nur Zehnter geworden und hatten damit die Europa-League-Play-offs verpasst. Die nun spielfreie Zeit wollten wir für einen Trip mit der Mannschaft nach Mallorca nutzen. Eine klassische Mannschaftsfahrt eben. Sorgen, dass es mit der Truppe langweilig werden würde, machte ich mir nicht. Dafür verstanden sich die meisten auch zu gut.
Zwischen dem letzten Spieltag am 14. Mai und der Abreise sieben Tage später genoss ich noch ein bisschen Zeit mit der Familie zu Hause. Wir rekapitulierten die vergangene Saison und wie unwirklich es anmutete, dass aus mir wirklich ein richtiger Fußballprofi geworden war. Ich spielte inzwischen drei Jahre in der Eredivisie und hatte meine Position gefunden, trotzdem war das alles für mich und meine Familie nach wie vor nicht selbstverständlich. Papa und ich erinnerten uns immer wieder gerne daran, wie wir fünf Jahre zuvor vom Dortmunder Trainingsgelände gefahren waren und ich kein Wort herausbrachte, weil die anderen Jungs so viel besser als ich gewesen waren. Der Großteil dieser Mannschaft hatte es dann aber nicht in den Profifußball geschafft – im Gegensatz zu mir. Schon verrückt, wie das Leben manchmal so spielt.
Mitten in der Vorbereitung auf den Mallorca-Trip erwischte mich mein Berater am Telefon, um mir mitzuteilen, dass Atalanta Bergamo wieder Interesse an mir gezeigt habe. Und dieses Mal wohl so richtig. Ich sage „wieder“, weil er mir bereits im Winter gesagt hatte, dass Atalanta mich beobachten würde. Aber davon hörte ich einmal und danach nicht wieder – bis eben kurz vor meinem Urlaub auf Mallorca.
Ich wusste gar nichts über Atalanta, weil ich mich nie groß mit der Serie A beschäftigt hatte. Ich kannte Juventus, Inter Mailand und AC Mailand, aber da endete mein Wissen über den italienischen Fußball auch fast schon wieder. In meiner Jugendzeit wurde die Serie A in Deutschland nicht im TV übertragen. Die einzige Chance, italienische Teams zu sehen, bot sich in der Champions League. Immerhin an das Milan der frühen Nullerjahre erinnere ich mich noch gut, vor allem an Kaká und Filippo Inzaghi. Von Atalanta Bergamo hatte ich allerdings noch nie ein Spiel gesehen und auch keine Ahnung, wer da überhaupt spielte. Ganz ehrlich: Ich wusste nicht mal, wo Bergamo lag!
„Die wollen dich wirklich haben“, sagte mein Berater. Also schaute ich im Internet nach, was sich da so in Erfahrung bringen ließ. Wie sich herausstellte, war Atalanta drauf und dran, Vierter hinter Juventus, AS Rom und SSC Neapel zu werden und sich zum ersten Mal seit 17 Jahren wieder für den Europapokal zu qualifizieren, auch wenn die Saison in Italien noch nicht ganz beendet war. In Bergamo, so viel stand fest, würden mir kein FC Arouca oder blöde Chips die Europa League versauen. Atalanta war ganz sicher in der Gruppenphase dabei.
Das reichte mir fürs Erste. Natürlich klang das interessant, aber ich wollte auch nichts überstürzen. Bisher hatte ich mich noch gar nicht mit einem Wechsel beschäftigt, und wenn überhaupt, hoffte ich eher auf ein Angebot aus der Bundesliga. Das war immer mein großer Traum. Ob sich der noch erfüllen würde, wenn ich nach Bergamo ginge? Wer schaut sich in Deutschland schon Spiele von Atalanta an? Ich bat meinen Berater, mal nach Bergamo zu fliegen und mehr Informationen einzuholen als „die haben konkretes Interesse an dir“. Er sollte sich schlaumachen und mir anschließend Bescheid geben. Unterdessen machte ich mich mit der Mannschaft auf den Weg nach Palma de Mallorca, um dort für drei Tage und drei Nächte am Ballermann zu versacken.
Ich nehme an, dass einige, die dieses Buch lesen, ein bisschen an Fußball interessiert sind und vielleicht auch selbst spielen oder gespielt haben. Und einige, die Fußball im Verein spielen oder gespielt haben, waren vielleicht auch schon mal am Ballermann, oder? So eine Mannschaftsfahrt nach Malle nach der Saison gehört irgendwie dazu, finde ich. Ein paar Tage mit den Jungs oder Mädels alle Sorgen vergessen, möglichst viele bunte Trikots anziehen und die Badehose nur in Notfällen gegen eine Jeans eintauschen. Und natürlich im Bierkönig 13,90 Euro für einen Liter Wodka-Lemon ausgeben, in dem sich dann nur ein Daumenbreit Wodka befindet. Zu einem Sonnenbrand gehört schließlich auch eine gescheite Portion Sodbrennen.
