14. Januar 2014
Was mache ich, wenn ich keine Ahnung habe, wovon jemand redet? Ich schaue bei Google nach.
Ich hatte damals keinen Schimmer, wer oder was Dordrecht überhaupt war. Also schmiss ich die Suchmaschine an und ließ mich überraschen. „Oh“, dachte ich, „die sind ja Erster.“ Zwar nur in der zweiten niederländischen Liga, aber immerhin.
Bis dahin hatte ich mir eigentlich vorgenommen, mich für die erste Mannschaft von Vitesse zu empfehlen. Diesen Wunsch hatte Trainer Peter Bosz allerdings in seine Hände genommen, an die Wand geklebt und mit einer Fliegenklatsche kaputtgehauen. Zitat: „Bei uns wirst du in dieser Saison auf keinen Fall in der ersten Mannschaft spielen.“ Er riet mir stattdessen zu einer Leihe in die zweite Liga. Dort könnte ich erste Profierfahrungen sammeln und auf einem höheren Niveau als bei der U21 von Vitesse spielen. Das Angebot von Dordrecht schien also zum richtigen Zeitpunkt zu kommen. Sie wollten mich für die Rückrunde ausleihen und hatten beste Chancen, in die erste Liga aufzusteigen.
Noch war ich mir etwas unsicher, aber im Prinzip klang das Angebot schon sehr verlockend. Kurz darauf fuhr ich mit meinem Berater von Arnheim nach Dordrecht, um uns dort mit Sportdirektor Marco Boogers zu treffen. Er führte uns über das Vereinsgelände und erläuterte uns die besondere Taktik seines Klubs. Denn Dordrecht spielte damals wie kaum ein anderes Team in Europa: Eins gegen eins über den ganzen Platz. Jeder hatte seinen festen Gegenspieler und folgte diesem überall hin, notfalls auch auf die Toilette. Hohes Pressing, immer Vollgas – ganz nach meinem Geschmack. Diese Taktik hat nur einen Haken: Wenn du als Verteidiger im direkten Duell den Kürzeren ziehst, ist die Tür offen und der Weg frei für den gegnerischen Stürmer. Aber dazu später mehr.
Zunächst gefiel mir, was ich da hörte. Boogers meinte, er könne sich sehr gut vorstellen, dass ich in dieses System reinpasse. Und weil sie noch einen Linksverteidiger suchten, waren sie aufmerksam geworden. Ich war jung, motiviert – und vor allem sehr billig. „Wir brauchen einen linken Verteidiger wie dich“, sagte Boogers, und außerdem sei es an der Zeit für mich, Spiele gegen gestandene Profis zu bestreiten und Erfahrung auf hohem Niveau zu sammeln.
Die Sache war noch zusätzlich attraktiv: Mit einem Aufstieg in die erste Liga würde ich direkt mal etwas Vorzeigbares in meinem Lebenslauf stehen haben. Außerdem wurde mir mehr oder weniger versprochen, dass ich jedes Spiel bestreiten könnte. Der Weg zu einem Wechsel schien geebnet. Allerdings verschwieg ich Marco Boogers die Tatsache, dass ich in besagtem Spiel gegen Dordrecht als Linksverteidiger nur ausgeholfen hatte und eigentlich auf einer anderen Position beheimatet war. Und die planten groß mit mir als Linksverteidiger.
Dordrecht, das sollte ich an dieser Stelle vielleicht erwähnen, ist ein Mini-Mini-Mini-Klub in einer beschaulichen Stadt im Süden der Niederlande. Das, was ich beim FC Dordrecht sah, hatte nichts mit Profifußball zu tun. Eher Amateurfußball, wenn auch auf hohem Niveau. Als Marco mich über das Gelände – oder doch eher Hinterhof? – führte, war ich mir nicht so sicher, ob wir uns nicht wieder nach Rhede verirrt hätten. Die Kabinen waren nicht gerade neu, das Essen in der Kantine war derart ungenießbar, dass ich mir später mein eigenes Essen kochte. Das Stadion mit seinen 3500 Sitzschalen drohte jeden Moment auseinanderzufallen. Es war einfach ein sehr kleiner Verein mit einfachen Mitteln und einfacher Herangehensweise. Und gerade deshalb fand ich es hier so geil. Hier konnte ich lernen und gleichzeitig in Ruhe arbeiten.
Und weil das in Dordrecht alles so beschaulich war, fing die lokale Gerüchteküche nach meinem Besuch auch gleich an zu köcheln. „Ist das der neue, heiß ersehnte Linksverteidiger?“ „Kommt der Erlöser für die linke Seite?“ Auch die Reporter vor Ort hatten also keine Ahnung, dass ich als Linksverteidiger ungefähr so erprobt war wie mein Vater als Pilot. Ein Schmunzeln konnte ich mir bei der Lektüre dieser Schlagzeilen nicht verkneifen. Die linke Abwehrseite war für mich kein Neuland, aber doch noch ziemlich unerforscht. Und trotzdem traute ich mir die Aufgabe zu, deshalb hielt ich bei all dem Gerede um den „heiß ersehnten Linksverteidiger“ einfach die Klappe.
Zu Hause erklärte ich meinem Vater, dass ich das Angebot gerne annehmen würde: „Ich glaube, das passt.“ Wenige Tage später unterzeichnete ich den Leihvertrag und war damit offiziell Fußballprofi. Der Bursche, der zu schlecht für die A-Jugend von Borussia Dortmund gewesen war, durfte sich nun bei den Großen versuchen. Wobei: Die niederländische zweite Liga hatte in etwa das Niveau der dritten Liga in Deutschland, sprechen wir also besser von „Mittelgewicht“.
Mit dem Wechsel nach Dordrecht änderte sich vielleicht mein Status, nicht aber mein Leben und mein Alltag. Dordrecht liegt in der Nähe von Rotterdam und damit nicht einmal anderthalb Stunden von Elten entfernt. Der Klub bot mir, wie den meisten Profis, eine Wohnung in der Stadt an. Und wenn ich euch erzähle, dass mir ein Mini-Mini-Mini-Klub eine Wohnung angeboten hat, dürft ihr eurer Fantasie gerne freien Lauf lassen, wie diese Wohnung letztlich aussah. Fassen wir es mal als „renovierungsbedürftig“ zusammen.
Ich entschied mich, weiterhin zu Hause zu wohnen. Schließlich war es bereits Januar, und im Mai war die Saison auch schon wieder vorbei. Und ganz vielleicht hatte ich auch noch keine Ahnung, wie ein Staubsauger oder ein Wischmopp funktionierte. Ich pendelte also von Montag bis Donnerstag jeden Tag zum Training und am Freitag zum Spiel. Wir spielten immer freitagsabends um 20 Uhr, das war sagenhaft. Wenn wir gewannen, was sehr oft der Fall war, gab uns der Trainer am Samstag und Sonntag frei. Deshalb fuhren wir nach den Spielen mit der Mannschaft meistens nach Rotterdam in die Disko.
Ich hatte also eine stinknormale Fünftagewoche wie die meisten meiner Freunde, nur dass ich nicht von 9 bis 17 Uhr arbeiten musste. Immerhin entsprach das Gehalt eher dem eines Auszubildenden, ich spielte ja weiterhin zu den Vertragskonditionen, die ich in Arnheim unterschrieben hatte. Bedeutet: Profifußball für 17500 Euro im Jahr. Jede Reise wurde außerdem sorgfältig ins Fahrtenbuch eingetragen, und am Ende des Monats erstattete mir der Verein die Benzinkosten. Genial, oder?
Das hatte, soviel nehme ich vorweg, sehr wenig mit einer steilen Fußballkarriere zu tun. Für mich war es aber ein erster Schritt und vielleicht gerade deswegen so perfekt. Ich wurde langsam herangeführt, musste mich nicht großartig umgewöhnen und konnte mein Privatleben ganz normal weiterführen. Abends sah ich Rabea, am Wochenende meine alten Freunde. Es war natürlich etwas nervig, fünfmal in der Woche mindestens drei Stunden im Auto zu sitzen. Aber mit zwei Teamkollegen aus Nijmegen bildete ich eine Fahrgemeinschaft. Ich sammelte sie unterwegs ein, und wir wechselten uns mit dem Fahren ab.
Und so begann mein Abenteuer Dordrecht.
Am Mittwoch, den 15. Januar 2014, überreichte ich Marco Boogers den unterschriebenen Leihvertrag, am Donnerstag nahm ich am Abschlusstraining teil, am Freitagabend stand ich gegen Excelsior Rotterdam bereits in der Startelf. Vorher hatte der Pressechef – wenn man ihn denn so nennen möchte – noch eine kleine Medienrunde organisiert, um mich vorzustellen. Mein Niederländisch war damals noch nicht so ausgereift, das Video findet man heute noch auf Youtube. Ich mit Milchgesicht, ohne Barthaar und viel zu langen Haaren an den Seiten.
Nach Arnheim war ich anderthalb Jahre zuvor vor allem wegen meiner Athletik und nicht wegen meiner technischen Fähigkeiten gekommen, in der zweiten Liga wurde nun wieder viel mehr Wert auf die körperliche Komponente und weniger auf die spielerische gelegt. Und erneut hatte ich Nachholbedarf, weil es dann doch etwas professioneller und vor allem härter zuging. Wir, und vielleicht noch Willem II, versuchten zwar Fußball zu spielen, die anderen 18 Mannschaften kamen aber eher über die Robustheit. Heißt: Langer Ball nach vorne, Kampf um den Ball und das Ding irgendwie über die Linie drücken. Eklig, aber das war nun mal die zweite niederländische Liga. Tiki-Taka konnte da niemand erwarten. Wir spürten den Druck des Siegers. Zum Zeitpunkt meines Wechsels hatten wir sechs Punkte Vorsprung auf Willem II, wollten aufsteigen und mussten deshalb gewinnen. Und weil ich meinen Beitrag dazu leisten wollte, nahm ich mir vor, körperlich zuzulegen. Zum ersten Mal in meinem Leben versuchte ich es mit Krafttraining. Anders hätte ich physisch gegen die Brecher in dieser Liga auch nicht bestanden. Unser Athletiktrainer war mir eine große Hilfe. Er war auch der Meinung, dass ich körperlich ohnehin etwas zulegen sollte. Am Anfang gingen wir vor allem auf Masse, also viel Krafttraining und viel Essen. Im Fokus standen Beine, Bauch, Rücken und Brust. Bedeutet: Squats, Bankdrücken und all so was.