Unser Aufenthalt war allerdings nicht ganz so kreisligamäßig, da muss ich euch enttäuschen. Unser Hotel lag zwar in unmittelbarer Nähe zum Mega-Park am Ballermann 5, dafür war es allerdings fast schon zu luxuriös. Joey Pelupessy, mit dem ich mir das Zimmer teilte, und ich schauten uns beim Betreten des Hotels überrascht an: „Sind wir wirklich auf Mallorca?“
Ich weiß durchaus, dass ein normales Mallorca-Hotel nicht viel mehr für seine Gäste bereitstellen muss als ein Bett, ein schimmeliges Laken als Decke und eine Dusche. Den Rest erledigen in der Regel Bierkönig und Mega-Park. Unser Hotel war trotz der Gegend etwas gehobener, und wir hatten sogar jeder drei Hemden für die Abende eingepackt. Nachdem wir am Sonntagmittag eingecheckt hatten, machten wir uns direkt auf den Weg zum Strand und zogen von dort aus weiter zum Mega-Park. Wir wollten uns für die vergangenen zwei Jahre abfeiern, ein paar Säulen Wodka-Lemon bestellen und es uns gut gehen lassen. Aber schon bald merkten wir, dass der Mega-Park nicht unbedingt unser Ding war. Dieser Schuppen war uns einfach zu dreckig und zu eklig. Überall stank es nach Kotze, in die Planschbecken hatten garantiert schon einige Besucher reingepinkelt, und der Rest war einfach nur nass und klebrig.
Am zweiten Tag blieben wir deshalb am Strand und spielten den ganzen Tag „Ankacken“. Die Regeln sind denkbar einfach: Man stellt sich im Kreis auf, jeder Spieler hat zwei Ballkontakte, darf aber den Oberschenkel und den Kopf nicht benutzen. Dann spielt man sich den Ball hin und her, und wer einen Fehler macht, hat ein Leben weniger. Wer seine drei Leben zuerst verbraucht hat, bekommt einen Klaps auf den Kopf oder aufs Ohrläppchen. Je älter der Tag wurde, desto öfter schlichen sich lustige Fehler ein. Uns zog es zwar nicht mehr in den Mega-Park, trinken wollten wir aber trotzdem noch. Und nach zwei bis zwölf San Miguel geht die Ballkoordination nun mal ein bisschen flöten.
Zwischendurch schaute ich immer mal wieder auf mein Handy, um zu sehen, was sonst so los war. Ich las eine Nachricht meines Beraters: „Wir müssen kurz reden.“ Es war klar, worum es ging, aber da hatte ich jetzt gar keine Lust drauf. Er konnte warten.
Am späten Nachmittag gingen wir zurück zum Hotel, um uns für den Abend fertig zu machen. Während Joey unter der Dusche stand, rief ich meinen Berater an. Er redete viel und meinte, wie gut die Gespräche in Bergamo laufen würden. Im Prinzip, so verstand ich es, konnte ich meine Koffer packen und nach dem Urlaub direkt zu Atalanta wechseln.
Moment mal.
Er sollte doch nur ein paar Informationen einholen und die Bedingungen abchecken, aber nicht gleich einen Deal aushandeln und erst recht nicht mit Heracles über das Angebot sprechen! „Wie stellst du dir das jetzt vor?“, fragte ich. Der Vertrag bei Atalanta wäre natürlich deutlich besser dotiert als der mit Almelo, meinte er. „Woher weißt du das denn? Hast du schon mit denen verhandelt?“, fragte ich zurück. Seine frappierende Antwort: „Ich bin kurz davor, den Vertrag abzuschließen.“
Das lief gar nicht nach meinem Geschmack, dazu war ich noch nicht bereit, erst recht nicht in dieser Situation. Und es kam mir sehr dubios vor, dass er bereits über konkrete Zahlen verhandelt und offensichtlich auch Almelo einbezogen hatte. Irgendwas passte da nicht zusammen.
„Nerv mich jetzt nicht“, sagte ich, obwohl ich natürlich längst genervt war. Darüber konnten wir immer noch reden, wenn ich wieder zu Hause war und nicht zwei Promille intus hatte. Ich würde doch nicht hier und jetzt, am Ballermann, eine Lebensentscheidung treffen, ohne überhaupt mal mit irgendwem in Bergamo gesprochen zu haben!