Im ersten Spiel gegen Rotterdam, am 23. Spieltag, begann ich – natürlich – als Linksverteidiger. Ein kalter Freitagabend im Januar vor 3500 Zuschauern unter Flutlicht. Ich war verdammt nervös. Auch wenn es sich nicht wirklich so anfühlte, aber in diesem Moment begann meine Fußballkarriere erst so richtig. Das Spiel endete 1:1. Von der lokalen Presse bekam ich gute Kritiken, trotzdem stellte mich der Trainer schon in der zweiten Partie bei Achilles ‘29 – ja, so heißen da manche Vereine – im zentralen Mittelfeld auf. Und von da an nur noch dort. Warum? Nun, der Trainer hatte erkannt, dass ich deutlich mehr rennen konnte als alle anderen, und dass meine Qualitäten im Mittelfeld vielleicht besser aufgehoben wären. Er fand eine Notlösung für die ach so vakante Linksverteidigerposition und stellte mich im 4-3-3 auf der linken Achterposition auf – die Position, die ich zuvor schon in Arnheim bekleidet hatte. Der „Heilsbringer“ und „Erlöser“ für die linke Abwehrseite spielte also wieder im Mittelfeld. Das hätte ich den Kollegen auch vorher sagen können.
Eines Tages klingelte mein Telefon. In Arnheim wunderten sie sich natürlich, was das sollte mit der Umstellung. Tenor: „So war das aber nicht vereinbart!“ Peter Bosz wollte mich doch eigentlich als Linksverteidiger aufbauen und fragte jetzt, wie das funktionieren sollte, wenn man mich bei meiner Leihstation ins Mittelfeld stellte.
Marco Boogers ist ein ganz feiner Kerl, aber ein resoluter Geschäftsmann, der den Verein nicht nur sportlich führte, sondern mit seinem Versandunternehmen auch finanziell unterstützte. Er war kein gewöhnlicher Sportdirektor, der einfach nur Spieler kaufte und verkaufte und sich ansonsten raushielt. Ich erinnere mich an einen Vorfall, als er nach einer der wenigen Niederlagen mit grimmiger Miene in die Kabine kam. Da wusste jeder von uns: Jetzt gibt es Ärger. Er ging drei Schritte vor und zurück und nahm einen Spieler ins Visier, der vor dem Spiel sein Handy in der Kabine aufgeladen hatte. „Deswegen haben wir verloren“, brüllte er, „ihr wart nicht mit Fußball beschäftigt!“ Er nahm das Telefon und schmetterte es gegen die Wand. Marco hatte in den Gesprächen mit mir einen so freundlichen Eindruck gemacht, dass ich nach dieser Szene sprachlos war. Was ganz gut passte: Für kein Geld der Welt hätte ich in dieser Situation den Mund aufmachen wollen. Man sollte dazu vielleicht sagen, dass Marco ein sehr impulsiver Mensch ist, der oft aus der Emotion heraus handelt und sich erst eine halbe Stunde später seiner Taten bewusst wird. Dann kam meist der Anruf beim Betroffenen und eine fette, ebenso emotionale Entschuldigung. Der ins Visier genommene Spieler bekam am nächsten Tag von Marco ein neues Handy und eine lange Umarmung spendiert, Thema gegessen. Herrlich!
Als der Beschwerdeanruf aus Arnheim kam, kümmerte Marco das also herzlich wenig. Seine Antwort: „Das ist jetzt unser Spieler, also entscheide ich, wo der spielt. Und ihr könnt mich am Arsch lecken.“ Diskussion beendet, Robin Gosens war nun ein Mittelfeldspieler. Ich bin mir nicht sicher, ob der Trainer dabei etwas zu melden hatte. Wenn Marco gewollt hätte, dass ich als Torwart auflief, hätte er vermutlich auch das durchgesetzt.
Peter Bosz passte das natürlich nicht, auch wenn er sich während der Leihe nie bei mir persönlich erkundigte. Er hatte mich vorher gewarnt: „Du wirst als Mittelfeldspieler, je höher du kommst, Probleme bekommen, weil du auf engen Räumen nicht so gut bist.“ Doch diese engen Räume gab es in der zweiten Liga ja nicht. Jackpot! Ich hatte im Mittelfeld so viel Zeit, dass ich viel auffälliger agieren konnte als auf der linken Abwehrseite. Ich spielte meine Ausdauer und Dynamik aus, ein cleverer Schachzug des Trainers beziehungsweise des Sportdirektors. Es machte mir ganz einfach auch mehr Spaß, wieder mehr im Spiel involviert zu sein.
In meinem vierten Spiel für Dordrecht, beim 6:1-Sieg in Emmen, schoss ich mein erstes und einziges Tor. Ansonsten war ich vor allem für die Stabilität im Mittelfeld zuständig. Unsere Leistungen stagnierten im Verlauf der Rückrunde etwas, sodass wir am Ende nur Zweiter hinter Willem II wurden und in den Play-offs um den Aufstieg kämpfen mussten. Das wäre wohl vermeidbar gewesen, aber es war vor der Saison überhaupt nicht unser Anspruch gewesen, in die Eredivisie aufzusteigen. Da gehört Dordrecht eigentlich auch gar nicht hin. Die kaputten Bänke und Sitze im Stadion können das bestätigen. Der Klub hatte kein Geld, und unser Kader bestand im Prinzip aus 30 Leihspielern. Nach wie vor überhaupt die Möglichkeit zum Aufstieg zu haben, war also an sich schon aller Ehren wert. Aber für diese Saison und vor allem diese geniale Kaderzusammenstellung von Marco Boogers wollten wir ihn und uns belohnen.
Der Modus sah so aus, dass der Zweite, also wir, im Halbfinale gegen den Fünften, in diesem Fall Venlo, ranmusste. Der Dritte, Excelsior Rotterdam, traf auf den Vierten, FC Den Bosch. Und dazu kamen aus der ersten Runde noch zwei Teams, die die Saison zwischen den Plätzen sechs und neun beendet hatten, und zwei Teams aus der ersten Liga, die um ihre Chance auf den Klassenerhalt kämpfen durften. Am Ende blieben zwei Mannschaften übrig, die sich neben Willem II auf ein Ticket für die Eredivisie freuen durften.
Soweit verständlich? Nein? Ist auch wirklich schwierig.
Wir gewannen das Hin- und Rückspiel gegen Venlo und hatten somit nur noch die Hürde Sparta Rotterdam zu überwinden. Ein Derby als letztes Hindernis, Rotterdam und Dordrecht trennen nur 20 Kilometer. Prickelnder hätte es kaum kommen können. Das Hinspiel endete in Rotterdam vor 12 000 Zuschauern in einer hitzigen Atmosphäre 2:2, für uns ein sehr gutes Ergebnis. Zum Rückspiel war die Hütte in Dordrecht restlos ausverkauft, manche haben, glaube ich, sogar noch jemanden mit reingeschmuggelt und auf dem Schoß sitzen gehabt. Die Stimmung war überragend, die Fans peitschten uns nach vorne. Ich war gerade erst 19 und seit vier Monaten dabei. Für mich war dieses Spiel das absolute Highlight. Und für die meisten anderen wahrscheinlich auch.
Funso Ojo, mein Partner im Mittelfeld, schoss uns nach fünf Minuten in Führung, und irgendwie konnte ich spüren, dass wir uns das nicht mehr nehmen lassen würden. Unmittelbar vor der Halbzeit besorgte Paul Gladon das 2:0, in der Kabine sah ich in strahlende Gesichter. „Wir steigen echt auf“, dachte ich. Ich war im Januar zum Tabellenersten gewechselt und hatte natürlich insgeheim mit dem Aufstieg gerechnet. Dass wir dann aber noch durch die Play-offs mussten, machte die Situation viel besser. Mehr ging nicht.
Kurz nach der Pause kassierten wir den Anschlusstreffer, blieben anschließend aber cool. Nach einem Konter traf Giovanni Korte in der Nachspielzeit zum 3:1. Die Bilder laufen nach wie vor in Zeitlupe in meinem Kopf ab: Wie der Ball im Netz landet und die Zuschauer alle gleichzeitig von der Tribüne auf den Rasen rennen. Der Schiedsrichter pfiff ab, und wir wurden unter Menschenmassen begraben. Zum ersten Mal seit fast 20 Jahren spielte Dordrecht wieder in der ersten Liga.
Wir feierten tagelang mit den Fans, mieteten Busse, fuhren durch die Stadt und wurden dabei von Zehntausenden Anhängern bejubelt. Mittendrin stand der 19-jährige Robin nach seinem ersten halben Jahr als Fußballprofi. Für mich hätte es kaum besser laufen können. Dordrecht war der perfekte erste Schritt in meiner Karriere. Dieser Klub vermittelte schon allein durch seine Infrastruktur nicht den Eindruck, als wäre man Fußballprofi und müsste alles in seinem Leben diesem Verein unterordnen. Ich wollte einfach nur Fußball spielen und kein großes Theater haben. Ich war sofort wichtig für die Mannschaft gewesen, hatte kaum Tiefpunkte und nach wie vor mein ganzes Privatleben. Dieses halbe Jahr war einfach Gold wert. Ich muss Marco Boogers nachträglich dafür danken. Er gab mir die Chance, als sich in Arnheim eigentlich niemand für mich interessierte. Er sorgte dafür, dass ich spielen und Fehler begehen durfte, dass ich Zeit bekam und mich langsam herantasten durfte. Er öffnete mir die Tür zu allem, was danach auf mich wartete.