Ich legte auf und hoffte, dass ich zumindest für die restlichen zwei Nächte im Urlaub Ruhe hätte. Ich konnte mich gar nicht richtig darüber freuen, dass der Tabellenvierte der Serie A mich offenbar wirklich verpflichten wollte. Dass die Chance bestand, nach Italien zu ziehen, die Sprache zu lernen, neue Erfahrungen zu sammeln und Europa League zu spielen. Stattdessen kam ich mir eher verarscht vor. Das ging mir definitiv alles zu schnell.
Joey hatte den Großteil des Gesprächs mit angehört und reagierte ähnlich verdutzt wie ich: „Wie merkwürdig ist das denn?“ Sehr merkwürdig, aber es gelang uns, das schnell wieder auszublenden. Wir zogen mit der Mannschaft zum Ballermann 3, wo sich besonders viele Holländer und Belgier tummelten, und fanden dort eine nette Bar, in der wir uns warmtranken für den Abend. Am Ballermann 3 gab es im Gegensatz zum Mega-Park und Bierkönig ein paar Discos mit etwas mehr Stil. Und da ließen wir es krachen.
Am nächsten Morgen gingen wir erneut an den Strand und breiteten gerade die Handtücher aus, als Jan Smit, der Präsident von Heracles, auf mich zukam und fragte, ob wir mal kurz reden könnten. Smit war 70, aber ein cooler Typ und außerdem stinkreich. Was er sagte, wurde gemacht.
Wir entfernten uns ein paar Meter von den anderen. „Herzlichen Glückwunsch“, sagte er. „Was ist los?“ „Herzlichen Glückwunsch zum Transfer, hast du dir verdient!“ „Wie bitte?“ Ich war völlig verwirrt.
„Wir haben uns mit Atalanta Bergamo auf eine Ablösesumme für dich geeinigt, von unserer Seite steht dem Transfer nichts mehr im Weg. Wenn du deinen Vertrag ausgehandelt hast, kannst du wechseln.“
Ich war stinksauer, ließ es mir vor dem Präsidenten aber nicht anmerken. Er sollte nicht glauben, dass ich ein undankbarer 22-Jähriger sei, der sich nicht über einen solchen Transfer freuen würde. Er hatte wahrscheinlich keine Ahnung, was hinter den Kulissen abging. Und ich offensichtlich auch nicht. Hier wurden gerade Sachen gedeichselt, die mein Leben ganz entscheidend verändern sollten. Und der Einzige, der dabei nicht mitreden durfte, war ich. Interessierte eigentlich irgendwen, was ich wollte? Immerhin war ich doch derjenige, der Fußball spielte und von heute auf morgen in ein anderes Land, eine andere Stadt, eine andere Liga wechseln sollte.
Ich war jetzt schon lange genug dabei, um zu verstehen, dass Fußball vorrangig ein Geschäft ist und Geld letztlich die meisten Probleme löst. Da ich im letzten Vertragsjahr war, war es die letzte Chance für Heracles Almelo, eine Ablösesumme für mich zu generieren. Im nächsten Sommer könnte ich mir, sofern ich nicht verlängerte, einen neuen Verein suchen, ohne dass Heracles auch nur einen Cent sehen würde. Und genau darum ging es hier.
Hinter meinem Rücken hatte mein Berater offensichtlich einen Vertrag für mich ausgehandelt, der ihm ganz nebenbei eine hübsche Prämie einbrachte. Und gleichzeitig hatte er dafür gesorgt, dass Atalanta eine entsprechende Summe an Heracles überweist. So einfach und doch so dreckig. Man dreht aber keinen Film ohne den Hauptdarsteller, oder? „Hallo!“, hätte ich am liebsten mit dem Megafon über den Platz geschrien. „Hört auf zu verhandeln und lasst mich in Ruhe!“
Ich wusste gar nicht, was ich Jan antworten sollte. „Du kannst dich gerne über den Transfer freuen, aber den werde ich mit Sicherheit erst mal nicht machen, zumindest solange ich nicht weiß, was auf mich zukommt.“ Nach wie vor hatte sich noch niemand aus Bergamo bei mir gemeldet.
Immer noch stinksauer rief ich meinen Berater an: „Junge, was machst du?“ „Freu dich doch“, antwortete er. „Ich habe einen Riesenvertrag für dich ausgehandelt, wir sind uns sogar schon bei der Transfersumme einig. Du spielst nächstes Jahr Europa League!“ 900 000 Euro war ich Atalanta wert. Ich flippte völlig aus. „Ich unterschreibe gar nichts! Und du kannst hingehen, wo der Pfeffer wächst. Mit dir mache ich gar nichts mehr.“ Das Thema hatte sich für mich erledigt. Ich packte das Handy in meinen Rucksack und ignorierte die nächsten zwanzig Anrufe meines Beraters, der nun nicht mehr mein Berater war.