Wie ging es jetzt weiter? Mit dem Aufstieg hatte sich das Thema Dordrecht für mich erledigt – dachte ich zunächst jedenfalls. Doch kurz nach den Feierlichkeiten nahm mich Boogers zur Seite und sagte: „Robin, ich nehme dich mit in die erste Liga.“ Er hatte trotz des Aufstiegs in die erste Liga weiterhin kaum Geld zur Verfügung und war auch in der kommenden Saison vor allem auf Leihspieler angewiesen. Und da war ich mit meinem Azubi-Gehalt natürlich wieder ein geeigneter Kandidat.
Aber ich wollte um meine Chance in Arnheim kämpfen, der Verein, der mich vom Dorfleben in Rhede in dieses Business gebracht hatte, für den ich allerdings noch keine Minute in der ersten Mannschaft bestritten hatte. Nach dem Ende der Saison 2013/2014 waren mir nur zwei Dinge klar: Ich wurde bald 20 und wollte auf keinen Fall wieder irgendwo auf der Bank sitzen oder in der U21 spielen. Außerdem wollte ich von zu Hause ausziehen, ganz egal wohin es ging. Darauf hatte ich Mama und Papa schon länger vorbereitet. Entweder Vitesse hatte einen klaren Plan und zeigte mir einen Weg in meine Zukunft, oder ich würde mich verabschieden und woanders Spielpraxis sammeln.
Aus diesen zwei Optionen wurden ganz schnell sechs. Denn NAC Breda, Willem II, SC Cambuur, Heracles Almelo und, na klar, Dordrecht meldeten sich bei meinem Berater. Nehmen wir Vitesse dazu, waren es sechs Erstligisten, die mich auf einmal haben wollten. Beziehungsweise fünfeinhalb, denn bei Vitesse war ich mir noch nicht sicher.
Unmittelbar nach der Aufstiegsfeier fuhren wir nach Arnheim und suchten das Gespräch mit Mo Allach, dem Sportdirektor bei Vitesse. Ich wollte wissen, wo ich bei ihnen stand, und ob Peter Bosz noch mit mir plante. Wir trafen uns in seinem Büro. Allach und mein Berater kannten sich sehr gut, sie sind beide Marokkaner und miteinander befreundet. Deshalb wusste ich, dass das Gespräch ganz entspannt ablaufen würde. Allach gratulierte mir zum Aufstieg, betonte aber, dass Bosz mich als Linksverteidiger sah, ich in Dordrecht aber bekanntlich nur ein einziges Spiel auf dieser Position bestritten hatte. Wenigstens ergänzte er: „Wir glauben schon, dass du für uns in der ersten Liga spielen kannst.“
Allerdings folgte wieder das berühmte „aber“. Die Kooperation mit dem FC Chelsea stand mir zum zweiten Mal im Weg. Spieler, die noch nicht gut genug für Chelsea waren und Spielpraxis brauchten, wurden gerne in Arnheim geparkt. Für Vitesse war das natürlich ein Segen, weil diese Spieler meistens großes Potenzial hatten. Für mich war es jedoch ein großes Problem, denn wenn ein anderer Linksverteidiger kam, musste der spielen. „Ich kann dir nicht versprechen, ob du da um den Stammplatz kämpfen wirst“, sagte Allach, „da könnten auch noch Spieler dazu kommen, darauf habe ich keinen Einfluss.“ Das hörte sich komisch an. „Du musst mir doch sagen können, ob ich in eurem Kader eine Rolle spielen kann oder nicht“, sagte ich. Konnte er aber nicht. Wenn Chelsea einen Spieler schickte, hatte der verdammt noch mal zu spielen. Das war der Deal. Toll. Also sagte ich: „Verkauft mich oder verleiht mich, aber das hier hat ja so keinen Sinn.“ Er pflichtete mir bei: „Für dich ist es das Wichtigste, dass du irgendwo spielst.“
Mein Vertrag bei Vitesse lief noch ein Jahr mit einer Option für eine weitere Spielzeit seitens des Vereins. Sie hätten mich also verleihen und anschließend – je nachdem, wie ich mich angestellt hätte – mit mir verlängern können. Wir einigten uns darauf, dass ich nicht verkauft, sondern wieder verliehen werden sollte. Und so begann mein Roadtrip durch die Niederlande. In Breda sprachen mein Berater und ich mit den Verantwortlichen von NAC, in Leeuwarden mit den Verantwortlichen des SC Cambuur und wiederholten all das in Dordrecht. Heracles Almelo wurde erst mal nicht konkret, Willem II war keine Option. Ich wollte nicht von einem Aufsteiger zum anderen wechseln.
Der Trainer in Cambuur, Henk de Jong, hinterließ einen richtig coolen Eindruck. Er war ein lässiger Kerl Anfang 50, mit struppigem grauem Haar und grauem Bart. Cambuur war in der Vorsaison als Aufsteiger Zwölfter geworden und ein etwas größerer Klub als Dordrecht. Ich sollte wieder der Box-to-Box-Spieler im zentralen Mittelfeld sein, also derjenige, der die Meter macht und die Zweikämpfe führt.
Option zwei erledigte sich ziemlich schnell, Breda klang nicht sehr interessant. Hinter Tür Nummer drei verbarg sich das, was ich kannte, mit einem kleinen Fragezeichen. Dordrecht hatte trotz des Aufstiegs den Trainer gewechselt. Ernie Brandts übernahm für Harry van den Ham und plante mich eher als Linksverteidiger ein. Vielleicht hatte er sich ja mit Peter Bosz abgesprochen, Vitesse, das wusste ich, würde es auf jeden Fall begrüßen, wenn ich nicht mehr im Mittelfeld auflief.
Cambuur oder Dordrecht? Cambuur klang aufregend und etwas ambitionierter. Aber ich war damals noch nicht der offene Typ, der ich heute bin, und brauchte etwas Vertrautes, wenn ich schon von zu Hause auszog. Also rief ich Henk de Jong an und teilte ihm meine Entscheidung mit. Er antwortete: „Kann ich dich nicht doch überzeugen?“ Es tat mir weh, in Cambuur abzusagen. Das war ein super Verein mit coolen Fans und einem schönen, kleinen Stadion. Doch mit Dordrecht war ich aufgestiegen, kannte viele Mitarbeiter und vor allem Marco Boogers, der mich offensichtlich mochte. Ich wollte in der kommenden Saison in jedem Spiel auf dem Platz stehen, und das bot mir Dordrecht. Ich entschied mich für die einfachste Option. Und für die falsche. Zumindest in der Rückschau.
Rabea und ich flogen Ende Juni in den Urlaub nach Fuerteventura, wer hat diese Insel eigentlich erfunden? Zurück in der Heimat, stand der Umzug an. Anfang Juli begann bereits die Vorbereitung auf die neue Saison. Es wurde Zeit, die Komfortzone zu verlassen und ein neues Kapitel zu beginnen. „Wenn du in der ersten Liga spielst“, dachte ich mir, „musst du deinen Arsch hochkriegen und dich auch um deinen Kram kümmern.“
Mama kam damit nicht so gut klar wie Papa, auch wenn bei ihr keine Tränen flossen. Ich war gerade 20 geworden und reif für etwas Eigenes. Ich zog also doch in eine dieser Spielerwohnungen, die ich ein halbes Jahr zuvor noch dankend abgelehnt hatte. Vielleicht waren sie mir auch nur so katastrophal vorgekommen, weil ich sowieso nicht umziehen wollte. Jetzt wirkten die Wohnungen eigentlich ganz solide. Zu „gemütlich“ oder „wohnlich“ fehlten dann allerdings doch zweieinhalb Renovierungen.
Wir fuhren mit einem großen Bulli von Elten nach Dordrecht, um meine Klamotten in der Bude unterzubringen, einer klassischen Dreizimmerwohnung mit einem Wohn- und Essbereich, einem Schlaf- und einem Gästezimmer. Alles war schon vollgestellt mit Ikea-Möbeln, darunter ein Tisch mit vier Stühlen, eine Couch, ein Bett und eine uralte Küche. Die Maklerin, die mit dem Verein zusammenarbeitete, sagte mir, dass ich sie jederzeit erreichen könne, wenn ich noch was bräuchte. Aber ganz ehrlich, diese 150-Euro-Möbel hätte ich auch noch selbst einkaufen können. Aber trotzdem war ich ihnen dankbar. Ich wusste ja, dass der Klassenerhalt mit Dordrecht ganz schwer werden würde, und stellte mich darauf ein, dass ich in dieser Bude lediglich für ein Jahr wohnen würde.
Ohnehin sollte der Fußball ab sofort für mich in den Vordergrund rücken. Die Saisonvorbereitung lief gut, wir arbeiteten intensiv, und der neue Trainer bastelte an seiner Elf aus dem wieder mal neu zusammengewürfelten Kader. Was ihm schnell zum Verhängnis wurde, war die Macht des Sportdirektors. Marco Boogers hatte, bevor er Ernie Brandts als neuen Trainer verpflichtete, klar gesagt, dass sich an der Spielidee in der ersten Liga nichts ändern sollte. Wir würden weiterhin mit Manndeckung über den ganzen Platz und mit einer hohen Verteidigungslinie agieren, den Gegner früh angreifen und versuchen, unter Druck zu setzen. Harry van den Ham, der inzwischen übrigens zum vierten Mal Trainer in Dordrecht ist, hatte als Einziger Einfluss auf Boogers. Wenn ich Probleme hatte, ging ich zu ihm und nicht zum Trainer. Weil Boogers so dominant war, wurde es für jeden Trainer automatisch schwierig. Aber das soll nicht als Kritik an Marco Boogers verstanden werden. Er war nun mal so, da brauchtest du als Trainer eine gewisse Persönlichkeit, um gegenzuhalten. Und die hatte Ernie Brandts nicht.