Er hatte mich damals in Arnheim angequatscht und mich auch fünf Jahre lang gut vertreten. Auch dank ihm konnte ich mit Dordrecht in die erste Liga aufsteigen und mit Almelo um die Europa League spielen. Deswegen werde ich seinen Namen nicht nennen, aus Respekt. Aber das Verhältnis zwischen Spieler und Berater sollte immer auf Vertrauen basieren, darum hatten wir auch keinen Vertrag zusammen abgeschlossen. Diesem Kerl konnte ich nun nicht mehr vertrauen. Ich war mir sicher, dass das alles deshalb so schnell ging, weil er sich nebenbei ein nettes Sümmchen in die Tasche stecken wollte. Hauptsache, es wurde alles möglichst zeitnah unterschrieben und er war fein raus aus der Sache. Nicht ein einziges Mal hatte er gefragt, ob ich mit den Zahlen, die in diesem angeblich schon fertigen Vertrag standen, auch einverstanden war. Ich vermutete sogar, dass es gar kein Angebot von Atalanta Bergamo gab, obwohl mich der Präsident von Heracles dann ja nicht mit Glückwünschen überfallen hätte …
Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. War hier noch irgendjemand, der nicht in den Deal involviert war und nur Geldscheine vor Augen hatte?
Einer vielleicht. John Stegeman.
Ich ging zu unserem Trainer und bat ihn um Rat in dieser Situation, die mir über den Kopf zu wachsen drohte. Er meinte, dass es natürlich ein guter Deal für den Verein wäre und auch für mich der richtige Schritt sein könnte. „Du hast eine sehr gute Saison als Linksverteidiger gespielt, aber wir werden für die nächste Saison auf der Position ebenfalls nachlegen.“ Jan-Mark Fledderus, der Kapitän und mein ehemaliger Konkurrent, hatte seine Karriere in diesem Sommer beendet. Dementsprechend musste Heracles, unabhängig von mir, einen weiteren Linksverteidiger verpflichten. „Du würdest wahrscheinlich auch in der neuen Saison spielen“, sagte John, „aber wer weiß. Der Schritt von Almelo in die Serie A hört sich doch gut an.“
„Aber würdest du nicht auch an so einem Wechsel zweifeln, wenn du nicht vorher wenigstens mal mit dem Verein gesprochen hättest?“, fragte ich ihn. Er gab mir recht. „Vielleicht kannst du das ja machen, wenn du zu Hause bist, einfach, um ein Gefühl für die Situation zu bekommen. Mach auf jeden Fall nichts Unüberlegtes.“
Johns Worte hatten mich ein wenig beruhigt. Den restlichen Strandtag konnte ich allerdings nur bedingt genießen. Im Hotel brachte ich Joey auf den neuesten Stand und erzählte Rabea am Telefon, was in den vergangenen zwei Tagen passiert war. Sie konnte das nicht wirklich ernst nehmen, weil es sich so seltsam anhörte. Rabea steckte mitten in ihrem Physiotherapiestudium in Bochum, was bedeutete, dass ich, wenn das mit Atalanta tatsächlich stimmte, alleine nach Italien ziehen müsste. War ich dazu bereit? Keine Ahnung. So weit konnte und wollte ich noch gar nicht denken.
In der letzten Nacht auf Mallorca feierten wir noch ein bisschen und hatten Spaß, bevor der Flieger uns zurück nach Düsseldorf brachte. Ich hatte noch mindestens einen Monat Urlaub, obwohl es noch ein paar Dinge zu klären gab. In Düsseldorf verabschiedete ich mich von den Jungs, setzte mich ins Auto und fuhr nach Elten. Ich musste meine Gedanken sortieren. Was ein lustiger Kurztrip nach Mallorca hätten sein sollen, endete mit einer Migräne, weil mich auf solche Gespräche niemand vorbereitet hatte.
Noch einmal rief ich meinen bald ehemaligen Berater an. Er wollte mir seine Beweggründe erklären und wie alles gelaufen war, aber seine Erklärungen machten es nicht besser. Ich konnte ihm nicht mehr glauben. Immer wieder betonte er, dass der Sportdirektor in Bergamo noch auf eine Antwort warten würde. „Was soll ich ihm denn sagen?“, fragte er mich.
Ich antwortete: „Du kannst ihm sagen, dass der Transfer geplatzt ist. Ich mache das nicht.“