Am ersten Spieltag mussten wir nach Heerenveen, die unter anderem mit Mark Uth und Hakim Ziyech aufliefen. Eine gute Mannschaft, die von unserer unorthodoxen Spielweise allerdings ein wenig überrumpelt wurde. Wir bogen einen Rückstand noch in einen umjubelten 2:1-Sieg um. „Geil“, dachte ich, „läuft“. Doch dann ging es ganz schnell bergab. Ihr kennt das aus Zeichentrickfilmen, wenn jemand mit dem Schlauchboot dem Wasserfall näherkommt und schließlich in der Tiefe verschwindet? In etwa so verliefen die kommenden vier Monate für uns. Mit dem Unterschied, dass wir die Landung nicht überlebten.
Anfang August 2014 hatten wir unseren ersten Sieg eingefahren. Und erst Ende Januar 2015 den nächsten. Wir wurden schwindelig gespielt, vorgeführt und erniedrigt. Am siebten Spieltag mussten wir gegen Arnheim ran, natürlich war ich besonders aufgeregt. Jetzt konnte ich Vitesse zeigen, dass ich durchaus das Zeug zum sehr guten Erstligaspieler hatte und es wert war, mir eine Chance in Arnheim zu geben.
Vor dem Spiel meldete sich Mo Allach sogar bei mir, fragte, wie es mir gehe, und meinte, dass sie auf mich besonders achten würden (von Peter Bosz hörte ich dagegen kein einziges Wort), und auch die Medien in Arnheim hatten mich zum ersten Mal auf dem Schirm. Warum mich Vitesse abgegeben hätte, hieß es dort, da ich mich in Dordrecht doch ganz gut anstellte. Das Ende vom Lied: Wir gingen komplett unter und verloren mit 2:6. Zum ersten Mal dachte ich, dass es zwar cool war, in der Eredivisie Stammspieler zu sein, aber die letzte Saison in der zweiten Liga doch irgendwie mehr Spaß gemacht hatte. Ans Verlieren wollte ich mich nicht gewöhnen. Was mich noch mehr ärgerte, war der fehlende Zuspruch aus Arnheim. Nach dem einen Anruf von Mo Allach kam von dieser Seite gar nichts mehr.
Eine Woche nach dem Debakel gegen Vitesse schenkte uns Cambuur vier Gegentore ein. Was ich vorher schon vermutet hatte, wurde jetzt offensichtlich: Ich hätte nicht nach Dordrecht wechseln sollen. Rein sportlich wäre Cambuur die bessere Alternative gewesen. Die Leute begannen sich zu fragen, was wir überhaupt in der ersten Liga zu suchen hätten. Wir wurden nicht ausgelacht, aber man wunderte sich schon, wie eine Mannschaft so naiv sein, immer die gleichen Fehler machen und das eigene System nicht anpassen konnte. Boogers hätte irgendwann die Reißleine ziehen müssen und Ernie Brandts eine moderne Verteidigung spielen lassen sollen. Unsere Spielweise war dermaßen unpassend. Hätten wir uns einfach nur hinten reingestellt, hätten wir deutlich seltener verloren, da bin ich mir sicher. So aber liefen wir nach jedem kleinsten Stockfehler ins offene Messer. Die meisten Teams waren viel zu gut, als dass sie unsere Fehler nicht eiskalt bestraft hätten. Wir luden die Gegner förmlich ein, uns auseinanderzunehmen.
Man kann auch sagen, wir hatten einfach nicht genügend Qualität für die erste Liga. Aber wir hätten es wenigstens probieren können! Wie man das anstellt, konnte man in den vergangenen Jahren mehrfach beobachten. Auch Darmstadt hat es irgendwie geschafft, die Klasse in der Bundesliga zu halten, obwohl der Kader nicht unbedingt Erstliganiveau hatte. Die sind zwar ein Jahr später auch wieder abgestiegen, aber immerhin.
Zum ersten Mal war ich von zu Hause ausgezogen und musste selbst klarkommen, hatte niemanden, bei dem ich mich nach diesen dauernden Niederlagen ausheulen konnte. Es war auch leider nicht mehr so, dass wir freitagabends lässig Telstar vom Platz fegten und danach ein freies Wochenende hatten. Jetzt mussten wir mal samstagabends ran, mal sonntagmittags und fingen uns regelmäßig mindestens vier Hütten.
Rabea und ich hatten zwar vorher auch nicht zusammengewohnt, waren aber das erste Mal wirklich voneinander getrennt. Ich lungerte also viel allein auf der Couch rum und verbrachte die Abende auf illegalen Streaming-Seiten und schaute Game of Thrones. Es war eine krasse Umstellung, die mir nicht so leichtfiel, wie ich das erwartet hatte. Zum ersten Mal musste ich Geburtstagsfeiern von Freunden absagen, konnte nicht mehr auf jede Party gehen, musste ein richtiger Profi sein. Immerhin wohnten zwei Mannschaftskollegen in den Wohnungen unter mir, mit denen ich ein bisschen Zeit verbrachte. Wir fuhren zwei- oder dreimal in der Woche rüber nach Rotterdam, um shoppen oder essen zu gehen. Und manchmal lud ich die Jungs zu mir zum Essen ein.
Nachdem ich mich im ersten halben Jahr in Dordrecht zunehmend mit dem Thema Fitness beschäftigt hatte, meldete ich mich für einen dreijährigen Ernährungsberatungskurs beim Bildungswerk für therapeutische Berufe an. Dort wollte ich im ersten Jahr den Schein zum Fitnesstrainer erwerben, im zweiten den zum Ernährungsberater und abschließend das Scheinchen zum Personaltrainer. Dementsprechend spielte das Thema Ernährung eine große Rolle in meinem Alltag. Schräg gegenüber von meiner Wohnung lag ein Albert Heijn, das niederländische Pendant zu Edeka oder Rewe. Meistens kaufte ich dort asiatische und indische Gerichte ein, die schmeckten gut und dauerten vor allem nicht so lange. Zur Nachspeise gab es meistens Magerquark mit frischen Ananasscheiben. Für den Muskelaufbau. Am liebsten esse ich übrigens Reiswaffeln mit Putenbrust und Salz und Pfeffer, aber das nur am Rande.
Von diesem kleinen Lichtblick zurück zum Wasserfall. Nach dem 30. Spieltag, Anfang April, bestand nur noch eine theoretische Chance auf den Klassenerhalt. Wir machten uns nichts vor. Das Schlauchboot war am Absaufen. Eine Woche später, natürlich nach einer Niederlage in Arnheim, war unser Abstieg auch offiziell besiegelt. Wir beendeten die Saison mit nur 20 Punkten aus 34 Spielen und einem Torverhältnis von minus 52.
Die Krönung brachte der letzte Spieltag, als wir gegen Ajax, den frischgebackenen Vizemeister, 2:1 gewannen. Weil – und jetzt kommt‘s – wir mit einem anderen System aufgelaufen waren! Ein einziges Mal hatten wir nicht den Eins-gegen-eins-Ansatz gewählt, sondern etwas abwartender agiert. Und prompt machte es sich bezahlt. Ich kann mich noch gut an das Gespräch mit Marco Boogers erinnern, als wir nach dieser Partie mit einem Bierchen im Vereinsheim saßen. „Robin“, sagte er, „stell dir mal vor, wir hätten das ganze Jahr mit diesem System gespielt!“ Ich guckte ihn an und hielt mein Bier hoch: „Lass uns nicht mehr drüber reden. Aber abgestiegen wären wir, glaube ich, nicht.“ Wir stießen an, betranken uns, und damit war die Saison vorbei.
Wenn man Marco heute fragt, würde er bestimmt zugeben, Fehler gemacht zu haben. Heute würde er wohl darum kämpfen, Harry van den Ham als Trainer zu behalten. Warum hat er ihn danach wohl immer wieder eingestellt? Er hatte es aber auch nicht leicht mit diesem knappen Budget und der schwachen Infrastruktur. Er konnte nicht mal eben drei oder vier Millionen Euro für einen gestandenen Erstligaprofi ausgeben, im Prinzip hatte er das Budget eines deutschen Regionalligisten zur Verfügung. Trotzdem, und das tat im Nachhinein so weh, wäre der Klassenerhalt mit einem defensiveren Ansatz vielleicht möglich gewesen.
Marco und mir war klar, dass wir uns in Dordrecht kein drittes Mal sehen würden. „Ich habe dir anderthalb Jahre die Plattform gegeben, damit du weitere Schritte gehen kannst. Wenn wir uns noch mal in der zweiten Liga sehen, werde ich dich umbringen“, sagte er. Es war seine liebgemeinte Art zu sagen: „Sieh zu, dass du aus deinen Möglichkeiten etwas machst.“
Trotz der desaströsen Saison fand ich meine eigenen Leistungen meistens wirklich ganz gut. Ich hatte im Laufe der Spielzeit das Gefühl entwickelt, ein richtiger Erstligaspieler zu sein. Das war für mich eine der wichtigsten Erkenntnisse. Nach einem Jahr, das mich lehrte, auch ohne Mama und Papa, ohne Freunde und Freundin klarzukommen. Meiner Persönlichkeit taten diese Tiefschläge gut, auch wenn ich das damals noch nicht begreifen konnte. „Hinterher“, rief mir das Schlauchboot vom Grund des Flusses zu, „ist man immer schlauer.“ Denn, und das begreife ich erst jetzt so langsam, vor allem das Negative und die Tiefschläge formen dich als Spieler. Lob und Streicheleinheiten sind super, helfen dir bei der Entwicklung allerdings nicht so wie Fehler. Rein sportlich gesehen war mein erstes Jahr in der Eredivisie mit Dordrecht sicherlich kein Erfolg, trotzdem enorm lehrreich, weil ich Fehler machen durfte, die mir verziehen wurden und aus denen ich gelernt habe.
Also fuhr ich nach Arnheim und bat Mo Allach, meinen Vertrag bei Vitesse nicht zu verlängern.
Ich wollte unbedingt weg.